Grassimesse 2023: smow-Designpreis Co-Gewinner – Annabella Hevesi / Line and Round IO & Cornelius Réer

Seien wir ehrlich, es würde nicht zu smow passen, wenn man sich an die Regeln halten und das tun würde, was erwartet wird.

Deshalb dürfte es niemanden überraschen, dass der erste Grassimesse smow-Designpreis nicht den erwarteten einen, sondern gleich zwei Co-Gewinner hervorgebracht hat: Die Budapester Designerin Annabella Hevesi und ihr Label “Line and Round IO” sowie den Nürnberger Glasmacher Cornelius Réer.

smow co-founder Martina Stadler reads the laudatio for Cornelius Réer (m) Annabella Hevesi / Line and Round IO (l, represented by Gabor Bella) at the opening of the 2023 Grassimesse Leipzig

smow Mitbegründerin Martina Stadler liest die Laudatio für Cornelius Réer (m) Annabella Hevesi / Line and Round IO (l, vertreten durch Gabor Bella) bei der Eröffnung der Grassimesse 2023, Leipzig

In diesem Fall war es jedoch eher der Geist von smow, der für die ungewöhnliche Entscheidung sorgte, und nicht das Unternehmen selbst. Diese wurde nämlich ausschließlich von der unabhängigen Jury der Grassimesse 2023 getroffen. Soweit wir wissen, war die Jury nicht in der Lage, sich auf einen einzigen Gewinner zu einigen. Der smow Designpreis führte also zu Diskussionen und provozierte Debatten. Am Ende stimmten jedoch alle darin überein, dass es keine richtige Antwort und stattdessen verschiedene Möglichkeiten gibt.

In naher Zukunft werden wir Annabella und Cornelius Gelegenheit geben, sich und ihre Arbeit in ihren eigenen Worten vorzustellen. Zunächst jedoch eine kurze Einführung…

Annabella Hevesi und ihr Label „Line and Round IO“

„Line and Round IO“ wurde 2017 in Budapest von Annabella Hevesi gegründet. Sie ist Absolventin der Moholy-Nagy Universität für Kunst und Design, während Gabor Bella, ein Innenarchitekt, seine Ausbildung nach eigenen Worten an der „Schule des Lebens“ erhalten hat. In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens haben sie zahlreiche öffentliche, private und kommerzielle Innenarchitekturprojekte realisiert, an verschiedenen Ausstellungen teilgenommen, darunter auch im Greenhouse auf der Stockholm Furniture Fair 2023, auf der wir sie leider verpasst haben – Entschuldigung! Sie haben auch verschiedene Möbelprojekte entwickelt, darunter eine Kollektion für die Ungarische Staatsoper in Budapest und die Kollektionen „Burnt Geometry“ und „Crosses“, die auf der Grassimesse 2023 präsentiert wurden.

Letzteres wird durch den Stuhl „Peach“ repräsentiert, einen gepolsterten Loungesessel, dessen zentrales Element die Metallstreben sind. Diese Streben stellen nicht nur dekorative Elemente dar, sondern sind auch strukturell und formal bestimmend, ähnlich wie die dekorativen Elemente der Ankerplatten, die einst Gebäude zusammengehalten haben. Die einteilige gepolsterte Einheit wird im Wesentlichen als flaches, ungeformtes Stück verwendet. Sie wird durch den Akt ihrer Verbindung mit dem Sockel über die Metallstreben, die Ankerplatten, in Form gebracht und anschließend in dieser Form gehalten. Mit anderen Worten, die Tuftings traditioneller Polstermöbel bilden die strukturelle Grundlage. Dieses Projekt befindet sich noch in der Entwicklung, aber es ist sicher, wohin es geht und wie der Weg dorthin aussieht.

