„Isamu Noguchi“ im Museum Ludwig, Köln

„Alles ist Skulptur“, meinte einst Isamu Noguchi.1

Aber ist das auch so?

Die Ausstellung “Isamu Noguchi” im Museum Ludwig in Köln, bietet die Möglichkeit, sich mit Isamu Noguchis Werk und Leben auseinanderzusetzen, und sich so eine eigene Meinung über seine Überzeugung, dass alles Skulptur sei, zu bilden.

Isamu Noguchi, Museum Ludwig, Cologne

„Isamu Noguchi“, Museum Ludwig, Köln

Die Biografie des am 17. November 1904 in Los Angeles, Kalifornien, als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters geborenen Isamu Noguchi2 haben wir bereits mehrfach in diesen Mitteilungen besprochen und verweisen Sie, liebe Lesende, daher auf diese Seite.

So können wir direkt zur Ausstellung “Isamu Noguchi” übergehen. Bei der Koproduktion zwischen dem Museum Ludwig, dem Barbican London, dem Zentrum Paul Klee Bern und dem LaM Lille handelt es sich um eine der ersten großen Noguchi-Retrospektiven in Europa seit fast einer ganzen Generation.

Welche Lücke sich aufgrund dieses Umstandes hinsichtlich des Verständnisses und der Wertschätzung von Noguchi in der Öffentlichkeit auftut, und wie sehr seine Relevanz in der Öffentlichkeit verblasst ist, wird immer deutlicher, je länger man in der Ausstellung “Isamu Noguchi” herum wandert.

“Isamu Noguchi” beginnt in den späten 1920er Jahren, als Noguchi, kurz nachdem er sein Medizinstudium zugunsten der Kunst aufgegeben hatte, ein John-Simon-Guggenheim-Stipendium erhielt. Dieses Stipendium nutzte er, um von New York nach Paris zu ziehen, um dort bei dem rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuși zu studieren. Dieser Plan wurde, glaubt man der populären Version der Geschichte, zunächst vereitelt, weil Brâncuși erklärte, er habe weder Bedarf noch Interesse an einem Lehrling. Mit einer Dreistigkeit, die nur ein Anfang 20-Jähriger aufbringen kann, entgegnete Noguchi jedoch “Sie könnten doch sicher einen Steinmetz gebrauchen?”. Dieses Angebot konnte Brâncuși wiederum nicht ablehnen. Daraufhin arbeitete der junge Noguchi über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten mit einem der wichtigsten und interessantesten europäischen Bildhauer des frühen 20. Jahrhunderts zusammen, der Noguchis Verständnis und Herangehensweise maßgeblich beeinflussen sollte. Von diesem Einfluss zeugt eine Sammlung von dreidimensionalen und skizzenhaften Abstraktionen aus dem Jahr 1928, die zu Beginn der Ausstellung präsentiert wird, sich aber auch im weiteren Verlauf durch die Ausstellung zieht.

Works created by Isamu Noguchi in Paris, 1928, as seen at Isa­mu Noguchi, Muse­um Lud­wig, Cologne

Arbeiten von Isamu Noguchi in Paris, 1928, zu sehen bei “Isamu Noguch”i, Museum Ludwig, Köln

Die Ausstellung folgt Noguchi auf seiner Weiterreise von Paris nach Japan und China – weitere wichtige Impulse für die persönliche und berufliche Entwicklung des jungen Bildhauers, bevor sie dann zu zwei der zentralen Themen in Noguchis Werk und Leben übergeht: Gesellschaft und Aktivismus.

Noguchis Aktivismus begann, wie die Ausstellung erläutert, in den 1930er Jahren mit Projekten wie dem nicht realisierten “Monument to the Plow” von 1933. Dabei handelte es sich um einen monolithischen Erdhügel, der als Kommentar zum sogenannten Agricultural Adjustment Act, auf deutsch Landwirtschaftliches Anpassungsgesetz, gedacht war. Dieses Landwirtschaftliche Anpassungsgesetz war Teil der Reaktion der US-Bundesregierung auf die sich entwickelnde Große Depression und sah Erntebeschränkungen vor. Gleichzeitig reflektierte Noguchis Arbeit die Beziehungen zwischen den Menschen, Nationen und ihrem Boden.

