Pure Gold. Upcycled! Upgraded! @ Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Wie das Sprichwort sagt: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not!“. Und: „Alles was glänzt ist Gold!“

Mit der Ausstellung „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“ demonstriert das Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg nicht nur den Wert, der Müll innewohnt, sondern auch, wie uns das Verständnis für diesen Wert helfen kann das zukünftige Müllproblem zu reduzieren.

Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, at Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Realisiert im Kontext des 100. Geburtstages der deutschen Kulturaustauschorganisation und des Instituts für Auslandsbeziehungen IFA präsentiert „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“ 76 Objekte von 53 Designern und Designstudios. Dabei handelt es sich um Objekte, die nicht nur das breite Spektrum der Abfallveredelung, sondern auch der recycelten, verfeinerten und neuartigen Materialien und Readymades umfasst. Die als Wanderausstellung konzipierte Ausstellung „Pure Gold“ ist in der Auswahl ebenso global wie in ihrem Anspruch: neben dem leitenden Kurator, Volker Albus, haben sechs internationale Kuratoren Werke aus ihren jeweils spezifischen, besonderen Regionen ausgewählt, um so einen wirklich internationalen Überblick über aktuelle Müllveredelung und recycelte Materialien zu präsentieren.

Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, at Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Im vergangenen Februar haben wir uns auf der Ambiente Frankfurt ganz genau umgeschaut und definiert, was für uns sensible, wichtige und nachhaltige Müllveredelung ausmacht: „es geht nicht nur darum ein wirklich wertvolles, integeres und langlebiges Objekt zu kreieren, sondern auch darum zu verbreiten worum es dabei geht, und das ohne zu predigen, sondern indem man Dinge verständlich macht.“

Der einmalige Charakter der Ausstellung „Pure Gold“ hat uns veranlasst über diese Position nachzudenken. Sie war in mehrfacher Hinsicht unser Ausgangspunkt. Zugegebenermaßen ein etwas egozentrischer Ausgangspunkt, aber es schien uns der logischste, um sich dem Thema zu nähern. Und glücklicherweise entsprachen einige der bei „Pure Gold“ präsentierten Projekte unserer Definition. Darunter der „Starfish Chair“ von Wang Shumao, hier werden die Sternfüße ausgedienter Bürostühle benutzt um daraus wirklich charmante Loungestühle zu kreieren; oder der immer wieder majestätische „Rag Chair“ von Tejo Remy – ein aus alten Teppichen, Kleidern und Textilien komponierter Sessel. Andere Positionen wiederum haben uns deutlich herausgefordert: so beispielsweise „El Ultimo Gritos Free Range Stühle“ – im Grunde genommen Pappkartons, die in die Form von Stühlen geknüllt und durch einen Fiberglaskunststoff verstärkt werden, oder aber die Tasche „Bamboo Mat Bag“ von Wei Minghui. Diesen Projekten geht es nämlich weniger darum, eine Botschaft zu verbreiten – was nicht heißt, dass sie keine hätten.

Wertvolle, integere und langlebige Elemente bleiben allerdings zentral. Und waren bei der Mehrheit der ausgestellten Projekte auch zu finden. Und das ist sehr erfreulich, zeigt sich doch so für uns, dass die Kuratoren eine Menge der Lifestyle-Sünden vermieden haben, die uns als ‚upcycled‘ untergejubelt werden sollen, und sich stattdessen auf Objekte und Projekte konzentriert haben, die mit etwas mehr Konzept und Philosophie im Rücken ausgestattet sind. Bei denen die Designer darüber nachgedacht haben was sie aus welchem Grund machen, und weniger darüber, was sich verkaufen ließe.

Starfish Chair by Wang Shumao, as seen at Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„Starfish Chair“ von Wang Shumao, gesehen bei „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

So interessant und einnehmend die aus Müllveredelung gewonnenen Objekte auch sein mögen, die interessanteren Objekte sind womöglich auf der Ausstellung nicht zu finden. Die bei „Pure Gold“ ausgestellten Objekte kann man nämlich größtenteils, wenn nicht gar ausschließlich, als Konsumgüter bezeichnen – häufig sehr teure westliche Konsumgegenstände und meist eher dekorativ als praktisch. Das heißt also keine Objekte wie sie beispielsweise in der Ausstellung Made in Slums – Mathare Nairobi zusehen waren, Objekte deren Genese wirklich auf die Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft zurückgeht. In diesem Fall handelte es sich um das tägliche Leben in Nairobis zweitgrößtem Slum. Ein Ort also, an dem solche  Projekte wirklich Pures Gold für die Gesellschaft sind.

