Zu den einprägsamsten Momenten unserer langen, nicht gerade unbeschwerlichen Laufbahn beim (smow) Blog gehört ganz klar der Tag, an dem wir unseren neuen 1m x 2m USM Haller Tisch in Empfang nahmen. Weniger des Objektes wegen, sondern wegen der Angst und Beklemmung, die sich auf den Gesichtern derer breitmachte, die gezwungen sind, ein Büro mit uns zu teilen.
„Angesichts des Chaos auf dem Eiermann Tisch„, schrie der schmerzverzogene Ausdruck auf ihrem Gesicht, „was werden sie erst mit 2 m² bester Schweizer Qualität anstellen?“
Die Antwort folgte prompt und war mehr als eindeutig. Innerhalb eines Tages verschwand die makellose weiße Oberfläche des Designertisches unter einem Berg von Notizen, Broschüren, Kleingeld, Büchern, Quittungen, Rechnungen, verbogenen Büroklammern, Zugtickets und dreckigem Geschirr. Genau wie Prof. Kathleen D. Vohs von der Carlson School of Management der University of Minnesota es vorhergesagt hatte….
In der kürzlich veröffentlichten Publikation „Tatsächliche Ordnung führt zu gesunden Entscheidungen, Wohlwollen und Konventionalität, während Unordnung Kreativität erzeugt“1 erklären Prof. Vohs und ihre Kollegen das Verhältnis zwischen dem Chaosgrad eines Arbeitsplatzes und einer Reihe von Verhaltensweisen und fanden dabei heraus, dass „eine unordentliche Umgebung dazu anzuregen scheint, aus Konventionen auszubrechen, was zu neuen Einsichten führen kann. Ordentliche Umgebungen hingegen begünstigen Konventionen und ein Verhalten des auf Nummer sicher Gehens.“ Und, so Vohs weiter, „Ordnungsliebe scheint generell ein konservatives und traditionelles Denken zu fördern, Unordnung hat den Effekt, die Lust auf das Unbekannte anzuregen.“
Oder anders gesagt: Chaos schafft Kreativität. Ordnung erstickt sie.
Ein Phänomen, das weniger wissenschaftlich, aber unterhaltsamer auch hier beobachtet werden kann: http://famousworkspaces.tumblr.com
Insbesondere empfehlen können wir die Schreibtische von Steve Jobs, Mark Zuckerberg – auch wenn wir nicht ansatzweise glauben, dass er wirklich unter solchen Bedingungen arbeitet – und Albert Einstein, dessen Schreibtisch uns zu der Annahme verleitet, dass e=mc² auch als „kreative Leistung = Volumen des Papiers auf dem Schreibtisch x Lichtgeschwindigkeit im Quadrat“ gedeutet werden kann.
Abgesehen von der Befriedigung, die wir verständlicherweise aus dem Aufsatz ziehen, kamen wir außerdem zu ein paar interessanten Gedanken.
Der erste ist, müssen wir zurück und all die Bibliothekare verklagen, die ganz offensichtlich über Jahrzehnte unsere Entwicklung mit ihrem dogmatischen Ordnungsverständnis behindert haben?
Und zweitens, was bedeutet das für jene, die von Zuhause aus kreativ arbeiten, aber gelegentlich Freunde und Familie einladen wollen. Muss man da aufräumen? Oder sollte man seine Kreativität wie ein aufgeblasener Pfau zur Schau stellen? Oder sollte man lieber in ein Objekt wie die mit dem Publikumspreis vom Internationalen Marianne Brandt Wettbewerb 2013 ausgezeichneten 2tables von Anna Albertine Baronius oder den Sphere Desk von Hella Jongerius von Vitra – für halb Kreative -, also Schreibtische, mit denen man das Chaos schnell und einfach verstecken kann, investieren?
Drittens erkennen wir jetzt eine ganz neue Dimension der durch Gentrifizierung verursachten Schäden. In diesem Kontext ist es dann nicht mehr nur so, dass erschwinglicher Wohn- und Arbeitsraum knapp wird, es verschwinden auch Umgebungen, die Kreativität fördern. Unsere Städte werden somit kulturell ärmer. Und in dieser Hinsicht kann auch Streetart nicht nur als in sich kreativ verstanden werden, sondern auch als etwas, was Kreativität anregt.
Und schließlich, da Tabletes und mobile Technologien immer wichtiger im Alltag immer mehr Leute werden, ist zu überlegen, wie Prof. Vohs‘ Forschung im Hinblick auf die Nutzungsumgebung der mobilen Geräte und einer eventuell dadurch bedingten Entscheidungsbeeinflussung einzuordnen ist. Treffen wir eine andere Entscheidung, wenn wir ein Tablet oder Smartphone im Bett, am Küchentisch oder auf dem Sofa nutzen? Sind wir z.B. weniger wohlwollend, wenn wir eine Restaurantbesprechung in einer unaufgeräumten Umgebung schreiben? Oder z.B. beim Onlineshopping, nehmen wir mehr „Risiken“ auf uns, wenn wir auf einem mobilen Gerät einkaufen und sind wir dann empfänglicher für neue Ideen?
Aber die vielleicht wichtigste Aussage, die man von der ausgezeichneten Forschungsarbeit von Prof. Vohs mitnehmen kann, ist denen vorbehalten, die unter der Bürde eines aufgeräumten Schreibtischs und einer geordneten Arbeitsumgebung leiden: Es gibt Hoffnung! Verwüstet eure Schreibtische einfach etwas.
Sollte jemand Tipps dafür benötigen, einfach melden…
1. Kathleen D. Vohs, Joseph P. Redden, and Ryan Rahinel 2013. „Physical Order Produces Healthy Choices, Generosity, and Conventionality, Whereas Disorder Produces Creativity“ Psychological Science 24(9) 1860– 1867
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