MAD Brussels – Graduation Show 2022

Aus Zeitgründen konnten wir im vergangenen Sommer leider keine der Abschlussausstellungen der belgischen Designschulen besuchen. Die Plattform MAD Brüssel hat es allerdings geschafft, einen Blick darauf zu werfen.

Zumindest hat MAD einen Blick auf die Brüsseler Designschulen geworfen und aus den unzähligen ausgestellten Abschlussarbeiten ihre Top Ten ausgewählt. Anschließend wurden die ausgewählten Projekte in der Schaufensterausstellung Graduation Show 2022 in der MAD-Zentrale präsentiert.

Natürlich handelt es sich dabei um eine sehr subjektive Auswahl. Aber ist das letztendlich nicht jede Auswahl?

Dazu gehören auch unsere Favoriten von MAD Brüssel…

Graduation Show 2022, MAD Brussels

Graduation Show 2022, MAD Brussels

Die 2010 von der Stadt und Region Brüssel gegründete Plattform MAD Brüssel, auch MAD, Home of Creators genannt, ist eine Plattform zur Unterstützung, Förderung und Weiterentwicklung von Kreativen aller Couleur in der Region Brüssel. Diese Förderung erfolgt unter anderem über ein Creative in Residence-Programm, das den ausgewählten Teilnehmern Raum und Mentoring bietet und Kreativen bei der Gründung ihres Unternehmens hilft, sowie durch die Veranstaltung von Ausstellungen, sowohl extern als auch in der Brüsseler Zentrale.

Eine solche Ausstellung ist auch die Graduation Show 2022.

Die Ausstellung ist inzwischen zu Ende, wir haben es aber gerade noch rechtzeitig nach Belgien geschafft. Bilder aller zehn ausgewählten Projekte und Links zu den jeweiligen DesignerInnen finden Sie unter https://mad.brussels.

Im Folgenden finden Sie unsere vier ausgewählten Highlights…

Graduation Show 2022, MAD Brussels

Graduation Show 2022, MAD Brussels

Louise Richard: MultiFelt – Histoire de pulls

Projekte, die sich mit der Wiederverwendung und dem Recycling von Alttextilien befassen, sind nichts Neues – schon gar nicht im Rahmen von Schüler- und Studentenprojekten. Die Anzahl der möglichen Lösungsansätze für ein Problem, das immer bestehen wird (egal wie sehr wir unseren Verbrauch reduzieren und auf Reparaturen setzen) führt jedoch dazu, dass es eine nahezu unbegrenzte Menge solcher Projekte gibt. In vielerlei Hinsicht gilt: Je mehr, desto besser, denn selbst diejenigen, die auf der Strecke bleiben, können immer noch einen sinnvollen Beitrag zu einem sehr notwendigen Diskurs leisten. Man sollte deshalb nie müde werden, sich mit studentischen Projekten zum Recycling und zur Wiederverwendung von Textilien zu beschäftigen.

Für ihr Abschlussprojekt an der Académie royale des Beaux-Arts de Bruxelles – École supérieure des Arts de la Ville de Bruxelles, kurz ARBA-ESA, hat Louise Richard ein Verfahren entwickelt, mit dem Pullover, die zu stark beschädigt sind, um wiederverwendet oder repariert zu werden, mit regionaler Schurwolle  gekämmt werden. So entsteht der MultiFilz des Projekttitels, der in der Folge für all jene Situationen verwendet werden kann, in denen man Filz einsetzt. 

Unter den zahlreichen Aspekten des Projekts, die unsere Aufmerksamkeit erregten, gefiel uns besonders, dass lokale Wolle verwendet wird. Es handelt sich also um ein regionales Produkt und nicht um ein Produkt der globalen Industrie. Diese Wolle ist in vielerlei Hinsicht ein Nebenprodukt von Schafen aus der  Region, die in erster Linie eine Reihe anderer Zwecke erfüllen. Die mit diesen Schafen verbundene Rückkehr zu mehr kleinbäuerlicher, lokaler Landwirtschaft ist aus ökologischer Sicht auch sehr zu begrüßen.

Es geht uns nicht darum, den Jugendstil zu reanimieren und eine Rückkehr zu vermeintlich einfacheren Zeiten einzufordern. Das ist nicht möglich. Aber durch die Entwicklung eines neuartigen Materials, genauer gesagt eines neuartigen Prozesses zur Herstellung eines bestehenden Materials, ermöglicht Louise Richard einerseits eine sinnvolle Verwetung von ausgedienten Pullovern, einer Ressource, die nicht so bald versiegen wird, und öffnet zum anderen einen Markt für lokale Wolle. Sie fördert damit die kleine, lokale Schafhaltung und Perspektiven für Kleinbauern an den Stadträndern. Eine Stärkung der lokalen Wirtschaft an den Stadträndern ist sowohl für diese Gemeinden als auch für die Städte gut. Anders ausgedrückt: MultiFelt verkörpert das Argument, dass jede zukunftsorientierte Strategie zur Überwindung unserer gegenwärtigen ökologischen Malaise auf kostengünstiger, technologiefreier und lokaler Produktion beruhen muss. Was wir aber brauchen, sind geeignete und sinnvolle neue Materialien und Verfahren.

