Die Ausstellung „Gaga Dada 2: Objekte zwischen Kunst und Design” wurde während der Munich Creative Business Week 2025 gezeigt, ist jedoch kein Teil des offiziellen Programms der MCBW 2025 – was, gelinde gesagt, frech ist. Nicht im Sinne der Guerilla-Strategien, für die Nils Holger Moormann – sowohl als Mensch wie auch als Marke bekannt ist und zu Recht gefeiert wird, sondern schlichtweg frech.
Eine Frechheit, die wir erwähnen mussten, die uns aber keineswegs davon abgehalten hat, „Gaga Dada 2: Objekte zwischen Kunst und Design” anzusehen. Noch weniger, darüber während der MCBW 2025 zu schreiben – und nicht erst im Nachgang, wie es die Präsentation vielleicht verdient hätte.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Nils Holger Moormann – Mensch und Marke – zu jenen gehört, von denen wir im Lauf der Jahre am meisten gelernt haben, denen wir ewig dankbar sind und deren Entwicklungen wir mit großem Interesse verfolgen. Unsere Enttäuschung über das Timing von „Gaga Dada” ist also keineswegs persönlicher Natur. Auch nicht, weil Nils Holger Moormann maßgeblich an der frühen Entwicklung von smow beteiligt war – ohne ihn wäre smow heute ein ganz anderes Unternehmen. Der Hauptgrund, warum wir dennoch berichten, liegt im Untertitel: „Objekte zwischen Kunst und Design”.
Dieser Untertitel erinnert sehr stark an die „grandi spazi liberi” zwischen kreativen Disziplinen, jenseits konventioneller Regeln. Räume, die das italienische Kollektiv Alchimia in seiner gestalterischen Praxis zu erforschen beanspruchte, wie in der Austellung „Alchemia. Die Revolution des italienischen Designs” im Bröhan-Museum in Berlin diskutiert wird.
Ein solcher „grandi spazi liberi” zwischen Kunst und Design wird in „Gaga Dada 2” durch eine Reihe von Projekten thematisiert, die von der in Wien ansässigen Galerie Zippenfenig kuratiert wurden. Wobei wir hier offen sagen müssen, dass wir uns nicht bei allen Werken sicher sind. Aus Gründen, die wohl nur die Galerie Zippenfenig und Nils Holger Moormann kennen, waren die in „Gaga Dada 2” gezeigten Werke nicht beschriftet. Eine Liste der ausgestellten Arbeiten lag ebenfalls nicht vor. Auf der Website der Galerie sind nur jene Objekte zu finden, die auch käuflich zu erwerben sind. Zwar mindert das Fehlen der Beschriftungen in keiner Weise die Wirkung der Ausstellung – im Gegenteil, der Fokus wird stärker auf die Objekte selbst gelenkt –, doch die Vermittlung dessen, was man gesehen hat, wird erheblich erschwert. Daher bitten wir um Entschuldigung, falls wir Werke nicht nennen oder falsch identifizieren. Wir haben unser Bestes gegeben, aber andere haben uns unnötige Hürden in den Weg gelegt.
Ein solcher „grandi spazi liberi” zwischen Kunst und Design zeigt sich etwa in den „Remnants Of The Game”-Vasen von Isabelle Orsini Rosenberg: Keramikfußbälle, die durch ihr geplatztes Dasein zwar nicht mehr zum Fußballspielen taugen, dafür aber ausgezeichnete Vasen abgeben. Diese Werke stehen in einem spannenden Dialog mit den Sports-at-Home-Vasen von Severija Inčirauskaitė-Kriaunevičienė, die auf der 9. Triennale für Angewandte Kunst in Tallinn zu sehen waren. Während Inčirauskaitė-Kriaunevičienė mit echten Sportbällen arbeitet, handelt es sich bei Rosenbergs Werken um keramische Darstellungen – eine Abstraktion, die ihnen eine gewisse Distanz verleiht und es ihnen erlaubt, mit einer vom Material nicht überladenen Stimme zu sprechen.
Ein weiteres Beispiel ist ein Objekt, das wir derzeit nicht eindeutig zuordnen können: eine zweistufige, kreisrunde Holzstruktur, deren Form an ein Gestell erinnert, über das normalerweise etwas anderes geformt wird – etwa ein Hut, wenn auch ein sehr großer. Bezogen mit rotem Samt wirkt es wie ein sakrales Objekt, vor dem man niederkniet. Vielleicht eine Kritik? Gleichzeitig ist es ein Objekt, das sehr deutlich für den öffentlichen Raum gedacht ist – ein gemeinsamer Ort zum Sitzen, Verweilen und zum Gespräch, ähnlich der Kantbank von Andreas Grindler aus der kkaarrlls-Kollektion.
