SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster! @ Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

Architekten sind immer erpicht darauf zu betonen, dass sie im Interesse der Gesellschaft handeln, für die Gesellschaft arbeiten; und das häufig ganz selbstlos. Und doch polarisiert nur Weniges unsere Gesellschaft so wie die Architektur. Und nur wenig Architektur polarisiert so wie der Brutalismus. Während sich im Diskurs um die Architekturstile moderate Positionen in der Mitte treffen können, um objektiv ihre gegenseitigen Positionen zu verteidigen, gibt es beim Brutalismus keine Moderaten. Mit der Ausstellung „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ wird das Deutsche Architekturmuseum zu dieser objektiven Mitte und ermöglicht so eine sehr willkommene Diskussion über den Brutalismus, seine Ursprünge und sein Erbe.

SOS Brutalism - Save the Concrete Monsters at the Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt

Brutalism: Brut not Brutal

Aufgrund des visuellen Eindrucks vieler brutalistischer, wenn nicht gar der meisten brutalistischen Konstruktionen, lässt der Brutalismus wenig Raum für alternative Vorstellungen und so existieren diverse Missverständnisse. Vor allem, dass der Begriff aus dem Wort „brutal“ hervorgegangen sei. Das ist nicht der Fall, vielmehr geht Brutalismus auf das französische Wort „brut“ zurück, was soviel bedeutet wie „direkt“ oder „roh“, unter Umständen auch „trocken“.

In ähnlicher Weise führt die Tatsache, dass viele bzw. die meisten brutalistischen Konstruktionen aus Beton gebaut sind, zu der falschen Annahme, alle brutalistischen Konstruktionen bestünden aus Beton. Ein Missverständnis, das vom Ausstellungstitel und der Präsentation wunderbar bekräftigt wird, eigentlich aber nicht zwangsläufig zutreffend ist.

„Der britische Architekturkritiker Reyner Banham schlägt drei Fakten vor:“, erklärt der Ausstellungskurator Oliver Elser, „offen liegendes Material, Sichtbarkeit der Struktur und Stärke des Bildes, also der gesamten Komposition, und an dieser Stelle haben wir die rhetorische Qualität des Gebäudes hinzugefügt. Das sind keinesfalls eindeutige Kriterien, aber man kann die meisten brutalistischen Arbeiten der späten Moderne insofern kennzeichnen, als sie alle etwas Barsches, sehr Expressives und eben auch häufig Brutales an sich haben.“

Dieser Ausdruck wurde ganz bewusst und provokant von den Protagonisten dieses Genres eingesetzt, was „SOS Brutalismus“ wunderbar deutlich macht.

SOS Brutalism - Save the Concrete Monsters at the Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt

Brutalismus: Von Norfolk, in die Welt, in die Schande

Als architektonisches Genre entwickelte sich der Brutalismus in den 1950er-Jahren. Als erstes brutalistisches Gebäude wird meist die Hunstanton School in Norfolk, England von Peter und Alison Smithon aus dem Jahr 1957 genannt. Das Architektenpaar hatte ein Jahr zuvor die sogenannte Team X Bewegung innerhalb des Congrès Internationaux d’Architecture Moderne, CIAM, gegründet. Dabei handelte es sich um den Versuch, sich von den Positionen älterer CIAM-Mitglieder zu distanzieren, darunter die dominierende Position von Le Corbusier, ein Architekt der ja selbst nichts gegen etwas Béton brut (freiliegenden Beton) einzuwenden hatte.

Während es sich bei der Hunstanton School im Gegensatz zu vielen anderen brutalistischen Arbeiten – und verglichen mit späteren Smithson Projekten, wie beispielsweise den Robin Hood Gardens, London – um eine ziemlich moderate und zurückhaltende Angelegenheit handelt, verbreiteten sich die ihr zugrunde liegenden Prinzipien, vor allem die strukturelle Klarheit und der Fokus auf günstige, lokale Materialien, schnell auf der ganzen Welt. Eine jüngere Generation von Architekten reagierte auf diese Weise auf die vorherrschenden sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen der Nachkriegszeit. Es handelte sich also auch um ein politisches Statement einer neuen Nachkriegsgeneration.