Das Projekt MultiFelt erinnert damit auch sehr gut daran, dass es beim Textildesign nicht (nur) um schöne künstlerische Muster geht.

Weitere Details zu Louise Richard und MultiFelt – Histoire de pulls finden Sie unter: https://louiserichard.net

MultiFelt - Histoire de pulls by Louise Richard, as seen at Graduation Show 2022, MAD Brussels

MultiFelt – Histoire de pulls von Louise Richard, gesehen bei Graduation Show 2022, MAD Brussels

Maxime Trassebot: Connect

Um es gleich vorwegzunehmen: Als wir Connect, das Abschlussprojekt von Maxime Trassebot bei ENSAV LaCambre, gesehen haben, wussten wir nichts über Maxime Trassebot. Unsere Entscheidung, sein Projekt in unsere Liste aufzunehmen, wurde, wie bei allen anderen, während unseres Besuchs im MAD Brussels-Hauptquartier gefällt. Erst zurück im smow Blog-Büro, als wir diesen Beitrag abtippen wollten, haben wir festgestellt, dass Maxime Trassebot bei Ateliers J&J arbeitet.  Ateliers J&J ist ein Unternehmen, das, wie ältere Leser wissen, auf diesem Blog einen besonderen Status genießt: Es handelt sich nämlich dabei um eine unserer Lieblingsplattformen aller Zeiten. Hier ist also keine Bevorzugung oder Voreingenommenheit im Spiel. Das Projekt Connect hat uns aufgrund seiner eigenen Verdienste und Argumente überzeugt. 

Vor einigen Jahren konnte man sich auf Möbelmessen, wenn es um die Aufbewahrung von Kleidung ging, nicht bewegen. Hängende, aus ineinandergreifenden Holzstäben konstruierte Produkte, die von unzähligen volkstümlichen Systemen inspiriert und geprägt waren, versperrten einen den Weg. Solche Produkte wurden immer mit dem Nomadentum in Verbindung gebracht. Connect ist in vielerlei Hinsicht ebenfalls von diesen volkstümlichen, ineinander greifenden Holzstäben inspiriert, in Form von belgischen, ineinander greifenden Metallstäben aber neu konzipiert. Diese Neuinterpretation verleiht dem System nicht nur eine eigene Ästhetik, sondern erweitert auch die Möglichkeiten des Systems.

Wichtig ist vor allem, dass es sich um ein System und nicht um ein Produkt handelt. Dieses System basiert auf einer Reihe von Verbindungsmechanismen, die in die Rohre gelasert wurden.  Wir durften sie leider nicht selbst ausprobieren. Laut Maxime ermöglichen sie jedoch den einfachen Zusammenbau, die Demontage und den Wiederzusammenbau von stabilen, dauerhaften Objekten, und das, ohne dass Schrauben, Werkzeuge oder irgendwelche Fertigkeiten benötigt werden.

Und obwohl wir zugegebenermaßen nicht den gesamten Umfang des Connect-Systems kennen und uns immer noch fragen, ob man den Verbindungsmechanismus nicht noch ein wenig verfeinern könnte, um den Prozess geringfügig zu optimieren und die Anzahl der Komponenten zu reduzieren, ist es ein System, von dem wir uns vorstellen können, dass es in einer Vielzahl von Kontexten hervorragend funktioniert. 

Weitere Informationen über Maxime Trassebot finden Sie unter https://linkedin.com/maximetrassebot und unter www.instagram.com/maxime.trsbt

Connect by Maxime Trassebot, as seen at Graduation Show 2022, MAD Brussels

Connect by Maxime Trassebot, as seen at Graduation Show 2022, MAD Brussels

Blandine Kosongonda: Heal

Ja, so klingt es, wenn wir ein Modedesignprojekt loben. Das tun wir nicht häufig, vor allem, weil Modedesignprojekte, egal ob von Studenten oder etablierten Profis, dazu neigen, entweder selbstverliebt zu sein oder keine Relevanz zu haben, die über ein Statement hinausgeht. Oder sie sind so überkonzeptioniert, dass man sie nicht mehr lesen kann und damit eher Kunst als Design. 

Heal von der Saint-Luc-Bruxelles-Absolventin Blandine Kosongonda ist sehr designorientiert. Die Arbeit hat einen Aspekt, der uns besonders gut gefallen hat und den regelmäßige Leser vielleicht schon kennen…… Es geht um die Modularität.

Blandine Kosongonda hat die modulare Kleidung nicht erfunden, es gibt sie schon. Das Thema spielt allerdings keine große Rolle, sollte aber, wie Heal behauptet, sehr viel mehr Relevanz haben. Diesem Anliegen hat sich Heal verschrieben.