„Satellite Wafers” stammt von Studio Högl Borowski, alias Stefanie Högl und Matthias Borowski – ein Studio, das wir bereits im Rahmen der Vienna Design Week 2023 und dem Projekt „1 m²” erwähnt haben. Hier arrangierten sie eine Vielzahl essbarer Reispapier-Ufos mit schmerzhaft präziser Sorgfalt zu einer einheitlichen Komposition. Eine solche Schönheit und Anmut erwächst aus dem immensen Aufwand, der Hingabe, dem Verzicht und dem Engagement, die nötig sind, um ein so absurd simples Ergebnis zu erzielen. Was durchaus als Metapher verstanden werden kann. Es ist ein Objekt, das uns auch daran erinnert, wie viel Freude wir an Ordnung, Einfachheit und Farbenvielfalt empfinden. Es lässt uns fragen, warum wir stets alles so kompliziert, gegensätzlich und monochrom machen müssen.
Ach ja … Arbeit, Hingabe, Verzicht und Engagement. Das dürfte die Erklärung sein. (Und Social Media).
Es ist eine Sammlung von Projekten, die zum Teil in Interaktion mit Werken aus dem Portfolio von Nils Holger Moormann entstanden sind. Am deutlichsten wird dies bei den zwei Varianten des Pressed Chair von Harry Thaler: einer auf Kufen, einer auf Rollen. Diese Varianten erscheinen wie Erweiterungen der ursprünglichen Form zu einer Produktfamilie. Allerdings wurde dabei keine Rücksicht auf die funktionale Integrität des Originals genommen. Eine interessante gestalterische Haltung, die viel Potenzial für Weiterentwicklungen birgt. Ebenso ist ein Gerät zu sehen, das auf den ersten Blick völlig unpassend wirkt, aber eindeutig ein Easy Reader von Nils Holger Moormann ist – umgebaut zu einem Musikinstrument. Was in einer gewissen Lesart als Weiterentwicklung des Easy Reader durchaus Sinn ergibt.
Und manchmal handelt es sich schlicht um reguläre Werke aus dem Moormann-Portfolio: Bookinist von Nils Holger Moormann, Strammer Max von Max Frommeld oder Hut Ab von Konstantin Grcic. Diese Objekte treten durch den Dialog mit den anderen Arbeiten in ein neues Licht. Ihre offene gestalterische Haltung verbindet sie mit den Stücken, die die Galerie Zippenfenig aus Wien mitgebracht hat, ebenso wie mit jenen aus Aschau im Chiemgau. So ergibt sich eine neue Perspektive auf die Möbel von Nils Holger Moormann – wenn auch nicht auf alle, so doch auf viele.
Es ist eine Sammlung sehr unterschiedlicher, interagierender Objekte, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle von Nils Holger Moormann in der Geschichte des europäischen Möbeldesigns ermöglicht und vor allem differenzierte Reflexionen über den „grandi spazi liberi” zwischen Kunst und Design erlaubt.
Und sie laden dazu ein, über die Frage nachzudenken, die der Untertitel unausweichlich aufwirft – und die letztlich jede Betrachterin und jeder Betrachter für sich selbst beantworten muss: Kann ein Objekt zwischen Kunst und Design existieren?
Vermutlich nicht.
Wir würden behaupten, dass sich jedes Objekt entweder der Kunst oder dem Design zuordnen lässt und dass sich diese beiden Kategorien nicht überschneiden.
Doch wie bereits im Rahmen der Ausstellung „The Magic of Form – Design and Art“ im Kunsten Museum of Modern Art in Aalborg festgestellt wurde: Kunst und Design sind zwar zwei klar getrennte Disziplinen, aber seit der Emanzipation des Designs von der Kunst im 19. Jahrhundert war ein zentraler Aspekt des Diskurses zwischen beiden das Beharren auf dieser Grenze, obwohl zwischen ihnen immer ein offener und fruchtbarer Austausch stattfand. Ein Austausch, der durch die Praxis von Timon und Melchior Grau veranschaulicht wird. Ein Projekt wie „Bonfire” ist Kunst, seine Weiterentwicklung „Campfire” ist Design.
