DMY Design Spots 2015: „Pet Market“ in der Galerie erstererster

So sehr wir unsere Haustiere auch mögen, sie können eine Menge Ärger machen. Sei es die Katze, die sich weigert, aus dem Bett zu steigen, ein Hund, der einem Schuhe, Kissen oder die Zeitung zerkaut, oder ein fluchender Papagei, der uns in den unpassendsten Momenten bloßstellt. Wenn wir sie nur ablenken könnten. Vielleicht sollten wir sie besser behandeln? Oder ihnen zumindest Objekte anvertrauen, die unserem sonstigen Anspruch in Sachen Funktionalität und Designqualität standhalten können. Wir sind nicht abgeneigt, unsere Haustiere als Familienmitglieder zu bezeichnen – warum dann nicht, wie bei anderen Familienmitgliedern auch, über die Gegenstände nachdenken, die sie benutzen?

Solche oder zumindest ähnliche Gedanken bilden den Hintergrund zur Ausstellung „Pet Market“, die derzeit in der Galerie erstererster in Berlin zu sehen ist.

DMY Design Spots 2015: Pet Market at Galerie erstererster

DMY Design Spots 2015: „Pet Market“ in der Galerie erstererster Berlin

„Pet Market“ begann als Semesterprojekt der Kunsthochschule Kassel unter der Leitung Tanja Seiners, die auch Kuratorin der Ausstellung ist. „Mir wurde bewusst, dass wir unsere Lebensräume zunehmend mit Tieren teilen, dass es immer mehr Haustiere gibt“, erklärt Tanja, „und so habe ich meinen Studenten die Aufgabe gegeben, ein Produkt für Haustiere und Menschen zu entwickeln. Nicht nur ein Objekt für das Tier oder den Menschen allein – sondern für beide.“

Optimistisch gestimmt vom Erfolg der studentischen Arbeiten, bat Tanja etablierte Designer und Künstler aus ihrem Bekanntenkreis, das Gleiche zu tun. Die Resultate dieser Aufgabe sind in „Pet Market“ zu sehen und reichen vom Großartigen bis zum Lächerlichen – was natürlich genau das ist, was man sich von einer solchen Ausstellung erhofft; sie sollte, ja, muss die Grenzen in beide Richtungen verschieben.

Den praktischen Teil des „Pet Market“-Spektrums bilden beispielsweise Objekte wie Schmoozen von Jennifer Meyer: ein muschelförmiger Katzenkorb für den Schoß, der einem erlaubt, seine Katze zu streicheln, ohne dass die ihre Haare auf Ihrer Kleidung verliert – perfekt also für das letzte Zusammensein vor dem Ausgehen oder vor einem wichtigen Meeting. Ähnlich praktsch ist auch die Pappbox Katon von Leo Berger – eine faltbare, stapelbare Box, in der Katzen sitzen oder schlafen können. Um den Geschmack der Katzen auch zu treffen, wurde die Box in Zusammenarbeit mit echten Katzen entwickelt.

Den abstrakteren Teil von „Pet Market“ bilden wiederum Projekte wie, sagen wir mal, BirdKiteKit von Silvia Knüppel – ein Ledergeschirr, das an einer Drachenschnur angebracht ist, sodass man den Wellensittich oder den Papageien schnell mal fliegen lassen kann; oder Christof Flötotto & Sven Funckes Pullover für Schildkröten. Für die meisten Tiere lassen sich Kleider kaufen, warum also nicht auch für Schildkröten? Zudem können die Schildkröten mit einem schönen Wollpullover dem Winterschlaf entgehen und so die Wintermonate im warmen Wohnzimmer verbringen. Und auch wenn der Name in zoologischer Hinsicht nicht hundertprozentig korrekt sein mag, ansonsten passt er perfekt: Turtleneck.

Zwischen diesen beiden Extremen haben es uns vor allem folgende Objekte angetan: Kaze 100, Modell Fungi von Max Kosoric und Sanne Pawelzyk – dabei handelt es sich im Grunde genommen um Ruheplätze für Katzen, die an Bäumen angebracht werden können und aussehen wie Baumpilze – und die Kratzbaumlampe Catlights von Sivia Knüppel. Diese „Kratzlampe“ ist ohne Frage eines der scheußlichsten Objekte, das jemals hergestellt wurde. Ein Kratzbaum ist ja schon schlimm genug, aber eine funktionstüchtige Kratzbaumlampe, die vor- und zurückschwingt, wenn sich die Katze an ihr zu schaffen macht, ist wirklich grauenerregend und brillant zugleich!

