5 Neue Architektur- und Designausstellungen im September 2023

In den Alpenregionen Europas beginnt im September der sogenannte Almabtrieb, die alljährliche Wanderung der Rinder, Schafe und Ziegen von ihren Hochweiden in die weit, weit unten liegenden Täler.

Diese Wanderung wird unternommen, weil, wie die Rinder, Schafe und Ziegen der Alpen von Natur aus wissen, der September der Monat ist, in dem die weltweite Gemeinschaft der Architektur- und Designmuseen langsam ihre Sommersiesta beendet und beginnt, uns zu ihren Ausstellungsprogrammen für Herbst und Winter einzuladen.

Diese Wanderung scheint sich im September 2023 besonders zu lohnen, denn er ist voller neuer Ausstellungen, die genauso verlockend und ansprechend sind wie die kräuterreichen Weiden einer Alm. Tatsächlich ist die Ernte im September 2023 derart reichhaltig, dass wir sogar zwei Listen hätten schreiben können. Der Redlichkeit halber bleiben wir jedoch bei einer Liste.

Hier sind unsere fünf Gründe, um sich von der frischen Luft und dem grünen, grünen Gras der Hochalmen zu verabschieden und in die Stadt zu begeben. Sie finden diese Ausstellungen in Frankfurt, New York, Kolding, Wien und Malmö…

5 New Architecture & Design Exhibitions for September 2023

„Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ in Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt, Deutschland

Im Zusammenhang mit Architektur und Stadtplanung wird das Wort “Protest” normalerweise mit Kampagnen in Verbindung gebracht , die verhindern sollen, dass etwas gebaut (oder nicht gebaut) wird. Die Ausstellung “Protest/Architekur. Barrikaden, Camps und Sekundenkleber” soll hingegen verdeutlichen, dass Architektur und Stadtplanung auch ein Bestandteil von Protest sein können und sehr oft sogar eine Form des Protests sind.

Die vielversprechende Präsentation spannt einen Bogen von der Bürgerrechtsbewegung in Amerika der 1960er Jahre über die Anti-Atomkraft-/Antikriegsproteste in Europa der 1980er Jahre bis hin zum Arabischen Frühling zu Beginn des 21. Jahrhunderts sowie zu zeitgenössischen Umweltprotesten. Damit legt die Ausstellung ihren Fokus auf die Nachkriegszeit und macht deutlich, dass Massenproteste zwar in den vergangenen Jahrhunderten bekannt waren, aber stark mit dem 20. Jahrhundert, den veränderten Definitionen von Demokratie und den sich wandelnden Machtverhältnissen in der Nachkriegszeit zusammenhängen. Die Ausstellung “Protest/Architektur” wird ihr Thema anhand von Modellen, Filmen und architektonischen Strukturen erforschen. Dazu gehört auch  eine Hängebrücke aus dem Camp und dem Baumkronendorf, das errichtet wurde, um die Rodung des Hambacher Forstes bei Köln im Zusammenhang mit der geplanten Erweiterung des benachbarten Kohletagebaus zu verhindern.

Als räumlich und zeitlich weitgefasste Ausstellung soll “Protest/Architektur” nicht nur einen Überblick zu Architektur als Protest geben, sondern auch Reflexionen über die Funktion von Architektur als Protest sowie über die Möglichkeiten und Grenzen von Architektur als Protest anregen. Es sollen differenzierte Sichtweisen auf  Architektur, Beziehungen zu Architektur und Definitionen von Architektur im 21. Jahrhundert ermöglicht werden, und es soll deutlich werden, wie wir zu unseren heutigen Definitionen gekommen sind.

Und ja, wir sind auch gespannt, wie das Deutsche Architekturmuseum den Sekundenkleber in seine Definition von Architektur einbindet.

„Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ wird im Deutschen Architekturmuseum, Henschelstr. 18, 60314 Frankfurt, am Samstag, den 16. September, eröffnet und ist bis Sonntag, den 14. Januar, zu sehen. Weitere Einzelheiten finden Sie unter https://dam-online.de.

