„Breathing Colour“ von Hella Jongerius im Design Museum London

Grün, grün, grün sind alle meine Kleider…

Wie einfach das Leben doch ist, wenn man ein Kind ist. In fast allen Bereichen des Lebens wird dieses immer komplexer und komplexer. Wenn es jedoch um unser Farbverständnis geht, bleibt uns unser inneres Kind doch irgendwie ewig erhalten. Mit der Ausstellung „Breathing Colour“ im Design Museum London bringt die niederländische Designerin Hella Jongerius uns dazu, diesem inneren Kind freien Lauf zu lassen.

Noon colour catchers, as seen at Breathing Colour by Hella Jongerius, London Design Museum

Noon colour catchers, gesehen bei „Breathing Colour“ von Hella Jongerius, Design Museum London

„Farbe ist etwas, das uns permanent umgibt, und zwar nicht nur dann, wenn wir wach sind, schließlich träumen die meisten von uns in Farbe. Was wir aber nie tun, ist, uns einfach mal die Zeit zu nehmen, Farben genauer zu betrachten und wertzuschätzen, wie komplex diese sein können“, so der Senior Kurator des Londoner Design Museums Alex Newson zum Hintergrund der Ausstellung. „Menschen sehen Farbe oft als etwas Unveränderliches, Vorgegebenes. Das ist jedoch so nicht richtig. Farbe lässt sich nicht strikt definieren, sie kann sich verändern, etwa durch ihren Kontext, oder auch einfach im Laufe des Tages. In unserer Ausstellung geht es uns darum, uns diesem Wandel anzunehmen.“

Zu diesem Zweck präsentiert „Breathing Colour“ eine Reise durch einen Tag im Leben von Farbe, vom lichtdurchlässigen und doch klar umrissenen morgendlichen Licht über seine kraftvolle mittägliche Intensität bis hin zum eintönigeren Abend, wo dunklere Töne in der Dämmerung ihren Einfluss erweitern. Ein vierter Bestandteil komplettiert die fundamentale Erkundung von Farbe mittels einer Präsentation, die Natur und Prozess von Hella Jongerius‘ Farbforschung veranschaulicht. Eine Forschung, welche die offensichtlichen Fragen bezüglich der Rolle von Farbe, die sich Hella Jongerius gestellt haben, sowie ihre Motivation für die Ausstellung verdeutlicht. „Für mich ist Farbe ein Material und darüber hinaus auch ein sehr kraftvolles Instrument, um Objekte mit mehreren Schichten zu designen“, erklärt sie und fährt fort: „Und ich habe mich dazu entschieden, zum Zwecke dieser Ausstellung in sie einzutauchen, denn ich möchte, dass die Leute beginnen, intensiver über Farbe nachzudenken.“

Colour Vases ny Hella Jongerius and examples of her colour research, as seen at Breathing Colour by Hella Jongerius, London Design Museum

Colour Vases von Hella Jongerius und Beispiele aus ihrer Farbforschung, gesehen bei „Breathing Colour“ von Hella Jongerius im Design Museum London

Metamerische Farbe

In vielerlei Hinsicht mehr Installation als Ausstellung, beinhaltet „Breathing Colours“ bis auf die Colour Vasen aus dem Jahre 2010 ausschließlich neue Arbeiten, die extra zum Zwecke der Ausstellung kreiert wurden. Hierbei gibt es zwei Typen von Arbeiten, die den Besucher durch die Ausstellung führen. Da wären einerseits verschiedenste Textilien, die mit ihrer Zusammensetzung und ihren Farbnuancen dabei helfen zu erklären, wie wir Farben wahrnehmen und wie diese im Verlauf des Tages variieren können. Andererseits gibt es die sogenannten Colour Catchers, eine Sammlung abstrakter Objekte, welche getönt wirken, obwohl sie einfarbig sind. Diese optische Täuschung liegt in deren Falten, Schatten und Spalten sowie den Farben, die die jeweiligen Objekte umgeben, begründet. Effektiv handelt es sich bei den Colour Catchers um 3D-Farbkarten, die dabei helfen, die vergängliche Natur unserer Farbwahrnehmung und die Idee von Metamerie, jenem Phänomen, bei dem eine Farbe von ihrem Kontext konditioniert wird, zu verstehen. Zu verstehen wie etwa das Licht, in welchem wir eine Vase sehen, die Wahrnehmung von deren Farbe und Beschaffenheit beeinflusst.

