Vitra Design Museum: Gerrit Rietveld – Die Revolution des Raums

 

Für eine Ausstellung namens Die Revolution des Raums gibt es wahrscheinlich keinen passenderen Ort als das von Frank Gehry entworfenene „räumlich revolutionäre“ Vitra Design Museum in Weil am Rhein – außer vielleicht, wenn die Ausstellung Gerrit Rietveld gewidmet ist, also einem Mann, dessen Werk vor allem von klaren, linearen und gleichmäßigen Formen bestimmt wird. Das Vitra Design Museum hat diesen Kontrast dennoch gewagt und damit eine Ausstellung geschaffen, die nicht nur einen Überblick über einen Künstler, sein Werk, seinen Einfluss und sein Erbe gibt, sondern seine Besucher auf gelungene Weise mit zahlreichen formalen Gegensätzen konfrontiert.

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Vitra Design Museum: Gerrit Rietveld - Die Revolution des Raums. Sogar das Wetter passte sich der Monotonie Rietvelds an.

1888 in Utrecht geboren, verließ Gerrit Thomas Rietveld die Schule im Alter von 12 Jahren, um in der Tischlerwerkstatt seines Vaters zu arbeiten. Nach seiner Zeit als technischer Zeichner und Modellbauer für den Utrechter Goldschmied und Juwelier C. J. A. Berger eröffnete Rietveld 1917 seine eigene Tischlerei und entwarf bereits im folgenden Jahr die erste, noch farblose, Version seines Red and Blue Chairs. 1919 knüpfte Rietveld erste Kontakte mit leitenden Mitgliedern der niederländischen Künstlervereinigung de Stijl, einer Gruppe von Künstlern, Designern und Architekten, die eine abstrakte wie reduzierte Formensprache etablierten. In den darauffolgenden Jahren richtete Rietveld seine Aufmerksamkeit zunehmend auf Architekturprojekte und gehörte 1928 neben Berühmtheiten, wie Le Corbusier, Mart Stam oder Hannes Meyer, zu den Gründungsmitgliedern des Congrès internationaux d’Architecture Moderne.

Die Revolution des Raums basiert weitgehend auf der 2010 in Utrecht gezeigten Ausstellung Rietvelds Universum. Im neuen Titel deuten sich allerdings bereits Änderungen an, die das Vitra Design Museum in Bezug auf den Kontext und den Stil der Ausstellung vorgenommen hat. Neben neuen Objekten, die Rietvelds Arbeit in den Kontext seiner Zeit setzen, geht die aktuelle Ausstellung im Gegensatz zur eher thematischen Herangehensweise in Utrecht im Wesentlichen einen chronologischen Weg.

Und so beginnt Die Revolution des Raums mit den Klassikern Rietvelds. Wie bei Metallicas Black-Album-Tour, als sie „Enter Sandman“ als ersten Song gespielt haben, werden so direkt alle Erwartungen erfüllt und der Geist ist offen für neue, oder lang vergessene, Erfahrungen.

Ausgehend von den Klassikern versteht man nicht nur, auf wie vielen verschiedenen Gebieten Rietveld aktiv war, sondern auch, in wie vielen Bereichen des Möbeldesigns und der Architektur er seiner Zeit voraus war. Und wie viel von dem, was er versucht, aber nicht in die Tat umgesetzt hat, in den Arbeiten von Designern späterer Zeiten wiedergefunden werden kann. Wenn euch zum Beispiel ein Stuhl, der aus einem einzigen Stück gebogenem Metall besteht, bekannt vorkommt, dann habt ihr wahrscheinlich unser Interview mit Harry Thaler gelesen. Die Formensprache und das Konzept sind völlig unterschiedlich, aber Rietveld hatte die Idee schon 1942 und tat das, was uns das Design-Symposium „Warum Gestalten?“ der HFBK Hamburg als primäre Funktion des Designers schilderte: Experimentieren und Grenzen überschreiten.

Nicht nur Harry Thaler wurde zeitweise durch den emsigen Rietveld die Schau gestohlen. Die Revolution des Raums umfasst noch zahlreiche Beispiele dafür, wie Designer von Rietveld beeinflusst wurden oder wie Themen in den Arbeiten integriert sind, mit denen Rietveld schon vor ein oder zwei Generationen experimentiert hat.

Für uns sind aber die Parallelen zum Bauhaus am interessantesten und eine Frage drängt sich dem Ausstellungsbesucher förmlich auf: Wieso ging Gerrit Rietveld eigentlich nicht zum Bauhaus? Optisch liegen die Hauptarbeiten Rietvelds und die berühmten Bauhaus-Arbeiten unbestritten nah beieinander. Außerdem haben Rietveld und diverse Bauhäusler auf ähnliche Weise zu ähnlichen Zeiten an sehr ähnlchen Themen gearbeitet und sich fraglos gegenseitig beeinflusst. Im Interview erklärte uns die Leiterin des Bauhaus-Archivs Berlin Dr. Annemarie Jaeggi außerdem, dass es zur Bauhaus-Philosophie gehörte neue Materialien zu erforschen und zu testen, was mit ihnen alles möglich war. In jedem Raum des Vitra Design Museums findet man Beispiele dafür, wie Gerrit Rietveld genau das getan hat.