Nicht, dass diese Arbeiten allen gefallen hätten – für viele wirkten die rohen, direkten Arbeiten eher befremdlich denn einladend, eher hässlich als schön und brutal statt trocken. Vielen geht es damit nach wie vor genauso – der Brutalismus polarisiert wie eh und je.

Während die brutalistische Phase in der Architektur bis in die späten 1960er-Jahre andauerte, und so etwas mehr als ein Jahrzehnt währte, wurde sie Oliver Elser zufolge in vielen Regionen bis in die späten 1980er-Jahre weitergeführt – vor allem in den Regionen des sowjetischen Ostblocks. Das Ende des Kalten Krieges machte dem philosophischen Argument den Garaus. Da viele Arbeitskräfte benötigt wurden und die Konstruktionskosten deshalb relativ hoch waren, wurden brutalistische Gebäude zunehmend unattraktiv, vor allem für öffentliche Träger, die aber durch den Bau von öffentlichen Einrichtungen, Ausbildungsstätten und den sozialen Wohnungsbau lange der wichtigste Antrieb des Brutalismus waren.

Und auch wenn es heute Architekten gibt, die in einem brutalistischen Stil arbeiten, sind die eigentlich brutalistischen Gebäude grundsätzlich schon 50 bis 60 Jahre alt und polarisieren noch immer stark.

Diese Opposition bringt viele dieser Gebäude in Gefahr.

„SOS Brutalismus“ war ursprünglich als eine Art Bestandsaufnahme solch gefährdeter Gebäude angelegt, wenn man so will eine Rote Liste der brutalistischen Gebäude. Eine Bestandsaufnahme, die über die Bilder, die sich so leicht über Social Media verbreiten, hinausgeht und sich die Geschichte dieser Arbeiten, ihren aktuellen Zustand und ihre Position genau anschaut und vor allem herausstellt, welche Gebäude in Gefahr sind.

SOS Brutalism - Save the Concrete Monsters at the Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus“ – online und offline

Zu diesem Zweck präsentiert „SOS Brutalismus“ eine Mischung aus kleinen Betonmodellen und größeren Pappmodellen ausgesuchter brutalistischer Arbeiten. Diese Modelle werden durch Texte und Fotos ergänzt, die den Hintergrund und die Standorte des Brutalismus auf der ganzen Welt dokumentieren. Die notwendigerweise kurzen Texte ermöglichen einen informativen Einblick in die regionalen Besonderheiten dieses globalen Phänomens und machen deutlich, wie weit verbreitet der Brutalismus ist bzw. war.

Neben der globalen Erforschung des Brutalismus setzt „SOS Brutalismus“ fünf Schwerpunkte, denen jeweils kurze Informationstafeln gewidmet sind: Beton als Material, Kirchen aus Beton, Le Corbusier als Urvater (sozusagen als Prä-Brutalist), Kampagnen zum Erhalt brutalistischer Arbeiten und brutalistische Architektinnen. Der letzte Abschnitt kann dabei in mehrfacher Hinsicht als eine Erweiterung der Ausstellung „Frau Architekt“ bezeichnet werden, die derzeit im DAM läuft.

Als zugängliche, informative und unterhaltsame Ausstellung ist die Präsentation in Frankfurt  in vielerlei Hinsicht eine simple, physische Erweiterung der Online-Plattform. Die Online-Plattform #SOSBrutalism ist dank öffentlicher Beiträge von ursprünglich 200 vom DAM vorgeschlagenen Projekten auf 1000 angewachsen. Und sie wird wohl weiter wachsen: Die Idee ist nicht nur, dass die Öffentlichkeit fehlende Arbeiten vorschlagen kann, sondern auch, dass sie Hintergrundinformationen und Fotografien beiträgt, und so eine virtuelle Datenbank für brutalistische Architektur, ein öffentliches Forschungs- und Informationstool, schafft und damit vielleicht auch den Beginn einer Bewegung markiert, die den Erhalt brutalistischer Gebäude unterstützt.

