New Urban Production @ HALLE 14, Zentrum für zeitgenössische Kunst, Leipzig

Es gab einmal eine Zeit, da wurde fast alles vor Ort produziert. Jede Gemeinschaft hatte ihr Netzwerk von Produzenten, die gleichzeitig auch Wissen über Prozesse, Materialien, lokale Gegebenheiten usw. anhäuften. Seit einiger Zeit ist die Produktion jedoch abseits gelegen. Waren werden in anonymen Fabriken produziert, über Kontinente und durch zahllose Zwischenstationen transportiert. Damit ist nicht nur die Verbindung zwischen Produzent und Kunde unterbrochen, immer weniger Menschen verstehen zudem nicht mehr, wie Dinge produziert werden. Aber ließe sich trotz kultureller, sozialer und ökologischer Erkenntnisse ein Weg in Richtung Rückkehr zur lokalen Produktion finden? Mit der Ausstellung „New Urban Production“ erkundet die Halle 14 in Leipzig zukünftige Möglichkeiten.

Cow&Co by Ottonie von Roeder Anastasia Eggers, as seen at New Urban Production, Halle 14, Leipzig

Cow&Co von Ottonie von Roeder & Anastasia Eggers, gesehen bei „New Urban Production“, Halle 14, Leipzig

Einer der Faktoren, der die Entwicklung der westlichen Gesellschaft am stärksten beeinflusst hat, ist zweifellos die Industrialisierung: Die erste industrielle Revolution zog zunächst die arme Landbevölkerung in die neuen städtischen Zentren und ihre Fabriken, bevor dann die industrielle Produktion selbst zu einer wesentlichen Bedingung wurde, um die so entstandene neue städtische Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Sie folgte bald einem selbstsüchtigen Zweck und wurde zu groß um zu scheitern. Die zweite industrielle Revolution führte zu einem Bedeutungszuwachs der Industrialisierung, zu immer schneller fortschreitenden Technologien, die einen immer schnelleren Wandel mit sich brachten, und brachten den Industriedesigner als Schlüsselfigur im Mechanismus der Industrie hervor. Zunehmend floss globales Kapital in das System ein, wodurch die globale Gesellschaft immer mehr von der produzierten Masse abhängig wurde. Wo bleibt jedoch heute, da die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung immer schneller voranschreitet, die Industrialisierung? Brauchen wir noch eine industrielle Massenproduktion? Oder könnte eine Kombination von zeitgenössischer Technologie und der Kenntnis sozialer, ökologischer, kultureller und wirtschaftlicher Folgen der globalisierten Massenproduktion bedeuten, dass die wahre dritte industrielle Revolution nach mehr als 250 Jahren, in denen sie zum Scheitern verurteilt war, gerade das Ende der industriellen Massenproduktion bedeuten könnte? Und wenn dies der Fall sein sollte – was sind dann unsere Alternativen?

Kuratiert von der Leipziger Agentur tri:polιs präsentiert „New Urban Production“ Projekte von neun internationalen Studios/Kollektiven, die sich möglichen Antworten nähern und sich nicht nur auf die Produktion, sondern auf die gesamte Verbraucherkette konzentrieren, das heißt von der Produktion über den Konsum bis hin zur postfunktionalen Nutzung des Produzierten und Konsumierten, also der Abfallwirtschaft. Wobei wir am Ende dieser Kette beginnen werden.

The Idea of a tree by mischer'traxler, objects which grow with sunlight, as seen at New Urban Production, Halle 14, Leipzig

„The Idea of a Tree“ von mischer’traxler, Objekte die mit Sonnenlicht wachsen, gesehen bei „New Urban Production“, Halle 14, Leipzig

