#campustour Interview: Professor Helmut Jakobs

Wie bei allen kreativen Berufen ist auch der des Designers einer, in den man hineinwächst: Mit der Zeit entwickelt man eine Position und erreicht bestenfalls einen Ort, an dem man sich wohl fühlt mit dem, was man tut. Ein wichtiger, wenn auch nicht unbedingt notwendiger Schritt auf diesem Weg ist die Designhochschule, ein Ort für Experimente, Beobachtungen, Diskurse. Und ein Ort, um mit erfahrenen Designern verschiedener Couleur in Kontakt zu treten. Deshalb erkunden wir auf unserer #campustour nicht nur die studentischen Projekte, ihre Themen und Prioritäten, sondern sprechen auch mit den Verantwortlichen für die Designausbildung, darunter Helmut Jakobs, der an der FH Aachen seit drei Jahrzehnten Designstudenten betreut.

Helmut Jakobs FH Aachen

Professor Helmut Jakobs

Helmut Jakobs ist wie er selbst sagt einen „außergewöhnlichen Weg“ gegangen, bis er schließlich zu seiner Position als Dekan des Fachbereichs Gestaltung gekommen ist: einem Diplom in Sozialpädagogik an der FH Düsseldorf folgte ein Philosophiestudium an der Heinrich-Heine Universität, bevor sich Jakobs 1980 als Studio Neonart selbstständig machte. Das Studio entwickelte einerseits Lichtobjekte und Leuchtdisplays für die Werbung, arbeitete aber vor allem auch mit Künstlern wie Dan Flavin, Mario Merz und Bruce Nauman zusammen. Im Jahr 1991 kam dann der Übergang zur FH Aachen. In den letzten 26 Jahren hatte Jakobs diverse Positionen inne, darunter Dozent, Studiendekan, Prorektor, und seit 2012 Dekan. Wir haben Helmut Jakobs getroffen um mit ihm über zeitgenössische Designausbildung, die Beziehungen zur RWTH Aachen und über das sogenannte Aachener Modell zu sprechen: Designstudenten studieren in Aachen 7 Semester Bachelor und anschließend drei Semester für den Master, statt wie sonst in Deutschland üblich 6 + 4. Angefangen haben wir aber mit der Frage, wie er dazu gekommen ist ausgerechnet mit Neonröhren zu arbeiten.

Helmut Jakobs: Ich habe im Jahr 1978 meine erste USA Reise gemacht und war fasziniert und inspiriert von der Fülle an Neonwerbung genauso wie von Neonkunst. Ich machte daraufhin die Bekanntschaft von Rudi Stern, der bei Let there be Neon in Manhattan arbeitete. Ich fing an Arbeiten von ihm einzuführen, und dann verselbstständigte sich die Sache schnell. Zu dieser Zeit gab es in Düsseldorf eine sehr dichte Szene, ein Netzwerk von Freunden und Freundesfreunden. Alle befruchteten sich gegenseitig und alles waren in und um die Ratinger Straße herum zentriert. Der Ratinger Hof, die erste deutsche Punkkneipe, war mein Wohnzimmer. Sie lag direkt hinter der Kunstakademie. Das war eine sehr produktive Zeit, mit vielen Berührungen und Diskussionen mit Künstlern und Studenten, die später dann mehr oder weniger signifikante, internationale Karrieren haben sollten.

smow Blog: Kleine Abschweifung, nur weil Sie den Ratinger Hof erwähnt haben, da müssen wir einfach fragen, haben Sie auch das Creamcheese besucht?

Helmut Jakobs: Creamcheese war ein bisschen früher, aber ja, ich war dort viel als ich so 16, 17 war. Ich habe aber erst später verstanden, dass zum Beispiel die Nagelbilder an den Wänden oder die Stroboskop Lampen im Grunde eine Kunstinstallation waren. Eine Ansammlung von Arbeiten von Kunstakademiestudenten, die sich allesamt erst etablieren sollten. Direkt nebenan hatte Konrad Fischer seine erste Galerie in deren Räumen Bruce Nauman seine erste Ausstellung in Europa hatte. Also in vielerlei Hinsicht hat alles seinen Anfang in diesen engen Gassen genommen.

smow Blog: Im Jahr 1991 kam der Wechsel an die Kunsthochschule Aachen. Wie kam das zustande, worin lag die Motivation in die Lehre zu wechseln?

