5 neue Designausstellungen im November 2015

In dem Interview, das wir mit Matylda Krzykowski vor der Ausstellung „Forum für eine Haltung“ von Depot Basel geführt haben, gibt es ein Statement von ihr, das wir, so sehr wir uns auch bemüht haben, einfach nicht in den Post bugsieren konnten: „Die meisten Menschen haben noch nie eine Designausstellung besucht. Kunstausstellungen ja, aber keine Designausstellungen.“

Das haben wir noch nie gehört.

Aber es stimmt.

Ihr geht nicht in Designausstellungen, oder?

Und vermutlich auch nicht in Architekturmuseen! Nein, sogar sicher nicht in Architekturmuseen, wenn ihr nicht in Designmuseen geht.

Das muss sich ändern! Und die folgenden fünf Möglichkeiten sollten den perfekten Anreiz liefern …

„Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt

Im Jahre 1919 schrieb sich Ferdinand Kramer am Bauhaus Weimar ein. Nur um, enttäuscht von der mangelnden formalen Architekturausbildung an der Schule, einige Wochen später wieder zu gehen. Nicht dass diese Entscheidung in irgendeiner Form seiner Karriere schadete. Bevor er ans Bauhaus ging, studierte Kramer an der Technischen Hochschule in München, zu der er zurückkehrte und wo er 1922 seinen Abschluss machte. 1925 kehrte Ferdinand Kramer in seine Heimat Frankfurt zurück, um den Stadtplaner Ernst May bei der Planung des sogenannten „Neuen Frankfurts“ zu unterstützen, eines Stadt- und Wohnungsbauplanungsprogramms also, das eines der wichtigsten modernistischen Projekte in Deutschland war. Nach Ernst Mays Umzug nach Moskau im Jahre 1930 blieb Ferdinand Kramer in Frankfurt und arbeitete bis zu seiner durch die Nazis bedingten Auswanderung nach Amerika im Jahre 1938 als freischaffender Architekt. Auch in Amerika arbeitete er als Architekt und Designer, bis er im Jahre 1952 zum Baudirektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main ernannt wurde. Er baute die Institution nach seinen funktionalistischen Vorstellungen um und richtete sie auch so ein. In Anknüpfung an die Ausstellung im Museum Angewandte Kunst Frankfurt „Das Prinzip Kramer. Design für den variablen Gebrauch“ im Jahre 2014 und die dort ausgestellten Designarbeiten Ferdinand Kramers, untersucht „Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“ Kramers architektonisches Werk und sein Vermächtnis.

„Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“ wird am Samstag, den 28. November im Deutschen Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main eröffnet und läuft bis Sonntag, den 1. Mai.

Ferdinand Kramer Philosophicum Universität Frankfurt 1960 Foto © Institut für Stadtgeschichte 1961

Ferdinand Kramer: Philosophicum Universität Frankfurt, 1960 (Foto © Institut für Stadtgeschichte (1961))

„Joris Laarman Lab“ im Groninger Museum, Groningen, Holland

Wir haben Joris Laarman nie wirklich „verstanden“. Gerade das macht aber die Aussicht auf eine Ausstellung über ihn im Groninger Museum so spannend. Nach seinem Abschluss an der Design Academy Eindhoven im Jahre 2003 gründete Joris Laarman gemeinsam mit der Filmemacherin Anita Star das Joris Laarman Lab in Amsterdam, ein Designstudio, das sie als „experimentellen Spielplatz zum Studieren und Gestalten der Zukunft“ betrieben. Konkret bedeutet das, dass sie die gegenwärtige Wissenschaft, Technologie und Materialien dazu nutzen, um zum Beispiel neue Produktionsprozesse, neue Produktbereiche und neue Herangehensweisen an konventionelle Konzepte und Produkte zu entwickeln. Wir haben bloß nie verstanden, was an Joris Laarmans Ansatz interessanter ist als bei anderen Studios. Jedenfalls spricht die Tatsache, dass seine Objekte in Museen wie dem MoMA New York, V&A London und dem Centre Pompidou Paris ausgestellt werden, für den Ansatz und die Leistung Joris Laarmans. Genau wie die Tatsache, dass unser liebster norwegischer Designer Erik Wester fünf Monate in dem Lab gearbeitet hat. Die Ausstellung verspricht, verschiedene experimentelle Objekte aus dem Joris Laarman Lab zu zeigen, inklusive einer detaillierten Thematisierung des Herstellungsprozesses und des technischen, wissenschaftlichen und theoretischen Hintergrunds. So sollte sie uns und allen, die das Studio nicht kennen, die Relevanz der Arbeiten für das zeitgenössische Design und somit auch für die gegenwärtige Gesellschaft aufzeigen.