Turtleneck Christof Flötotto & Sven Funcke, as seen at Pet Market, Galerie erstererster, Berlin

Turtleneck von Christof Flötotto & Sven Funcke, gesehen bei Pet Market, Galerie erstererster, Berlin

Es wäre sehr einfach, ein Projekt wie „Pet Market“ als Albernheit abzutun – allen Ernstes Design für Tiere? Haben wir nicht genug Probleme auf der Welt? Haben Designer nichts besseres zu tun?

Aber nein! Warum sollten Tiere keinen Anspruch auf gut designte Objekte haben? Und damit meinen wir keine juwelenverzierten Katzenpfeifen, Hamsterleibchen, Tablets für Hunde oder andere Lifestyleprodukte für diejenigen Mitglieder unserer Gesellschaft, die normalerweise unter Beweis stellen, dass Reichtum antiproportional zu gutem Geschmack steht, sondern intelligent gestaltete Objekte für Haustiere von guter Qualität, die die Lebensqualität aller Beteiligten erhöhen. „Ein Großteil der Produkte für Tiere, die es derzeit auf dem Markt gibt, ist eher an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet als an denen der Tiere“, sagt Tanja Steiner, „und auch wenn Objekte für Haustiere in unseren Wohnungen natürlich bestimmte ästhetische Kriterien erfüllen müssen, ist es wichtig, dass die Menschen mit ihren Bedürfnissen auf die der Tiere Rücksicht nehmen.“

Die Lösung dieses Balanceaktes ist auch ein Grund für das „Market“-Konzept. Die Besucher sollen den Eindruck gewinnen, dass die Objekte tatsächlich zum Verkauf stünden. Würde man die Produkte kaufen oder nicht? Und welche Gründe gibt es dafür? Mit solchen Fragen öffnet sich ein Diskurs über unser Verhältnis zu Haustieren: Wie weit geht man für seine Haustiere? Was teilt man mit ihnen, und was nicht? Wo liegt die richtige Balance? Wie sehr richte ich mich nach meinem Haustier und umgekehrt? Interessanterweise hat keiner der Beteiligten ein „Anti-Haustierprojekt“ entwickelt, allerdings haben zwei Designer Objekte entworfen, die sich nicht an Tiere richten. PURRRRR von Dietrich Luft beispielsweise ist ein tragbares, flauschiges Kissen, das schnurrt und als solches der perfekte Katzenersatz für den städtischen Arbeiter ist, der weder Zeit noch Platz hat für eine echte Katze. In ähnlicher Weise übersetzt Olaf Vals TweetingBitPlant eingehende Twitternachrichten in Vogelgesang – so ist man tagsüber in vogelartiger Gesellschaft, aber ohne Käfig und Gefluche.

Das „Market“-Konzept ist auch insofern interessant, als die Zoohandlung eines der letzten kommerziellen Geschäfte ist, in das Produktdesigner nicht allzusehr involviert sind. Wir haben keine Ahnung, warum genau das so ist. Allerdings steht zweifellos fest – und das stellt Pet Market wunderbar unter Beweis -, dass Designer, einmal darum gebeten, durchaus in der Lage sind, nicht nur neue Produkte für Tiere zu entwickeln, sondern auch bereits existierende Produkte für Tiere weiterzuentwickeln. Und diese Tatsache ist schließlich in aller Interesse – seien es Designer, Hersteller, Konsumenten oder Haustiere.

Letztendlich, und das ist im Zusammenhang mit der Ausstellung wohl auch am wichtigsten, ist ein Projekt wie „Pet Market“ eine wirksame Übung, denn Designern tut es immer gut, in neue Bereiche vorzudringen – nicht zuletzt, weil sich so auch immer neue Perspektiven und Ideen für die eigene Arbeit eröffnen. Schlussendlich ist es Aufgabe des Designers, Probleme zu lösen: sei das Problem ein Bürostuhl, ein Regalsystem, eine Straßenlaterne, ein Apparat zur Messung des Blutzuckerspiegels… oder ein Produkt für eine Katze. Am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus. Arbeitet man allerdings nur in einem Bereich, mit dem gleichen Prozess, Material oder Objekt, verliert man den Fokus und macht schale Sachen. Neue Dinge auszuprobieren, neue Impulse, neue Perspektiven zu finden, hilft Designern immer, sich weiterzuentwickeln – und erlaubt, neu über unsere Gesellschaft nachzudenken.

