Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung @ Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Das alte Sprichwort, dass einem im Leben einzig Tod und Steuern sicher sind, ist wohl seit geraumer Zeit mehr als nur ein bisschen überholt.

Allerdings können auch die Buchhalter und Investmentbanker bisher dem Tod nicht ausweichen.

Mit der Ausstellung „Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“ untersucht das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz, smac, die historischen und kulturellen Traditionen und Rituale, die diesem letzten zeitlosen, universellen und absolut unausweichlichen Phänomen gewidmet sind.

Tod & Ritual - Kulturen von Abschied und Erinnerung, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

„Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Die prähistorische Begräbnisstätte in Niederkaina (Nähe Bautzen) in der Oberlausitz ist eine der größten und wichtigsten archäologischen Ausgrabungsstätten in Mitteleuropa. Sie beherbergt Grabstätten aus einem Zeitraum von einigen hundert Jahren und dient deshalb als einzigartige Chronik aufeinanderfolgender Epochen und der Völker aus dieser Region.

Aufgrund ausgedehnter archäologischer Studien und Erhebungen waren Forscher in der Lage, ein komplexes Bestattungsritual zu rekonstruieren. Ein Ritual, das gewissermaßen die Basis bildet für „Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“,  einer Ausstellung, bei der es nicht nur darum geht, was in Niederkaina praktiziert wurde, sondern um Todes- und Begräbnisrituale aus verschiedenen Kulturen und Jahrhunderten.

Tod & Ritual - Kulturen von Abschied und Erinnerung, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

„Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Als eine Ausstellung, die sich eher mit dem Ritual im Titel als mit dem Tod beschäftigt, beginnt „Tod und Ritual“ mit den Lebenden, den Zurückgelassenen, den Subjekten der Trauer – was uns im Nachhinein sehr logisch erschien. Zu sehen ist beispielsweise eine kleine Handaxt, die benutzt wurde, um trauernden Verwandten eines männlichen Verstorbenen der Dani in Neuguinea einen Finger zu entfernen, um ihren Schmerz so wirklich physisch erfahrbar zu machen. Danach geht die Ausstellung dazu über, kulturelle Standpunkte zu einem Leben nach dem Tod zu untersuchen, bevor sie dann ins Jahr 2500 vor Christi und den Ursprüngen von Niederkaina als Begräbnisstätte zurückkehrt.

Nachdem die Ausstellung die Ausgrabungsstätte, seine Topografie und Entwicklung während der Jahrhunderte, beleuchtet, werden kurz grundlegend archäologische Forschungen an Grabstätten erklärt, bis die Ausstellung dann zu ihrem eigentlichen Thema kommt. Das Todes- bzw. Begräbnisritual von Niederkaina wird über den Verlauf seiner acht Phasen nachvollzogen, dazu gehören die Todes- und die Begräbnisprozession, die Einäscherung, das Begräbnis, die Öffnung des Grabes und die anschließende Wiederbestattung. Die Ausstellung untersucht diese Phasen nicht nur hinsichtlich ihrer Relevanz für die prähistorischen Völker Mitteleuropas, sondern auch im Vergleich mit anderen globalen Kulturen – zeitgenössische wie vergangene gleichermaßen.

„Tod und Rituale“ schließt mit einem Blick auf zeitgenössische Begräbnisse, Einäscherungen und Positionen gegenüber dem Tod, zumindest gegenüber dem physischen Tod. Eine zukünftige Ausstellung wird sich mit Sicherheit detailliert mit Trauer, Tod und Abschied im digitalen/virtuellen Bereich befassen und Fragen eines digitalen/virtuellen Lebens nach dem Tod aufwerfen.

Es sei denn, Buchhalter und Investmentbanker haben bis dahin legale Wege gefunden, der letzten Unausweichlichkeit des Lebens aus dem Weg zu gehen.