Metamerie war es auch, die Hella Jongerius zufolge deren Farbforschung erst ausgelöst hat. Sie stellt den Schlüssel zur Ausstellung dar, indem sie einerseits das Bewusstsein für das Phänomen selbst steigert und andererseits demonstriert, dass es Metamerie ist, die Dynamik, Fühlbarkeit, ja Leben in unsere Welt bringt. Die Ausstellung unterstreicht dieses Statement, indem sie Untersuchungen zu Reflektion, Lichtbrechung und Schatten sowie eine Palette neuer Farbrezepte, kreiert von Hella Jongerius, präsentiert. Diese Palette macht sich den traditionellen künstlerischen Prozess zu eigen und erschafft Farbtöne, indem Komplementärfarben in verschiedenen Abstufungen gemischt werden, anstatt beispielsweise einer Farbe Kohlenstoff beizufügen, um diese dunkler werden zu lassen. Indem sie diese künstlerische Tradition fördert, demonstriert Hella Jongerius die Flexibilität und Variabilität von Farben und lässt gleichzeitig die Tradition wieder aufleben, Farben atmen zu lassen beziehungsweise Metamerie zu erlauben – etwas, das die Industrie ihrer Ansicht nach bedauerlicherweise längst eingestellt hat.

A colour catcher, a 3D colour chart, as seen at Breathing Colour by Hella Jongerius, London Design Museum

Ein Colour Catcher, eine 3D-Farbkarte, gesehen bei „Breathing Colour“ von Hella Jongerius, Design Museum London

Industrielle Farbe

Genauso wie es bei „Breathing Colour“ darum geht uns zu motivieren, detaillierter über Farbe nachzudenken und die Raffinessen von Farbe besser zu verstehen, so geht es bei „Breathing Colour“ auch um einen Akt von Aktivismus, einen Akt von Rebellion, um einen Protest gegen das, was Hella Jongerius als „die Eintönigkeit der Farbindustrie“ bezeichnet. Ah, ok, und was meint sie damit genau?

„Als Industriedesigner sind wir von der globalen Industrie abhängig, um all unser Plastikgranulat, unsere Pulverbeschichtung und all unsere anderen Farbstoffe, die wir benötigen, zu erhalten. Jedoch sind die Rezepte der industriellen Hersteller darauf ausgelegt, über den ganzen Tag hinweg optisch stabil zu bleiben, sie reagieren also nicht auf die Lichtverhältnisse, und das vermisse ich wirklich sehr“, erklärt Hella Jongerius. „Als Industriedesignerin wünsche ich mir Farben, die im Einklang mit dem Licht atmen, die das Morgen- und Abendlicht zeigen. Aus diesem Grund möchte ich mit Farben arbeiten und versuchen, die Grenzen, die es inzwischen gibt, zu verschieben und somit wieder mehr Qualität in die verfügbaren Farben und somit auch in unser alltägliches Leben bringen.“

Theoretisch gibt es keinen Grund dafür, dass die Industrie solche Farben nicht produziert. Tatsächlich hat Hella Jongerius sämtliche in ihrer Ausstellung präsentierten Farbrezepte in Zusammenarbeit mit einem Schweizer Hersteller realisiert, einem kleinen, sehr spezialisierten Hersteller. Das Problem ist laut Hella Jongerius eher der Umfang, in dem solche Farben nur gebraucht werden, und die Tatsache, dass große Hersteller ungern nur in kleinen Stückzahlen produzieren, welche jedoch die Stückzahlen sind, die im Bereich von Textil- und Möbeldesign angebracht sind. Eine Situation, die Hella Jongerius zu ändern hofft.