Das ebenfalls nicht realisierte Werk “Carl Mackley Hosiery Workers‘ Memorial” von 1933 sollte an Carl Mackley erinnern, der während eines Streiks bei der H.C. Aberle and Company in Philadelphia von einem streikfeindlichen Kollegen ermordet wurde. Dieses Werk kann auch als Mahnmal für alle Opfer von Arbeiterrechtsbewegungen betrachtet werden und nimmt in vielerlei Hinsicht Aspekte der Pop-Art-Skulptur vorweg. Das realisierte, aber in der Ausstellung leider nur als Foto3 vertretene Werk “Death (Lynched Figure)” aus dem Jahr 1934 zeigt eine verdrehte, verzerrte, an einem Galgen hängende schwarze Figur. Ein Werk, das Noguchi als Reaktion auf die Verbrennung und den Lynchmord des Schwarzen George Hughes durch einen weißen Mob 1930 in Sherman, Texas, geschaffen hatte, und das 1935 in den Ausstellungen “An Art Commentary of Lynching” und “Struggle for Negro Rights” gezeigt wurde, die beide Teil einer Bewegung waren, die damals in den USA die amerikanische Polizei gesetzlich dazu verpflichten wollte, aktiv einzugreifen, um Lynchmorde zu verhindern.

Noguchis sozialer Aktivismus sollte sich, wie die Ausstellung weiter verdeutlicht, nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend mit differenzierteren Überlegungen zum Wesen und zur Struktur der Gesellschaft auseinandersetzen.

Props for Erick Hawkins' 1945 production John Brown (God's Angry Man), and a granite bench, by Isamu Noguchi, as seen at Isa­mu Noguchi, Muse­um Lud­wig, Cologne

Requisiten für Erick Hawkins‘ 1945 entstandene Produktion “John Brown (God’s Angry Man)” und eine Granitbank von Isamu Noguchi, zu sehen in “Isamu Noguchi”, Museum Ludwig, Köln

Noguchi war Zeit seines Lebens stark von seiner amerikanisch-japanischen Biografie beeinflusst und geprägt. Als Kind verbrachte er viel Zeit in beiden Ländern, fühlte sich zu beiden hingezogen, wusste jedoch nicht, wo und wie er in beide Länder hineinpassen sollte. Wie er es einmal formulierte, besaß er „ein quälendes Gefühl der Unwirklichkeit, der Nicht-Zugehörigkeit, das [ihn] immer beunruhigt hat“4. Und dann standen die beiden Teile seines Wesens plötzlich im Krieg voreinander.

Dieser Krieg veranlasste Noguchi dazu, offener und ehrlicher als je zuvor über die beiden Teile seiner Biografie zu reflektieren und darüber, was es bedeutet, Japaner in Amerika zu sein – insbesondere, was bedeutet, ein Nisei, ein japanischer Migrant der zweiten Generation in Amerika zu sein. Dass Noguchi das Gefühl hatte während des Krieges5, in seinen späten 30er zu einem solchen Migranten geworden zu sein, bestätigt ein in der Ausstellung präsentierter Text aus dem Jahr 1942. Nach dem Abwurf der Atombomben auf Japan durch die USA erhielten diese Überlegungen einen ganz neuen Kontext und eine ganz neue Bedeutung. In der Ausstellung werden diese Ereignisse durch zwei nicht realisierte Denkmäler für Hiroshima festgehalten, die Noguchi in den frühen 1950er Jahren entwickelt hat. Dabei handelt es sich nur um zwei von Noguchis zahlreichen Reaktionen auf die Ereignisse im August 1945, die sowohl in Noguchis Werk als auch in der Ausstellung “Isamu Noguchi” zu finden sind.

Den Krieg erlebte Noguchi teilweise in einem Internierungslager für japanische Amerikaner in Poston am Rande der Wüste von Arizona. Es handelte es sich aber um eine freiwillige Internierung Noguchis, die er aus Solidarität, aber auch in der Absicht unternahm, zur Verbesserung des Lagerlebens für die dort lebenden Japan-Amerikaner beizutragen. Er gab beispielsweise Kunstunterricht oder entwickelte ein umfassendes (städte)planerisches Konzept, das, wie in der Ausstellung zu sehen ist, neben medizinischen, gastronomischen und sportlichen Einrichtungen auch ein Theater, einen Zoo und einen botanischen Garten vorsah. Ein Plan, der – vielleicht wenig überraschend – nie verwirklicht wurde. Im Allgemeinen verlief Noguchis Aufenthalt in Poston nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Man gewinnt den Eindruck, dass dieser Ort für Noguchi zu einem Ort der physischen und psychischen Folter wurde, bevor er im November 1942 abreisen und nach New York zurückkehren durfte.