Mit Objekten wie den „Dogon Stühlen“ von Hamed Hamed Ouattara, die aus Ölfässern kreiert werden, oder dem „Palmarin Sessel“ von Ramón Lloch/Artlantique, wo der Sessel aus alten Fischerbooten gefertigt wird, werden Projekte mit einer sozialen Komponente gezeigt, aber eben keine, die einen akuten täglichen Bedarf abdecken sollen. Wenn, wie die Kuratoren anmerken, Müllveredelung kulturelle Grenzen überwindet, dann sollte auch deutlich werden, dass eben auch der Bedarf solche Grenzen überwindet, und dass es dabei eben auch um das tägliche Überleben und nicht nur um die Bereicherung des täglichen Lebens geht. Das Fehlen solcher Positionen schmälert nicht die Qualität von „Pure Gold“, ihre Präsenz hätte die Ausstellung allerdings wertvoller / nützlicher gemacht.

Dogon Stool by Hamed Ouattara and Rocking Chair by Dhara Kabaria/Studio Alternatives, as seen at Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„Dogon Stool“ von Hamed Ouattara und „Rocking Chair“ von Dhara Kabaria/Studio Alternatives, gesehen bei „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Neben der Müllveredelung präsentiert „Pure Gold“ auch Beispiele, die eher dem klassischen Verfahren des Recyclings entsprechen, darunter das „ISH Projekt“ von Laetitia de Allegri und Matteo Fogale, das aus alten Jeansstoffen ein Basismaterial macht, und Dirk Vander Kooijs „Endless Chair“. Objekt und Designer müssen wir den regelmäßigen Lesern dieses Blogs nicht mehr vorstellen. Hinzu kommen Beispiele, bei denen existierende Produkte angereichert werden und so eine längere Lebensdauer und einem neuen Zweck erhalten. Das wird vielleicht am elegantesten von breadedEscalopes „Stabelle, überarbeitet“, demonstriert, ein Projekt, bei dem durch eine simple Intervention aus einem traditionellen rustikalen Bauernstuhl ein wunderbar moderner Stuhl wird. Bei Silvia Knüppels „Franfurter Mélange“ Stühlen wiederum werden „klassische“ Stühle zusammengesetzt, um ein Objekt zu kreieren, dass eine ganz neue Identität besitzt und einen völlig anderen Charakter hat.

Ein besonders erfreulicher Aspekt von „Pure Gold“ sind jene Projekte, die sich mit neuen Materialien auseinandersetzen, wie beispielsweise Mieke Meijers „Newspaperwood“ – Zeitungspapier, das zu einem sperrholzartigen Material verarbeitet wird (insofern also ein Recyclingprodukt). Hinzu kommen Projekte, bei denen wirklich völlig neue Materialien involviert sind, so zum Beispiel Alafuro Sikoki-Colemans „H++“ Projekt, bei dem Wasser-Hyazinthen als Basis für ein seilartiges Material dienen.  Ein Projekt, welches uns zudem sehr an das Reepwerk Projekt erinnert hat, das wir an der Burg Giebichtenstein in Halle auf unserer jüngsten #campustour gesehen haben, bei dem Wasserpest als Material eingesetzt wird.

Und in Sachen neue Materialien verdient auch „Joining Bottles“ von Micaella Pedros eine besondere Erwähnung. Über das Projekt hatten wir schon einiges gelesen, in Fleisch und Blut haben wir es aber erstmals in Hamburg gesehen. Im Grunde nutzt Micaella Streifen aus PET-Flaschen als Verbindungselemente um Möbelobjekte herzustellen; das Holz wird von den durch Hitzeeinwirkung gestrafften Plastikstücken zusammengehalten. So faszinierend und erfreulich das Projekt war und auch immer noch ist, es ist eines von diesen Müllveredelungs-/Recyclingprojekten, die uns keine Ruhe lassen, weil wir eigentlich der Meinung sind, dass man versuchen sollte von den PET-Flaschen wegzukommen, anstatt immer neue Verwendungsmöglichkeiten für sie zu erfinden. Davon abgesehen aber eine wirklich sehr erfreuliche Arbeit.

Neben dem Charme und der Intelligenz vieler Projekte interessierten uns insbesondere die Möglichkeiten, die Recyclingprojekte und Projekte mit neuen Materialien, für eine nachhaltigeren globalen Produktion eröffnen. Eine Bewegung, die das Ausstellungsformat quasi automatisch unterstützt.

 

Joining Bottles by Micaella Pedros, as seen at Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„Joining Bottles“ von Micaella Pedros, gesehen bei „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Ergänzend zur Präsentation der Exponate wird jeder Abschnitt der „Pure Gold“ Ausstellungstour Workshops beinhalten, die lokale / regionale, Müllveredelungs- und Recyclingmethoden erforschen sollen. Das von Axel Kufus konzipierte Projekt hat die Intention, das jeder Workshop eine kurze Videopräsentation seiner Methoden kreiert und, dass sich die Pure Gold Website in eine virtuelle Plattform für Müllveredelung, Do It Yourself und Recycling verwandeln wird.

