Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt

Nach der Untersuchung von Ferdinand Kramers Designarbeiten in der Ausstellung „Das Prinzip Kramer: Design für den variablen Gebrauch im Museum Angewandte Kunst„, präsentiert das ebenfalls in Frankfurt am Main gelegene Deutsche Architekturmuseum jetzt „Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“, eine Ausstellung, die sich den Architekturarbeiten des deutschen Funktionalisten Ferdinand Kramer widmet; eine logische Fortsetzung also und so auch eine exzellente Erweiterung und Vervollständigung der Ausstellung „Das Prinzip Kramer“.

Da kommt die Frage auf, warum niemand auf die Idee gekommen ist, eine Ausstellung zu machen, die sich mit beiden Aspekten befasst… .

Line Form Function. The Buildings of Ferdinand Kramer at the Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

„Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“; Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Der 1898 in Frankfurt geborene Ferdinand Kramer war im Frühling 1919 an der TH München eingeschrieben, um unter Theodor Fischer Architektur zu studieren, bevor er im Sommer des gleichen Jahres ans Bauhaus nach Weimar wechselte und im Spätsommer wiederum nach München zurückkehrte; enttäuscht, weil ihm ein offizieller Architekturstudiengang fehlte. Die weltbeste Architektur-Institution hat es nie zustande gebracht einen solchen Studiengang einzurichten.

Nach dem Abschluss seines Studiums 1922 in München, kehrte Ferdinand Kramer zurück nach Frankfurt, wo er überwiegend mit Ausstellungsgestaltung und Aufträgen für Haushaltsgegenstände beschäftigt war, darunter sein berühmter „Kramer Ofen“ im Jahr 1923. Zwei Jahre später holte der Baubeauftragte der Stadt Ferdinand Kramer in sein Team für das sogenannte Neues Frankfurt Projekt, eines der wohl wichtigsten Stadtplanungs- und Bauprojekte in der Zeit zwischen den Weltkriegen.

Genau an dieser Stelle beginnt auch die Ausstellung „Linie Form Funktion“ und zwar mit einer Präsentation von Kramers Beitrag zum Neuen Frankfurt. Die Präsentation gibt auch den Ton für die Ausstellung vor: Eine Mischung aus Modellen, Fotografien, Plänen und Dokumentationsmaterial, die uns genau erklärt, was es mit Kramers Arbeit auf sich hat. Ohne allzu großen Tiefgang präsentiert „Linie Form Funktion“ das Thema doch detailliert genug, um dem Besucher die Arbeiten und deren Kontext verständlich zu machen und zwar, ohne dass man als Nicht-Architekt in einem unnötig technischen Jargon verloren geht. In Anbetracht der hohen Zahl an Modellen, Fotografien und Plänen, ist die Ausstellung allerdings in erster Linie für alle gedacht, die sich ohnehin für Architektur interessieren – aber schließlich findet sie auch in einem speziellen Architekturmuseum statt… .

Siedlung Westhausen at Neuen Frankfurt, as seen at Line Form Function. The Buildings of Ferdinand Kramer, the Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Siedlung Westhausen, ein Teil des Projekts Neues Frankfurt, gesehen bei „Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Nach Ernst Mays Umzug nach Moskau 1930, blieb Ferdinand Kramer in Frankfurt, wo er sein eigenes Architekturbüro betrieb. Zwar wurde ihm wegen des jüdischen Stammbaums seiner Frau nur vorübergehend die Arbeit als Architekt verboten, dennoch emigrierte Ferdinand Kramer 1938 in die USA. Auch wenn Kramer 14 Jahre in Amerika verbrachte und 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, war er doch nie so erfolgreich wie andere von den Nazis zur Emigration gezwungene Architekten aus Deutschland. Und so ist die Präsentation seiner Zeit in den USA auch der knappste Abschnitt der Ausstellung; wenngleich man hier auf das faszinierendste Ausstellungsstück trifft: ein von Kramer entwickeltes, modulares Haussystem, das von Walter Gropius‘ und Konrad Wachsmanns General Panel Corporation gebaut werden sollte. Von einer Firma, die nie recht in Gang kam und so eines dieser vielversprechenden Was-wäre-wenn-Projekte blieb – genau wie auch Kramers Wochenendhauskonzept.

Im Jahr 1952 kehrte Ferdinand Kramer schließlich nach Frankfurt zurück, um zu beginnen, was letztendlich sein Erbe werden sollte: den Umbau und die Erweiterung der Frankfurter Universität. Kompromisslos, dennoch offen und einladend – die zahllosen Institute und Gebäude der Frankfurter Universität haben sehr viel mehr Charakter und Wärme als viele Gebäude aus der gleichen Periode. Sie veranschaulichen, wie auch Kramers Designs für Einbauten, Armaturen, Geschirr, Logos, usw. … perfekt Kramers Verständnis und Interpretation funktionalistischer Architektur.