Allerdings war er nicht mehr derselbe Noguchi, der ein halbes Jahr zuvor von New York nach Poston gegangen war.

The works (r to l) Spider dress for Martha Graham, Lunar Infant & Untitled by Isamu Noguchi, as seen at Isa­mu Noguchi, Muse­um Lud­wig, Cologne

Die Werke (v.r.n.l.) “Spider Dress for Martha Graham”, “Lunar Infant” & “Untitled” von Isamu Noguchi, zu sehen in Isamu Noguchi, Museum Ludwig, Köln

Wie Noguchi später bemerkte, entfachte seine Zeit in Poston in ihm eine „nie endende Sehnsucht nach einer helleren Welt“.6 Diese Sehnsucht drückte sich in Noguchis Sichtweise auf die Gesellschaft und die Welt aus, als Sehnsucht nach einer metaphysischen, helleren Welt, die ein wichtiger Impuls in seinem Leben und Werk blieb. Aber auch physisch manifestierte sich diese Sehnsucht: Sie führte zu jenen Werken, für die Noguchi heute am meisten bekannt ist, den Akari-Lampen. Werke, die erfreulicherweise kaum in der Ausstellung vorkommen – wir haben nur 4 gezählt. Erfreulich ist dieser Umstand deshalb, weil die Akari-Leuchten, wenn man so will, dazu neigen, den Rest von Noguchis Werk in ihren Schatten zu stellen. Was, wie die Ausstellung gekonnt demonstriert, nicht nur ungerecht ist, sondern uns auch viele andere Genüsse vorenthält. Doch während die Akari-Lampen selbst (fast) nicht zu sehen sind, kann der Weg, die Reise zu der „Skulptur mit kontrollierbarem Licht“7, die Noguchi in Poston zu schaffen wollte, in der Ausstellung anhand von Werken wie “Lunar Infant” und “Lunar Landscape” aus dem Jahr 1944 oder dem fröhlichen “Monument to Heroes” von 1943 verfolgt werden. Bei letzterem handelt es sich um ein Werk aus Knochen und Holzsplittern, die einen dunklen Tunnel durchstoßen, um das Licht zu enthüllen. Ein Werk von gleichzeitiger Schönheit und Gewalt, Harmonie und Disharmonie, Verzweiflung und Hoffnung, das glücklicherweise in der Ausstellung zu sehen ist.

Dieses “Monument to Heroes” ist nur eines von mehreren Werken im Werk Noguchis und in der Ausstellung, die einen Großteil ihrer Entstehung und ihres Ausdrucks, ihrer Stimme und ihres Wesens, Noguchis Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs verdanken. Zu diesen Werken zählen unter anderem “My Arizona”, “Double Red Mountains” oder, unter den eher grafischen Werken in der Ausstellung,“This Tortured Earth”. Diese Werk arbeitet mit den physischen Schäden, die der Krieg dem Planeten Erde zufügt, und setzt sie als Mittel zur Mahnung gegen den Krieg ein. In gewisser Hinsicht kann das Projekt als eine Variante der Readymades der Surrealisten betrachtet werden und ist sicherlich ein früher Ausdruck der Land Art/Earth Art. Allerdings ging “This Tortured Earth” nie über das 1942/43 entstandene Bronzeobjekt hinausging, das im Museum Ludwig zu sehen ist.

Zumindest hat Noguchi es nicht weiterverfolgt, aber in den acht Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, wurde diese gequälte Erde durch unzählige und unerträgliche Kriege auf unserem Planeten neu erschaffen, Kriege, die unseren Planeten weiterhin physisch, emotional, kulturell und sozial geschädigt haben, denn wenn wir unsere Erde verletzen, verletzen wir uns dann nicht selbst? Und das nicht nur durch Kriege, sondern auch durch Abholzung, industrielle Landwirtschaft, Erzabbau, Mikroplastik und die unzähligen anderen Methoden, mit denen wir die Erde gequält haben und noch weiter quälen werden.

Eine Arbeit, eine Position also, die nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat.

Diese zeitgenössische Relevanz findet man überall in der Ausstellung und in den Werken und Positionen Noguchis.

