Die französische Designerin Ionna Vautrin erreichte mit ihrer Binic Leuchte für den italienischen Hersteller Foscarini erstmals ein breites, internationales Publikum. Binic gehört zu den glorreichen, freudigen Momenten in der Geschichte des Lichtdesigns – ein charakterstarkes, aber doch von Eitelkeit freies Werk, universell einsetzbar und doch individuell.
Ionna Vautrin ist jedoch mehr als Binic: Schon vorher hatte die Designerin eine abwechslungsreiche, internationale Karriere, arbeitete mit vielen Designstudios zusammen und sammelte Erfahrungen in verschiedenen Designbereichen.
Um mehr über die Designerin zu erfahren, trafen wir uns mit Ionna Vautrin in Paris.
Nach ihrem Studium an der École de Design Nantes Atlantique tauschte Ionna Vautrin 2002 die französische Atlantikküste gegen das Mittelmeer und eine Position beim Schuhhersteller Camper auf Mallorca, bevor sie dann nach Mailand zog, um als Assistentin des Memphis-Alumni George Sowden zu arbeiten. Hier beschäftigte sie sich mit Sowden hauptsächlich mit Unterhaltungselektronikprojekten, entwickelte aber auch ihre ersten unabhängigen Projekte. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich im Jahr 2005 arbeitete Vautrin zunächst an der Entwicklung von Parfümflakons, „einem sehr industriellen Prozess“, wie sie sich erinnert, bevor sie dann über fünf Jahre als Assistentin von Ronan und Erwan Bouroullec in Paris beschäftigt war.
Im Jahr 2011 entschied sich Vautrin, ein eigenes Studio zu gründen und von dort aus Projekte für so unterschiedliche Kunden wie De Vorm, Kvadrat, Serralunga oder Foscarini zu realisieren. Zuletzt entstand für die französische Staatsbahn SNCF eine neue Lampe für die TGVs, die später in Zusammenarbeit mit dem Pariser Unternehmen éditeur Moustache auf den Markt kam. Wir trafen uns mit Ionna Vautrin, um über ihre Karriere, ihre Arbeit und ihre Herangehensweise an Design zu sprechen. Begonnen haben wir aber wie immer mit der Frage, wie es zur Entscheidung kam, einer Karriere im Designbereich nachzugehen.
Ionna Vautrin: Als Kind besuchte ich viele Jahre lang ein Keramik-Atelier speziell für Kinder, und das liebte ich. Ich liebte es dem Material nahe zu sein und Objekte herstellen zu können. Ich habe außerdem immer skizziert und so bin ich in gewisser Weise ganz natürlich zum Design gekommen. Aber ich habe auch ernsthaft Kochen als Karriere in Betracht gezogen, und denke, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen Design und Kochen gibt. Beides befasst sich mit formalen Aspekten, der Kenntnis und Analyse von Materialien und auch mit Menschen, denn beides bringt den Menschen Freude. Kochen ist allerdings viel reglementierter, im Design ist man freier. Ich denke also, dass ich mit dem Design den einfacheren der beiden Berufe gewählt habe.
smow Blog: Wie kam es dann zur Entscheidung in Nantes zu studieren?
Ionna Vautrin: Die kurze Antwort ist, dass ich aus der Bretagne komme und Nantes in der Nähe war! Aber der Studiengang konzentrierte sich hauptsächlich auf Industriedesign. Mir gefiel, dass der Studiengang sehr praktisch, sehr technisch war und viele Studien über Materialien, über die Eigenschaften und Möglichkeiten von Materialien, aber auch viele Praktika mit einschloss. Das war genau das, was ich wollte und was mich interessierte.
smow Blog:
Nach dem Abschluss haben Sie dann etwa neun Jahre für eine Reihe von Unternehmen und Studios gearbeitet, d.h. Sie hatten vorerst keine Pläne, ein eigenes Studio zu gründen, oder?
Ionna Vautrin:
Als ich meinen Abschluss machte, war ich mir sicher, dass ich eines Tages ein Studio gründen würde. Ein Studio mit meinem Namen allein an der Tür war aber nicht unbedingt mein Ziel. Die verschiedenen Erfahrungen, die ich in jeder Phase gemacht habe, führten dazu, dass sich Projekt für Projekt, alles ganz natürlich entwickelte. Eine der Hauptmotivationen für die Gründung eines eigenen Studios war die Freiheit selbst zu entscheiden an welchen Projekten ich arbeite, sei es Kleidung, Möbel, Beleuchtung und das bedeutete letztlich mein eigenes Studio. Es war ein ziemlich langer Weg, aber für mich war es definitiv der richtige.
smow Blog: Wenn wir uns solche Projekte ansehen, erscheint uns Ihre Arbeit sehr grafisch, was uns annehmen lässt, dass Sie immer mit einer Skizze beginnen?
