smow Blog Designkalender: 9.September 1894 – Herzlichen Glückwunsch Poul Henningsen!

Dafür, dass Poul Henningsen auf der ganzen Welt als einer der wichtigsten dänischen Designer des 20.Jahrhunderts gilt, finden sich unerklärlicherweise nur sehr wenige zuverlässige Informationen über ihn – zumindest in anderen Sprachen als Dänisch.

Sogar die British Library in London – immerhin selbsternannte Hüterin des weltweiten Wissens – stellt nur sehr wenige Texte in nicht-dänischer Sprache zur Verfügung.

Allerdings biegen sich Regalböden auf der ganzen Welt unter dem Gewicht dänischsprachiger Schriftstücke über und von Poul Henningsen. Während Henningsen nämlich außerhalb Dänemarks überwiegend für eine Leuchte berühmt ist, die nach einem eher unpopulären Gemüse benannt ist, hat er in seinem Heimatland Dänemark einen ganz anderen Status.

Poul Henningsen

Poul Henningsen (1894 – 1967)

Geboren in Ordrup nahe Kopenhagen am 9. September 1894 begann Poul Henningsen ursprünglich eine Lehre als Steinmetz, bevor er seine Lehre abbrach um Architektur zu studieren – zuerst an der Technischen Schule Frederiksberg und danach am Technical College Kopenhagen. Beide Universitäten verließ er jedoch ohne einen Abschluss.

Unbeirrt von seinen fehlenden Qualifikationen gründete Poul Henningsen sein eigenes Designstudio im Jahr 1919 und begann seine Forschungen im Bereich Leuchtendesign. Die wichtigste Anregung waren für Henningsen die damals neumodischen, elektrischen Glühbirnen – ihr sprödes, ungewohntes Licht und die Notwendigkeit Leuchten zu entwickeln, die nicht nur das blendende Licht im Zaum halten würden, sondern dazu auch noch gut aussehen und ökonomisch und hygienisch ausfallen würden. Für Henningsen war das Leuchtendesign also nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine „kulturelle Aufgabe“.

 

Nach ungefähr fünf Jahren wissenschaftlicher Untersuchungen von Lichtstreuung, Wärmeaustausch und Lichtbrechung gewann ein Prototyp der zukünftigen PH Leuchte mit den drei charakteristischen konzentrischen Schirmsegmenten eine Goldmedaille auf der Pariser Ausstellung 1925. Ein Jahr später wurden die ersten PH Leuchten im Rahmen eines Auftrages für das  Forum Kopenhagen produziert. Sie definierten das Leuchtengenre völlig neu. 1929 vertrieb Louis Poulsen dann bereits die Tisch-, Hänge- und Wandversion der PH Leuchte auf vier Kontinenten. 1930 setzte selbst Mies van der Rohe die Leuchten in seiner Villa Tugendthat in Brno ein. In den über 80 Jahren die seither vergangen sind hat sich die PH Leuchte bis heute zu einem der bekanntesten und am meisten kopierten Leuchtendesigns entwickelt.

Im Laufe seiner Karriere entwickelte Poul Henningsen um die 100 Leuchtendesigns für Louis Poulsen. Neben der originalen PH Leuchte sind die berühmtesten Vertreter ohne Frage die PH 5, die PH Snowball, die PH Charlottenborg und natürlich die PH Zapfen, bzw. die PH Artichoke.

Poul Henningsen Artichoke Lamp Louis Poulsen

Artichoke Leuchte von Poul Henningsen für Louis Poulsen. Berühmte Leuchte – weniger populäres Gemüse.

Neben weltweitem Ruhm brachten die PH Leuchten Poul Henningsen auch die finanzielle Freiheit um seiner anderen großen Leidenschaft nachzugehen: dem geschriebenen Wort – sei es als Poet, Journalist, Songtexter, Kultur- oder Gesellschaftskritiker.

1921 begann Henningsen als deren erster Architekturkritiker für die dänische Tageszeitung Politiken zu schreiben, bevor er 1926 das Magazin Kritisk Revy (Kritische Rückschau) selbst mitgründete. Kritisk Revy veröffentlichte Artikel über Kultur, Architektur, Kunst und Design. Abgesehen von Henningsen selbst stammten die Beiträge von Größen wie Uno Åhrén, Otto Linton oder Otto Gelsted – hinzu kam 1928 der eigentümliche Beitrag “Rationel biograf” von Alvar Aalto.