Denn besteht der Weg zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit unserer Kleidung, nachdem uns jahrzehntelang gesagt wurde, dass wir dieses Oberteil mit dieser Hose, diese Schuhe mit jenem Hut oder diese Jacke mit diesem Liebhaber kombinieren sollen, nicht darin, Komponenten zu kaufen, die wir nach Bedarf zusammenfügen, anstatt auf fertige Objekte zu setzen? Eine gesteppte Weste zum Beispiel, für die man nicht nur Arme aus verschiedenen Materialien, Dicken usw., sondern auch zusätzliche Lagen und größere Taschen kaufen kann, und die so ein einziges Kleidungsstück für alle Jahreszeiten und Anlässe ist. Oder ein Frühlingsoberteil, das zu einem Herbstoberteil wird. Eine Sommermütze, die zu einer Wintermütze wird. Ja, Wanderhosen, die zu Shorts werden. Auch wenn die populäre Rezeption dieses Kleidungsstücks, so würden wir argumentieren, Teil des Problems der Akzeptanz von modularer Kleidung ist.

Modulares Bauen ist sinnvoll, weil die Bedürfnisse oft die gleichen sind, aber die Realitäten unterschiedlich sind. Modulare Möbel sind sinnvoll, weil unsere Bedürfnisse die gleichen sind, aber unsere Räume, unsere Lebensstile, unsere Charaktere unterschiedlich sind. Modulare Kleidung ist sinnvoll, weil unsere Bedürfnisse dieselben sind, aber die Jahreszeiten, unsere Lebensstile und unsere Charaktere unterschiedlich sind. Mehr Modularität kann in allen Bereichen zu einer Verringerung der Produktion und des Verbrauchs führen, ohne dass dabei Freude und Zufriedenheit, Interaktion und Individualität verloren gehen.

Und obwohl die Modularität nicht im Mittelpunkt von Heal stand, ging es bei dem Projekt in erster Linie um die Rettung beschädigter Kleidung vor der Mülldeponie und damit wiederum um Überlegungen zur Wiederverwendung, zum Recycling und zur Rettung von Textilien. Diese Überlegungen haben zu einer relativ konzeptionellen Umsetzung geführt. Dazu gehören viele Reißverschlüsse, die sowohl auf die Punk-Attitüde anspielen als auch die Heilung der geretteten Stücke symbolisieren, auf die sich bereits der Titel bezieht. Die Modularität von Blandines Ansatz war für uns der Höhepunkt und die wichtigste Erkenntnis. 

Weitere Details zu Blandine Kosongonda finden Sie unter www.instagram.com/blandine.kosongonda

Heal by Blandine Kosongonda, as seen at Graduation Show 2022, MAD Brussels

Heal von Blandine Kosongonda, gesehen bei Graduation Show 2022, MAD Brussels

Emilien Marée: Tripod

Eine der Freuden beim Betrachten und Konsumieren von Designprojekten im Entwicklungsstadium ist die Regelmäßigkeit, mit der man auf Projekte stößt, die so offensichtlich und einfach sind, dass es schwer vorstellbar ist, dass jemand sie entwickelt haben könnte. 

Tripod von Emilien Marée, Absolvent der CAD – Hochschule für Kunst und Design in Brüssel, ist eine solche einfache Unmöglichkeit.

Im Wesentlichen handelt es sich um einen Fahrradsattel, der abgenommen und als niedriger Hocker verwendet werden kann, und somit eine Sitzlösung für alle, die lange Radtouren unternehmen oder sich einfach abends mit Freunden im Park treffen wollen. Ja, man kann sich auf den Boden setzen; aber der Boden kann nass, kalt, oder nass und kalt sein bzw. werden. Oder er kann steinig sein oder aus Beton. Und das ist mit Sicherheit auf Dauer nicht so bequem wie auf einem niedrigen Hocker zu sitzen. Und es ist auch nicht so praktisch, wenn man kocht, angelt, einen Laptop benutzt, Flöte spielt, eine Reifenpanne repariert, Kaffee und Kuchen teilt, oder was auch immer tut… . 

Obwohl wir zugegebenermaßen nicht sicher sind, wie stabil und haltbar Tripod ist und ob es sich tatsächlich um eine praktikable Lösung handelt, ist Tripod als Vorschlag nicht nur eine sehr schöne Erinnerung daran, dass es nichts gibt, was nicht neu erdacht und überarbeitet werden kann. Außerdem ist es auch eine sehr schöne Referenz auf Stella von Achille & Pier Giacomo Castiglioni, die einen Fahrradsattel in einen Hocker als postmoderne Readymade-Bricolage verwandelten. Emilien Marée wendet hier jedoch eine funktionalistische Perspektive, eine gewissermaßen post-postmoderne Perspektive auf einen postmodernen Vorschlag an und rückt den Castiglioni-Sattel wieder in seinen ursprünglichen Kontext. Nur ist er hier viel besser, viel funktionaler, als er es vorher war. 

Weitere Informationen über Emilien Marée finden Sie unter

www.instagram.com/emilien_maree and for all Francophones there is a brief chat with Emilien from 2020 on BXFM 104.3 Bruxelles – The sound of Europe, which is a big boast, and one we hope BXFM 104.3 Bruxelles can live up to…. https://soundcloud.com/uptown-design-tour-emilien-maree

Tripod by Emilien Marée, as seen at Graduation Show 2022, MAD Brussels

Tripod von Emilien Marée, gesehen bei Graduation Show 2022, MAD Brussels

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