Reihe Chemnitzer Kreativität: Marcel Kabisch

Wie wir an dieser Stelle schon oft bemerkt haben, verkauft sich die ostdeutsche Stadt Chemnitz gerne als „Stadt der Moderne“, was, wie wir genasuo oft bemerkt haben, eine etwas zu positive Behauptung ist. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und der Geburtsort von Marianne Brandt und ein Kaufhaus von Erich Mendelsohn in der Stadt noch keine „Stadt der Moderne“.

Das soll nicht heißen, Chemnitz hätte keinerlei kulturelle Relevanz. Historisch hat Chemnitz Arbeiten wie z. B. die Villa Esche von Henry van de Velde oder Lew Kerbels 7 Meter hohe Karl-Marx-Büste von 1971 zu bieten, zeitgenössisch hat sie die dank der großen Bemühungen von Institutionen wie des Kunstsammlungen Kunstmuseums oder des neuen Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz.

Aber ist das zeitgenössische Chemnitz wirklich ein kreativer Ort? Wie viel Kreativität und Innovation steckt und gedeiht in der Wildnis des südlichen Sachsens? Werden künftige Stadtväter in der Lage sein, besser fundierte Stadtwerbung für die Rolle der Stadt als kreatives Zentrum zu machen?

Da gibt es wohl nur einen Weg, das herauszufinden – vor Ort sein und mit denen sprechen, die im kreativen Bereich tätig sind. Nach unserem Gespräch mit Jörg Kaufmann von Silbaerg Snowboards haben wir uns daher nun mit dem Designer Marcel Kabisch unterhalten.

Marcel Kabisch, ursprünglich als Tischler ausgebildet, lebt und arbeitet in seinem Heimatort Frankenberg, einem idyllisch gelegenen Städtchen gleich vor den historischen Stadtmauern Chemnitz‘. Er studierte Holzgestaltung (Produkt-, Objektdesign) an der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Schneeberg und wurde 2004 mit seinem Diplomprojekt, einer Serie von ergonomisch geformten Stühlen, für den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland nominiert. Nachdem Kabisch inzwischen zahlreiche Produkt- und Grafikdesigns sowie verschiedene künstlerische Arbeiten als freischaffender Designer/Holzgestalter realisiert hat, entschloss er sich 2012 sein eigenes Label, Feinserie, zu gründen, um seine Designs selbst herzustellen und zu verkaufen. Ein exzellenter Start gelang ihm dabei mit seinem Hocker und Beistelltisch Griffbereit, der 2014 mit dem zweiten Preis des Sächsischen Staatspreises für Design 2014 ausgezeichnet wurde.

Marcel Kabisch Griffbereit Feinserie

Griffbereit von Marcel Kabisch für Feinserie, ein reduzierter, stapelbarer Hocker und/oder Beistelltisch (Foto: Marcel Kabisch/Feinserie)

Kürzlich nahm Marcel Kabisch an einer Podiumsdiskussion in Chemnitz zum Thema „Designhandwerk – Handwerk im Design“ teil und eine der Publikumsfragen, denen er sich stellen musste, lautete: „Kann ein Produkt eine Seele haben?“ Was für ein exzellenter Ausgangspunkt für ein Gespräch, fanden wir … Kann ein Produkt also eine Seele haben?

Marcel Kabisch: Absolut. Eines meiner ersten Produkte heißt Feuerholz und ist eine moderne Interpretation des Räuchermännchens. Als ich das Produkt vorstellte, schrieb ich nebenbei eine Kurzgeschichte, ein richtiges kleines Märchen, mit einem Erzgebirgischen Schnitzer, der in den Wald geht, um Holz für sein Räuchermännchen zu sammeln. Auf dem Weg zurück ins Dorf traf ein Blitz seinen Karren, sodass er Feuer fing und verbrannte. Der Schnitzer dachte sich, „damit ist es jetzt vorbei!“ Und so kam die Idee zu „Feuerholz“. Auf diese Art kann man einem Produkt eine Seele geben, indem man es persönlich macht. Weil letztendlich sind die wichtigsten Produkte nicht die teuersten, sondern die, mit denen man Assoziationen verknüpfen kann – die durch eine persönliche Assoziation eine Seele bekommen.

smow Blog: Du hattest einen abwechslungsreichen Berufsweg. Wie würdest du dich selbst bezeichnen – als Tischler, Designer, Künstler, Holzgestalter … ?