Helmut Jakobs: Das war im Grunde eine persönliche Motivation. Ich hatte eine junge Familie. Vor allem aber die Werbeaufträge, die regelmäßige Arbeit bis in den späten Abend – häufig auch an Wochenenden weit weg von zuhause – waren mit dem Familienleben nicht zu vereinbaren. Ausschlaggebend war allerdings die Entscheidung einen Fachbereich Mediendesign hier in Aachen zu gründen, wo ich dann angefangen habe. Bevor der Bereich offiziell in Betrieb genommen wurde, habe ich mich in Computergrafik und Computeranimation qualifiziert und war dann verantwortlich für die Planung des Computerlabors und dann Dozent für Computertechnik. Da ich allerdings schon vorher einen Beruf hatte, der kein Ende kennt, wurde mir schnell klar, dass auch die Designlehre eine Berufung ist, nicht nur ein Job den man die Woche über macht, sondern eben auch eine Aufgabe, mit der eine Verantwortung zusammenhängt.

smow Blog: Hier an der FH Aachen gibt es das sogenannte Aachener Model, 7 Semester Bachelor plus 3 Semester Master. Warum nicht wie üblich 6 + 4?

Helmut Jakobs: Bei der Umstellung von Diplom auf Bachelor und Master waren wir von vornherein gegen die Vorgaben der Hochschulrektorenkonferenz und gegen die Vorgaben unseres eigenen Rektorats. ich war von Anfang an der Meinung, dass wir 7+3 Semester benötigen, weil unsere Hauptklientel in Zukunft Bachelorstudenten sein werden. Und in sechs Semestern, von denen nur 5 Studiensemester sind, kann man keine Designer ausbilden; und ganz sicher keine Designer, die mit den Anforderungen dieses Berufs kompetent umgehen. Nicht zuletzt weil der Prozess einer Persönlichkeitsbildung, der nun mal dazu gehört, viel zu kurz kommt. Unser Ziel ist es Gestalter-Persönlichkeiten auszubilden, die in der Lage sind ihre eigene Haltung von Design zu entwickeln.

smow Blog: Warum gibt es bei ihrem Modell mit 7 statt 5 Studiensemestern kein Praktikumssemester?

Helmut Jakobs: Weil ich finde, dass wenn der Studiengang ein vorgeschriebenes Praktikum umfasst, wir jedem Studenten auch ein Praktikum garantieren müssten. Dank des Hochschulpaktes haben wir derzeit eine Zielvorgabe von 135 Studenten im Jahr, und wie wollen wir ein Praxissemester für 135 Studenten garantieren? Mit unserem Model können die Studenten deshalb selbst entscheiden, wann und ob sie ein Praktikum machen.

smow Blog: Wenn man ein Praktikum macht, bedeutet das allerdings ein achtes Semester, also letztendlich 8 + 3, statt 6 + 4, wie haben sie das durchgesetzt?

Helmut Jakobs: Das war eine Piratentat! Nachdem wir erfolgreich für einen 7 Semester Bachelorstudiengang argumentiert haben, haben wir uns um ein achtes Semester als Praxissemester beworben, weil die Studenten etwas praktische Erfahrung außerhalb der Schule sammeln sollten. Mein Hauptargument für das 8. Semester war, dass wenn jemand einen 7-Semester-Bachelor bei uns abschließt, und dann woanders hingeht und einen 4-Semester-Masterabschluss macht, er dann 11 Semester studiert hat, und wer hat schon das Recht zu sagen, du kannst 7 + 4 Semester aber nicht 8 + 3 Semester studieren. Dieses Argument führt zurück zum Grundgedanken des Bolognaprozesses, dass der Mensch sich frei bewegen, frei entwickeln und frei entscheiden soll wie und wo er studiert. Die Politik hat aber inzwischen verstanden und eingesehen, dass es in einer Regelstudienzeit von 6 + 4 Semestern kaum möglich ist, Designer auszubilden, die dann auch von der Industrie und unserer Gesellschaft benötigt werden, und dass es nicht nur vernünftig ist den Studenten die Zeit zu geben, die sie benötigen, sondern eben auch notwendig.

smow Blog: Wenn Sie von „Industrie und Gesellschaft“ sprechen, können wir das so verstehen, dass für sie die Aufgabe von Designern und der Designausbildung über, sagen wir mal, das Entwerfen von Produkten hinausgeht?