Damit erinnert die Ausstellung an die zeitgenössische Relevanz von Noguchi und füllt die Lücke, die im populären Verständnis von Noguchi klafft. Sie trägt dazu Noguchi Beitrag zur Kunst, zur Entwicklung der Kunst und der künstlerischen Praxis im allgemeinen Verständnis zu ergänzen und erinnert daran, dass die Bildhauerei zu Beginn von Noguchis Karriere ein relativ eng definiertes Genre war, das er zu erweitern half. Diese Erinnerungen und das Auffüllen von Lücken sind nur einige der vielen Freuden der Ausstellung “Isamu Noguchi”.

Monument to Heroes by Isamu Noguchi alongside examples of some of his political 1930s works, as seen at Isa­mu Noguchi, Muse­um Lud­wig, Cologne

“Monument to Heroes” von Isamu Noguchi neben Beispielen einiger seiner politischen Werke aus den 1930er Jahren, zu sehen in “Isamu Noguchi”, Museum Ludwig, Köln

Die Ausstellung “Isamu Noguchi” präsentiert rund 150 Werke aus den sechs Jahrzehnten von Noguchis Schaffen und bietet eine sehr zugängliche, gut strukturierte Einführung in das Leben und Werk Noguchis.

Trotz der notwendigen Kürze bietet “Isamu Noguchi” einen Zugang zu den vielfältigen und unterschiedlichen Aspekten von Noguchis Leben und Werk, einschließlich der vielen persönlichen und beruflichen Beziehungen, die sein Werk beeinflussten. Dazu gehören zum Beispiel seine große Freundschaft mit Richard „Bucky“ Buckminster Fuller, die Noguchi neben den zukunftsweisenden Impulsen und der Offenheit für neue Technologien und Materialien auch mit Charles & Ray Eames und George Nelson verbindet, für den Noguchi möglicherweise die Ball Clock entworfen hat. Die Ausstellung ermöglicht es, die Bedeutung der vielen kreativen Bewegungen besser zu verstehen, mit denen Noguchi in Verbindung stand und mit denen er experimentierte, einschließlich des Surrealismus. Dabei handelt es sich um eine Verbindung, die zum Beispiel durch den Schachtisch hervorgehoben wird, den Noguchi für Marcel Duchamp und Max Ernsts New Yorker Ausstellung “The Imagery of Chess” 1944/45 schuf. Obwohl Noguchi eine Vielzahl von Materialien verwendete, war er bei der Wahl der Materialien immer sehr spezifisch, denn er bemerkte einmal, dass er „der Idee verhaftet war, dass den Materialien eine intrinsische Qualität innewohnt“8. Die Ausstellung zeigt, dass die Arbeit mit und die Entdeckung dieser Qualität ein wichtiges Element von Noguchis Kunst ist. Die Ausstellung ermöglicht es außerdem, die Ruhe von Noguchis Werk besser schätzen zu lernen: selbst in seinen heftigsten Momenten gibt es keine Eile, keine Raserei, es wird keine physische oder emotionale Kraft ausgeübt oder gefordert, vielmehr ist man einer Befragung ausgesetzt, einer geduldigen, ruhigen, wenn auch eindringlichen Befragung. Darüber hinaus lernt man die Bedeutung seiner zahlreichen szenografischen Aufträge für die Entwicklung seiner Kunst besser einzuschätzen. Die Entwicklung seines Verständnisses von Zeit, Raum, Beziehungen, Maßstäben, Bewegung, von skulpturalen Interaktionen und Skulptur als Interaktion wird nachvollziehbar. Durch seine Requisiten für Martha Grahams Hérodiade (Spiegel vor mir) von 1944 hat er uns zudem einen Stuhl hinterlassen, bei dem es sich ohne Frage um das große verlorene Noguchi-Möbeldesign handelt.

In seiner Vielfältigkeit und seinem Umfang erlaubt die Ausstellung auch, besser zu verstehen, dass für Noguchi die Skulptur nicht passiv war, nichts, das man anschaut, sondern etwas, das man mit dem Geist und dem Körper als Einheit erlebt. Es wird außerdem anhand der vielen ineinandergreifenden Skulpturen, die den Hauptausstellungsraum dominieren, deutlich, dass Noguchis Kanon nicht aus autonomen Komponenten besteht und keine ungebrochenen geraden Linien aufweist. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenfügen und Assoziieren von Teilen, die zwar leicht einzeln identifiziert und skizziert werden können, aber alle voneinander abhängig sind, alle aufeinander verweisen und sich gegenseitig unterstützen.

