smow Blog kompakt: Studio Plus @ Architekturgalerie am Weissenhof Stuttgart

„niemals zerstören, wegnehmen oder ersetzen, immer hinzufügen, umbauen und verwenden. so wenig beeinträchtigen wir möglich verursachen, oder am besten gar keine. es geht darum großmütig zu sein, mehr zu geben, den gebrauch zu erleichtern und das leben zu vereinfachen.“1

Diese Aussage steht nicht nur im Zentrum der Ausstellung „Studio Plus. Druot, Lacaton & Vassal: Transformation als bauliches Manifest“ in der Architekturgalerie am Weissenhof Stuttgart, sondern ist auch tief in der Philosophie der französischen Architekten Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal verankert.

Studio Plus. Druot, Lacaton & Vasall Transformation als bauliches Manifest

„Studio Plus. Druot, Lacaton & Vassal: Transformation als bauliches Manifest“, gesehen in der Architekturgalerie am Weissenhof Stuttgart

Ursprünglich war es im Jahr 2004 eine Studie für die französische Regierung und wurde 2007 als Buch unter dem Titel „Plus: Large-scale housing developments, an exceptional case“ veröffentlicht. Das „Manifest“ von Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal bietet einen neuen Ansatz der Auseinandersetzung mit den unterdrückten, verschandelten und ungeliebten städtischen Hochhäusern der 1960er und 70er Jahre und lässt aus ihnen buchstäblich glänzende Säulen ihrer Gemeinde werden. Oder, wie die Architekten es ausdrücken, wird „die Wirkung des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit nachempfunden, was einen Wandel vom ungesunden zum gesunden Wohnungsbau auslöste und die Freude, darin zu wohnen. Das bedeutet, eine positive Revolution zu beginnen, deren Ziele völlig gegensätzlich zu Zerstörung und Wiederaufbau sind.“2

Statt „Zerstörung und Wiederaufbau“ zeigen Druot, Lacaton & Vassal eine Reihe von Maßnahmen, die ihrer Ansicht nach nicht nur kostengünstiger und weniger umweltschädlich sind, sondern die auch die Bewohner weniger in Bedrängnis bringen und das Sozialgefüge der Siedlungen erhalten. Im Wesentlichen liegen Maßnahmen im Fokus ihrer Vorschläge, wie der Einbau größerer, wandgroßer Fenster, der Anbau von Balkonen und Wintergärten, besser durchdachte (und farbenfrohere) öffentliche Bereiche innerhalb der Gebäude, ein Hausmeister und die bessere Organisation der Außenanlagen. Vor allem aber geht es darum größere Wohnzimmer zu gestalten, die aus einem Zimmer wie jedem anderen einen „large espace de vie“, einen großen Raum zum Leben machen.

Das Vorhaben soziale Einrichtungen in die renovierten Gebäude einzugliedern, zum Beispiel Waschsalons, Kindertagesstätten, Schwimmbäder und Büros, klingt sehr nach Le Corbusier und sein Projekt „Unité d’habitation“. In vielerlei Hinsicht können die Plus-Projekte als eine Rückkehr zu vielen der ursprünglichen Ideale der Architektur der Moderne angesehen werden, als Versuch, sicheren, sauberen, erschwinglichen, sozial verantwortlichen und sozial verträglichen Wohnraum zu schaffen, der seine Bewohner unterstützt und fördert. Oder, wie es in dem offiziellen Katalog zur Ausstellung in der Weissenhofsiedlung 1927 steht, „der Kampf um die Neue Wohnung sei nur ein Glied in dem Kampf um neue Lebensformen“3.

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux Architects: Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Paris

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux
Architekten: Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Paris

Die Plus-Studie beinhaltete vier theoretische Studien in Aulnay-Sous-Bois, Le Havre, Nantes & Trignac und zwei eingereichte Wettbewerbsbeiträge von Druot, Lacaton & Vassal, die später zumindest teilweise zur Realisierung von Petit Maroc in Saint-Nazaire und des Bois-le-Prêtre-Hochhauses in Paris beitrugen.

Die Ausstellung in Stuttgart konzentriert sich auf den Tour Bois-le-Prêtre und das besonders mit Fotografien der Umgestaltung des Hochhauses. In einem begleitenden Video diskutieren die drei Architekten ihre Pläne und zwischen der Theorie werden Clips der Bewohner des Tour Bois-le-Prêtre eingespielt, die ihre Dankbarkeit über die Veränderungen zum Ausdruck bringen.