„Joris Laarman Lab“ wird am Sonntag, den 22. November im Groninger Museum, Museumeiland 1, 9711 ME Groningen eröffnet und läuft bis Sonntag, den 10. April.

Joris Laarman Lab Branch Bookshelf

Branch Bookshelf von Joris Laarman Lab

„Coney Island: Visions of an American Dreamland, 1861–2008“ im Brooklyn Museum, Brooklyn, New York, USA

Je nachdem, wie alt du bist und wo du herkommst, hat Brooklyns Coney Island unterschiedliche Bedeutungen, beschwört verschiedene Bilder herauf und ruft verschiedene Emotionen hervor. Was sicherlich eines der wichtigen Merkmale einer großen kulturellen Institution ist. Sie wächst, entfaltet sich und entwickelt sich mit der Gesellschaft, spiegelt stets den Zeitgeist wider und bleibt so immer relevant. Wir waren einmal dort. Es war September. Der Freizeitpark war geschlossen. Das Meer war kalt. Der Sonnenuntergang unvergesslich. Die Pizza köstlich. Der D Train dreckig und unprätentiös. Bruce Springsteens „Born to Run“ hat noch nie mehr Sinn ergeben. „Runaway American dream“. Klischeehaft? Ausnahmslos. Aber das ist Amerika für dich. „Coney Island: Visions of an American Dreamland, 1861-2008“ dokumentiert etwa 150 Jahre des Wandels und der Entwicklung an den Küsten des Atlantiks. Im Rahmen der Ausstellung werden 14o Objekte präsentiert, inklusive Gemälden, Fotos und Gegenständen, die nicht nur die Entstehung und Entwicklung von Coney Island von einem simplen Badeort zu einem Schlagwort für Americana darstellen und dokumentieren, sondern den Kuratoren zufolge auch das Wachstum des Massenkonsums und der Konsumkultur in Amerika thematisieren. Wir für unseren Teil hoffen, dass die Ausstellung auch einige Einblicke in die positiven und negativen emotionalen Verbindungen und Zusammenhänge ermöglicht, die zwischen rationalen Lebewesen und einem Ort entstehen können.

„Coney Island: Visions of an American Dreamland, 1861–2008“ wird am Freitag, den 20. November im Brooklyn Museum, 200 Eastern Parkway, Brooklyn, New York eröffnet und läuft bis Sonntag, den 13. März.

Milton Avery (American, 1885–1965). The Steeplechase, Coney Island, 1929.  © 2013 Milton Avery Trust/Artists Rights Society (ARS), New York

Milton Avery, The Steeplechase, Coney Island, 1929. (Bild © 2013 Milton Avery Trust/Artists Rights Society (ARS), New York, Mit freundlicher Genehmigung des Brooklyn Museum)

„Konstantin Grcic – Panorama“ im Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Wenn du denkst, dass du schon alles gesehen hast, jede mögliche Emotion durchlebt hast, die die menschliche Psyche durchleben kann, so oft überrascht wurdest, dass das Erwartete zur Norm wird … dann kündigt das Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig die Ausstellung „Konstantin Grcic – Panorama“ an. Das ist wie zum ersten Mal Schnee sehen.

Angst und Faszination. Ist es das Ende der Welt? Ist das Nirvana? Von der Verwirrung überwältigt und unsicher, ob man lachen oder weinen oder beides tun sollte. Nie fühlte man sich so lebendig.

Konstantin Grcic im Grassi Museum Leipzig?

