smow Interview: Nils Holger Moormann – Wir brauchen dringend eine neue Revolution!

In unserem Post zur Ausstellung „Schrill Bizarr Brachial. Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre“ im Bröhan Museum Berlin haben wir festgehalten, welche beiden Hinterlassenschaften der Bewegung „Neues deutsches Design“ aus den 1980er Jahren für uns am bedeutendsten sind. Dazu gehört einmal die hohe Anzahl an Protagonisten aus dieser Zeit, die heute an deutschen Designschulen unterrichten, und zum anderen die Möbelhersteller, die aus dem Dunstschleier dieser Periode hervorgegangen sind. Einer dieser Hersteller ist Nils Holger Moormann.

Gegründet wurde das Unternehmen in den frühen 1980er Jahren vom gelangweilten, ansonsten aber aufrechten Jurastudenten Nils Holger Moormann, der einige jugendliche Erfahrungen im Bereich Design gesammelt hatte. Die gleichnamige Firma hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten so entwickelt, dass man sie heute getrost zu den interessantesten und anspruchsvollsten europäischen Möbelherstellern der Gegenwart zählen kann.

Auf der Ambiente Messe 2015 wird Nils Holger Moormann vom Rat für Formgebung der „Personality“-Preis für sein Lebenswerk verliehen. Zwar scheint unsere Skepsis, was Designpreise, und vor allem Preise für Lebenswerke, angeht, unumstößlich zu sein, aber die Verbindung aus Preisverleihung und Ausstellung bietet in diesem Fall den besten Vorwand, um einmal mit Nils Holger Moormann über Möbeldesign und die Möbelindustrie von damals, heute und der Zukunft zu sprechen. Begonnen haben wir unser Gespräch jedoch mit der Frage, wie Nils Holger Moormann denn überhaupt seinen Weg zum Möbeldesign fand …

Nils Holger Moormann: Reiner Zufall. Ich studierte 8 Semester Jura und hatte nicht sonderlich Freude daran. Dann, wie so oft, auf Umwegen und über Bekannte, wurde ich mit der Welt des zeitgenössischen Designs vertraut und fing sofort Feuer. Es gab schreckliche Sachen und fantastische, Hightech-Kreationen, Bauhaus und eher traditionelle Möbel, gemischt mit Arbeiten, die aus jedem Rahmen fielen. All das fand ich hochspannend. Ich verstand nicht wirklich etwas davon, aber ein abenteuerlicher Geist und das Gefühl von Freiheit erlaubten es auch Leuten ohne relevante akademische Ausbildung oder professionellen Hintergrund sich einzubringen und einfach durch Learning by Doing den eigenen Weg zu finden.

smow Blog: Hast du so etwas wie eine bestimmte Szene wahrgenommen oder wie hast du die Situation erlebt?

Nils Holger Moormann: Eine Szene als solche habe ich nicht bewusst wahrgenommen. Es gab eine relativ kleine, informelle Gruppe, von der man ein loser Teil war. Man traf Leute, von denen man irgendwohin eingeladen wurde, traf dort neue Leute, erfuhr, was sie so machten, und hörte wiederum von neuen Designern. Für mich war das ein großes Fest mit unzähligen Überraschungen: alles war möglich, man hat gestaunt, sich gewundert, nichts verstanden und hatte einfach das Gefühl, Teil von etwas Neuem und Lebendigem zu sein.

smow Blog: Da du ja nun über das Neue deutsche Design zum Design gefunden hast – bedeutet das auch, dass du kein Interesse an eher funktionalem Design hattest, beispielsweise an der sogenannten Guten Form, die bis dahin das deutsche Design ja sehr dominiert hat?

Nils Holger Moormann: Nein, absolut nicht. Für mich war dieses Neue deutsche Design wunderbar schrill und bizarr. Man war sich bewusst, dass man eine Revolution anstieß. Mich interessierte aber grundsätzlich ein reduziertes Design, das einen zusätzlichen Wert hatte. Design, dem eine Idee zugrunde liegt, die meine Fantasie in Schwung bringt. Und auch wenn ich mich wirklich oft in schrille und abgefahrene Objekte verlieben könnte, könnte ich mich doch nur für eher zurückhaltendes Design einsetzen.

smow Blog: Hast du damals auch selbst designt?