Eines der augenscheinlichsten Merkmale der industriellen Produktion ist der Abfall. Was nicht heißt, dass frühere Produktions- und Distributionssysteme keinen Abfall erzeugt hätten – es ist nur so, dass wir im Kontext der industriellen Produktion sehr viel mehr Abfall produzieren. Vor allem, weil die industrielle Produktion und deren Verbraucher keine Rolle spielen. Das heißt, die Verbraucher werden sich der Probleme nicht immer bewusst und immer mehr Designstudios suchen nach Lösungen. Die einfachste Lösung besteht darin, weniger zu produzieren und zu verbrauchen, eine Lösung, die eines der grundlegenden Themen von „New Urban Production“ ist. Nur ist da eben auch all das, was wir bereits angesammelt haben. Der Müll, so legt „New Urban Production“ nahe, sollte als Ressource verstanden werden. Das Londoner Studio Swine erreichte erstmals mit seinem Projekt Sea Chair aus dem Jahr 2012 ein internationales Publikum: Sie sammelten Plastikabfälle aus den Ozeanen und stellten daraus Hocker her; beim Folgeprojekt Can City nutzten sie Aluminiumdosen von den Straßen São Paulos für neue Produkte.

Die gegenwärtige Sorge um Kunststoffabfälle ist durchaus gerechtfertigt, Kunststoff ist allerdings nur eines der unzähligen Probleme, die wir uns in unserer Wegwerfkultur durch den Verlust des Eigenwertes der durch die Industrialisierung erzeugten Masse geschaffen haben. Ein weiterer ist Aluminium. Die Aluminiumverhüttung erfordert obszöne Energiemengen, um das Metall von seinen Erzen zu befreien und es für die Produktion verfügbar zu machen. Offensichtlich haben Menschen, die unendlich weiser sind als wir, beschlossen, dieses kostspielige und Ressourcen fressende Aluminium zu nutzen, um Einweg-Wegwerfgegenstände herzustellen. Genial! Das erste, was Can City uns lehrt, ist also, keine Lebensmittel/Getränke aus nicht recycelten Aluminiumdosen zu konsumieren. Das Zweite ist, dass die Verschwendung der industriellen Produktion eine leicht verfügbare Ressource für zukünftige Produktionsstrategien liefern kann. Das ist vielleicht keine neue Lektion, aber eine, die immer dringlicher wird. Und wie Can City sehr poetisch zeigt, handelt es sich um eine Ressource, die wir mit relativ primitiven Methoden nutzen können. In Halle 14 ist Can City mit zwei Aluminiumhockern und anderen Formen, die aus lokal bezogenen Abfallmaterialien hergestellt wurden, vertreten – darunter Palmblätter, Körbe und Ziegel. So wird das Projekt auch zu einem schönen Beispiel und einem starken Argument für die brasilianische Kunst: Gambiarra. Verschwendung ist jedoch nicht nur direkte Folge der Industrie, sie taucht auch viel indirekter auf.

Stools produced by Studio Swine in context of their project Can City, as seen at New Urban Production, Halle 14, Leipzig

Hocker von Studio Swine im Kontext ihres Projektes Can City, gesehen bei „New Urban Production“, Halle 14, Leipzig

Das so genannte Granby-Dreieck ist Teil eines viktorianischen Vorortes von Liverpool, einer Stadt, die der schnelle industrielle Niedergang nach dem Krieg gekennzeichnet hat. Dieser industrielle Niedergang führte zu einem Rückgang des Wohnungsbestands und dazu, dass in den 80er Jahren die ursprünglichen Gebäude in Granby zunehmend abgerissen wurden, um Platz für neue zu schaffen. Eine Gruppe von Granby-Bewohnern leistete Widerstand, daraus entwickelte sich der Granby Community Land Trust, der heute vier Straßen auf gemeinnütziger Basis verwaltet. Zu den Projekten, die im Rahmen der Granby-Renovierungsmaßnahme realisiert wurden, gehört die Granby-Werkstatt für Baukeramik, die bei der Renovierung von Granby-Häusern geborgenen Bauschutt und andere Abfälle als Grundlage für den sogenannten Granby-Felsen nutzte. Dabei handelt es sich um ein terrakottaartiges Material, welches ursprünglich als Kamineinfassung in den renovierten Häusern verwendet werden sollte, aber schnell auch für andere Zwecke genutzt wurde. Ein sehr schönes Beispiel für Gebäuderecycling also …

Low-cost, low-tech sowie lokale Produktion führen auch zu der ganz offensichtlichen Frage, warum neue Produktionsmethoden entwickelt werden müssen, und ob man nicht einfach zu einer Produktionswirtschaft zurückkehren kann, die auf traditionellem Handwerk basiert? Die kurze Antwort ist, dass die meisten der vorgestellten Projekte genau das tun – verknüpft allerdings mit einem Verständnis für die Natur und die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft, für die Möglichkeiten der zeitgenössischen Technologie, die ökologischen und kulturellen Folgen der industriellen Produktion, und in dem Wissen darum, dass die Art und Weise, wie wir produzieren, untrennbar mit unserem Konsum verbunden ist.