Die Namen Grassi und Grcic mögen sich phonetisch ähneln, aber …

Genau das macht die Entscheidung des Museums, die Ausstellung zu zeigen, natürlich so aufregend. Die Originalausstellung im Vitra Design Museum war, gewissermaßen mit Heimvorteil, eine sichere Sache. Genau wie die letzte Ausstellung im Z33 in Hasselt, Belgien, denn das Z33 ist Mitorganisator der Ausstellung. Dazwischen gastierte „Panorama“ im ArkDes in Stockholm, womit Konstantin Grcic dank des Industriefeelings im ArkDes sehr zufrieden war, wie er uns erzählte. Und nun der Art-Déco-Prunk des Grassi Museums, die Herausforderung zu animieren und zu begeistern und das in einer Umgebung, die, wenn nicht feindlich, so doch eine Umgebung ist, in der man so etwas wie „Panorama“ normalerweise nicht findet. Dann ist da natürlich noch die wunderbare Möglichkeit, dass die Grassi Orangerie den sozialkritischen Public-Space-Teil von „Panorama“ mit dem experimentellen Projekt „Landen“, einer öffentlichen Sitzgelegenheit, den Chair_Ones und Neill Campbell Ross‘ 30 m langen Rundbild einer Phantasie-Stadtlandschaft zeigt.

„Konstantin Grcic – Panorama“ wird am Donnerstag, den 26. November im Grassi Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig eröffnet und läuft bis Sonntag, den 1. Mai.

The Public Space presentation of  Konstantin Grcic – Panorama, as seen at the Vitra Design Museum, Weil am Rhein. And coming soon to the Grassi Museum for Applied Arts Orangery

Public Space von Konstantin Grcic – Panorama, gesehen im Vitra Design Museum, Weil am Rhein. Bald in der Orangerie des Grassi Museums für Angewandte Kunst

„Bitte berühren!“ im Museum für Gestaltung – Schaudepot, Zürich, Schweiz

Die größte Ironie der Touchscreens ist, dass wir aufgehört haben, Dinge zu berühren, seit sie allgegenwärtig sind. Mit Ausnahme von Bildschirmen. Aus einer trockenen Bedienungsanleitung wird ein Befehl, der von unseren digitalen Meistern erteilt wurde.

Genau wie die industrielle Landwirtschaft unseren Geschmackssinn überflüssig gemacht hat, so droht auch die gegenwärtige digitale Kultur, Haptik zu etwas zu machen, an dem unsere Großeltern Gefallen fanden und worüber wir etwas bei Wikipedia lesen können … auf einem Bildschirm.

Objekte zu berühren ist nicht nur eine der natürlichsten und angeborenen Handlungen des Menschen, sondern auch für Patina und für Verschleiß verantwortlich und trennt so das Alte vom Neuen. Eine vertraute Berührung ist etwas Angenehmes in Momenten, in denen das moderne Leben bedrohlicher als alles andere ist und daher spielt die Berührung eine wichtige Rolle in Bezug darauf, wie wir uns langfristig entwickeln, auf emotionale Beziehungen zu Objekten und so auf die Welt um uns herum.

Der eine Ort, an dem es einem garantiert nicht erlaubt war, etwas anzufassen, war natürlich das Museum. Folglich ergibt es natürlich Sinn, dass ein Museum die Bedeutung, Rolle und Funktion der Berührung untersuchen sollte, wenn diese seltener wird. Im Rahmen einer Auswahl zeitgenössischer industrieller Produkte, die die Besucher berühren, drücken und anstupsen sollen, möchte das Museum für Gestaltung Zürich die Bedeutung der Berührung hervorheben und uns so daran erinnern, woran uns auch eine Tomate aus eigener Ernte erinnert – was der Fortschritt uns alles nimmt.

„Bitte berühren!“ wird am Freitag, den 27. November im Museum für Gestaltung – Schaudepot, Toni-Areal, Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich eröffnet und läuft bis Sonntag, den 20. März.

"Please touch!" at the Museum für Gestaltung – Schaudepot, Zürich

„Bitte berühren!“ im Museum für Gestaltung – Schaudepot, Zürich

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