Wieso kamen Rietveld und das Bauhaus also nie zusammen? Die Kuratoren Ida van Zijil vom Centraal Muesum Utrecht und Amelie Znidaric vom Vitra Design Museum sind sich darüber einig, dass Rietvelds private Situation in Holland es ihm einfach nicht erlaubte, zum Bauhaus zu reisen. Es sei nicht mal Thema gewesen. Er war wahrscheinlich zufrieden mit den Projekten, die er hatte, und verspürte so kein wirkliches Verlangen nach Deutschland zu reisen bzw. betrachtete es nicht als Notwendigkeit. „Und das ist auch gut so“, um das beliebte, weil treffende Zitat des Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit heranzuziehen. Denn wäre Rietveld nach Weimar oder Dessau gereist, wäre er möglicherweise nur Teil eines weiteren, kleinen Kapitels in der Bauhaus-Geschichte geworden. Und das wäre natürlich mehr als schade…

Ob als Pionier des Open Designs, moderner Stadtplaner oder als einer der ersten Designer, die gebeten wurden, den Innenraum von Flugzeugen zu designen, Gerrit Rietveld ist ein Mann mit vielen, sehr vielen Talenten. Besonderes Interesse weckten bei uns die Modelle, Skizzen und Möbel, die Gerrit Rietveld zum sozialen Wohnungsbau sowie zur Vorfertigung und allgemein zur Verbesserung der häuslichen Situation der Arbeiter angefertigt hat.

Für uns sind in diesem Sinne die Parallelen zu Jean Prouvé mehr als deutlich, doch laut Ida van Zijil gibt es da einen großen Unterschied: „Für Prouvé war die industrielle Produktion sehr wichtig, für Rietveld war die Idee wichtiger. Es war weniger wichtig, wie es gemacht wurde, es war nur wichtig, dass es gemacht wurde“.

Darin liegt möglicherweise ein weiterer Grund dafür, wieso Gerrit Rietveld nie zum Bauhaus ging. Sein Herz schlug einfach einen Takt schneller fürs Handwerk als für die Industrie, was ihn stärker an die Tradition der Arts and Crafts Bewegung oder den Deutschen Werkbund band als an das industriefixierte Bauhaus.

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Ein Modell für das Verriet Institut für behinderte Kinder, Curacao. Designt von Gerrit Rietveld und Henk Nolte 1949-52

Trotz aller Innovationen, Visionen und Experimente wird Gerrit Rietveld meist auf seine früheren Arbeiten reduziert; vor allem der Red and Blue Chair wurde zu solch einer Designikone, dass es für die meisten fast unmöglich sein wird, Rietveld von diesem einen Objekt zu trennen. Doch wieso ist das so? Sind seine früheren Arbeiten wirklich besser als das, was später kam? Warum hörte Gerrit Rietvelds Berühmtheit just zu der Zeit auf als seine Karriere wirklich begann? Für Ida van Zijl liegt ein Teil des Problems ironischerweise darin, dass die de Stijl-Bewegung Rietveld erst einem breiteren Publikum bekannt gemacht hat: „De Stijl ist sehr bedeutend für die Geschichte des 20. Jahrhunderts, deshalb sind auch die Arbeiten, die im Zuge von de Stijl entstanden, unvermeidlich die bekanntesten und die mit dem größten Wiedererkennungswert.“

Im Fall Rietvelds hat die Popularität, die er mit seinen De Stijl-Arbeiten erfuhr, zu einer Vernachlässigung seines übrigen Oeuvres geführt. Insebsondere seine späten Arbeiten waren davon betroffen. Hätte das Centraal Museum Utrecht 1958 keine Rietveld-Retrospektive gezeigt, wären viele dieser Arbeiten wahrscheinlich kaum an die Öffentlichkeit gedrungen.

Nichtsdestotrotz steht Rietvelds vollständige Rehabilitation noch aus. Nach wie vor ist er ein Mann, den man viel zu schnell auf drei oder vier Projekte reduziert. Die Revolution des Raums macht nun auf wunderbare Weise deutlich, dass es bei Gerrit Rietveld weitaus mehr zu mögen, zu entdecken und zu lernen gibt.

Und die Location? Würde Gerrit T. Rietveld ein Gebäude wie das Vitra Design Museum für seine Ausstellung gutheißen? Würde er sich darüber freuen, dass sein Werk in einem Frank O. Gehry Temple des Dekadenten, Formlosen, Organischen gezeigt wird?

Wir fragen Ida van Zijl und sie lacht herzhaft: „Natürlich! Er war ja kein Prinzipienreiter und verfolgte nicht etwa die Mission, andere zu seinem Glauben zu bekehren. Es gab da beispielsweise einen niederländischen Architekten namens Ravesteyn, der eine fast barocke Form des Funktionalismus entwickelte. Alle führenden niederländischen Architekten der damaligen Zeit kritisierten ihn dafür und behaupteten, das was er tue, sei falsch. Und es war Rietveld, der sagte: ‚Nein! Jeder kann den Modernismus auf seine Weise interpretieren.‘ Von daher glaube ich, dass Rietveld durchaus an der Architektur des Vitra Design Museum interessiert wäre, und sich freuen würde, dass sein Werk genau darin gezeigt wird.“

Gerrit T. Rietveld Die Revolution des Raums kann noch bis zum 16. September 2012 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein besucht werden.

 

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