Helmut Jakobs: Gestalter sind in erster Linie Erfinder, nicht nur wenn es darum geht attraktive Objekte und brillante Kampagnen zu entwickeln, sondern eben auch Erfinder von Strukturen und Formen des Zusammenlebens. Ich habe Joseph Beuys persönlich kennengelernt, habe aber erst später verstanden, was er mit Soziale Plastik meinte – dass man durch das, was man tut, immer Teil einer sozialen Interaktion ist. Und als Designer sind wir einfach gefordert das mitzugestalten – Lösungen zu erkennen, uns Systeme zu überlegen, zu fragen wohin wir gehen und warum. Um das zu erreichen brauchen wir, ich sage mal ein höheres akademisches Level, ein höheres intellektuelles Level. Aber vor allem eben auch die Auffassung von Design als Gesellschaftswissenschaft. Denn wenn Design und Designer nicht nur als Teil eines ökonomischen Systems im Kontext von Produktentwicklung angesehen, sondern ganz selbstverständlich in Prozesse eingebunden werden, seien es industrielle oder soziale Entwicklungen, dann wird die Industrie Designer beispielsweise nicht nur kontaktieren wenn es um die Farbe einer Maschine geht, sondern vielmehr von Anfang an einbeziehen wenn es darum geht ob diese Maschine überhaupt gebraucht wird. Designer können so helfen Produktionsstrukturen und Organisationsstrukturen zu gestalten.

smow Blog: Ist die Industrie Ihrer Erfahrung nach offen dafür?

Helmut Jakobs: Ja, ich denke schon. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, der glaubt die Bosse seien nur daran interessiert ihren eigenen Reichtum zu mehren. Vielmehr denke ich, dass sie die Notwendigkeit für Veränderungen in ihren Branchen erkennen und verstehen, dass man mit neuem Denken diese Veränderungen auch erreichen kann. Beispielsweise hat der Maschinenbauer schnell verstanden, dass wenn Deutschland ein relevanter Wissenschaftsstandort bleiben soll, die Ingenieurwissenschaft kreative Ingenieurwissenschaften braucht, und dass das einer Kooperationen mit Designern bedarf, und vor allem auch voraussetzt, dass man akzeptiert, dass es das Herumspinnen der Designer ist, das den Erfolg bringt und nicht das dogmatische Festhalten an Produktions- und Entwurfsregeln. Wirkliche Innovation geht immer von Grenzbereichen aus, und den Fähigkeiten unterschiedliche Disziplinen zu verknüpfen um etwas neues zu entwickeln.

smow Blog: Und braucht es dazu, sagen wir mal einen anderen Designstudenten als den von vor 20 Jahren?

Helmut Jakobs: Unser Ziel ist und bleibt es, jene Bewerber zu finden, bei denen man sieht, dass da ein Feuer brennt, wo man nicht nur ein echtes Interesse und Talent, sondern auch die intellektuelle Fähigkeit sieht, das heißt die Fähigkeit unabhängig von Kommunikationsdesign oder Produktdesign, Dinge konzeptuell zu durchdringen, sie sowohl in einen historischen als auch in einen zeitgenössischen Kontext zu stellen. Das erfordert eine höhere Allgemeinbildung, ein präzises Denkvermögen sowie ein gestalterisches Gespür. Durch das G8, das jetzt zum Glück wieder zurückgebaut wird, haben wir immer mehr 17-Jährige, die aufgrund von zu geringer Wertschätzung der kulturbezogenen Fächer in den Oberschulen fast keinen Kontakt zur Kunstgeschichte hatten, die keine Gelegenheit hatten, eine Haltung zu Kunst oder Design zu entwickeln. Das erschwert das Erkennen der Flamme, lenkt aber nicht von der Notwendigkeit ab diese zu identifizieren. Unsere Aufgabe ist dann, den Studenten zu helfen das zu erkennen.

smow Blog: Die Stadt Aachen liegt an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden – gibt es Kooperationen zwischen der FH Aachen und Hochschulen in Belgien oder den Niederlanden?

