(smow) Blog Designkalender: 25. Januar 1970 – Visiona 2 von Verner Panton eröffnet in Köln

„Der Rohstoff Holz wird aus der Behausung verdrängt: sogar Metal und Glas, viel jünger im Wohnbereich, verlieren an Bedeutung. Die Kunststoffe sind im Vormarsch…“1

Warum hat sich das Magazin Stern im Februar 1970 wohl so eindeutig zur Zukunft des Wohnmobiliars geäußert?

Der Stern-Autor hatte Verner Pantons Ausstellung Visiona 2 auf der internationalen Einrichtungsmesse Köln gesehen und sah genau dort die Zukunft.

„Es ist sicher, dass ein neues Zeitalter auch in unsere Häuslichkeit drängt. Was nun kommt, ist nicht nur ein Wandel im Stil, sondern eindeutig der Bruch mit dem seit tausend Jahren Gewohnten.“²

25th January 1970 Visiona 2 Verner Panton Cologne

Visiona 2 von Verner Panton, Köln 1970 (Foto: © Verner Panton Design)

Die 12. Kölner Einrichtungsmesse eröffnete am 25. Januar 1970. Den über 75.000 Zuschauern wurden die neusten Produkte von 1200 Ausstellern aus 26 Ländern gezeigt. Allerdings war das mediale Highlight der IMM Cologne 1970 ohne Frage Verner Pantons Ausstellung Visiona 2. Realisiert in Verbindung mit dem Chemiekonzern Bayer wurde die Visona 2 auf einem Schiff gezeigt, das in direkter Nähe zur Hauptausstellungshalle angelegt hatte.

Oder mit den Worten Carol Clarkes im Architectural Design: „Der Bayer Konzern herrscht über der Einrichtungsmesse Köln mit einen völlig neuen Umgang mit der Inneneinrichtung seines Rheinbootes.“3

Initiiert wurde die Visiona, um Bayers Sammlung moderner, synthetischer Produkte zu zeigen. Gedacht als jährliche Ausstellungsreihe, sollte die Visiona von unterschiedlichen Architekten und Designern kuratiert werden und dem Kurator die Freiheit geben, seine eigene, fleischgewordene Zukunftsvision vorzustellen.

Verner Panton war für die erste Visiona verantwortlich und natürlich hatte sich Bayer nicht zufällig an ihn gewandt. Der Architekt hatte eine beachtliche Reputation aufgebaut.

Sein Cone Chair von 1958 überwand nicht nur die übliche, konventionelle Stuhlform und damit etablierte Vorstellungen, sondern erfand mit der irgendwie riskanten Präsentation im Dänischen Magazin Mobilia auch die übliche Ästhetik der Möbelwerbung völlig neu. 1960 verband Panton dann den Cone Chair und geometrische Textilien in seinem Design für das Hotel Astoria in Trondheim und kreierte hypnotisierende Räume, die allerdings in ihrer physischen Wirkung noch nicht so imposant waren wie die späteren Räume auf der Visiona. Im gleichen Jahr veröffentlichte der dänische Hersteller Plus-linje Pantons aufblasbaren Plastikstuhl – das erste transparente, aufblasbare Plastikmöbel und das sieben Jahre bevor Zanotta den aufblasbaren Sessel „Blow“ von Paolo Lamazzi, Donato D’Urbino und Jonathan De Pas herausbrachte.

Im Jahr 1965 überwältigte Panton Köln mit seinem Flying-Chair-Konzept, bevor dann 1967 mit dem Panton Chair bei Vitra der entscheidende Punkt seiner Kariere erreicht war. Dieser Stuhl änderte unsere Vorstellungen von Möbeln so gewaltig, dass sein Einfluss, auch wenn er zunächst nur bis 1979 produziert wurde, bis heute ungebrochen bleibt.

Mit seiner krassen Pop Art sprengte Panton das ursprüngliche Visiona-Konzept auf der Ausstellung 1968. Zwar widmete Panton einen Teil des Ausstellungsraums den Bayer-Produkten, durch die Integration von Licht und Möbeln verwandelte er allerdings den Großteil des Schiffes in eine grundsätzliche Erforschung des zukünftigen Wohnraumes. Der italienische Architekt Joe Colombo schloss sich diesem Thema an und erweiterte Pantons Idee für die Visiona 1 1969, bevor Panton das Konzept schließlich mit der Visiona 2 auf die Spitze trieb.

Eine 3D-Collage aus Licht, Farbe, Sound und Geruch. Die Visiona 2 erzählte zweifelsfrei mehr von Verner Pantons persönlicher Zukunftsvision als von Bayers Produkten.

1967 erläuterte Verner Panton seine Vision in einem Interview mit dem Stern: Häuser sollten aus variablen Modulen konstruiert werden, die aus einer einzigen Form bestehend vom Fließband kommen sollten und über besondere Eigenschaften verfügen würden. „Es wird besondere Zimmer für Fernsehübertragungen geben, wo die Betrachter mitten im Geschehen sitzen werden. Die Bilder werden sie an den Wänden, an der Decke und auf dem Fußboden sehen.“4 Ein zentrales Merkmal der Panton’schen Zukunftsvision war die Farbe: „Die Grundfarbe der Räume wird Silber oder Weiß sein. Trotzdem wird die Umwelt sehr farbig sein, denn der neutrale Grund wird von einer Vielzahl von Farben belebt, die durch Licht erzeugt werden. Das wird das Wohlbefinden steigern: wie man ja weiß, haben Farben eine enorme psychologische Wirkung.“5