Architect John Wiebenson and helpers construct one of the A-frame houses developed for the 1968 Resurrection City protest camp in Washington D.C., part of Protest/Architecture. Barricades, Camps, Superglue, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Der Architekt John Wiebenson und seine Helfer bauen eines der A-Rahmen-Häuser, die für das Protestcamp Resurrection City 1968 in Washington D.C. entwickelt wurden, Teil der Ausstellung „Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber,“ Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

„Emerging Ecologies. Architecture and the Rise of Environmentalism“ im Museum of Modern Art, New York, New York, USA

Obwohl Architektur und Stadtplanung im Volksmund oft als “gestaltete Umwelt” bezeichnet werden, berücksichtigen sie keineswegs immer die natürliche Umwelt, auf die sie unausweichlich Einfluss haben. Allzu oft ist das Gegenteil der Fall.

Dennoch geschieht es gelegentlich und wahrscheinlich sogar zunehmend, dass Architektur und Stadtplanung auf die Natur rücksicht nehmen.

Mit „Emerging Ecologies“ möchte das Museum of Modern Art (MoMA) in New York  Gelegenheiten erkunden, bei denen die gestaltete Umwelt die natürliche Umwelt reflektiert und berücksichtigt hat. Dies geschieht in einer Präsentation, die in fünf Kapiteln die Themen „Environment as Information,“ „Environmental Enclosures,“ „Multispecies Design,“ „Counterculture Experiments“ und „Green Poetics“ behandelt. Hier werden rund 150 realisierte und nicht realisierte Projekte vorgestellt und diskutiert, die zwischen den 1930er und 1990er Jahren in und für Amerika entwickelt wurden. Die Protagonisten reichen von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Frank Lloyd Wright, Emilio Ambasz, Charles und Ray Eames, Beverly Willis bis hin zu Antfarm.

Diese Präsentation und Strukturierung zielt darauf ab, nicht nur neue Erkenntnisse über die Entwicklung des zeitgenössischen Verständnisses der Beziehungen zwischen der gestalteten und der natürlichen Umwelt zu ermöglichen, sondern auch neue Einblicke in sich verändernde Positionen zur Architektur, zur Praxis der Architektur und zur Rolle und Funktion der Architektur in der amerikanischen Gesellschaft seit den 1930er Jahren zu bieten.

„Emerging Ecologies: Architecture and the Rise of Environmentalism“ wird am Sonntag, den 17. September im Museum of Modern Art, 11 W 53rd St, New York, NY 10019, eröffnet und läuft bis Samstag, den 20. Januar. Weitere Einzelheiten finden Sie unter www.moma.org.

Tsuruhama Rain Forest Pavilion, Osaka, Japan, by Cambridge Seven Associates, part of Emerging Ecologies. Architecture and the Rise of Environmentalism, Museum of Modern Art, MoMA, New York (Image Collection Cambridge Seven Associates, courtesy Museum of Modern Art, New York)

Tsuruhama Rain Forest Pavilion, Osaka, Japan, von Cambridge Seven Associates, Teil von „Emerging Ecologies. Architecture and the Rise of Environmentalism“, Museum of Modern Art, MoMA, New York (Bildsammlung Cambridge Seven Associates, mit freundlicher Genehmigung des Museum of Modern Art, New York)

„Nanna Ditzel – Taking Design to New Heights“, im Museum Trapholt, Kolding, Dänemark

Die 1923 in Kopenhagen geborene Nanna Ditzel ist zweifellos eine der interessantesten Designerinnen des viel gerühmten Goldenen Zeitalters des dänischen Möbeldesigns. Das ist nicht nur zutreffend, weil sie oft als die erste weibliche Möbeldesignerin in der dänischen Geschichte dargestellt wird.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Nanna Ditzel verspricht das Museum Trapholt Kolding die größte und umfangreichste Nanna-Ditzel-Ausstellung, die es je gegeben hat. Die Ausstellung präsentiert nicht nur Ditzels Möbelentwürfe aus den sechs Jahrzehnten ihrer Karriere, sondern zeigt auch Beispiele ihres Schmucks, ihrer Textilien und Accessoires. Darüber hinaus werden eine Reihe von Ditzels Rauminstallationen nachgestellt, die den Besuchern wohl viel mehr als die einzelnen Objekte einen Zugang zu Ditzel, ihren Ansichten, Absichten, Möbeln, ihrer Bedeutung und ihrem anhaltenden Erbe ermöglichen.