Eine Komponente der Ausstellung also, die uns einerseits anregt in Sachen Recycling, Müllveredelung und Reparatur aktiver, bzw. initiativer zu sein – schließlich sind dazu alle in der Lage und das Feld sollte nicht allein Designer überlassen werden -, und die andererseits wunderbar die Tatsache unterstreicht, dass viele der Objekte in der Ausstellung Möglichkeiten kostengünstiger, technisch weniger aufwendiger und lokaler Produktion anbieten. Oder noch einmal anders gesagt: Wenn wir akzeptieren (und dazu neigen wir), dass die industrielle Produktion nicht nur Produkte mit begrenzter Lebensdauer hervorbringt, sondern an sich Ressourcen belastet und Müll produziert, nicht nur hinsichtlich der Produktionsmaterialien sondern auch in Bezug auf Fabriken, Transport, Marketing und Verkauf, dann bedeuten Fragen bezüglich der Problematik des Mülls zwangsläufig auch, dass man die Möglichkeiten der Produktion überdenkt.

Indem man zunehmend lokale, dezentrale Produktion etabliert, die auf relativ simpler Technologie basiert, und indem man Müllmaterialien einsetzt, die überall bezogen werden können, bestünde die Möglichkeit, lokale Arbeitsplätze für lokale Produktion zu schaffen und so vom derzeitigen Fokus des internationalen Handels mit Haushalts- und Konsumgütern  abzurücken. Für Designer und Kreative, die an der Entwicklung solcher Prozesse beteiligt wären würden wiederum zuverlässige Einkommensquellen geschaffen. Und der lokale unvermeidliche Müll würde sinnvoll weiter verarbeitet ohne, dass natürliche Ressourcen unnötig beansprucht  oder neue synthetische Materialien produziert werden müssten. Die Industrie muss also ebenso veredelt und recycled werden wie Materialien und Objekte. Und so kommen wir endlich zum eigentlichen Kernstück der Ausstellung.

 

New Hybrids Newspaperwood chair by Mieke Meijer and Newspaperwood Framed Cabinet by Breg Hanssenl, as seen at Pure Gold. Upcycled! Upgraded!, Museum für Kunst Gewerbe Hamburg

„New Hybrids Newspaperwood“ Stuhl  von Mieke Meijer und „Newspaperwood Framed Cabinet“ von Breg Hanssenl, gesehen bei „Pure Gold. Upcycled! Upgraded!“, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg

Aufbereitung von alten Materialien, Objekten und Müll ist nichts neues, im Kontext der Menschheit allerdings schon. Unseren Steinzeitvorfahren beispielsweise machte das Thema kaum Probleme. Das Aufkommen der industriellen Produktion und vor allem der globalisierten Industrieproduktion allerdings brachte das ansteigende Problem des Mülls mit sich. Und vor allem die Frage, was man mit ihm macht. Ein Problem, das im Verlauf der Jahrzehnte immer akuter geworden ist, weil wir langsam feststellen, dass wir den Müll nicht länger vergraben können. Und in der Untersuchung dieses Problemes liegt für uns die eigentliche Stärke der Ausstellung „Pure Gold“. So wie die Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe „Food Revolution 5.0 Design for Tomorrow’s Society“ die derzeitig nicht vorhandene Nachhaltigkeit der globalen Landwirtschaft und die unausweichliche Tatsache, dass wir unsere Nahrungsmittelproduktion und unseren Nahrungsmittelkonsum ändern müssen herausstellt, so unterstreicht „Pure Gold“, dass unsere derzeitige Produktions- und Konsummuster nicht nachhaltig sind. Und, dass es an uns ist, weniger und dafür besser zu konsumieren und an den Herstellern weniger und dafür besser zu produzieren.

Das macht die Ausstellung eher indirekt, und tatsächlich könnte man Pure Gold als simple Ansammlung interessanter und originaler Objekte bezeichnen, aber das wäre eine verschenkte Möglichkeit. Vielmehr würden wir alle Besucher ermutigen wollen zu fragen, wie die ausgestellten Objekte entstanden sind? Ob sie gebraucht werden? Würde man sie nicht mehr benötigen, wenn wir unsere Produktionsprozesse und Konsumgewohnheiten ändern? Und wenn dies nicht zutreffend ist, wenn sich der Müll einfach nicht vermeiden lässt, ist der jeweilige Prozess mit dem Müll umzugehen sinnvoll? Und wenn nicht, welche Alternativen gibt es?

Das sind eine Menge Fragen, aber unsere Gesellschaft benötigt momentan auch eine Menge Antworten. Und glaubt uns, auf diese Fragen haben Siri, Alexa und Cortana keine Antworten…

„Pure Gold. Upcycled! Upgraded! läuft im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg bis Sonntag, den 21.Januar.

Alle Details, darunter Informationen zu allen Designern, Projekten und dem begleitenden Workshopprogramm sind unter http://puregold.ifa.de/ zu finden

Einige Eindrücke…

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