Marcel Kabisch: Man kann sich nicht selbst definieren, das müssen andere übernehmen. Ich wurde als Tischler ausgebildet und studierte dann Design/Holzgestaltung. Selbst habe ich mich immer nur als „kreativ“ verstanden, aber um ehrlich zu sein, interessiert mich die Serienproduktion am meisten.

smow Blog: Und das war dann der Grund Design zu studieren?

Marcel Kabisch: Genau. Als ich anfing zu studieren, war unklar, was ich danach genau machen würde, aber die Serienproduktion, der Versuch ein Produkt mit einer bestimmten Intelligenz zu entwickeln, sodass es serienmäßig produziert werden kann – Effizienz im Design – das interessierte mich sehr. Und das nicht zwangsläufig nur in Verbindung mit dem Material Holz. Nach meinem Studium arbeitete ich beispielsweise für eine Firma, die grundsätzlich Metallprodukte produziert, und meine erste Kollektion war aus Stahl und Edelstahl. Nach wie vor arbeite ich neben Holz auch mit Metall und Glas.

smow Blog: Du hast an der Fachhochschule für Angewandte Kunst Schneeberg studiert. Hast du dich für diese Schule entschieden, weil sie einfach am nächsten gelegen ist, oder hattest du andere Gründe?

Marcel Kabisch: In erster Linie hab ich mich wegen Professor Gerd Kaden für Schneeberg entscheiden. Mir gefiel auch, dass sich die Schule zwischen Kunst und Design positioniert und für einen spielerischen Umgang mit dem Material steht. Das beeindruckte mich damals sehr. Schaut man sich andere Schulen mit ihren Trendscouts und dergleichen an, lässt sich sagen, dass das in Schneeberg keine Rolle spielte und spielt. Vielmehr lernt man sein Material und dessen Möglichkeiten zu verstehen und entwickelt dann einen organischen kreativen Prozess. Da ist es nicht relevant, was andere machen.

smow Blog: Du hast Professor Gerd Kaden erwähnt, einen der Großen in der Holzgestaltung. Beeinflusst er deine Arbeit immer noch?

Marcel Kabisch: Absolut. Ich habe erst kürzlich eine Serie von Schalen in verschiedenen Hölzern entwickelt. Also geformte Objekte aus Holz, die man beispielsweise als Fruchtschale nutzen kann. Es interessierte sich niemand dafür und ich bin sie nicht losgeworden. Gerd Kaden sagte uns mal, wenn etwas nicht funktioniert, macht es größer! Und das tat ich. Ich vergrößerte die Schale auf 4 Meter Länge, so dass sie sich in eine Bank verwandelte. Genau das gleiche Objekt, nur größer. Und jetzt verkauft sich die Arbeit.

Marcel Kabisch Bank mit Kindern

War mal eine Obstschale, ist nun eine Bank … von Marcel Kabisch (Foto: Marcel Kabisch)

smow Blog: Wir wissen, dass du aus Frankenberg kommst und deshalb persönliche Gründe hast, dort auch zu arbeiten. Hat Frankenberg darüber hinaus auch berufliche Vorteile für dich? Hast du nie darüber nachgedacht beispielsweise nach Berlin umzuziehen?

Marcel Kabisch: Der große Vorteil an Frankenberg und dem Erzgebirge allgemein ist, dass man hier sehr viel machen kann. Es gibt sehr viele Handarbeits- und Kunsthandwerksunternehmen, die einem behilflich sein können, bei der Entwicklung von Projekten und spezielle Arbeiten für einen übernehmen können. Hinzu kommt, dass es hier eine Menge Platz gibt und Arbeits- und Atelierräume sehr günstig sind. Unglaublich günstig! Natürlich gibt es nicht allzu viel Arbeit hier. Ich mache beispielsweise viele „Kunst am Bau“-Projekte und habe über viele Jahre mit der Blindenschule Chemnitz zusammengearbeitet, aber niemand kommt hierher und sucht nach Designern. Da hat man möglicherweise bessere Chancen in Berlin, nicht zuletzt weil es marketingtechnisch schon mal besser klingt. Aber man muss immer die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen und dann das Beste daraus machen.

smow Blog: Aber lohnt es sich hier nach Designern Ausschau zu halten? Ist Chemnitz eine kreative Stadt?