Ionna Vautrin:
Ja, ich beginne immer mit einer Skizze, und wenn ich eine Skizze habe, mit der ich glücklich bin, gehe ich zur 3D-Computermodellierung über. Die ist für mich dem Skizzieren sehr ähnlich. Es handelt sich um eine Erweiterung der Skizze, mit dem Vorteil, dass ich Proportionen und Formen besser beurteilen kann. Für mich ist die Entwicklung der Form sehr wichtig und ich verbinde gerne lineare, geometrische Formen mit organischen Formen.
smow Blog: Nachdem Sie als Kind so viele Jahre mit Keramik verbracht haben, denken Sie, dass das die Art und Weise beeinflusst, wie Sie ein Projekt angehen?
Ionna Vautrin: Ja, das ist möglich. Keramik ist ein sehr organisches, traditionelles Material, aber auch ein Material, das sehr technische Objekte ermöglicht und das es mir erlaubt, Formen so zu entwickeln, wie ich sie verstehe. Ich kann nicht wirklich rein rechteckige Objekte machen, für mich muss sich ein Design auf den Menschen beziehen, auf menschliche Formen. Wir alle haben unsere Kurven, unsere Bewegungen, und so sollte es auch bei unseren Objekten sein. Wenn ich also die Freiheit habe ein Material zu wählen, tendiere ich zu Materialien wie Keramik, die es mir erlauben Formen zu entwickeln, mit denen ich glücklich bin.
smow Blog: Ihre ersten kommerziellen Projekte wurden während Ihres Aufenthaltes in Mailand realisiert, haben Sie Herstellern einfach unaufgefordert Vorschläge gemacht, oder wie sind diese ersten Projekte entstanden?
Ionna Vautrin: Ich zog nach Italien, als es mit dem 3D-Druck gerade anfing. Zusammen mit einigen anderen jungen Designern organisierten wir die Ausstellung Industwetrust während der Mailänder Designwoche, die die Möglichkeiten dieser neuen Produktionsmethode untersuchte. Die Sache war so erfolgreich, dass der éditeur Industreal gegründet wurde, um Werke aus der Ausstellung zu produzieren, darunter einige von mir. Und dann entwickelte ich immer wieder eigene Projekte, langsam, Projekt für Projekt, während ich parallel in einem anderen Studio arbeitete. Im Jahr 2009 kontaktierte mich schließlich Foscarini mit dem Auftrag für eine kleine erschwingliche Lampe, was sehr schön und sehr unerwartet war. Ich präsentierte ein paar Vorschläge, von denen einer zur Binic Leuchte wurde, und das war dann der Zeitpunkt, an dem für mich wirklich alles begann.
smow Blog: Das war also während Ihrer Zeit bei den Bouroullecs?
Ionna Vautrin: Genau, Binic wurde 2010 veröffentlicht und das war der Moment, in dem ich mich entschied, mein eigenes Studio zu gründen. Dieser Moment, von dem ich vorhin sprach, an dem klar war, dass ich diesen Schritt machen musste.
smow Blog: Binic basiert bekanntlich auf den Belüftungstrichtern, die auf Booten zu finden sind, können Sie sich an den Moment erinnern, in dem Sie auf diese Form stießen?
Ionna Vautrin: Nein, aber ich habe dieses Objekt immer gemocht, das Meer ist sehr wichtig in der Bretagne. Als ich jung war, haben wir viel Zeit am Meer verbracht, aber auch auf Mallorca gab es immer Boote um mich herum, und so war das Objekt immer in meiner Nähe, hat mich immer angesprochen. Da war es in gewisser Weise sehr natürlich, dass ich es irgendwann benutzen würde.
smow Blog: Diese frühen Projekte wurden hauptsächlich mit italienischen Unternehmen durchgeführt, heute haben Sie einen Mix aus französischen und nicht-französischen Unternehmen, wie sieht die aktuelle Situation in Frankreich aus? Gibt es Hersteller, mit denen Sie zusammenarbeiten können?