Viele dieser Ideen fanden sich auf der Visiona 2. In den drei Ausstellungsabschnitten zeigte Panton nicht nur eine Reihe von Räumen mit spezifischen Funktionen, sondern auch eine Landschaft aus wohlüberlegten Kontrasten, Farben, Formen und Texturen. „Der Raum ist komplett in Stoff eingehüllt, ohne eine Unterscheidung zwischen Böden, Wänden und Decke“ informiert uns Carol Clarke, „aus diesem Kokon wachsen Gebilde, die wiederum Körperstützen, Aquarien, Lampen etc… formen.“6

Und tatsächlich, schaut man sich Videos der Visiona 2 an, kommt es einem vor als würde man die Originalversion des Films „The Wicker Man“ von 1973 sehen. Bewegung, Sound und Licht schienen einen gegen den Willen in einen psychotischen, pseudo-erotischen Zustand zu treiben. Das erklärt wahrscheinlich auch die überbordende Euphorie des Sterns.

25th January 1970 Visiona 2 Verner Panton Cologne

Visiona 2 von Verner Panton, Köln 1970 (Foto: © Verner Panton Design)

Verner Pantons majestätische Komposition für die Visiona 1970 zeigt auch, dass es trotz des zügellosen Hypes um die neuen „Space Age“-Möbel der späten 1960er und frühen 70er Jahre neben Panton und Colombo kaum andere gab, die in der Lage gewesen wären solche Visionen derart perfekt zu artikulieren.

Allerdings stellte sich trotz des Medienhypes um die „Space Age“-Möbel ein Mangel an Konsumenten ein. Was mal wieder zeigt, dass ein Medienhype nicht zwangsläufig etwas mit dem kommerziellen Erfolg zu tun haben muss.

Die Kölner Ausstellung 1970 zeigte beispielsweise auch Bulthaupts Typ 1 Küche. Ein Ensemble, das der Brücke auf der USS Enterprise gleicht und das im Gegensatz zu den kulinarischen Tempeln, die Bulthaupt heute verkauft, nur für das Aufwärmen von Fertiggerichten vorgesehen war. Ähnlich auch die Küche „Experiment 70“ von Luigi Colani für Poggenpohl, die für eine Zukunft stand, in der das Zubereiten von Mahlzeiten überflüssig ist und in der die Küche eher als häusliche Kommandozentrale dient.

Aber von diesen und anderen Projekten ist nichts übrig geblieben.

Auch von den Objekten, die Panton für die Visiona 2 entwarf, sind nur noch der Sessel Amoebe, das Cloverleaf Sofa und die Lampen Spiral, Ball und VP-Globe in Produktion.

Vieles von Pantons Vision hat allerdings überlebt, wenn auch in einer matteren Variante und aus sehr viel mehr Holz, Metall und Glas, als es der Stern damals angenommen hätte.

Verner Panton ging es bei der Visiona 2 vor allem darum, den Wohnraum als einen Ort zu zeigen, an dem man den Spannungen und dem Stress einer zunehmend leistungsorientierten Gesellschaft entkommen kann – der Wohnraum also nicht mehr als passives Domizil, sondern als ein aktiver Ort der Entspannung und Wiederherstellung, als ein privates Refugium, in dem die moderne Welt mit all ihren Erfindungen, dem Individuum und nicht dem ökonomischem Vorteil dienen sollte.

Schade dass Panton das Internet nicht vorhersehen konnte – Man stelle sich eine komplett vernetzte Visiona 2 vor!

In vielerlei Hinsicht kann man die Visona 2 auch als einen Ausgangspunkt für die Entwicklung der „Raum im Raum“-Konzepte betrachten – als einen Ausgangspunkt für eine größere Flexibilität in der Innenarchitektur, die es möglich macht, den verfügbaren Raum optimal zu nutzen. Die Überlegungen auf diesem Gebiet sind erst in der letzten Zeit wirklich ausgereift und populär geworden.

Wir wollen nicht behaupten, dass unser derzeitiges Verständnis von Inneneinrichtung und Möbeln ohne die Visiona 2 nicht zu Stande gekommen wäre, aber ohne Pantons Ausstellungen wäre es sehr viel mühsamer gewesen, diese Auffassung zu entwickeln.

Letztendlich fasst ein Statement Pantons abgesehen vom ganzen Hype seine eigentlichen Intentionen für die Visiona 2 vielleicht am besten zusammen: „Man mag derartige Experimente als utopisch bezeichnen; sie helfen uns jedoch, unsere Erfahrungen zu erweitern, und darauf kommt es an.“7 Was uns zurückbringt zu Fritz Haller, seiner Space Kolonie und Dr. Georg Vrachliotis Behauptung, dass „Fritz Haller im Grunde genommen in den Weltraum geflogen sei, um besser über die Welt nachdenken zu können.“ Verner Panton ist vielleicht in einer grellen Alice-im-Wunderland-Hölle versunken, um uns die Harmonie des  Wohnraums in all ihren Facetten näher zu bringen.

1 Stern Nr. 8, 15. Februar 1970

2 „Das Möbel kommt in die Dimension des Konsums“ Form 49 März 1970

3 Carol Clarke, „Panton at Cologne“, A.D. Architectural Design Mai 1970

4 Stern Nr. 30, 23. Juli 1967

5 ebd.

6 Carol Clarke, „Panton at Cologne“, A.D. Architectural Design Mai 1970

7 Stern Nr. 8, 15. Februar 1970

25th January 1970 Visiona 2 Verner Panton Cologne

Visiona 2 von Verner Panton, Köln 1970 (Foto: © Verner Panton Design)

25th January 1970 Visiona 2 Verner Panton Cologne

Visiona 2 von Verner Panton, Köln 1970 (Foto: © Verner Panton Design)

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