Egon Eiermann – Neue Stühle für neue Kirchen. Der SE 119 und SE 121

Am 17. Dezember 1961 wurde die neue Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin offiziell eingeweiht. Entworfen von Egon Eiermann war und ist der neue Kirchenbau ein selbstbewusster und moderner Ersatz für die alte Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche; ein Gebäude, das zum Bedauern vieler Berliner Urgesteine der Bombadierung von 1943 zum Opfer fiel.

Wie auch in anderen Projekten dieser Zeit, entwarf Eiermann nicht nur das Gebäude, sondern gestaltete auch gleich das passende Mobiliar für das Kircheninnere.

Die neue Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche war Eiermanns zweites Kirchenprojekt – und genau wie er von der Matthäuskirche Pforzheim architektonische Elemente wiederverwendete und neu verarbeitete,  transportierte er bekannte Elemente auch in Form des Mobiliars in das Innere der neuen Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche.

egon eiermann wilde + spieth se 119

Stuhl für die Matthäuskirche Pforzheim. Entworfen von Egon Eiermann

Für die Matthäuskirche entwarf Eiermann einen einfachen, fast schon rustikalen Holz- und Weidenstuhl; für Berlin verwendete Eiermann die gleiche Grundform, wenngleich die Form unter neuem Materialeinsatz eine neue Ausstrahlung erhielt. In vielerlei Hinsicht wirkt diese Interpretation urbaner und mondäner.

Die Rahmenform bewahrend, ersetzt Eiermann den Weidensitz aus Pforzheim durch eine gurtgestützte Struktur. Das bemerkenswerteste am „Berliner Stuhl“ ist die offene Konstruktion,  die plakativ zur Schau stellt, wie die Gurte um den Rahmen geschlungen sind.

neue kaiser wilhelm gedächtniskirche Berlin 2011

Stühle in der neuen Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, Berlin. Entworfen von Egon Eiermann

Auf der Rückseite hat Eiermann die zwei absolut unerlässlichen Elemente eines Kirchenstuhls eingearbeitet: Stauraum für das Gesangsbuch und einen Huthalter.

Wie wir alle wissen, hatte Egon Eiermann immer ein Problem damit, wenn Menschen versucht haben, seine Arbeiten mit den (gezwungenermaßen) früheren Arbeiten von Charles Eames zu vergleichen. Aber so sehr wir den kleinen schwarzen, ballförmigen Huthalter mögen und schätzen, kann sich ein Teil von uns nicht gegen den Wunsch wehren, Eiermann hätte eine Möglichkeit gefunden, die ein kleines bisschen weniger an einen Hang it All Haken erinnert…

neue kaiser wilhelm gedächtniskirche Berlin 2011

Der Gesangsbuchhalter und der Huthaken

Was Eiermann leider nicht von Pforzheim in Berlin übernommen hat, war sein berühmtes Tischgestell als Altar. Diese Entscheidung ist jedoch eher den vielen Meinungsverschiedenheiten zwischen Eiermann und dem Berliner Bistum geschuldet, als einer bewussten Entscheidung seitens Eiermann.

1985 stellt Wilde+Spieth den „Pforzheimer Stuhl“ als SE 119 der Öffentlichkeit vor – laut Arthur Mehlstäubler1, der erste Stuhl, den Eiermann für ein Architekturprojekt entworfen hat und der daraufhin in die Serienproduktion ging. Das markiert in unseren Augen den Punkt, an dem Eiermann zu einem vollwertigen „Möbelarchitekten“ im dänischen Sinne wurde. Obgleich der SE 119 schon 1958 als Esszimmerstuhl im deutschen Pavillion auf der Weltausstellung in Brüssel zum Einsatz kam.

1962 brachte Wilde+Spieth den „Berliner Stuhl“ als SE 121 heraus, der ab 1964 in der Kanzlei der deutschen Botschaft in Washington verwendet wurde. Ohne Huthaken und Gesangsbuchhalter, allerdings.

Leider werden beide Stühle nicht mehr hergestellt, aber die Kirchen stehen noch und in beiden kann man einen wunderbaren Einblick in einen sehr speziellen Teil von Egon Eiermanns Oeuvre erhalten.

1. Aus Kielmeyer, Barbara, Hg. „Egon Eiermann – die Möbel“, INFO-Verlag, Karlsruhe 1999

neue kaiser wilhelm gedächtniskirche Berlin 2011

Die neue Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche Berlin. Mit Eiermanns Stühlen, komplett mit Huthaken und Gesangsbuchhaltern

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