„Zunächst muss ich zeigen, was Farbe mit sich bringen kann, wie reich sie ist, dass sie ein kulturelles Material ist, ein kraftvolles Instrument. Indem ich dies erkläre, erhoffe ich mir, dass ich die Hersteller davon überzeugen kann, alternative Materialien und Rezepte sowie kleinere, realistischere Stückzahlen anzubieten“. „Breathing Colour“ ist der Versuch, dies zu tun. Oder zumindest der öffentliche Beginn dieses Versuchs. Nun, da wir mit Hella Jongerius gesprochen haben, ahnen wir ja, dass bereits eine längere Kampagne in Planung ist. Eine, auf die wir uns schon über alle Maßen freuen.

Vamblers - evening colour catchers, as seen at Breathing Colour by Hella Jongerius, London Design Museum

Vamblers – Evening Colour Catchers, gesehen bei „Breathing Colour“ von Hella Jongerius, Design Museum London

Form folgt Farbe

Mit „Breathing Colour“ positioniert sich Hella Jongerius, in ihren Worten, als „ein Filter zwischen Konsument und Industrie“, indem sie demonstriert, was ihr im Bereich zeitgenössischer industrieller Farben fehlt. Sie hofft uns Konsumenten so zeigen zu können, was wir haben, was uns fehlt und was wir haben könnten sowie uns anzuregen, gar zu drängen, dies von der Industrie zu fordern. So fordert uns „Breathing Colour“ nicht nur dazu auf, mehr über Farben nachzudenken, ihnen mit unseren Augen zuzuhören und in den Freuden zu schwelgen, die mit den willkürlichen Launen dieser einhergehen, sondern fordert uns außerdem dazu auf, uns bewusst, ja gar skeptisch zu sein, wenn es um die Art und Weise geht, auf die die RGB-Farben der digitalen Welt unsere Beziehung zu und Wahrnehmung von Farben beeinflussen, beeinträchtigen und angreifen. Und wir wagen mal zu behaupten, dass „Breathing Colour“ uns auch dazu bringen will damit aufzuhören, uns allzu sehr auf generische Farbtipps und omnipräsente sogenannte Trendfarben zu versteifen. „Schrecklich!“, kommt da sogleich als Antwort. „Aber so funktioniert das Geschäft. Da gibt es diese Welt von Formgebung, Marketing und „Farbe des Jahres“… Und auch wenn dies keinesfalls wertlos ist und gerade Textildesignern einen Vorteil bringt – bitte investiert auch in das Material selbst, investiert in eure Farbrezepte!“ Mit „Breathing Colour“ wird Hella Jongerius jedoch, in unseren Worten, auch als ein Filter zwischen sich selbst und der weltweiten Designcommunity positioniert, indem sie Designer herausfordert, intensiver über die Farben, die sie verwenden, nachzudenken, statt nur darüber, wie sie diese in ihren Arbeiten nutzen können. Wenn man so will, und an dieser Stelle sollte vielleicht eine Entschuldigung an Charles und Ray Eames rausgehen, sollen sie erkennen, dass die Farben eines Designs nicht nur dessen Farben sind, sondern ein Design erst ausmachen.

Der Untertitel der Ausstellung ist „Die Macht der Farbe gegen die Macht der Form“ – ein recht treffendes Konzept in dem Jahr, in dem De Stijl und Florence Knoll ihren 100. Geburtstag feiern würden, hatten sich doch beide stets auf Farbe verlassen, ihnen dabei zu helfen, Raum und Form zu definieren. Die Ausstellung geht dabei beim Konzept „Form folgt Farbe“ einen Schritt weiter: Alex Newson erklärt, dass „wir oft denken, dass Modernisten lediglich weiße Würfel entworfen haben, wobei etwa Le Corbusier Farben auf extrem komplexe und clevere Art und Weise zu nutzen wusste. So schoss er beispielsweise Wände nach hinten und Decken nach oben, wodurch er die Wertschätzung von Raum und Dimension völlig veränderte. Farbe kann tatsächlich einen riesigen Einfluss darauf haben, wie ein Objekt wirkt.“ Dieses Verständnis überträgt die Gedanken zu Farbe und Metamerie, welche in „Breathing Colour“ präsentiert werden, von Objekten und Textilien auf Architektur, öffentlichen Raum und Stadtplanung.