So übertrieben die Videoproduktion ohne Frage ist, beinhaltet sie doch ein paar schöne Einblicke, was unternommen wurde und warum und wie es angenommen wurde. So bildet es die tatsächliche Grundlage für die Ausstellung.

Einige frei zugängliche Exemplare von „Plus“ würden das gut unterstützen. Genauso wie ein paar Poster mit einer Erklärung, in welchem Verhältnis die Kosten für die Renovierung des Hochhauses Bois-le-Prêtre und das Zerstörungs-/Wiederaufbauprinzip stehen. Oder die späteren Energieeinsparungen. Diese Aspekte werden in der Ausstellung nicht stark genug berücksichtigt, sind aber wichtig, wenn man verstehen möchte, warum der Plus-Ansatz überhaupt in Betracht gezogen werden sollte. Der Fokus der Ausstellung liegt vielmehr auf der physischen Umgestaltung und der Besucher muss die Lücken selbst zu einem späteren Zeitpunkt füllen. Wir verstehen, dass „Plus“ ein wahnsinnig teures Buch ist. Und wir verstehen auch, dass die Architekturgalerie am Weissenhof nur wenig Platz bietet. Trotz seiner Voraussicht und seines Genies konnte Peter Behrens nicht wissen, dass aus seinem Beitrag zur Weissenhofsiedlung mal eine Galerie werden würde.

Das „Problem“ Hochhaus, das „Problem“ Siedlung und das „Problem“ Hochhaussiedlung sind weltweite Phänomene mit zahlreichen Ursprüngen und Vorgeschichten.

In Anbetracht solcher „Probleme“ ziehen es Politiker aller politischen Richtungen und Nationalitäten vor, neu zu bauen. Dies tun sie um die gescheiterte Philosophie verschwinden zu lassen, die sie von vorherigen Regierungen geerbt haben und ein eigenes Zeichen zu setzen, eine klare Aussage über ihre tiefe Besorgnis über das Land und das Wohlbefinden der Menschen zu treffen, unweigerlich Arbeiterfamilien und Rentner, deren Schicksal ihnen vorübergehend anvertraut wurde. Reine Symbolik natürlich und das allzu häufig auf Kosten ökologischer, sozialer und finanzieller Aspekte.

Druot, Lacaton & Vassal behaupten nicht, dass Objekte wie das Bois-le-Prêtre-Hochhaus herausragende Architekturwunder sind, die so wie sie sind erhalten werden sollen. Sie sagen eher, dass sie da sind, ihre Funktion erfüllen und nur verbessert werden müssen. Und sie zu verbessern kostet weniger und hat weniger Auswirkungen auf die Umwelt und die Gemeinschaft als sie abzureißen und wieder aufzubauen.

Sie bieten natürlich keine allgemeingültige Lösung, es gibt keine allgemeingültigen Lösungen, aber es ist ein interessanter Vorschlag, den ins Auge zu fassen es sich lohnen könnte. Das mag nicht überall funktionieren, aber man kann aus einem Konzept immer Teile entnehmen und sie an die örtlichen Gegebenheiten anpassen.

Das traf und trifft natürlich auch auf die Ideen und  Konzepte zu, die 1927 für die Ausstellung in der Weissenhofsiedlung entwickelt wurden.

Wer in Stuttgart ist, kann „Studio Plus“ bis Sonntag, den 3. April in der Architekturgalerie am Weissenhof, Am Weissenhof 30, 70191 Stuttgart besuchen.

Alternativ: http://lacatonvassal.com/

1. Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Plus: La vivienda colectiva, territorio de excepción; Les grandes ensembles de logements, territoire d’exception; Large-scale housing developments, an exceptional case, ed. Susana Landrove, Editorial Gustavo Gili Barcelona, 2007

2. ibid

3. „Amtlicher Katalog der Werkbundausstellung Die Wohnung, Stuttgart 1927“ Schriftenreihe Weissenhof Band 2, Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege, 1998

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux, Before. (Photo: © Frédéric Druot, Courtesy of architekturgalerie am weissenhof)

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux, Before. (Foto: © Frédéric Druot, mit freundlicher Genehmigung der Architekturgalerie am Weissenhof)

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux, After.. Architects: Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Paris (Photo: © Philippe Ruault, Courtesy of architekturgalerie am weissenhof)

Grand Parc, Bâtiment G, Bordeaux, After. Architekten: Frédéric Druot, Anne Lacaton & Jean-Philippe Vassal, Paris (Foto: © Philippe Ruault, mit freundlicher Genehmigung der Architekturgalerie am Weissenhof)

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