(smow) Blog Designkalender: 8. April 1901 – Happy Birthday, Jean Prouvé!

Während die Designer, um die es an dieser Stelle normalerweise geht, im Allgemeinen entweder als Architekt oder Tischler ausgebildet wurden, war Jean Prouvé gelernter Schmied. Oder genauer gesagt, ein ferronniers d’art, ein Kunstschmied. Diese Ausbildung verhalf ihm zu einem besonderen Blick auf die Herausforderungen der Zeit, auf die damaligen ästhetischen Standards und die Entscheidung zwischen industriellen und künstlerischen Herstellungsverfahren und schließlich zu einer einzigartigen Position in der europäischen Architektur- und Designgeschichte.

Er ist außerdem der einzige Designer des 20. Jahrhunderts, von dem wir wissen, dass sein Werk in die Abenteuer von Tim und Struppi einfloss…

Am 8. April 1901 in Paris als zweiter Sohn des Künstlers Victor Prouvé und der Pianistin Marie Duhamel geboren, wuchs Jean Prouvé in Nancy auf, wo sein Vater die Kunsthochschule Ecole de Nancy mitgründete. Mit 15 zog Jean Prouvé nach Paris, um Schmied zu lernen, bevor er 1923 nach Nancy zurückkehrte und seine eigene Werkstatt eröffnete. Angefangen mit der Produktion „gewöhnlicher“ Kunstschmiedearbeiten, wie Zäune, Tore und Geländer, begannen sich die Dinge 1926 zu verändern, als Jean Prouvé Metallblech und vor allem das Biegen und Verformen von Blech und Aluminium „entdeckte“. Nachdem er daraufhin einmal mit dem Konstruieren von Möbeln begonnen hatte, erweiterte Prouvé sein Repertoire schnell auf architektonische Elemente und Strukturen, doch blieb er dabei stets dem gleichen Klapp- und Bindungssystem treu.

Neben der Umsetzung eigener Projekte arbeitete Jean Prouvé regelmäßig mit Architekten an deren Projekten. Vielleicht am bemerkenswertesten dabei, 1930 der neue Showroom von Citroën in Lyon des Architekten Maurice-Jacques Ravazé und seine zahlreichen Kooperationen mit Charlotte Perriand, Le Corbusier und Pierre Jeanneret.

1931 machte sein wachsender Erfolg es Jean Prouvé möglich, eine GmbH, Les Ateliers Jean Prouvé S.A., zu gründen. Bis in die frühen 1950er Jahre arbeiteten in der Firmenanlage in Maxéville, einem Vorort von Nancy, über 250 Angestellte an Möbelentwürfen und Architekturprojekten. Der Erfolg kam jedoch im Juni 1953 zu einem abrupten Ende, als Differenzen zwischen Prouvé und Aluminium Français, dem Hauptteilhaber der GmbH, Prouvé dazu veranlassten, die Firma zu verlassen. Und obwohl er weiterhin an Architektur- und Ingenieurprojekten arbeitete, markierte das Ereignis im Juni 1953 endgültig das Ende von Jean Prouvés Karriere als Möbeldesigner.

Sein Werk geriet jedoch nicht in Vergessenheit, was durch seinen Fauteuil Visiteur, einen Besuchersessel, in Hergés Klassiker „Tim in Tibet“ auf besonders anschauliche Weise deutlich wird. In dem 1960 veröffentlichten Comic-Klassiker dient Prouvés Sessel als Sitzgelegenheit für Professor Calculus in der Hotellobby…

Der Fauteuil Visiteur tauchte zum ersten Mal im Juli 1941 als Zeichnung in einem Portfolio mit Möbeldesigns für das „Solvay Hospital“- Projekt der Architekten Jacques und Michel André auf. Das Portfolio beinhaltete außerdem die ersten Zeichungen von dem, was später zum Guéridon Tisch und zum EM Table werden sollte.2 Ursprünglich von Jean Boutemain gezeichnet, wurde der Entwurf im Februar 1942 von Jean-Marie Glatigny übernommen und zwei Wochen später noch einmal von Jean Boutemain überarbeitet. Sowohl Glatigny als auch Boutemain gehörten zu dem „Forschungs- und Designteam“, das Prouvé 1931 im Zuge der Eröffnung seiner zweiten Werkstatt gründete.3 Diese Art der Teamarbeit zeigt, wie lange schon das Produktdesign auf nicht weiter genannte Kreative, Techniker und Ingenieure im Hintergrund angewisen ist…

Das „Solvay Hospital“-Projekt wurde nie realisiert, 1948 aber brachte Les Ateliers Jean Prouvé den Fauteuil Visiteur als eigenständiges Produkt heraus und im Laufe der folgenden fünf Jahre wurde der Stuhl in einer ganzen Reihe von Abwandlungen, einschließlich einer Recycling-Version mit verstellbarer Rückenlehne, auf den Markt gebracht.4 Und wenn wir das richtig sehen, ist die Version, in der Professor Calculus in „Tim in Tibet“ sitzt, der FV 13 von 1948/49. Aber wir können uns natürlich auch irren…

Genau wie bei Gerrit T. Rietveld weist auch Jean Prouvés Werk Parallelen zu dem seiner Zeitgenossen auf, während es unmissverständlich auch einen Kanon bildet, der für sich selbst steht. Zum Beispiel experimentierten zur gleichen Zeit wie Jean Prouvé an Metallblech, Aluminium und massiver Eiche seine Zeitgenossen Mart Stam und Marcel Breuer mit gebogenem Stahlrohr und Formsperrholz.

Ähnlich, aber eben doch nicht das Gleiche…

Und während wir alle daran gewöhnt sind, dass Möbelklassiker in Film, Fernsehen, Fotografie und Werbung eingesetzt werden, um eine bestimmte kulturelle Referenz herzustellen und beim Betrachter ein bestimmtes Gefühl auszulösen, ist der Einsatz von Designermöbeln in einem Comic… Ähnlich, aber eben doch nicht das Gleiche…

Wir gratulieren herzlich zum 113., Jean Prouvé!

1. Peter Sulzer [Hg.] „Arcus XV. Jean Prouvé : Meister der Metallumformung; das neue Blech“, Verlagsgessellschaft Rudolf Müller, Köln 1991

2. Peter Sulzer „Jean Prouvé : oeuvre complète. 2. 1934-1944“, Wasmuth Berlin 2000

3. Peter Sulzer „Jean Prouvé : oeuvre complète. 1. 1917-1933“, Wasmuth Berlin 1995

4. Peter Sulzer „Jean Prouvé : oeuvre complète. 3. 1944-1954“, Birkhäuser, Basel 2005

(An dieser Stelle müssten wir nun natürlich die Szene aus „Tim in Tibet“ zeigen, aber wegen urheberrechtlicher Hürden…)

Happy Birthday Jean Prouvé!

Happy Birthday, Jean Prouvé!

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