Erstere ist  wiederum eine Sammlung, die von einer ungarischen Emaille-Kunstbewegung der 1970er Jahre inspiriert ist. Leider wissen wir bisher nur sehr wenig darüber, würden aber gerne mehr erfahren. Diese Bewegung basierte nicht nur auf leuchtend farbigen, stark geometrischen Werken, sondern war auch ein Schlüsselelement in Victor Vasarelys Konzept der „Bunten Stadt“. Das war eine Bewegung im Ungarn der 1970er/80er Jahre, die Kunst aus den Galerien auf die Straße brachte. In der Ausstellung „Retrotopia. Design for Socialist Spaces“ im Kunstgewerbemuseum, Berlin gehörte diese Bewegung zu jenen flüchtigen, kurzen Momente, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Wir bedauern, dass wir der Geschichte nicht mehr Beachtung geschenkt haben.

Zur Kollektion „Burnt Geometry“ gehört auch die Kommode Vanishing Cabinet. Dabei handelt es sich um die erste einer Reihe von Kommoden. Diese Kommoden sind nicht nur von der ungarischen Emaillekunst der 1970er Jahre und insbesondere von den Werken von Ferenc Lantos inspiriert, sondern auch von der ungarischen Folklore. Ein zentrales Highlight der IO-Präsentation auf der Grassimesse 2023 ist außerdem das Beleuchtungssystem „Roly-Poly“. Dieses System wurde in Zusammenarbeit mit dem Budapester Design- und Ingenieurbüro LumoConcept entwickelt und ist entweder als Bodenversion erhältlich, die über den Boden rollt, oder als hängende Version, die auf sich wiederholenden Einheiten basiert, die wie von Zauberhand zusammenhalten. Roly-Poly zeichnet sich durch mehr als nur ein wenig technische Raffinesse aus und ist in Ketten von mehr oder weniger beliebiger Länge erhältlich.

Wie bereits im Zusammenhang mit der Ausstellung Design Without Borders“ im Collegium Hungaricum, die im Rahmen der Vienna Design Week 2023 präsentiert wurde, sowie der bereits erwähnten Ausstellung „Retrotopia: Design for Socialist Spaces“ ermahnen uns diese beiden Kollektionen erneut dringend wieder nach Budapest zu fahren – es ist schon zu lange her. Außerdem erinnern sie uns daran, dass jeder in Europa, der behauptet, sich in irgendeiner Form für Architektur und Design zu interessieren, sich ernsthafter, detaillierter und regelmäßiger mit dem Osten unseres westlich fokussierten und fixierten Kontinents auseinandersetzen sollte.

Weitere umfassende Informationen zu Annabella Hevesi und „Line and Round IO“ finden Sie unter https://lineandround.io/. Schauen Sie auch hier vorbei.

Works by Annabella Hevesi / Line and Round IO, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Arbeiten von Annabella Hevesi / Line and Round IO, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Roly-Poly lighting by Annabella Hevesi / Line and Round IO, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Beleuchtungssystem Roly-Poly von Annabella Hevesi / Line and Round IO, gesehen bei  Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Roly-Poly floor lamp by Annabella Hevesi / Line and Round IO, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Roly-Poly Bodenleuchte Annabella Hevesi / Line and Round IO, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

The Peach lounge chair ad the Vanishing Cabinet, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Der Sessel Peach und die Kommode Vanishing Cabinet, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Roly-Poly lighting by Annabella Hevesi / Line and Round IO, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Beleuchtungssystem Roly-Poly von Annabella Hevesi / Line and Round IO, gesehen bei  Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Works by Annabella Hevesi / Line and Round IO, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Arbeiten von Annabella Hevesi / Line and Round IO, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Cornelius Réer

Nach seiner Ausbildung zum Glasmacher in der Glashütte Süßmuth, Immenhausen bei Kassel, sammelte Cornelius Réer mehrere Jahre Erfahrung in zahlreichen europäischen Glashütten, bevor er sein eigenes Studio gründete. Dieses Studio war, soweit wir beurteilen können, viele Jahre lang nomadisch, hat jedoch seit 2008 seinen festen Sitz in Nürnberg.