Ionna Vautrin: In Frankreich sind die Unternehmen eher zurückhaltend und weniger risikofreudig, vor allem im Vergleich zu italienischen oder spanischen Unternehmen. Aber heute gibt es immer mehr Leute, die an zeitgenössischem Design interessiert sind, die sich von Design und einer Designphilosophie leiten lassen. Es handelt sich aber eher um relativ kleine Herausgeber wie Petite Friture oder Moustache, sodass sich die Situation ändert, aber langsam.
smow Blog: Da Sie Moustache erwähnt haben, wie hat das mit der TGV Leuchte angefangen? Hat die SNCF Sie kontaktiert?
Ionna Vautrin: Ja, das fing allerdings auch mit der Binic Lampe an. Als sie die Züge entwickelten, wussten sie, dass sie eine Lampe wollten, hatten aber noch keine, und so platzierten sie in all ihren 3D-Dateien Binics, einfach weil sie Binic mochten. Eines Tages entschieden sie dann, da sie meine Lampe mochten und sie bereits in ihren Wagen ausprobiert hatten, mich zu kontaktieren, um mich zu fragen, ob ich daran interessiert wäre, eine neue Lampe für den Zug zu entwickeln.
smow Blog: Und was war das für eine Erfahrung, die Entwicklung eines Projekts für einen so großen, industriellen Kunden?
Ionna Vautrin: Es war ein interessantes, sehr anderes Projekt. Auf der einen Seite gab es die SNCF, ein wirklich großes Unternehmen mit all den Entscheidungsprozessen und auf der anderen Seite den technischen Partner Alstom, der über die technischen Parameter verfügt.
smow Blog: …und Ihre Parameter.
Ionna Vautrin: Mit der Leuchte wollte ich mich auf den Menschen konzentrieren, ein Design für alle schaffen. Bei der Entwicklung der Lampe wurde ich einerseits von historischen Zügen inspiriert, in denen man Art-Deco-Lampen mit zwei Lampenschirmen hatte, und andererseits von den Zügen von Roger Tallon. Ich liebe die runden Züge von Tallon. Also ist die SNCF Leuchte eine Mischung aus all diesen Dingen. Wichtig war es auch, sehr eng mit den Alstom-Ingenieuren zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass wir ein Ergebnis bekamen, das meinem Design so nahe wie möglich kam. Ich denke allerdings, dass ich ihr schlimmster Alptraum war. Wahrscheinlich hat es länger gedauert, die Form der Lampe fertigzustellen, als den ganzen Zug zu entwerfen!
smow Blog: Sie meinen, Sie sind bei diesen Dingen sehr genau?
Ionna Vautrin: Absolut, ich habe eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie etwas sein sollte und was ich erreichen will. Ich tendiere dazu, sehr nachdrücklich zu sein. Wie gesagt ist die Entwicklung der Form für mich sehr wichtig. Aber die Zusammenarbeit mit Alstom war ausgezeichnet und am Ende waren alle sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich bin wirklich stolz auf das, was wir erreicht haben, und auch bestärkt in meiner Überzeugung, dass es wichtig ist, immer präzise und genau zu sein bei dem, was man will.
smow Blog: Und noch kurz gegen Ende: Ist Paris ein guter Ort für Designer, um sich niederzulassen?
Ionna Vautrin: Ja, Paris hat sehr viel Kultur, viel Energie, die ich wirklich genieße und ist auch sehr zentral, was wichtig ist. Ich denke, dass es viel schwieriger wäre, irgendwo anders in Frankreich zu sein. Andererseits ist es auch schön, irgendwo draußen zu sein, um sich zurückzuziehen.
smow Blog: Kehren Sie regelmäßig in die Bretagne zurück?
Ionna Vautrin: Inzwischen eher in die Normandie!
smow Blog: Wie und wo möchten Sie sich in Zukunft weiterentwickeln?
Ionna Vautrin: Für mich ist am wichtigsten bei einem Projekt, dass die Beziehung zum Kunden gut ist. Das ist wichtig, um zu entscheiden, was ich tue, welche Projekte ich annehme. Dass ich mir das leisten kann, ist ein kleiner Luxus, aber ich will auch kein großes Studio mit mehreren Assistenten aufbauen. Vielmehr will ich weiterhin selbst gestalten, das tun, wofür ich das Studio gegründet habe und so eine breite Palette von Projekten entwickeln, die mich interessieren.
Alle Details über Ionna Vautrin und ihre Arbeit gibt es auf www.ionnavautrin.com.
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