Helmut Jakobs: Nicht wirklich, obwohl es so plausibel erscheint, aber in der Praxis gibt es viele formale Probleme. Beispielsweise wenn es um die Niederlande und unseren nächsten Nachbarn, die Akademie Maastricht geht. Die ist an die Hogeschool Zuyd angegliedert und ähnelt so einer Fachhochschule. Im Gegensatz zu unserem Modulsystem haben die Niederländer aber ein sehr verschultes System mit Trimestern statt Semestern. Als ich Prorektor und verantwortlich für Lehre und Studium war, habe ich Kollegen von der Hogeschool Zuyd getroffen um Möglichkeiten zu diskutieren. Allerdings war ziemlich schnell klar, dass während individuelle Projekte möglich sind, formale Kooperationen durch diese Unterschiede sehr schwer zu verwirklichen sind. Hinzu kommt, dass es in Bezug auf Belgien und die Niederlande eine starke Konkurrenz hinsichtlich europäischer Fördermittel gibt. Wir sind in dieser Hinsicht eher Konkurrenten als Partner.

smow Blog: Und befinden sie sich mit der RWTH auch in einer Konkurrenzsituation?

Helmut Jakobs: Nein, ganz im Gegenteil, die RWTH ist unser wichtigster Kooperationspartner. Die RWTH bildet keine Designer aus, versteht allerdings, was Designer zu ihren Disziplinen beitragen können. Wir haben also zahlreiche Kooperationen, beispielsweise im Bereich Elektromobilität. Hier ist das Forschungscluster in Aachen sehr stark. Mein erklärtes Ziel ist es, viel enger mit der RWTH zusammenzuarbeiten, und das nicht nur in den technischen Disziplinen, sondern auch in Bereichen wie Geisteswissenschaften, Sprachwissenschaften und Kommunikationswissenschaften. Eva Vitting beispielsweise, eine der Professorinnen im Bereich Kommunikationsdesign, ist an einem Forschungsprojekt mit der RWTH beteiligt, das sich mit der Veranschaulichung technisch hochkomplexer Produktionsprozesse befasst. Da geht es um die Frage wie man, wenn Prozesse immer komplexer werden, diese Vorgänge auf klare und präzise Weise im Kontext einer Unternehmensstruktur kommuniziert. Vor allem im Bereich Informationsdesign gibt es einen riesigen Bedarf, und wir sind in der richtigen Position, den abzudecken.

smow Blog: Könnte so eine zunehmende Kooperation am Ende auch zu einer Fusionierung mit der RWTH führen?

Helmut Jakobs: Das ist natürlich ein interessantes Thema! ich denke aber nicht, dass es so weit geht. Allerdings gibt es Überlegungen, sich anzunähern und gemeinsame Organisationsformen zu schaffen. Mit diesen Überlegungen gerät man allerdings schnell an die Grenzen deutscher Organisationsunterscheidungen, insofern sind das momentan tatsächlich nur Überlegungen.

smow Blog: Und noch kurz gegen Ende, welchen Rat würden Sie ihren Absolventen mit auf den Weg geben?

Helmut Jakobs: Für mich ist es am wichtigsten, die Life-Work Balance nie aus den Augen zu verlieren. Die Fähigkeiten, die einem zur Verfügung stehen, erschöpfen sich schnell, wenn man selbst erschöpft ist. Wenn man aber eine Life-Work Balance hat, bleibt einem der Blick fürs Wesentliche erhalten – wozu mache ich das, für wen mache ich das, was könnte ich besser machen, etc.. Wenn ich das aus dem Blick verliere, gerate ich in einen energetischen Zustand, in dem ich weder für mich selbst, die Auftraggeber, noch die Welt etwas nützliches entwerfen kann. Insofern ist diese Life-Work Balance für mich der wichtigste Punkt. In fachlicher Hinsicht sollte man sich eine unglaubliche Neugier erhalten. Und um die zu haben, darf man nicht zurückschrecken vor der medialen Überflutung und vor Fake News, sondern muss ein gutes Gespür dafür entwickeln was wichtig, falsch, wahr und gelogen ist. Weil man mit Fakes keine Haltung finden kann.

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