 

A Chinese funarel procession meets a Niederkaina funeral procession, as seen at Tod & Ritual - Kulturen von Abschied und Erinnerung, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Eine chinesische Begräbnisprozession trifft auf die Begräbnisprozession von Niederkaina, gesehen bei „Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Während man ist oder auch nicht ist, was man isst, ist man ohne Frage, wie man begraben wird. Alle Kulturen begraben ihre Toten. Ein großer Teil von „Tod & Ritual“ erklärt die Unterschiede zwischen den Prozessionen, Traditionen und Glaubensentwürfen. Und wie immer, wenn es darum geht kulturelle Unterschiede herauszustellen, gelangt man irgendwann zur Einsicht: „Same same but different“. Und das nicht nur in Bezug auf Kulturen, die geografisch voneinander getrennt sind, sondern auch zeitlich auseinanderliegen – was „Tod und Rituale“ anhand einiger simpler Vergleiche deutlich macht. Vergleiche wie beispielsweise die Leichenwaschung und -kleidung, wie sie in Niederkaina und von den alten Ägyptern praktiziert wurde; Vergleiche der Begräbnisprozessionen, wie sie unter anderem von frühen keltischen Kulturen praktiziert wurden; Vergleiche von Akten der Erinnerung, wie der Konservierung der Knochen Heiliger als Reliquien der katholischen Kirche. Diese Vergleiche helfen, die Universalität von Trauerprozessen und die Rolle von Ritualen und Traditionen beim Abschiednehmen zu verstehen.

Der Beruf des Archäologen ist unausweichlich mit der Vergangenheit verknüpft, wenn es zum Tod kommt, zu einer Vergangenheit, die keine Zukunft hat. Ein erklärtes Ziel des smac ist es allerdings zu demonstrieren, dass Archäologie auch eine zeitgenössische Disziplin ist, die die offensichtliche Frage aufwirft, inwieweit die Erforschung einer solchen prähistorischen Todeskultur heutzutage relevant ist?

„In der Vergangenheit war der Tod sehr viel präsenter, hatte einen sehr viel gefestigteren Platz im täglichen Leben“, antwortet Dr. Jens Beutmann, Ausstellungsleiter im smac, „und auch wenn das in vielerlei Hinsicht eine positive Situation ist, kann es doch auch bedeuten, dass wenn man mit dem Tod konfrontiert wird, dieser einen echten Schock auslöst. In altertümlichen Kulturen war das nicht der Fall, es war dort viel klarer, wie mit dem Tod umzugehen ist. Wenn wir also den historischen Kontext verstehen, kann das unserer modernen Gesellschaft helfen, eine Unausweichlichkeit zu meistern, mit der jede Gesellschaft immer gelebt hat.“

A dancers mask and wooden hands, fromToba-Batak Sumatra, as seen at Tod & Ritual - Kulturen von Abschied und Erinnerung, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Eine rituelle Tänzermaske und Holzhände aus Toba-Batak, Sumatra, gesehen bei „Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“, Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz

Auch wenn wir mit unseren Lesern übereinstimmen würden, dass es erbaulichere Themen für einen nachmittäglichen Museumsbesuch gibt als den Tod – bei „Tod & Ritual“ geht es im Grunde nicht um den Tod, vielmehr handelt es sich dabei um eine notwendige Voraussetzung für das eigentliche Thema – die Kultur des Abschiedes, des Loslassens, der Trauer.

Notwendigerweise werden viele Exponate in Glasvitrinen präsentiert (zudem sehr viele sehr kleine Stücke). Notwendigerweise ist „Tod & Ritual“ auch eine Ausstellung, die einem einiges abverlangt. Beim Gang durch die Ausstellung wird einem bewusst, wie umfassend das Thema ist, wie zahlreich die Kulturen und Epochen sind, die man einschließen könnte, und wie konfus und verwirrend die ganze Sache werden kann.

Intelligent ist die Entscheidung, den Verlauf des Niederkaina Begräbnisrituals parallel zu anderen Todes- und Begräbnisritualen zu zeigen und sie so in eine notwendige Ordnung zu rücken. Die Organisatoren haben eine informative und unterhaltsame Ausstellung auf die Beine gestellt, die einem nicht nur einen guten und kohärenten Überblick über eine der wichtigsten Ausgrabungsstätten in Sachsen bietet, sondern das Thema Tod dorthin bringt, wo es schon immer hingehört (ganz egal, wie sehr wir versuchen es zu verdrängen), nämlich ins Zentrum der Gesellschaft.

„Tod & Ritual – Kulturen von Abschied und Erinnerung“ läuft bis Montag, den 21. Mai 2018 im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz, Stefan-Heym-Platz 1, 09111 Chemnitz.

Alle Details und Informationen zum Rahmenprogramm gibt es auf www.smac.sachsen.de.

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