Nils Holger Moormann: Anfänglich nein. Ich sah mich selbst eher als Händler, fuhr durch Deutschland und Europa und traf Designer und Architekten, die ihre Designs selbst produzierten, um für sie den Vertrieb zu übernehmen. Die Idee war, so etwas wie ein Verleger für besondere Büchern zu sein.

smow Blog: Das einzige Objekt aus der Anfangszeit, das bei dir noch immer in Produktion ist, ist das Gespannte Regal von Wolfgang Laubersheimer. Das einzige „besondere Buch“, das den Lauf der Zeit überlebt hat? Oder anders gefragt, warum hat gerade dieses Regal überlebt?

Nils Holger Moormann: Im Hinblick auf diese Zeit ist das Gespannte Regal grundsätzlich eines von ein paar wenigen Stücken, die noch produziert werden. Das Gespannte Regal ist eines der Stücke, die mich vom ersten Moment an fasziniert haben: eine instabile Konstruktion, die sich selbst nicht tragen kann, die dann aber durch ein einfaches Drahtseil ihre Spannung, Stabilität und Funktion erhält. Das Regal ist nicht nur genauso frisch und relevant wie damals, sondern steht auch nach wie vor für unsere Philosophie.

smow Blog: Das wirft die Frage auf, ob heute überhaupt noch irgendetwas vom damaligen Geist in der aktuellen deutschen Möbelindustrie zu finden ist.

Nils Holger Moormann: Leider nicht. Das war ein Aufbegehren und eine Revolution, eine komplette Durchmischung und der Versuch eines Neuanfangs. Aber das ist Geschichte und wir befinden uns heute in einer Situation, die größtenteils von der Industrie bestimmt wird. Viele der aktuellen Hersteller haben nicht einmal Besitzer, sondern sind nur Teil von größeren Konzernen und existieren eigentlichen nur, um Gewinne abzuwerfen. Das führt dazu, dass alle Möbel, die angeboten werden, gleich aussehen. Alles ist sehr homogen geworden.

Mal ganz böse gesagt: Würde man nachts auf die IMM Cologne gehen und die Möbel durcheinander bringen, die Möbel eines Stands an einen anderen stellen, würde das wohl nicht mal jemand bemerken. Das ist wirklich Schade, weil es bedeutet, dass Esprit, Neugier und Sehnsucht einfach fehlen! Manchmal habe ich den Eindruck, die einzige echte Leidenschaft besteht darin verkäufliche Produkte herzustellen. Und so geht es nicht weiter. Natürlich muss man erstmal das Glück haben, Profit zu machen und finanzielle Stabilität zu erlangen, aber man muss auch nach neuen Ideen und neuen Ansätzen suchen; und meiner Meinung nach passiert das derzeit viel zu selten. Es gibt zu wenig Aufbegehren, zu wenige Versuche etwas Neues zu probieren, selbst wenn einem klar sein sollte, dass es möglicherweise nicht funktionieren wird. Meiner Meinung nach brauchen wir dringend eine neue Revolution!

smow Blog: Brauchen wir, aber wird die auch kommen?

Nils Holger Moormann: Ich bin grundsätzlich sehr positiv eingestellt und denke, sie wird kommen. Nicht zuletzt weil die jungen Designer heutzutage alles selbst in die Hände nehmen müssen, und so gezwungen sind neue Wege, Lösungen und neue Systeme zu entwickeln. Und wie in den achtziger Jahren wird sich durch diese Suche das Aufbegehren entwickeln!

smow Blog: Wir haben allerdings den Eindruck, dass der Geist von damals nach wie vor eine Menge von dem, was du bist und wie du vorgehst, ausmacht?

Nils Holger Moormann: Gott sei Dank! Der Moment, an dem die jugendliche Suche, die Neugier und die Leidenschaft aufhören, ist der Moment, an dem du pragmatisch wirst und anfängst Dinge auf einem rein ökonomischen Level zu optimieren. Vor dem finanziellen Teil muss aber immer eine Erforschung, Esprit und Leidenschaft stehen.

Nils Holger Moormann

Nils Holger Moormann. Designer. Unternehmer. Verleger. (Photo ©Dirk Bruniecki)

Schrill Bizarr Brachial Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre Bröhan Museum Berlin Pentagon Wolfgang Laubersheimer Detlef Meyer Voggenreither

Gespannte Regal von Wolfgang Laubersheimer (l.)) und Mai '68 von Detlef Meyer Voggenreither, @ Schrill Bizarr Brachial. Das Neue Deutsche Design der 80er Jahre, Bröhan Museum Berlin

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