A morning colour catcher and a series of glass crystals, as seen at Breathing Colour by Hella Jongerius, London Design Museum

A morning colour catcher and a series of glass crystals, gesehen bei „Breathing Colour“ von Hella Jongerius, Design Museum London

Atmende Farbe

Freilich ist Hella Jongerius nicht die erste, die Farbe erforscht. Von da Vinci über Newton und Goethe bis hin zu Ólafur Elíasson übt Farbe seit jeher große Faszination auf Künstler und Wissenschaftler aus. Im Bereich der Architektur und des Designs ist das relevanteste Beispiel für die Erforschung von Farbe und Farbtheorie die des Bauhaus, vor allem die von Johannes Itten.

Und dessen Ansichten harmonisieren nicht unbedingt mit Hella Jongerius.

„Ich glaube wirklich an das Bauhaus als ein System des Studierens, und Bauhausprotagonisten wie die Textilkünstlerin Anni Albers und auch Johannes Itten spielen eine wichtige Rolle für mich. Itten unterrichtete allerdings nur die eine Wahrheit bezüglich der Farbe und ich denke nicht, dass nur diese eine zutreffend ist.“

Wäre Itten noch am Leben, es wäre hochinteressant und wir denken sehr unterhaltsam, ihm und Hella Jongerius durch „Breathing Coulour“ zu folgen, ihren Diskussionen zu lauschen und zu sehen, ob Itten die Textilien und Colour Catcher umstimmen würden, ob die Veränderungen in der Wahrnehmung von Farbe der letzten hundert Jahre und der Einfluss unserer heutigen Industrie und der industriellen Herstellung von Farben auf die zeitgenössischen Farben ihn dazu bringen würden seine Position zu überdenken, oder nicht.

Johannes Itten mag nicht in der Lage sein durch „Breathing Colour“ zu laufen, aber indem man selbst durch die Ausstellung läuft, kann man seine eigene Auffassung von Farbe in Frage stellen, lernen kritischer auf Farben zu blicken und wird verstehen, warum die eigene Farbauswahl häufig so beschränkt ist. Man wird so auch seine eigene Position überdenken.

Die klug konzipierte und umgesetzte Ausstellung „Breathing Colour“ erschließt sich nicht auf den ersten Blick, man muss sich Zeit nehmen, sich durcharbeiten, während die kurz und knapp formulierten Informationstafeln einen wunderbar durch jede Etappe führen. Das gleiche trifft auf die Ausstellungsbroschüre zu, ein wunderbar prägnantes, trotzdem sehr informatives Booklet, das sehr kompetent die Informationstafeln ergänzt und eine leicht zu verdauende Einführung in Farbe, Farbtheorie, Optik und Pigmente umfasst. Und nach dem Besuch der Ausstellung gibt es einen Lesebereich, der mit Produkten von Hella Jongerius für Vitra, Artek und Danskina möbliert ist und ausreichend Literatur und Komfort bietet, um seine Gedanken zu erweitern und zu vertiefen.

Oder mal anders gesagt: Man muss kein Farbenspezialist sein, um sich die Ausstellung anzusehen. Man muss nur Interesse haben an Design, Farbe, der Welt, die einen umgibt und am Einfluss der globalen Industrie auf unser tägliches Leben.

Und auch wenn wir nicht garantieren können, dass man nach „Breathing Colour“ zum Farbenspezialisten wird, wird einem die Welt um einen herum vielleicht viel bunter erscheinen als man gedacht hätte.

„Breathing Colour“ von Hella Jongerius läuft bis Sonntag, den 24. September im Design Museum, 224-238 Kensington High Street, London, W8 6AG .

Weitere Details inklusive Informationen zum Begleitprogramm der Ausstellung finden Sie auf http://designmuseum.org/.