Durch diese Ausstellung können wir Nanna Ditzel nicht nur besser in die Geschichte des Designs einordnen, sondern auch innerhalb des Nachkriegsdesigns in Dänemark und in London, wo Ditzel rund 20 Jahre verbracht hat. „Taking Design to New Heights“ zielt darauf ab, die Anerkennung von Nanna Ditzel auf ein neues Niveau zu heben und eine differenziertere Sichtweise auf das Design in und aus Dänemark zu ermöglichen. Dies trägt zur Entwicklung einer aktualisierten Würdigung des zeitgenössischen Designs in und aus Dänemark bei.

Die Ausstellung „Nanna Ditzel – Taking Design to New Heights“ wird am Donnerstag, den 28. September, in Trapholt, Æblehaven 23, 6000 Kolding, eröffnet und läuft bis Sonntag, den 11. August. Weitere Einzelheiten sind unter https://trapholt.dk zu finden.

Nanna Ditzel, an unnamed craftsman, work on a prototype of the Vilette chair, part of Nanna Ditzel – Taking Design to New Heights, Trapholt, Kolding (photo Schnakenburg & Brahl, undated courtesy Trapholt)

Nanna Ditzel, ein ungenannter Handwerker, arbeiten an einem Prototyp des Vilette-Stuhls, Teil von „Nanna Ditzel – Taking Design to New Heights“, Museum Trapholt, Kolding (Foto Schnakenburg & Brahl, undatiert, mit freundlicher Genehmigung von Trapholt)

„Hollein Calling. Architektonische Dialoge“ im Architekturzentrum, Wien, Austria

Wie wir bereits oft in diesen Mitteilungen erwähnt haben, war Wien, trotz seiner Feier als barocke Kaiserstadt der Habsburger, in den 1960er und 1970er Jahren eines der globalen Zentren für eine radikale und avantgardistische Architektur, die die akzeptierten Werte und Positionen in Bezug auf Architektur und Design in Frage stellte und neu definierte. Hans Hollein spielte zweifellos eine Rolle in dieser Entwicklung, die jedoch nicht immer in dem Maße verstanden und gewürdigt wird, wie es angemessen wäre. Dies liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Postmoderne, zu deren Etablierung Hans Hollein beigetragen hat, nicht immer in dem Maße verstanden und geschätzt wird, wie sie es verdient hätte.

Um dies zu korrigieren, werden in der Ausstellung „Hollein Calling“ 15 Werke von Hans Hollein präsentiert, darunter beispielsweise der Retti-Kerzen-Flagshipstore in Wien, das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt und der Vulcania-Erkundungspark in Saint-Ours, Frankreich. Diese werden in einen Diskurs und Dialog mit Projekten von 15 zeitgenössischen Architekten eingebunden, wie zum Beispiel Bovenbouw Architectuur in Antwerpen, David Kohn Architects in London, Manthey Kula in Oslo oder Claudia Cavallar in Wien. Was diese Gegenüberstellung hervorbringt, kann natürlich nur durch die Betrachtung der ausgewählten Projekte selbst beurteilt werden.

Jedoch, als Übung, als Grundlage für Diskussion und als Einladung, sich an dieser Diskussion zu beteiligen, soll „Hollein Calling“ nicht nur differenzierte Perspektiven auf Hans Hollein, sein Werk und seine Positionen ermöglichen, sondern auch betonen, dass Architektur, obwohl wir sie gerne in klare Epochen unterteilen, in Wirklichkeit ein Kontinuum ist. Sie ist akkumulativ und nicht linear, wie man auf den Straßen Wiens sehen kann.

