Noch früh am Morgen, und unser erster Kaffee nach der ersten langen Nacht in Kopenhagen. Wir sind noch müde, aber auch voller Vorfreude. Heute erleben wir Erwan Bouroullec bei seinem Morningtalk im Dänischen Designmuseum, wo wir schon beim Betreten Designgeschichte atmen: Verner Pantons geschwungene Pantonova-Bank im Foyer, Le Klint-Leuchten an der Decke. Die Atmosphäre stimmt. Der Raum spricht mit uns.
Wir nehmen Platz auf Designerstühlen, trinken Kaffee aus Bechern mit Aufdruck. Alles fühlt sich durchdacht an – und gleichzeitig beiläufig. Im Garten stehen HAYs X-Line Chairs neben der neuen Dream View Bench von Muuto. Wir sind früh dran. Aber schon Minuten später ist der Raum voll. Jeder Platz besetzt. Noch fünf Minuten bis zum Start.
Dann kommt Erwan Bouroullec. Er spricht leise, fast vorsichtig. Nicht als Vortragender, sondern als Mensch, der über seine Arbeit nachdenkt – und mit uns teilt, was ihn seit Jahrzehnten antreibt. Es geht um Zusammenarbeit. Um Prozesse. Um das, was zwischen Menschen passiert, wenn sie gemeinsam gestalten. Er spricht von der Reibung, die entsteht, wenn man sich auf andere einlässt. Von Vertrauen und Missverständnissen, die Teil jeder echten Zusammenarbeit sind. Und plötzlich fällt ein Satz, der bleibt:
Wir nicken innerlich. In einer Zeit, in der Konsens oft wichtiger scheint als Inhalt, ist das ein radikaler Gedanke. Für Erwan ist Widerspruch nicht Störung, sondern Rohstoff. Nur wer sich traut, anderer Meinung zu sein, bringt echte Bewegung ins Spiel. Und Bewegung ist, was gutes Design braucht. Er erzählt vom „monkey inside of me“ – diesem Impuls, Dinge einfach zu machen, ohne langes Planen. Schnell, roh, quick and dirty. Zwei Tage statt zwei Monate. Nicht warten, nicht zweifeln – einfach loslegen. Fehler sind willkommen. Denn: Ohne Reibung keine Entwicklung. Wir fühlen uns ertappt – und gleichzeitig inspiriert. Wie oft halten wir Ideen zurück, weil sie noch nicht „fertig“ sind?
Erwan beschreibt sie als einen Schachzug: „Kannst du das für mich machen?“ – „Ja, was brauchst du genau?“ Dieser Dialog ist die Basis. Zug um Zug, strukturiert, aber offen. Kein Masterplan, sondern ein gemeinsames Denken. Ein ständiges Austarieren von Nähe und Eigenständigkeit.
Dabei kennt er beide Welten: die großen Konzerne mit Ressourcen – aber träger Maschinerie. Und die kleinen Studios, die flexibel sind und mutiger. Er vergleicht Konzerne mit Drachenreitern im Wind – kraftvoll, aber verletzlich. Ein Bild, das hängen bleibt. Denn wir kennen beide Seiten: die Vision und die Realität.
Wir hören einen Designer, der zurückblickt – und uns mitnimmt in seine Anfänge. Der Künstler, der für seine Idee sterben würde – mit Zigarette in der Hand und einem romantischen Blick auf das eigene Schaffen. Doch heute, sagt er, sei er mehr Problemlöser als Idealist. Er will nicht die Welt umstürzen, sondern sie verstehen – und mitdenken, wie wir sie klüger, leiser, nachhaltiger gestalten können. Und wir spüren bei jedem Satz: Der Traum ist noch da. Nur realistischer.
Dieser Satz klingt noch nach, als Erwan den Talk beendet und sich draußen im Garten eine Zigarette dreht. Es ist ein Bild, das den Morgen perfekt beschreibt: der Designer als Denker, suchend, nie ganz fertig, immer in Bewegung. Und wir? Wir gehen zurück in den Tag – mit einem neuen Blick auf Zusammenarbeit, auf Tempo, auf Mut zum Unfertigen.
Danke, Erwan. Für diesen ehrlichen, nahen, inspirierenden Morgen.