Form follows nature im Kunsthaus Kaufbeuren, Allgäu

Über die besten strukturellen Formen verfügt bekanntlich die Natur. Folglich haben Ingenieure und Designer die Natur lange beobachtet und nach Inspiration gesucht. Die Resultate waren dabei so vielseitig, alltäglich und schließlich bedeutsam wie Klettverschlüsse, Turbinen oder auch die Spitzen von Zügen.

Das Geheimnis besteht natürlich darin zu wissen, wo man suchen muss. Beispielsweise dachte der erste „Vogelmann“, das Fliegen hinge nur mit dem Flügelschlag zusammen. Dabei dreht sich alles um Luftströme, kielförmige Brustbeine und hohle Knochen. Kaum hatte man das endlich verstanden, waren die Pioniere des Fliegens nicht mehr zu stoppen.

Architekten suchten offenbar ebenfalls in der Natur nach Inspiration und nach Lösungen für scheinbar unüberwindbare Probleme. Eine Ausstellung im Kunsthaus Kaufbeuren in der Nähe von Kempten im Allgäu feiert derzeit einen der Meister der Bionik in der Architektur, einer der genau wusste, wo er zu suchen hatte – den deutschen Architekten Frei Otto.

Der am 31. Mai 1925 in Chemnitz geborene Frei Otto studierte Architektur an der TU Berlin, bevor ihn 1950 ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes nach Amerika führte, wo er nicht nur Soziologie und Stadtplanung an der University of Virginia studierte, sondern auch Leute wie Eero Saarinen, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright oder Charles und Ray Eames kennenlernte. Nach seiner Rückkehr nach Berlin eröffnete Frei Otto 1952 sein eigenes Architekturbüro. Dem folgte 2 Jahre später der Abschluss seiner Doktorarbeit „Das hängende Dach“.

Inspiriert von den Ideen der jüngst in den USA kennengelernten Architekten interessierte sich Frei Otto zunehmend für organische, leichte Strukturen, die eher ein Teil der natürlichen Umgebung, als etwas künstlich Geschaffenes waren, vor allem hängende Strukturen erschienen ihm dabei interessant. In „Das hängende Dach“ bemerkt Frei Otto: „Das moderne hängende Dach ist die jüngste Bauform. Vollendet und weitfassend beansprucht es seinen Platz. Es ist Architektur – ist Haus.“1 Danach verwendete Frei Otto die nächsten 150 Seiten sowie den Rest seiner Karriere darauf genau das unter Beweis zu stellen.

Im Jahr 1958 gründete Frei Otto die private Entwicklungsstätte für den Leichtbau in Berlin, bevor er 1968 nach Stuttgart umzog und dort die Entwicklungsstätte für den Leichtbau an der Technischen Hochschule Stuttgart gründete, die er bis zu seinem Eintritt in die Rente 1991 leitete.

Im Laufe seiner Tätigkeit arbeitete Otto mit Biologen, Anthropologen, Physikern und Wissenschaftlern aus anderen verwandten Disziplinen zusammen, um zu untersuchen, wie sich natürliche Strukturen am besten auf die Architektur übertragen lassen. Ähnlich wie Fritz Haller war Frei Otto größtenteils ein theoretischer Architekt. Einer, der viel plante, nachdachte und experimentierte, aber nur wenig wirklich baute. Allerdings stießen die wenigen realisierten Arbeiten grundsätzlich auf Anerkennung und Bewunderung bei allen, die sie zu sehen bekamen. Unter Frei Ottos berühmtesten Konstruktionen sind die sogenannte Tanzbrunnen Bühne für die Bundesgartenschau 1957 in Köln, der deutsche Pavillon auf der Expo 1967 in Montreal, Kanada und das Dach des Olympiastadions in München. In jüngerer Vergangenheit war Frei Otto beispielsweise am Entwurf des Daches für den neuen Hauptbahnhof in Stuttgart und am japanischen Pavillon auf der Expo 2000 beteiligt. Der Pavillon war dabei ein Projekt, das er in Zusammenarbeit mit Shigeru Ban realisierte.

Ottos „exotischste“ Arbeit bleibt wahrscheinlich die Serie von dynamischen Sonnenschirmen, die er für die 1977er US-Tournee von Pink Floyd entwickelte. Neben seiner Lehre in Stuttgart war Frei Otto auch Gastdozent an so unterschiedlichen Institutionen, wie der Washington University in St. Louis, dem Massachusetts Institute of Technology und der Hochschule für Gestaltung Ulm tätig. Hinzu kommt die Veröffentlichung zahlreicher Standardwerke der Architektur.

Mit 25 Modellen von Projekten Frei Ottos und mit Skizzen, Fotos und einer Reihe von inspirierenden natürlichen Materialien will „Form follows nature“ nicht nur untersuchen, wie Otto die Natur für seine Konstruktionen nutzte, sondern auch erklären, wie er durch seine Forschungen ein ganz eigenes Ideal eines Gebäudes entwickelte – in ökonomischer und ökologischer Hinsicht, und vor allem im Einklang mit der Natur. Neben Frei Otto präsentiert „Form follows nature“ Arbeiten der in Stephanskirchen ansässigen Finsterwalder Architekten und des deutschen Künstlers Carsten Nicolai. So wird Frei Ottos Werk alternativen zeitgenössischen Methoden zur Nutzung von natürlichen Strukturen in kreativen Formfindungsprozessen gegenübergestellt.

„Form follows nature“ läuft im Kunsthaus Kaufbeuren, Spitaltor 2, 87600 Kaufbeuren, Allgäu bis Sonntag, den 16.November.

Alle Details, darunter Informationen zum begleitenden Rahmenprogramm, sind unter www.kunsthaus-kaufbeuren.de zu finden.

1. Frei Otto, Das hängende Dach, Im Bauwelt Verlag, Berlin, 1954

Frei Otto Schäume  IL Uni Stuttgart

Eine Studie zu Schaum, Frei Otto (Foto: © IL Uni Stuttgart, mit freundlicher Genehmigung des Kunsthaus Kaufbeuren)

 

Frei Otto, Olympiastadion München 1972 Teilansicht IL Uni Stuttgart

Ein Teil des Daches vom Münchner Olympiastadion von Frei Otto, (Foto: © IL Uni Stuttgart, mit freundlicher Genehmigung des Kunsthaus Kaufbeuren)

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