Auch wenn Kritisk Revy nur für zwei Jahre existierte, schaffte es das Magazin Poul Henningsen zu einem der wichtigsten Kultur- und Gesellschaftkritiker seiner Generation zu machen. Zu einem, der sich – mit den Worten von Sven Rossel und Niels Ingwersen – „daran machte Vorurteile, Snobismus und die ärgerliche Sehnsucht „rein zu passen“ – also alles, was dem menschlichen Dasein im Sinne von Freiheit und Glück im Wege steht,  zu entlarven.“2   

Verpflichtet fühlte sich Henningsen zudem der Verteidigung der Gleichberechtigung: ganz gleich ob im Kontext sozialer Gleichstellung, politischen Einflusses oder geschlechtlicher Gleichstellung. In diesem Zusammenhang hielt er 1963 fest: „Es wird nicht ausreichen Frauen zu den gleichen Bedingungen der Männer Zugang zu allen Berufen zu ermöglichen. Der Kampf um Gleichberechtigung muss an allen Fronten geführt werden und es ist noch ein weiter Weg, selbst wenn wir hier in Skandinavien schon sehr viel weiter sein sollten als andernorts.“3

So kam es auch, dass Poul Henningsen einen seiner ganz großen Momente vor dem zugegebenermaßen ungewöhnlichen Hintergrund des Eurovision Song Contest 1965 hatte. Dänemark war dort mit Birgit Brüel und dem Lied For din skyld vertreten. Der Text stammte von Poul Henningsen, die Musik von Jorgen Jersild.

Birgit Brüel hat so wie sie dasteht etwas elementares, dunkles und fraglos brillantes an sich: Der absolute Inbegriff stoischer, fast schon heroischer, nordischer Schönheit; ihre warme, feminine Stimme formt jedes Wort mit Leidenschaft.

 

Und während alle, die nicht dänisch sprechen in Unwissenheit dahin schmelzen – Zeugen einer offensichtlich herzzerreißenden Ode an eine große, vielleicht auch verlorene Liebe werden, geht an die Dänen eine bittersüße Botschaft mit einem deutlichen, sozialkritischen Kommentar.

Deinetwegen trage ich wallende Röcke

Deinetwegen bin ich mädchenhaft, sensibel, kokett

Deinetwegen unterwerfe ich mich, denn du willst mich zähmen, willst mich schwach und scheu

………………..

Jedesmal wenn ich gebe, dann nimmst du nur

Ich aber träume von einer Liebe in Freundschaft

Meine Weiblichkeit ist mir gleichgültig, wenn ihr einziger Zweck ist dich zu erhöhen

………………..

Ich bin nicht deine Beute! Ich bin dir ebenbürtig.

Und das auf dem Eurovison Song Contest – absolut großartig!

Der Text ist deutlich einem Monolog in Alexandre Dumas Stück „L’Ami des femmes“ von 1865 entlehnt, in dem es um das geschmacklose Wesen der Ehe geht, und passt wunderbar zu Poul Henningsens Sicht auf die Gleichstellung von Mann und Frau in den 1960er Jahren in Skandinavien.

 

Es liegt also nicht nur ein wenig Zynismus in der Tatsache (Henningsen hätte uns zugestimmt!), dass im Jahr 1974 die Band  ABBA den Eurovision mit einem Song gewann, dessen Botschaft diametral der Botschaft Henningsens entgegengesetzt war. Ein Song, der ganz und gar passiv den viktorianischen Status Quo akzeptierte und dennoch ABBA dazu verhalf zum Sinnbild einer emanzipierten skandinavischen Gesellschaft der 1970er Jahre aufzusteigen.

Um es mit ABBA zusagen: „The history book on the shelf is“ not „always repeating itself“ – wenn auch nicht Wort für Wort.

Birgit Brüel landete mit 10 Punkten auf Platz sieben. France Gall und das Serge Gainsbourg-Lied Poupée de cire / poupée de son – Wachspuppe / Stoffpuppe – gewannen für Luxemburg mit 32 Punkten.

Poul Henningsen starb am 31.Januar 1967 in Hillerod, Dänemark.

Wir danken Poul Henningsen für die PH 2/1, PH 3/2, PH 5, PH Louvre und natürlich danken wir ihm für die Leuchte Artichoke. Außerdem sind wir Henningsen dankbar, dass er Verner Panton in die Magie des Leuchtendesigns einführte und dafür, dass er so viel zu den Diskussionen zu zeitgenössischem Design beitrug. Vor allem aber sind wir Poul Henningsen zum Dank verpflichtet, weil er nicht im Sumpf der Selbstvermarktung unterging, wie so viele seiner Kollegen, und dafür, dass er immer aufrichtig an der Gesellschaft interessiert war und wirklich versuchte seine Umgebung zu verbessern.

Es ist wirklich eine Schande, dass darüber nur die Dänen etwas lesen können.

Herzlichen Glückwunsch Poul Henningsen!

1. Poul Henningsen, Rummets Belysning, Kritisk Revy, Nummer 2, 1927

2. Sven H Rossel und Niels Ingwersen „Between the World Wars“ in A History of Danish Literature, University of Nebraska Press, Lincoln, 1992

3. Ove Brusendorff und Poul Henningsen, A history of eroticism. Volume 6. In our time, Stuart, New York 1967

(Video mit Dank an youtube.com/EurovisionSubitled)

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