Play Sculpture by Isamu Noguchi, and on which you can play. Or Sit. As seen at Isa­mu Noguchi, Muse­um Lud­wig, Cologne

“Play Sculpture” von Isamu Noguchi, zu sehen bei “Isamu Noguchi”, Museum Ludwig, Köln

Eines der ersten Objekte, denen man bei Isamu Noguchi begegnet – und wir glauben, dass das Wort „begegnen“ in diesem Zusammenhang richtig ist -, ist ein skulpturales Selbstporträt von 1933, ein köstlich zurückhaltendes und humorvolles Werk ohne jede Anmaßung oder Selbstverliebtheit, abgesehen vielleicht von einem kleinen, gut begründeten Stolz auf seine Geschmeidigkeit, und ein Selbstporträt, das zu einer Präsentation von Büsten überleitet, einer frühen Einnahmequelle für den jungen Noguchi, als er versuchte, sich im New York der 1920er und 30er Jahre zu etablieren. Diese Einnahmequelle begann Noguchi zu verachten. Diese Verachtung führt er wiederum oft als Motivation für die Entwicklung von Werken der frühen 1930er Jahre wie dem bereits erwähnten “Play Mountain” und “Monument to the Plow” an. Aus dieser Infragestellung folgte eine Infragestellung der Skulptur; und Büsten von Persönlichkeiten wie Onkel Takagi, dem Maler José Clemente Orozco oder der Journalistin Suzanne Ziegler, die sehr frech und sehr zufriedenstellend durch Noguchis “Radio Nurse” von 1937 erweitert werden. Dabei handelt es sich um eines der ersten kommerziellen Babyphones und um ein sehr schönes Beispiel für die Vorteile von Bakelit. Außerdem ist “Radio Nurse” ein Objekt, das unübersehbare Hinweise auf den Einfluss eines Constantin Brâncuși enthält, ein quasi-surrealistisches Objekt, das je nach Sichtweise an eine Kendo-Maske oder einen zarten, mit einem Nonnenschleier geschmückten Menschenkopf erinnert – eines der frühesten Produktdesigns von Noguchi.

Produktdesign ist ein Zweig, der in Isamu Noguchis gesamten Werk vertreten ist. Die selbstverständliche, unhinterfragte Omnipräsenz in des Produktdesigns in seinen Werken trägt dazu bei, uns alle daran zu erinnern, dass Noguchi zwar, zumindest im europäischen Kontext, heute vor allem als Produktdesigner bekannt ist. Dieses Verständnis von Noguchi, hängt, wie wir meinen würden, sehr stark mit dem Mangel an großen Noguchi-Retrospektiven in den letzten Jahrzehnten zusammen und hat dazu geführt, dass die Pflege des populären Noguchi-Erbes sehr stark in den Händen von Möbelherstellern liegt. Für Noguchi war die Trennung zwischen den verschiedenen Aspekten seines Oeuvres jedoch nie so deutlich. Denn obwohl er sich der unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Aspekte seines Werks sehr bewusst war, waren sie für ihn doch alle miteinander verbunden, alle voneinander abhängig, aufeinander bezogen. All diese Aspekte waren Teil eines konstituierenden Ganzen, außerhalb dessen sie ihre Bedeutung verlieren. Für Noguchi hingegen war alles Skulptur: „Jedes Material, jede Idee, die ungehindert in den Raum geboren wird, betrachte ich als Skulptur“.9

Oder, um das Zitat zu erweitern, mit dem wir diesen Beitrag eröffnet haben, für Noguchi ist „deine Umgebung deine Skulptur, deine Welt. Es ist die Welt, und die Welt wird dann zur Skulptur. Alles ist also eine Skulptur. Ich glaube, ich bin größenwahnsinnig. „10

Aber ist alles Skulptur?

Oder ist das nur Noguchis Ansicht, das Ergebnis von Noguchis persönlichem und beruflichem Weg, eine Schlussfolgerung, die aufgrund von Noguchis einzigartigen persönlichen und beruflichen Erkundungen, Überlegungen und Fragestellungen gezogen wurde? Die Ansicht eines Künstlers?

Und wenn ja, wer ist dann der Bildhauer?11

Und was würde das bedeuten…….?

Durch die klare und verständliche Darstellung von Noguchis Werk, die einfache Einführung zu einem der interessantesten Kreativen des 20. Jahrhunderts, durch die Einblicke in Noguchis Infragestellung der Definition von Skulptur und die Erläuterung der anhaltenden Relevanz von Noguchi ist die Ausstellung ein ausgezeichneter Ort, um damit zu beginnen, über die theoretischen und praktischen Antworten auf solche Fragen nachzudenken und um besser zu verstehen, warum solche Antworten wichtig sind…….