Der amerikanische Designer und Autor George Nelson hielt einen berühmten Vortrag über den Nutzen eines designbasierten Ansatzes für das Töten – nicht, weil er das Töten effizienter gestalten wollte, sondern weil er die Vorzüge guten Designdenkens erklären und zugleich die Verantwortung von Designern herausstellen wollte. Damit machte er das Amerika der 1960er Jahre darauf aufmerksam, wie sinnlos das Wettrüsten sei. Der Schweizer Architekt Fritz Haller designte bekanntermaßen eine Raumstation, nicht etwa, weil er gewollt hätte, dass die Menschheit in den Weltraum zieht, sondern weil er hoffte, durch die Beschäftigung mit der Weltraumkolonie neue Erkenntnisse über die Entwicklung und Gestaltung irdischer Kolonien zu erhalten – und um die Frage aufzuwerfen, warum wir eine Weltraumkolonie gebrauchen könnten. Der Designer Martí Guixé wiederum kreierte Fish Futures, eine Reihe von Designobjekten für Aquarien, die auch bei „Pet Market“ zu sehen sind.

Mit 13 Szenerien, darunter beispielsweise eine Chillout-Zone, ein Futterbereich und das sogenannte „Aquarium im Aquarium“, befasst sich Fish Futures nicht mit Aquarienarchitektur oder Badespaß, sondern mit zeitgenössischen sozialen Fragen. Der Fisch ist dabei das Verbindungselement – indem wir darüber nachdenken, was der Fisch macht, was er über seine Umgebung denken mag, ob er glücklich ist, ob der Designer eine gute Lösung gefunden hat, versetzen wir uns unweigerlich in die Position des Fisches und tauschen in Gedanken seine Welt mit der unseren. So handelt es sich weniger um ein Aquarium als um einen Spiegel; und so um eine wunderbare Ergänzung des „Pet Market“, geht es doch dabei in ähnlicher Weise um die aktuellen Beziehungen zwischen Menschen und Haustieren wie auch um Katzenkörbe, Hamsterkäfige und Hundenäpfe.

Catlights by Silvia Knüppel, as seen at Pet Market, Galerie erstererster, Berlin

Catlights von Silvia Knüppel, gesehen bei „Pet Market“, Galerie erstererster, Berlin

Das intelligent durchdachte Projekt „Pet Market“ befasst sich gleichermaßen mit Designtheorie wie auch mit praktischem Design. Man kann sich allerdings auch einfach an den ausgestellten Objekten erfreuen, ohne eine tiefer liegende Bedeutung zu suchen. In Verbindung mit dem unkomplizierten, an einer Ladenauslage orientierten Ausstellungsdesign gelingt „Pet Market“ so eine problemlos zugängliche und sehr erfreuliche Präsentation rund um ein Thema, über das sonst nur sehr wenige von uns ab und zu mal nachdenken.

Die Ausstellung in Berlin ist die erste öffentliche Premiere des „Pet Market“, aber, wenn alles nach Plan verläuft, nicht die letzte. „Im Idealfall plane ich, die Ausstellung nicht nur an einem anderen Ort zu zeigen, sondern auch, weitere Designer einzuladen, sich an dem Projekt zu beteiligen,“ sagt Tanja, „und vor allem würde ich gerne Designer aus anderen Kulturen involvieren, weil ich denke, dass sich so nochmal eine ganz andere Perspektive auf das Thema eröffnen würde.“

Design für Haustiere ist natürlich eine Nische, allerdings handelt es sich dabei um einen Bereich mit einer Menge Potenzial. Tanja Steiner und ihre Kollegen haben mit „Pet Market“ einen vielversprechenden Anfang gemacht und wir freuen uns auf die Weiterführung.

Und auf das Ableben des Katzenkratzbaumes.

„Pet Market“ ist in der Galerie erstererster, Pappelallee 69, 10437 Berlin, bis Samstag, den 20. Juni zu sehen.

Alle Details sind unter http://petmarket.world/ zu finden.

Tagged with: , , , ,