„Hollein Calling: Architektonische Dialoge“ wird am Samstag, den 21. September, im Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1 im MQ, 1070 Wien, eröffnet und läuft bis Montag, den 12. Februar. Weitere Informationen finden Sie unter www.azw.at.

A sketch of Hans Hollein, (and Atelier 4's) Vulcania exploration park, Saint-Ours, part of Hollein Calling. Architectural Dialogues, Architekturzentrum, Vienna (photo © Architekturzentrum Wien, Sammlung, courtesy Architekturzentrum Wien)

Eine Skizze des Vulcania-Erkundungsparks von Hans Hollein und Atelier 4, Saint-Ours, Teil von „Hollein Calling. Architektonische Dialoge“, Architekturzentrum, Wien (Foto © Architekturzentrum Wien, Sammlung, mit freundlicher Genehmigung des Architekturzentrums Wien)

„Life and Death. Burial sites for all“ im Form/Design Center, Malmö, Sweden

Friedhöfe sind zweifellos eine der direktesten Erinnerungen an die Vergänglichkeit des Lebens und die Unvermeidlichkeit unseres eigenen nahenden Todes. Gleichzeitig sind sie jedoch wichtige Grünflächen in modernen Städten – lebendige, atmende, pulsierende Orte, die man nutzen und genießen kann, in Gesellschaft der Verstorbenen.

In den letzten Jahren hat sich diese Doppelfunktion zweifellos verstärkt und an Bedeutung gewonnen. Dies verdeutlicht nicht nur die wachsende Zerstörung von Grünflächen aufgrund der zunehmenden Bevölkerungsdichte in städtischen Gebieten – oft sind Friedhöfe die einzigen verfügbaren kommunalen Grünflächen –, sondern auch die veränderte Einstellung zum Tod und zur Kultur des Todes und der Trauer. Es ist mittlerweile akzeptabel, auf einem Friedhof zu joggen.

Zudem sind die Friedhöfe Europas, insbesondere die kommunalen, nicht konfessionellen Friedhöfe, in den letzten Jahren immer mehr ein Spiegelbild des demografischen Wandels in Europa geworden. Dort, wo früher nur Christen oder Menschen mit christlichem Glauben bestattet wurden, findet man heute Anhänger verschiedenster Glaubensrichtungen und auch solche ohne Glauben, außer an die Menschheit.

Diese Veränderungen erinnern uns daran, dass Friedhöfe schon immer ein Spiegelbild jeder zeitgenössischen Gemeinschaft waren und sein werden. Ebenso sind Friedhöfe ein integraler Bestandteil der Stadtplanung, vergleichbar mit Wohnhäusern, Einkaufszentren, Fabriken oder Straßenkreuzungen. Es ist wichtig, dies für die Zukunft im Auge zu behalten.

„Life and Death: Burial sites for all“  präsentiert Arbeiten, die im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „Cemeteries and Crematoria as Public Spaces of Belonging in Europe“ durchgeführt wurden. Dies umfasst insbesondere Arbeiten von Carola Wingren und Helena Nordh von der SLU (Sveriges lantbruksuniversitet) in Schweden. Die Ausstellung soll hoffentlich breitere Diskussionen über die Rolle von Friedhöfen in unseren zukünftigen Städten sowie über Bestattung und Abschied in unserer künftigen Gesellschaft anregen.

„Life and Death: Burial sites for all“ wird am Samstag, den 2. September, im Form/Design Center, Lilla Torg 9, 211 34 Malmö, eröffnet und ist bis Sonntag, den 5. November, zu besichtigen. Weitere Informationen finden Sie unter https://formdesigncenter.com.

Life and Death. Burial sites for all at the Form/Design Center, Malmö, Sweden

„Life and Death. Burial sites for all“ im Form/Design Center, Malmö, Sweden

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