Marcel Kabisch: Ich bin im Vorstand des Chemnitzer Künstlerbundes, einer deutschlandweiten Organisation von regionalen und lokalen Ortsverbänden, und Chemnitz ist der einzige Künstlerbund, der Mitglieder aus der Angewandten Kunst hat. Alle anderen sind reine bildende Künstler. In Chemnitz haben wir schon immer auch Designer und das hängt größtenteils mit Schneeberg und dem Anteil an Absolventen, die in der Gegend bleiben, zusammen. Insofern ist Chemnitz eine sehr kreative Stadt für mich.

smow Blog: Und „Ostdeutschland“ im Allgemeinen?

Marcel Kabisch: Es gibt eine Menge Designer im Osten, aber nicht so viele Unternehmen, die sie beschäftigen können. Das deutsche Designmagazin „Form“ hat 2012 eine Deutschlandkarte veröffentlicht, in der Firmen, die Design produzieren, eingezeichnet sind. Der ehemalige Westen war voll, im Osten große Leere. Sie haben sogar die Legende mit den diversen Kategorien über dem Ostteil platziert. Da gab es Platz genug.

Irritierend daran ist, dass wir hier gute Designer haben. Auch schon während der Teilung Deutschlands gab es die. Aber es gibt hier keine Industrie und welche Firma aus dem Westen sucht im Osten nach Designern, wo es dort ja genug talentierte Designer vor der Haustür gibt.

smow Blog: War das für dich die Motivation dein eigenes Label zu gründen?

Marcel Kabisch: Direkt nach dem Studium arbeitete ich für eine Firma und realisierte mit der Zeit, dass ich das Unternehmen weder wirklich brauche noch wollte und beschloss schließlich, es auf eigene Faust zu versuchen. Über einige Jahre habe ich einfach als normaler Freiberufler gearbeitet. Die eigentliche Motivation Feinserie als Label zu gründen kam dann erst, als ich Bernau, ein Dorf im Schwarzwald, besucht habe. Die Region gleicht in vielerlei Hinsicht der hiesigen, nur dass es in Bernau – in einem einzigen Dorf – drei Designfirmen gibt. Drei alte Häuser, allesamt Nachbarn und alle produzieren Designobjekte, die zu großen Teilen auf traditionellem Handwerk basieren. Als ich das gesehen habe, dachte ich mir, das muss ich auch im Erzgebirge machen.

smow Blog: Frankenberg als Zentrum der sächsischen Designrevolution also?

Marcel Kabisch: Warum nicht? Wir haben in Sachsen keinen Mangel an Designern, sondern an Labels, Herstellern und Händlern. Die fehlen! Wir haben qualifizierte Handwerker. Wir haben qualifiziert Designer. Aber es fehlen professionelle Leute aus dem industriellen Bereich, die über das nötige Know-how verfügen, dieses Potential zu promoten und zu managen.

smow Blog: Du hast Feinserie im Jahr 2012 gegründet. Jetzt wo deine Firma läuft – ist es so schwierig wie du gedacht hast?

Marcel Kabisch: Sehr viel schwieriger. Allerdings denke ich, dass es ganz gleich an welchem Ort genauso schwierig wäre. Momentan ist der Plan alle zwei Jahre auf der Ambiente Messe auszustellen, nicht zuletzt weil ich es nicht notwendig finde, jedes Jahr ein neues Produkt zu veröffentlichen. Zwei Jahre sind ein guter zeitlicher Rahmen, um ein neues Produkt zu entwickeln. Ich habe mit kleinen Objekten und Accessoires begonnen, letztes Jahr kam dann Griffbereit dazu, und als nächstes arbeite ich an der Entwicklung eines Stuhls. Der Plan ist, die Kollektion langsam, aber stetig und Schritt für Schritt aufzubauen.

Mehr Informationen zu Marcel Kabisch, seiner Arbeit und Feinserie sind unter www.holzgestaltung.com und www.feinserie.de zu finden.

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