Isamu Noguchi ist noch bis Sonntag, 31. Juli, im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln zu sehen.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.museum-ludwig.de/isamu-noguchi

Und wie immer in diesen Zeiten sollten Sie sich, wenn Sie den Besuch einer Ausstellung planen, im Voraus mit den aktuellen Regeln und Systemen in Bezug auf Eintrittskarten, Eintritt, Sicherheit, Hygiene, Garderobe usw. vertraut machen. Bleiben Sie während Ihres Besuchs bitte sicher, verantwortungsbewusst und vor allem neugierig…….

Nach der Ausstellung in Köln wird Isamu Noguchi ins Zen­trum Paul Klee Bern und anschliessend ins LaM – Lille Métropole Musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut weiterziehen. Und hoffentlich noch viele weitere Ziele.

Und für alle, die mehr entdecken wollen, und da gibt es viel zu entdecken, sind das online Noguchi Archiv und der Online-Noguchi Catalogue Raisonné einen Besuch wert. Und hervorragende Beispiele dafür, was ein Künstlerarchiv im 21. Jahrhundert sein kann.

1.Isamu Noguchi hat sich mehr als einmal so geäußert, und zwar sowohl in der Gegenwarts- als auch in der Vergangenheitsform, „ist“ und „war“. Wir beziehen uns hier auf Paul Cummings, Artists in their own words: Interviews by Paul Cummings, St. Martin’s Press, New York, 1979, Seite 118, die eine geschliffene Version eines viel längeren Interviews mit Noguchi ist, das in seiner ungeschliffenen Form unter https://www.aaa.si.edu/collections/interviews/oral-history-interview-isamu-noguchi-11906#transcript zu finden ist (Zugriff am 11.04.2022)

2.Eine Ausstellung zu besprechen, deren Titel nur aus dem Namen des Protagonisten besteht, ist immer mit eigenen Herausforderungen und Problemen der Lesbarkeit verbunden. Wir wünschten, die Museen würden das nicht tun. Und so verwenden wir für Isamu Noguchi, den Menschen, „Noguchi“, für Isamu Noguchi, die Ausstellung, „Isamu Noguchi“.

3.Wie eine Notiz in der Ausstellung erklärt, wird Death (Lynched Figure) derzeit im Rahmen von A Site of Struggle gezeigt: Amerikanische Kunst gegen antischwarze Gewalt im Block Museum, Northwestern University, Evanston, Illinois.

4.Isamu Noguchi, Ich wurde ein Nisei, unveröffentlicht, 1942. Verfügbar in Isamu Noguchi oder online unter https://archive.noguchi.org/Detail/archival/50830 (Zugriff am 11.04.2022)

5.siehe ebd.

6. samu Noguchi, Akari, Geijutsu shinchō, 5, August 1954, zitiert in Masayo Duus, The life of Isamu Noguchi: Eine Reise ohne Grenzen, Princeton University Press, Princeton, 2004

7.ebd.

8.Paul Cummings, Künstler in ihren eigenen Worten: Interviews by Paul Cummings, St. Martin’s Press, New York, 1979, Seite 110, und das ist eine geschliffene Version eines viel längeren Interviews mit Noguchi, das in seiner ungeschliffenen Form unter https://www.aaa.si.edu/collections/interviews/oral-history-interview-isamu-noguchi-11906#transcript zu finden ist (Zugriff am 11.04.2022)

9.Isamu Noguchi, A sculptor’s world, Harper & Row, New York, 1968

10.Paul Cummings, Artists in their own words: Interviews by Paul Cummings, St. Martin’s Press, New York, 1979, Seite 118, die eine polierte Version eines viel längeren Interviews mit Noguchi ist, das in seiner ungeschliffenen Form unter https://www.aaa.si.edu/collections/interviews/oral-history-interview-isamu-noguchi-11906#transcript zu finden ist (Zugriff am 11.04.2022)

11.Die Behauptung, „alles ist Skulptur“, lässt ganz natürlich an einen Joseph Beuys und seine Soziale Plastik denken. Erst recht, wenn man sich in einem Museum in Beuys‘ Heimat Rheinland befindet. Aber diese Überlegungen zu Noguchi und Beuys überlassen wir Ihnen allen selbst…….

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