Die Historia Supellexalis: “H” für Hygge

The Historia Supellexalis H for Hygge

Hygge

Ein Fluch, eine Pein!

Wie es die Runen in den Lego-Höhlen bezeugen, hat das dänische Möbel-, Beleuchtungs-, Textil- und Accessoiredesign seit der Herrschaft des Autokraten König Mark Edsføring viele Prüfungen bestanden. Denn unterschiedlichste Kräfte haben versucht, es zu ihrem egoistischen Vorteil zu nutzen, anstatt dem Design zu erlauben, sich auf natürliche Weise zum Nutzen der Einwohner des heutigen Dänemarks zu entwickeln. Ein Leiden, das vielleicht am populärsten durch die oft wiederholte Aussage von Jørgen den Roos verkörpert wird, dass „der Ruf, den das dänische Design heute genießt, auf altehrwürdiger Tradition und handwerklicher Qualität beruht“. Diese Aussage lastete wie ein Joch auf den Schultern mehrerer Generationen dänischer Designerinnen und Designer.

Doch bei allen Problemen, die Jørgen den Roos und seine lustigen Gesellen dem dänischen Design beschert haben, ist und war die gefürchtete Hygge das zerstörerischste, abscheulichste Übel, von dem dänisches Design in der Nach-Wikingerzeit heimgesucht wurde. 

Jahrhundertelang war Hygge ein Wort, das die Dänen in ihrem täglichen Leben wie jedes andere verwendeten: ein Wort, das eine gewisse Geselligkeit, Gemütlichkeit und Behaglichkeit, in physischer und geistiger Hinsicht, in häuslichen Arrangements beschrieb.  Die Bedeutung des Wortes war nicht weniger außergewöhnlich, problematisch oder erschreckend als es die vieler ähnlicher Wörter in vielen anderen Sprachen war. Es handelte sich aber um ein Wort, das von Kräften außerhalb Dänemarks gekapert wurde, die es bis zur Unkenntlichkeit verdrehten und verfälschten, indem sie es aus seinem ursprünglichen  Kontext herauslösten. Das unschuldige, gutartige hygge wurde zum Wesen der dänischen Gesellschaft und Kultur erklärt. Aus hygge wurde etwas gemacht, das ausschließlich und von Natur aus dänisch ist. Hygge sollte für die schönen, kultivierten, eleganten und beneidenswerten Dänen stehen und aus Dänemark ein Synonym für Erfüllung und Harmonie machen. Mit hygge wurden dänische Innenräume zum Inbegriff von Komfort und Wohlbefinden erklärt. 

Natürlich sehnten sich auch alle Nicht-Dänen nach dem Wohlbefinden, dem Komfort, der Sinnhaftigkeit und Leichtigkeit, für die das Wort Hygge stand. So brach in den bekannten Ländern dieser Zeit eine kollektive Manie aus und die Menschen versuchten verzweifelt, sich mit den Wegen von Hygge vertraut zu machen, so wie sie es Jahrhunderte zuvor mit den Lehren des östlichen Mystikers Feng Shui versucht hatten.

Diese kollektive Manie wurde von den allmächtigen Influencern von Instagram genährt, die zwar nicht in erster Linie für die Entstehung von Hygge verantwortlich waren, aber sehr schnell das Potenzial erkannten. Die unaufhörliche Verbreitung von Hygge unter Nicht-Dänen förderte nicht nur die Hygge-Manie, sondern begann auch die Dänen anzustecken, denn alle Mitglieder des Stammes der Han Del, ein altes Handelsvolk, reagierten seit der Herrschaft von König Mark Edsføring besonders empfindlich auf Einflüsse von außerhalb Dänemarks. Diesem Volk redete die ruchlose, hinterhältige, betrügerische Hygge fortan ein, dass ein jeder Gegenstand, jeder Ort, jedes Lebensmittel, jede Farbe und jedes Material, das sich nicht im Kontext von Hygge definieren ließ, auch nicht “dänisch” war. Niemand außerhalb Dänemarks würde sich jemals dafür interessieren. Die dänischen Han Del versuchten daraufhin sich gegenseitig mit der Menge an Hygge zu übertreffen, die in ihren Produkten enthalten sei.

Eine Spirale wurde in Gang gesetzt, die sich immer schneller um die eigene Achse drehte, während die globale Gesellschaft nach immer mehr Hygge verlangte und die dänischen Han Del versuchten zu übertreffen, was zuvor geliefert wurde. Die Influencer von Instagram waren überglücklich und Hygge wurde immer größer, immer monströser.