A film explaining the project Granby Workshop, as seen at New Urban Production, Halle 14, Leipzig

Ein Film zum Projekt Granby Workshop, gesehen bei „New Urban Production“, Halle 14, Leipzig

Der zeitgenössische Konsum wird immer digitaler. Du willst etwas – es gibt dafür eine App. Und eine App ist ein wichtiger Bestandteil des Projekts Cow&Co von Ottonie von Roeder und Anastasia Eggers. Cow&Co untersucht den Nahrungsbedarf und die daraus resultierenden Beziehungen zu den verantwortlichen Tieren. Das Projekt schlägt ein Netzwerk von Kühen vor, die in städtischen Räumen stehen. Wenn Sie Milch benötigen, informiert Sie eine App, wo sich Ihre nächste Kuh befindet und wie viel Milch sie zur Verfügung hat. Sie gehen zur Kuh, bestellen und bezahlen Ihre Milch über die App, während eine Roboter-Melkmaschine Ihre Milch sammelt und abfüllt. Die gesamte notwendige Energie wird durch das von der Kuh produzierte Methan bereitgestellt, das in einem Wetterballon gespeichert wird. Ganz offensichtlich handelt es sich bei Kühen, die in städtischen Räumen stehen und Milch über eine App verkaufen, um eine absurde Idee. Aber ist es nicht genauso absurd, wenn Bauern die Milch für weniger als die Produktionskosten verkaufen, sodass man billige Milch in einem Supermarkt kaufen kann? Ganz zu schweigen vom globalen Handel mit Milch? So exportierte die EU im Jahr 2017 781.000 Tonnen Magermilchpulver und 394.000 Tonnen Vollmilchpulver in Drittländer.* Das sind eine Million Tonnen Milchpulver.

Line 011 Creative Factory/ UnPacking by Itay Ohaly, as seen at New Urban Production, Halle 14, Leipzig

Line 011 Creative Factory/ UnPacking von Itay Ohaly, gesehen bei „New Urban Production“, Halle 14, Leipzig

Mit Blick auf das näher rückende Jubiläum des Bauhaus Weimar und den damit verbundenen Überlegungen zur Notwendigkeit neuer Produktionssysteme – Überlegungen die die Gründung der Schule begleitet haben – bietet „New Urban Production“ einen zugänglichen, unterhaltsamen und sehr informativen Überblick über zeitgenössische Positionen. Als Ausstellung legt sich „New Urban Production“ nicht direkt fest, sondern präsentiert die Projekte mit all ihren Vor- und Nachteilen, mit all ihrer Logik und Unwahrscheinlichkeit – als spekulativ, als idealisiert, nicht immer als realisierbar. Eher handelt es sich um Vorschläge für mögliche zukünftige Realitäten. Die Ausstellung stellt die Projekte dabei als Impulse, als Grundlage für einen Diskurs und Dialog über die Zukunft vor.

Obwohl alle Projekte kritische Reflexionen über den gegenwärtigen und zukünftigen Konsum beinhalten, stellt keines den Konsum per se infrage. Vielmehr rücken die Positionen die soziale und ökologische Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund. Und wenn wir das auf offene und ehrliche Weise tun, kommen wir automatisch auf die Frage nach der aktuellen Gültigkeit der globalen Industrieproduktion zurück. Und wenn wir das in Frage stellen, was sind dann unsere Alternativen?

Alle Details sind unter www.halle14.org zu finden.

*. https://ec.europa.eu/agriculture/sites/agriculture/files/market-observatory/milk/pdf/eu-extra-trade_en.pdf PDF!! Accessed 25.09.2018

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