smow Journal Logo

Munich Creative Business Week 2025 Kompakt: „Tischkultur“ in der Galerie Handwerk


Veröffentlicht am 12.06.2025
Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, part of Munich Creative Business Week 2025

Zu einer gelebten Tischkultur – und in der Folge auch zu einer gelebten Alltagskultur – gehören nicht nur die servierten Speisen und Getränke, sondern auch die Objekte und Werkzeuge, mit denen diese gereicht und konsumiert werden. Der Tisch ist dabei sowohl physisch als auch metaphorisch das Zentrum jeder Gemeinschaft und Gesellschaft.

Dabei sprechen wir weniger von jener romantisierten, meist im späten 19. Jahrhundert erfundenen folkloristischen Vorstellung von Kultur, die vielleicht nie wirklich existierte, aber heute weltweit in allen „authentischen” Restaurants inszeniert wird. Es geht vielmehr um eine zeitgenössische Kultur, die aus den aktuellen Realitäten hervorgeht und diese gleichzeitig mitprägt. Eine Kultur des Essens, Trinkens und der dazugehörigen Gegenstände und Werkzeuge, die im Hier und Jetzt verankert ist.

Ob im Sinne eines Beitrags zum Motto der Munich Creative Business Week 2025 – „How to design a vibrant community” – oder als glücklicher Zufall: Die Galerie Handwerk München widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung dem Thema „zeitgenössische Tischkultur” und damit einem zentralen Element jeder lebendigen, widerstandsfähigen und nachhaltigen Gemeinschaft. Präsentiert werden kuratierte Arbeiten aus zeitgenössischem Handwerk und Design, die sich mit dem gedeckten Tisch der Gegenwart auseinandersetzen – eine facettenreiche Schau, die unterschiedliche gestalterische Ansätze, Techniken und Materialien vereint.

Beispielhaft sei die Breitscheider Tischlerei Sommer genannt, die mit ihrer Interpretation der Stabelle – jenes archetypischen Holzstuhls, der zu den ältesten Konstruktionsprinzipien europäischer Sitzmöbel zählt – vertreten ist. Ebenfalls vertreten ist die in New York geborene und heute in Halle und Berlin lebende Textildesignerin Fern Liberty Kallenbach Campbell mit dem Teppich „Fool” sowie dem Objekt „Tischtier”, das im Erdgeschoss zu sehen ist. Es ist ein Werk, das so eindeutig wie rätselhaft, so unterhaltsam wie nachdenklich stimmend ist – ähnlich wie die Frage nach der Herkunft seines Namens.

Natürlich darf auch die Keramik nicht fehlen – jenes Material, das wie kaum ein anderes mit dem gedeckten Tisch verbunden ist. Die Ausstellung zeigt eine Vielzahl keramischer Ausdrucksformen: von reduzierten, runden und minimalistischen Stücken über streng geometrische bis hin zu scheinbar naiv-ungeformten Arbeiten. Letztere umfassen auch die Werke der in Nantes ansässigen Louise Ferchaud, etwa ihre ganz eigene Interpretation des traditionellen Toby Jug. Es sind Arbeiten, die unsere Vorfahren vielleicht wiedererkennen, aber wohl kaum verstehen würden. Sie zeigen eindrücklich, wie sich das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihren Objekten im selben Maße verändert wie die Gesellschaft und die Objekte selbst. Und Ferchauds Werke unterstreichen zudem den internationalen Charakter von Tischkultur, ein Thema, das häufig zu eng auf nationale Küchen reduziert wird, obwohl der Tisch als Ort des Zusammenkommens und Teilens von Grund auf international ist.

Besonders erfreulich ist, dass die Ausstellung neben zahlreichen Einzelgestalter:innen und bekannten Firmen aus Deutschland und dem europäischen Ausland auch Arbeiten von Studierenden präsentiert. Vertreten sind unter anderem die Freie Universität Bozen, die Staatliche Berufsschule für Flechtwerkgestaltung, Lichtenfels, die Staatliche Berufsfachschule für Glas und Schmuck Kaufbeuren-Neugablonz sowie die Staatliche Zeichenakademie Hanau, eine Institution, die seit über 250 Jahren das Kunsthandwerk, insbesondere das Gold- und Silberschmieden, maßgeblich geprägt hat. Zu ihren Absolventen zählen so bedeutende Gestalter:innen wie Peter Carl Fabergé, Christian Dell oder Wilhelm Wagenfeld.

Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, part of Munich Creative Business Week 2025
Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025

Die Ausstellung lebt einerseits vom Dialog zwischen den ausgestellten Objekten und Projekten im Kontext zeitgenössischer (Tisch-)Kultur und bietet andererseits eine unterhaltsame Einführung in die Vielfalt des zeitgenössischen Handwerks und Designs in Europa, exemplarisch dargestellt durch Objekte für ein spezifisches Einsatzfeld. Doch lässt sie sich nicht betrachten, ohne sich mit einigen Stücken intensiver auseinanderzusetzen als mit anderen. Und genau darin liegt auch eine der großen Freuden solcher Präsentationen: die Herausforderung, sich auf das Unbekannte einzulassen.

Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die gezeigten Objekte käuflich zu erwerben sind – es handelt sich um eine Ausstellung und ein Geschäft, das wie eine Ausstellung kuratiert ist –, wird diese Auseinandersetzung besonders relevant. Sie lädt dazu ein, darüber nachzudenken, wie wir heute unsere Tischkultur konsumieren und wie sich dieser Konsum im Zeitalter des omnipräsenten Social-Media-Handels verändert hat. In einer Zeit, in der das Inszenieren des Tisches oft wichtiger erscheint als das Zusammensitzen.

Uns persönlich haben – neben vielen anderen Werken, die aus Zeit- und Platzgründen hier nicht weiter besprochen werden können – besonders zwei Positionen angesprochen: Zum einen der XO-Hocker des Münchner Studio Sonntag (Thomas Heckenberger und Roman Schumacher), der mit nahezu krimineller Einfachheit zugleich als Beistelltisch mit Ablagefläche für Bücher, Magazine und Ähnliches fungiert. Wir hatten lediglich ein, zwei Fragen zur Stabilität der Tischplatte, die sich im institutionellen Rahmen der Ausstellung nicht klären ließen, im Alltagseinsatz aber sicher schnell beantwortet wären. In jedem Fall sehen wir im XO das Potenzial für eine ganze Objektfamilie.

Andererseits die Tassen, Becher und Gefäße des Hildesheimer Keramikers Thorben Heuer. Er bezieht bei der Entwicklung und Herstellung seiner auf den ersten Blick traditionell anmutenden Objekte bewusst moderne Technologien wie KI und 3D-Druck mit ein. Ein Aspekt, der in der Ausstellung leider nur am Rande sichtbar wurde, dessen nähere Betrachtung sich jedoch unbedingt lohnt.

Ich war mal eine Schraube by Friederike Maltz, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Ich war mal eine Schraube by Friederike Maltz, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Small serving spoons/ladles by Nils Hint, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Kleine Servierlöffel/Schöpflöffel von Nils Hint, gesehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Large serving spoons/ladles by Nils Hint, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Große Servierlöffel/Schöpflöffel von Nils Hint, gesehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, part of Munich Creative Business Week 2025
Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Tischtier by Fern Liberty Kallenbach Campbell, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Tischtier von Fern Liberty Kallenbach Campbell, gesehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
The XO stool/side table by Studio Sonntag and a tablecloth by Steffi Bauer, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Der Hocker/Beistelltisch XO von Studio Sonntag und eine Tischdecke von Steffi Bauer, gesehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Works by Louise Ferchaud, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Werke von Louise Ferchaud, zu sehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Works by Sonngard Marcks and Artel, as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Werke von Sonngard Marcks und Artel, zu sehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025
Works by Thorben Heuer (front), as seen at Tischkultur, Galerie Handwerk Munich, during Munich Creative Business Week 2025
Werke von Thorben Heuer (vorne), zu sehen bei Tischkultur, Galerie Handwerk München, Teil der Munich Creative Business Week 2025

Tags

#Galerie Handwerk #Geschirr #MCBW #München #Munich Creative Business Week #Tischkultur