Eines der echten Highlights der Ausstellung ist ein „geteiltes Modell“, dass das Vorher/Nachher des Haupteingangsbereichs des Jüngelhauses zeigt: vorher neobarocke Säulen und von der Fassade in die Straße drängendes Gepränge, danach Glas und ein paar wenige Streifen Metall, dezent in die Fassade eingelassen. Sehr interessant bei diesem Vergleich ist, dass Kramer die ursprüngliche Anordnung und Organisation der Fenster beibehielt. Dass die früheren Fenster so gut zu Kramers Umbau des Eingangsbereichs passen, zeigt auch, wie sich die internationale Moderne aus dem Historizismus heraus entwickelte. Unnötig zu sagen, dass nicht alle begeistert waren von Kramers Umbau des Eingangs. In einem Brief der FAZ denunzierte der Soziologe Franz W. Jerusalem Kramers Entwurf als „moderne Barbarei“. Aber sagen wir es, wie es ist: Der Fortschritt benötigt immer ein wenig kontrollierte Barbarei, um auf dem rechten Weg zu bleiben.

Der erfreulichste Teil der Ausstellung ist ohne Frage der Abschnitt am Ende, der Ferdinand Kramers Privathausprojekten gewidmet ist. Es wäre zu einfach, Kramer nur aufgrund seiner großen Projekte zu beurteilen, seien das das Neue Frankfurt oder die Frankfurter Universität. Dass er nämlich auch sehr sensibel dezente Wohnhäuser bauen ließ, wird häufig vergessen, auch wenn sie, um Kramers Ouevre zu verstehen – und das veranschaulicht „Linie Form Funktion“ ganz wunderbar – genauso wichtig sind wie seine größeren, monumentalen Arbeiten.

Frankfurt University Jügelhaus before and after, as seen at Line Form Function. The Buildings of Ferdinand Kramer, the Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Frankfurter Universität, vorher und nachher, gesehen bei „Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Dass die Ausstellung gerade jetzt stattfindet, ist sehr passend. Zum einen zieht die Universität Frankfurt gerade in Gebäude an einem extra neu errichteten Standort – die Kramer-Gebäude werden also möglicherweise nicht mehr lange stehen, oder zumindest nicht alle von ihnen. Der beste Moment also, um sie noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Zum anderen entstanden Projekte wie das Neue Frankfurt vor dem Hintergrund einer akuten Notlage – eines Mangels an Wohnraum. Eine Situation, in der wir uns auch heute wieder befinden und deren soziale, ökonomische und ökologische Auswirkungen sich in den kommenden Jahrzehnten verschlimmern werden. Das derzeitige Europa ist auf solide städtische Bebauungskonzepte angewiesen, wenn es mit den kommenden Veränderungen Schritt halten will. Vieles von dem, was die Funktionalisten während der 1920er und 1930er Jahre herausgestellt haben, mag heute bezüglich der Materialien und der Prozesse überholt sein, hinsichtlich der Ideen und der Beweggründe hat es aber womöglich nach wie vor Gültigkeit.

Wir sagen es immer wieder: Man muss das Rad nicht neu erfinden – das alte Prinzip funktioniert heute wie damals. Allerdings kann dieses alte Prinzip von Zeit zu Zeit etwas optimiert und justiert werden.

Es wäre zu einfach, Ferdinand Kramer als frankfurtspezifischen Architekten abzutun, als jemanden von Interesse für die Stadt aber nicht darüber hinaus. Das wäre nicht nur sehr unhöflich, sondern auch vermessen. Die geografische Verbreitung der Arbeiten eines Architekten korreliert nicht gleich mit deren Qualität – Architekten, die lang genug an einem Ort arbeiten, können zudem häufig eine größere Anzahl ihrer Ideen realisieren und ihre Theorien weiter vertiefen als Architekten, die sich immer wieder mit neuen Klienten und/oder neuen Bauverordnungen herumschlagen müssen.

Ferdinand Kramer hat uns ein faszinierendes, anspruchsvolles und vor allem wichtiges Werk hinterlassen und „Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer“ ist die beste Gelegenheit, sich mit diesem Werk bekannt zu machen.

Alles was wir hoffen können ist also, dass sich jemand findet, der „Das Prinzip Kramer“  und „Linie Form Funktion“ zu einer zusammenhängenden Untersuchung von Ferdinand Kramers Arbeit und Leben verbindet. Das wäre die passende Nachfolgeveranstaltung und eine logische Erweiterung und Vervollständigung des Projektes… .

„Linie Form Funktion. Die Gebäude von Ferdinand Kramer“ läuft im Deutschen Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am Main, bis Sonntag, den 1. Mai.

Alle Details und Informatiuonen zum Rahmenprogramm gibt es auf http://dam-online.de.

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