SOS Brutalism - Save the Concrete Monsters at the Deutsches Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“

Abgesehen vom Aufruf, gefährdete Gebäude zu erhalten, kann das SOS im Titel auch als Versuch einer Befreiung des Begriffs „Brutalismus“ von seinen negativen Konnotationen verstanden werden.

Und das gelingt besonders gut dank des Fokus‘ auf Kampagnen zum Erhalt brutalistischer Arbeiten, die die lokale Relevanz individueller Objekte hervorheben. Darüber hinaus wird grundsätzlich herausgestellt, welche Verbindungen zwischen Individuen und brutalistischen Arbeiten bestehen können. Wobei, und dabei handelt es sich um eine sehr persönliche Anmerkung, eines der Highlights der Ausstellung für uns das Betonmodell der Gala Fairydean FC Publikumstribüne ist. Die sogenannte Haupttribüne ist die einzige im Fairydeans Netherdale Stadion – dem Ort unserer sportlichen Jugend und unserer verschwendeten Adoleszenz. Das heißt, wir kennen so ziemlich jeden Zentimeter von Peter Wormersleys Konstruktion, die um ehrlich zu sein nur an zweiter Stelle nach seinem in der Nähe gelegenen Atelier für den Textildesigner Bernat Klein steht; eine Arbeit, die sich trotz ihres unnachgiebigen Charakters mühelos mit dem sie umgebenden Wald verbindet. Seine visuelle Leichtigkeit lässt das Gebäude fast in den Wald übergehen. Und nicht nur Wormersleys Arbeiten haben in uns eine Seite zum klingen gebracht, auch Ernö Goldfingers Trellick Tower in London. Keiner, der jemals erlebt hat, mit welchem Schrecken es über die idyllischen Stallungen von Notting Hill herrscht, würde seine Brillanz in Frage stellen.

Insofern wurde für uns die Frage, ob brutalistische Architektur erhalten werden sollte, schon lange vor dem Besuch der Ausstellung beantwortet; allerdings brachte uns die Ausstellung neue Perspektiven auf den Brutalismus und neue Eindrücke. Wir haben den Brutalismus als globales Phänomen, als experimentelle Kraft und politischen Ausdruck kennengelernt, aber auch im Sinne eines Versuchs, eine demokratischere und repräsentativere Architektur zu entwickeln.

Stattdessen aber polarisierte er. Und deshalb hängt der Erfolg von „SOS Brutalismus“ letztendlich davon ab, mit welcher Offenheit sich die Besucher der Ausstellung nähern. Wir würden den Besuchern diese Offenheit sehr nahe legen.

Die Ausstellung „SOS Brutalismus“ vertritt die Ansicht, dass wenn auch nicht alle brutalistischen Gebäude automatisch als Geniestreich bezeichnet werden können und mit Sicherheit in dieser Form heute nicht gebaut werden sollten, brutalistische Architektur dennoch einnehmend und charmant sein kann und es deshalb wert ist, erhalten zu werden. Und das nicht nur aus historischer und architektonischer Perspektive, sondern auch aus rein pragmatischen und ökonomischen Beweggründen. Es steckt eine Menge Energie und Material in diesen Gebäuden und wenn ein Gebäude intakt ist, warum sollte es nicht benutzt werden? Aus Gründen der Form? Nachdem man „SOS Brutalismus“ gesehen hat, mag man nicht zustimmen, aber man wird ein fundierteres Wissen darüber und eine objektivere Auffassung davon haben, was man nicht mag.

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster“ ist eine zweisprachige Ausstellung (Deutsch/Englisch) und läuft bis Sonntag, den 2. April im Deutschen Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt.

Alle Details gibt es auf http://dam-online.de.

Die „SOS Brutalism“ Plattform: sosbrutalism.org.

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