Der Stuhl des Architekten – Sitzmöbel von Egon Eiermann im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Köln

Egon Eiermann war nicht nur einer der führenden Nachkriegsarchitekten und Architekturtheoretiker, sondern auch einer der wichtigsten Designer von Sitzmöbeln in seiner Zeit – nicht nur hinsichtlich dessen, was er realisierte, sondern auch in Bezug auf die theoretischen Hintergründe seiner Entwürfe. Mit der Ausstellung in Köln widmet sich das Ungers Archiv diesem Erbe.

 

Der Stuhl des Architekten - Sitzmöbel von Egon Eiermann @ Ungers Archiv für Architekturwissenschaft CologneDer Stuhl des Architekten - Sitzmöbel von Egon Eiermann @ Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Cologne

„Der Stuhl des Architekten – Sitzmöbel von Egon Eiermann“ im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Köln

Auch wenn Egon Eiermanns Karriere als Designer von industriell in Massenproduktion hergestellten Stühlen erst in den späten 1940er Jahren begann, geht seine Verbindung zum Möbeldesign bereits auf seine Studienzeit in Berlin während der 1920er Jahren zurück. Diese Studienzeit stand sehr unter dem Vorzeichen der Idee eines architektonischen Gesamtkunstwerkes – keine Unterscheidung von Interieur und Außenbereich, Räumen, Fassaden und Möbeln. Folglich verstand es sich von selbst, dass Egon Eiermann als er seine Architekturkarriere begann Möbel für seine Projekte entwarf. Eine unserer liebsten Geschichten aus der frühen Karriere Egon Eiermanns stammt aus dem Jahr 1931: Egon Eiermann überzeugte damals die Familie Hesse maßgeschneiderte Möbel in das Haus zu integrieren, das er für sie in Berlin baute. Er versprach ihnen, dass die neuen Möbel nicht mehr kosten würden als das, was sie für ihre alten Möbel bekommen würden. Sie erklärten sich einverstanden und erhielten Holz- und Korbmöbel, die – wenn sie auch nicht sofort als Eiermann-Möbel zu erkennen sind – doch Ansätze und Vorstellungen in sich tragen, die für Eiermanns Werk zentrale Bedeutung bekommen sollten. Der Übergang von Eiermann als Designer maßgeschneiderter projektbezogener Möbel zum Designer industriell hergestellter Möbel war in mehrfacher Hinsicht eine Folge des zweiten Weltkriegs. Oder besser gesagt Folge der Notwendigkeit bezahlbare und schnell herzustellende Möbel zu produzieren um zu ersetzen, was in den Kriegsjahren verloren ging. Hinzu kam, dass die neuen Häuser und Wohnungen der Nachkriegszeit meist kleiner waren als die, die sie ersetzen sollten, was das Nachdenken über neue Möbeltypologien erleichterte. Diese Herausforderungen glichen in mehrfacher Hinsicht denen, die beispielsweise Projekte wie das Neue Frankfurt in den 1920er Jahren angingen, denen sich Egon Eiermann aber, wie den meisten Dinge, auf eine ganz eigene Art und Weise Weise widmete.

Der Stuhl des Architekten - Sitzmöbel von Egon Eiermann @ Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Cologne

„Der Stuhl des Architekten – Sitzmöbel von Egon Eiermann“ im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Köln

Ein wichtiger, ausschlaggebender Moment in Eiermanns Entwicklung war die Ausstellung „Wie Wohnen?“, die 1949 in Stuttgart und 1950 in Karlsruhe stattfand, und für die Eiermann eingeladen wurde um ein Ausstellungsinterieur einer Vierraumwohnung für eine 5-köpfige Familie zu entwerfen. Eiermanns Vorschlag umfasste neben einem Regalsystem, das heute von Richard Lampert angeboten wird, drei Stühle: den SE 1, ein höhenverstellbarer Bürodrehstuhl aus Metall und Sperrholz; den SE 2, ein ähnliches Modell für die Küche, und den SE 3, ein dreibeiniger Stuhl aus Formsperrholz. Das SE stand für Spieth Eiermann und ist in mehrfacher Hinsicht so bedeutsam wie die Stühle selbst – bedeutet es doch, dass mit „Wie Wohnen?“ Egon Eiermanns Kooperation mit dem Hersteller Wilde+Spieth begann. Eine Kooperation, die über den Verlauf von zwei Jahrzehnten um die 35 Stühle hervorbrachte, und mit der Wilde+Spieth 1952 an die Öffentlichkeit ging, indem der Hersteller drei Eiermann Stühle auf der Kölner Möbelmesse präsentierte. 66 Jahre später feiert das Ungers Archiv für Architekturwissenschaften den Stuhldesigner Egon Eiermann.