Die Gebrüder Grau ergänzen hier die Diskussion, in der zuvor Alchimia erwähnt wurde, und kommen zu dem Schluss, dass ein publiziertes Objekt nicht dauerhaft im „grandi spazi liberi” zwischen Kunst und Design existieren kann. Es kann jedoch dort seinen Ursprung haben. Es kann sich in diesem Raum entwickeln und dort seine Stimme finden. Vielleicht muss es das sogar, wenn es wirklich bedeutungsvoll und relevant sein will. Dies ist ein Gedanke, der sich auch in der Haltung von Karl Clauss Dietel wiederfindet. Er vertrat die Meinung, der Funktionalismus der 1920er Jahre sei im Kontext der Kunst entstanden und habe sich im Austausch mit ihr entwickelt. Dies lässt sich auch an seinem Werk nach 1945 nachvollziehen, etwa im Vergleich der autonomen, jedoch nicht unabhängigen plastischen Formen von Hans Arp mit dem „offenen Prinzip“, das Dietel und Lutz Rudolph dem Simson-Mokick zugrunde legten.
Dietel sprach von einer „Dialektik zwischen Rationalismus und Emotion“'1 – eine Sprache, die ein Echo findet in den früheren Ausführungen von Louis H. Sullivan über das notwendige Zusammenspiel von Objektivität und Subjektivität2 in der Architektur – und, wie wir hinzufügen möchten, auch im Design. Ebenso wie in Alchimias Unterscheidung zwischen „normali” und „anormali"3. In ähnlichem Sinne meinte Max Borka einst: „Design steht auf zwei Beinen, einem kommerziellen und einem kulturellen.“ Und es braucht beide – es kann nicht auf einem allein balancieren. So wie Design Rationalität und Emotion, Objektives und Subjektives, „normali” und „anormali” braucht.
All diese Positionen und Stimmen umgeben einen, wenn man in „Gaga Dada 2“ steht – zwischen Arbeiten, die konzeptuelle Unikate, Galerieobjekte, spekulative Vorschläge für alternative Serienprodukte oder etablierte Serienmodelle sind. Arbeiten, die Kunst sein können oder Design – und die stark an die späten 1980er Jahre erinnern, als ein junger Nils Holger Moormann mit viel Energie und Experimentierfreude das Neue Deutsche Design einem breiteren Publikum zugänglich machen wollte. Was ihm nicht nur gelang, sondern auch andere inspirierte, die „grandi spazi liberi“ ihrer Zeit zu erkunden.
So entstehen Positionen, Stimmen und Geschichten, die nicht nur zum Nachdenken darüber anregen, wie Gebrauchsgegenstände entstehen und wie sich Design als Disziplin entwickelt hat, sondern auch über die heutige Designbranche, insbesondere die Möbelbranche: Auf wie vielen Beinen steht sie? Auf welchem ? Wohin führt sie uns? Was können wir tun? Würde es helfen, wenn der Salone München Teil des offiziellen MCBW-Programms wäre, statt sich hineinzuschmuggeln?
„Gaga Dada 2” ist ein faszinierender Ort, um über diese Fragen nachzudenken, ebenso wie über die Parallelen zwischen der Gegenwart und den Kontexten der späten 1960er und 1980er Jahre. Die Ausstellung zeigt, wie wichtig es ist, außerhalb des Rahmens zu denken und sich nicht von Konventionen oder vorherrschenden Meinungen einschränken zu lassen. Ein Raum für kritisches Denken und das Finden der eigenen Stimme im globalen Diskurs.
Ein buchstäblich faszinierender Ort: dieser Ausstellungsraum im Keller unter dem Flagshipstore von Nils Holger Moormann, Salone München. Er erinnert nicht nur an die Ausstellungsräume am Hauptsitz in Aschau im Chiemgau, sondern versetzt uns auch zurück in unsere jugendlichen Streifzüge durch die Keller leerstehender Häuser – „grandi spazi liberi” ganz anderer, aber nicht minder inspirierender Art.
Die Ausstellung „Gaga Dada 2: Objekte zwischen Kunst und Design” ist bei Nils Holger Moormann, Salone München, Baaderstraße 35, 80469 München, noch bis Sonntag, den 18. Mai, zu sehen.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.galeriezippenfenig.com und www.moormann.de.
Details zur Munich Creative Business Week 2025 finden Sie unter www.mcbw.de.
1Clauss Dietel, Funktionalismus enstand und lebt nur mit Kunst, Form+Zweck, Vol. 14, Nr. 6 1982, page 33-35
2see Louis H. Sullivan, Emotional Architecture as Compared with Intellectual, lecture October 1894, reprinted in Louis H. Sullivan, Kindergarten Chats and Other Writing, Dover Publications, New York, 1979, page 191 - 201
3Alessandro Mendini, Alchimia Manifesto, 1985. Available online at https://atelieralchimia.com/alchimia/