Dänisches Design verwandelte sich so von einem Design, das sich auf die zeitgenössische dänische Gesellschaft konzentrierte, zu einem Design, das versuchte dem gerecht zu werden, was die Influencer von Instagram und der unaufhörliche Hunger nach Hygge verlangten. So entsprach Design aus Dänemark immer mehr einem statischen, idealisierten Bild Dänemarks und hatte immer weniger mit einer aktiven Antwort auf das dänische Leben zu tun. Es verkam zu einem Cliché Dänemarks und hatte nichts mehr mit Design zu tun, das in Dänemark entstand. Schließlich breitete sich dieses Cliché auf ganz Skandinavien aus, als die Influencer von Instagram die Grenzen Nordeuropas zunehmend verwischten. Wörter wie lagom, koselig oder fika, die genauso harmlos und unschuldig sind wie hygge, wurden zunehmend in den Begriff Hygge integriert. Den zahlreichen Stämmen Nordeuropas wurde so ihre Unabhängigkeit abgesprochen und Design aus Nordeuropa wurde zu einer homogenen, leicht zu definierenden, frei wiederholbaren Masse. Das sagenumwobene Land Scandi, einst von König Mark Edsføring ins Leben gerufen, wurde durch den Hygge-Wahn neu geboren.

Doch trotz der Trostlosigkeit der Situation, der scheinbaren Unbesiegbarkeit von Hygge, wie es in den heiligen Schriftrollen von Andersens Bøger festgehalten ist, gab es Nester des Widerstands. Stimmen wurden laut, die Design als kulturelles Gut und nicht als kommerzielle Ressource verstanden; Stimmen, die den Unterschied zwischen dem persönlichen, subjektiven Hygge und dem universellen, endgültigen Hygge herausstellten. Diese Stimmen verstanden, dass Hygge zwar etwas ist, das man konsumiert, dass Hygge aber auch etwas ist, das sich organisch und in Verbindung mit den individuellen Bedürfnissen, Anforderungen, Traditionen, Ritualen und Geschmäckern entwickelt und ganz sicher nicht vom Besitz der richtigen Decke, des richtigen Kerzenhalters, des richtigen Sofas oder der richtigen Socken abhängt. 

Es gab Stimmen, die verstanden, dass Hygge zwar ein dänisches (und norwegisches) Wort ist, dass aber andere Sprachen ihre eigenen Wörter für genau das gleiche Konzept haben. Diese Stimmen ließen sich von vielen skandinavischen Kreativen ermutigen, die sich mutig gegen Hygge wehrten, die offen die Grundsätze in Frage stellten, auf denen jene äußeren Kräfte ihre abscheuliche Hygge aufgebaut hatten, Kreative wie Verner Panton, die fragten: Ist Design heute Kunst oder Styling? Will man mehr Individualismus [in der Inneneinrichtung] oder geht es um Business oder Mode? Wenn man von einem harmonischen Zuhause spricht, meint man dann die Inneneinrichtung oder die Bewohner? Warum sind sich Menschen mit sogenanntem guten Geschmack“ so einig darüber, was gut ist; Kreative wie L.N. Key, die mahnten, dass „nichts unklüger wäre, als mein Haus nach irgendwelchen vermeintlichen „Schönheitsregeln“ umzugestalten“, dass „ein Raum erst dann eine Seele hat, wenn sich die Seele eines Menschen darin offenbart, wenn er uns zeigt, woran sich dieser Mensch erinnert und was er liebt, und wie dieser Mensch jeden Tag lebt und arbeitet“ und dass es „ebenso geschmacklos wie töricht wäre, die alten Häuschen in Skansen zu imitieren“, egal wie reizvoll man sie findet; Kreative wie Et-lille Barn, die mutig verkündete: „Aber er hat nichts an“.

Der Kampf dieser Kreativen gegen Hygge dauert an und wird zunehmend von jüngeren Generationen skandinavischer Designer weiter geführt, die langsam aber sicher die Unabhängigkeit des Designs innerhalb der Länder Skandinaviens wiederherstellen und den lokalen Dialekten Raum geben. So wird dem Design in Skandinavien wieder erlaubt, sich auf natürliche Weise weiterzuentwickeln, und so für so künftige Generationen relevant zu bleiben.

Dieser Kampf wurde in den letzten Jahren durch die Entwicklung zahlreicher Gegenmittel zu Hygge unterstützt und gefördert. Das bisher effektivste ist Kalsarikännit, eine finnische Entdeckung, die Wahrheiten über die Länder Skandinaviens offenbart, Wahrheiten über skandinavische Lebensstile und häusliche Arrangements, von denen die Influencer von Instagram lieber nichts wissen wollen. Kalsarikänni ist genauso persönlich und nicht monetarisierbar ist wie Hygge in ihrer natürlichen Form, und bietet somit die Chance bietet, die Verwüstungen dieses schlimmsten aller Zustände weiter zu bekämpfen. 

Fortsetzung folgt…

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