 

The E20 Korbsessel, in front of sketches of further wicker chairs, as seen at, Der Stuhl des Architekten - Sitzmöbel von Egon Eiermann, Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Cologne

Der E20 Korbsessel vor Skizzen weiterer Korbstühle, gesehen bei „Der Stuhl des Architekten – Sitzmöbel von Egon Eiermann“, Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Köln

Der Ort der Ausstellung ist nicht unwichtig: O. M. Ungers studierte in den 1950er Jahren Architektur bei Egon Eiermann in Karsruhe, in einer Zeit also, in der Architektur und Design in Deutschland nach Krieg und Nationalsozialismus einer neuen Richtung und eines neuen Impetus bedurften. Egon Eiermann war eine der führenden Persönlichkeiten, die genau das lieferten, und zwar in seiner ganz eigenen, nicht zu imitierenden Art und Weise. Und das betraf nicht nur die kommende Generation von Architekten wie O. M. Ungers, sondern auch eine breitere Öffentlichkeit. Eiermann drückte diese neue Richtung und diesen Impetus durch seine Architektur aus, Arbeiten für die er natürlich Möbel entwickelte von denen viele letztendlich kommerzielle Objekte werden sollten. Darunter beispielsweise der SE 68 und der dazugehörige Orchesterstuhl, entwickelt im Zusammenhang mit der Villa Berg Konzerthalle für die SWR Rundfunkanstalt in Stuttgart; oder die Stühle bzw. die Bankreihen, die er für die Matthäuskirche in Pforzheim und für die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche entwarf.

„Sitzmöbel von Egon Eiermann“ wurde in Zusammenarbeit mit dem in Karlsruhe ansässigen Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieursbau (saii), welches für das Eiermann Archiv verantwortlich ist, organisiert und präsentiert Stuhldesigns, die nicht nur aus zwei Jahrzehnten stammen, in denen Eiermann kommerziell sehr aktiv war, sondern auch zahlreiche Materialien und Typologien mit einschließen. Dazu gehört neben zahlreichen Wilde+Spieth Stühlen auch ein weiterer wichtiger Aspekt von Eiermanns Stuhldesigns: seine Korbsessel, das heißt der Korbsessel, den er in Zusammenarbeit mit der Korbmacherfirma Heinrich Murmann in Johannistal entwickelte. Diese Korbmöbel sollten sich zu einer persönlichen Leidenschaft Egon Eiermanns entwickeln. Liest man darüber in der Literatur nach, hat man den Eindruck, dass es sich bei dem Korbsessel eher um ein Hobby als um eine Profession handelte, wenn auch um ein kritisches und kommerziell sehr erfolgreiches Hobby.

Und deshalb fragen wir Dr. Gerhard Kabierske vom saii, Kurator des Eiermann Archivs und der Ausstellung, ob es für ihn ein Schlüsselwerk unter den Stühlen in Eiermanns Œuvre gibt?

„Statt bei einem einzelnen Stuhl liegt der Schlüssel zu Eiermanns Stuhldesigns eher in der Breite und dem Variantenreichtum seiner Projekte – bei gleichbleibender akribischer Aufmerksamkeit für die Details“, antwortet Gerhard Kabierske. „Statt mit Holz, Metall oder  Rohrgeflecht zu arbeiten, oder beispielsweise Plastikstühle zu entwickeln, versuchte Eiermann immer zu verbessern, was er bereits realisiert hat – seine Ideen und Designs weiterzuentwickeln.“

Dieser Prozess wird auch anhand von Eiermanns Skizzen deutlich, die in der Ausstellung zu sehen sind. Diese Skizzen sind zwar zahlreich, repräsentieren aber nur einen Bruchteil derer, die noch im Archiv existieren. Zeichnungen waren eine essentielle Komponente der Arbeit Eiermanns und veranschaulichen so sehr eloquent, dass Eiermann nicht nur konstant versuchte sein Design zu verbessern, sondern daran arbeitete seine Werke zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Die Stühle und Zeichnungen werden durch Fotografien, Kataloge und Zeitungsartikel ergänzt die helfen Eiermanns Arbeiten in einen Kontext zu rücken: darunter eine schöne Fotoserie, die den Besucher daran erinnert, dass der SE 3, heute SE 42 genannt,  einstmals als flaches Paket zum selbst zusammenbauen nachhause verkauft wurde: eine hervorragende und sensible Lösung in einer ökonomisch so bedürftigen Zeit. Und eine Lösung, die deutlich macht, dass der Stuhl für Eiermann mehr war als nur die Summe seiner Teile, und von ihm aus guten Gründen entwickelt wurde.

„Sitzmöbel von Egon Eiermann“ ist keinesfalls eine umfassende Untersuchung von Egon Eiermanns Stuhldesignarbeiten – der Maßstab dieses Themas entspricht einfach keinesfalls dem des zur Verfügung stehenden Raumes in Ungers Archiv. Die Ausstellung bietet allerdings eine zugängliche, klar strukturierte und unterhaltsame Einführung in den Umfang und die Prozesse von Egon Eiermanns Stuhldesignarbeit. Für uns war vor allem auch die Möglichkeit mit einer großen Anzahl von Egon Eiermanns Stühlen direkt in Kontakt zu treten ein besonderes Highlight. Besteht so doch die Möglichkeit auf begrenztem Raum sehr unterschiedliche Arbeiten zu vergleichen und in Gegenüberstellung zu erleben, Zusammenhänge und Variationen ausfindig zu machen und so Eiermanns Auffassung des Themas näherzukommen – das heißt Eiermanns Auffassung der technischen und ästhetischen Aspekte des Themas, seiner Reduktion, der Offenheit seiner Konstruktionssysteme, seinem Verständnis von Materialien und der unprätentiösen aber doch so einnehmenden und kommunikativen Arbeit, die daraus hervorgegangen ist. Oder, kurz gesagt: Eiermanns nicht zu imitierenden Art und Weise.

„Der Stuhl des Architekten – Sitzmöbel von Egon Eiermann“ läuft im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft bis Freitag, den 9. Februar.

Alle Details, wie auch die Öffnungszeiten sind unter www.ungersarchiv.de zu finden.