Eine kleine Geschichte Thüringens: Der Kongress von Erfurt, 1808

1808 hatte Napoleon ein Problem. Oder besser gesagt, einen ganzen Kontinent voller Probleme. Spanien, Österreich, Finnland, England, Russland, Deutschland und die Türkei – keiner wollte sich benehmen, wie es Napoleons großen Plänen entsprochen hätte.

Wie sollte er z.B. bloß Indien erobern, wenn Europa einfach nicht die französische Machtstellung akzeptieren wollte?

In einem Versuch, zumindest ein Stück weit aus dem Chaos herauszufinden, wurde ein Treffen mit Zar Alexander I. von Russland organisiert, in dem die Situation besprochen und ein neues Friedensabkommen zwischen den beiden Großmächten ausgehandelt werden sollte.

Auf Vorschlag von Zar Alexander wurde als Ort für dieses Treffen Erfurt gewählt.

Wenn auch zugegebenermaßen noch nie eine glamouröse europäische Metropole gewesen, bildete Erfurt damals die östliche Grenze zum französischen Reich und war als solche eine sinnvolle Wahl für das Treffen.

Napoleon Erfurt

"L'entrevue d'Erfurt, 27. September - 14. Oktober 1808: Napoleon I. empfängt Baron Vincent, den österreichischen Botschafter, in Erfurt, 1808" von Nicolas Gosse. Eines der wenigen Bilder, das den Kongress von Erfurt darstellt.

Der Kongress von Erfurt war für den späten September 1808 angesetzt und die französischen Gastgeber planten das Gipfeltreffen mit der gleichen Professionalität wie ihre Schlachten. Mit der Ausnahme, dass sie anstelle der Waffen „eine große Menge prachtvoller Möbel, Teppiche und Wandteppiche, sowohl Gobelin als auch la Savonnerie, Bronze, Lüster, Kerzenständer, Girandole, chinesisches Porzellan; jedes Stück für die luxuriösen Paläste beider Herrscher gleichermaßen geeignet…“bereitstellten.

Napoleon selbst verließ Paris am 22. September 1808 und erreichte Erfurt am 27. September. Nach einem Briefwechsel voller Höflichkeiten mit dem formalen Gastgeber König Friedrich August von Sachsen, brach er auf, um sich mit Alexander zu treffen.

Der Zar verließ St. Petersburg am 17. September, erreichte seine Schwester, die Großherzogin Maria Pawlowna, in Weimar am 25. September und befand sich nun auf dem Weg nach Erfurt.

Die beiden Herrscher trafen sich in der Nähe von Utzberg unter einem Birnenbaum und laut allen Berichten grüßten sie sich mit einer fast brüderlichen Herzlichkeit.

Während wir gegenüber Quellen, die älter sind als wir selbst, grundsätzlich misstrauisch sind, behält der Kongress von Erfurt den besten Beweis für die warme Natur der Beziehung zwischen Alexander und Napoleon bereit.

Z.B. erfährt man von Louis Constant Wairy, dass, neben den normalen Geschenken, die man einander übergab, Zar Alexander Napoleon jeden Morgen in seinem Schlafzimmer besuchte und eines Morgens „…die Eleganz und Strapazierfähigkeit des eisernen Bettgestells der Majestät bemerkte; und dass dieser schon am nächsten Tag anordnete, genau das gleiche Bett im Zimmer des russischen Machthabers aufzustellen, der hocherfreut über diese Aufmerksamkeit war.“2

Das ist so ein schöner Einblick in die Art von Smalltalk, die sich zwischen europäischen Führungskräften abspielt. Und natürlich dafür, mit welcher Leichtigkeit man im 19. Jahrhundert an moderne Möbel in Erfurt kam.

Der Kongress selbst verlief weniger brüderlich und endete am 14. Oktober 1808 ohne eindeutiges Ergebnis, so wie auch 200 Jahre später noch so oft. Doch die diplomatischen Gespräche machten nur einen Teil der Geschehnisse aus und so kommentierte John Holland Rose, mit leicht ironischem Unterton, dass „…Napoleons größte Triumphe in Erfurt soziale und literarische waren.“3

Bevor Napoleon Paris verließ – so ist es überliefert – stellte er sicher, dass die Gespräche von einem Unterhaltungsprogramm begleitet sein werden, das dem Format der Gäste entsprach. In Ergänzung zu den unerlässlichen Abendessen und Empfängen wurde das Ensemble Comédie francais nach Erfurt geholt, um „die Meisterwerke der französischen Bühne“4 aufzuführen. Aus diesem Anlass ordnete Napoleon an, dass das Ballhaus in der Futterstraße in Erfurt zu einem königlichen Theater umgestaltet werden sollte.

Das Stück begann jeden Abend um 19 Uhr. Zumindest in der Theorie: Wie Constant festhielt, „kamen die beiden Herrscher immer zusammen und das nie vor halb acht.“5

Mit einem Repertoire von Werken von etwa Racine, Corneille und Voltaire, begeisterte das Comédie francais nicht nur das Publikum, sondern, viel wichtiger, es spielte auch eine wichtige Rolle bei der Etablierung französischer Kultur in Deutschland. Kultur als Politik. In diesem Kontext ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass neben dem europäischen Königshaus die Glanzlichter aus Kunst und Literatur, wie Johann Wolfgang von Goethe, unter den ca. 300 Gästen waren.

Das Gebäude in der Futterstraße, wo es Napoleon gelang, zumindest ein Mindestmaß an Erfolg zu bewirken, existiert noch heute. In Gedenken an diese zwei Wochen von 1818, als Erfurt das „Zentrum europäischer Politik“6 war, umbenannt in Kaisersaal, ist es 200 Jahre nachdem Napoleon I., Alexander I., Goethe & Co. durch seine Gänge schritten, noch immer Veranstaltungsort für Kongresse, Theater und kulturelle Veranstaltungen aller Art.

Und seit der letzten Renovierung beherbergt es außerdem Möbel, so elegant und strapazierfähig wie einst Napoleons Eisenbett: USM Haller und der Thonet S 360 Stuhl von Delphin Design fanden an diesen geschichtsträchtigen Ort.

 

1. Constant, Louis Constant Wairy (1910) „Recollections of the private life of Napoleon“ Übersetzt von Walter Clark. The Saalfield Publishing Company, Akron, Ohio

2. ebd.

3. Rose, John Holland (1901) „The Life of Napoleon I (Volume 2 of 2)“ über Projekt Gutenberg http://www.gutenberg.org/ebooks/14290. Accessed 07.11.2013

4. ebd.

5. Constant (1910)

6. Wencker-Wildberg, Friedrich (Hg.) (1930) „Napoleon. Die Memoiren seines Lebens. Band 11. Das Kaiserreich auf dem Höhepunkt: Fürstenkongress zu Erfurt Feldzug in Spanien (1808)“ Gutenburg-Verlag Christensen & Co. Hamburg

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