In diesem Atelier entwickelt Cornelius Projekte, die sowohl künstlerisch als auch zweckmäßig sind, sei es als Einzelstücke oder in kleinen Serien. Dabei handelt es sich stets um funktionale Objekte, die Farbe nicht nur als Ton, sondern als zentrales Gestaltungselement verwenden und eine starke Betonung auf die Haptik legen. Zudem greifen sie regelmäßig das modernste aller Prinzipien der Standardisierung auf: das Stapeln, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich.

Wie die meisten von uns war auch Cornelius mit seiner Werkstatt in diesem Jahr mit den Herausforderungen steigender Brennstoffpreise konfrontiert, da die Glasherstellung zweifellos eines der brennstoffintensivsten Handwerke ist. Doch Cornelius Réer sah in dieser Herausforderung eine Chance und versuchte, seine Glasherstellung an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Er entwickelte eine Formtechnik, bei der statt Holzformen Stahlformen verwendet werden. Diese Stahlformen sind etwa 250°C kühler als das geschmolzene Glas und bewirken ein mehr oder weniger augenblickliches Erstarren, was zu einer gewellten Oberfläche führt. Dies geschieht vermutlich, weil das Glas in seiner Bewegung, ähnlich einem vorrückenden Gletscher, gestoppt wird. Die Verwendung von Stahlformen ermöglicht laut Cornelius eine Trennung des Produktionsprozesses in eine Ofen-, Heißglas- und Arbeitsphase sowie eine nachfolgende Kaltglasphase. Diese Trennung ist zwar nicht schneller, aber energieeffizienter. Das zeigt, wie Design auf die vorherrschenden Realitäten reagieren und neue Lösungen hervorbringen kann.

Auch die Ausstellung „Glass – Hand Formed Matter“ im Bröhan-Museum in Berlin zeigte, wie das Handwerk zur Entwicklung und zum Fortschritt unserer Industriegesellschaft beitragen kann. Sie erinnerte daran, dass Handwerk und Design voneinander profitieren und dass jeder verantwortungsbewusste Mensch Maßnahmen ergreifen sollte, um seinen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Die in diesem Sinne von Cornelius Réer realisierte Kollektion Modul wurde nicht nur mit dem smow-Designpreis ausgezeichnet, sondern erhielt auch den Bayerischen Staatspreis 2023.

Neben den Objekten aus der Modul-Kollektion präsentiert Cornelius Réer in Leipzig auch Arbeiten aus anderen Kollektionen wie Pool, Kaola, Inside Out und Crunch, wobei die Gläser der Kollektion Crunch seit über 20 Jahren als Serienoriginale produziert werden.

Weitere ausführliche Informationen zu Cornelius Réer finden Sie unter https://cornelius-reer.de/. Schauen Sie auch dort vorbei.

Für alle, die in Leipzig oder in der Nähe wohnen, sind die Werke von Annabella Hevesi / Line and Round IO und Cornelius Réer sowie aller Aussteller der Grassimesse 2023 und der sieben eingeladenen Designschulen noch bis Sonntag, den 22. Oktober, im GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig, zu sehen.

Weitere Informationen zur Grassimesse 2023, einschließlich Öffnungszeiten und Eintrittspreise, finden Sie unter www.grassimesse.de.

Works by Cornelius Réer, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Arbeiten von Cornelius Réer, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

works from the InsideOut (l) and Modul (r) series by Cornelius Réer next to Franz Sales Lochbilder's 1827 Kinderporträt, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Arbeiten aus den Kollektionen InsideOut (l) und Modul (r) von Cornelius Réer neben Franz Sales Lochbilder’s Kinderporträt aus dem Jahr 1827, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Die Serie Pool von Cornelius Réer, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Works by Cornelius Réer, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Arbeiten von Cornelius Réer, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

The Trii series by Cornelius Réer, as seen at Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig

Die Serie Trii von Cornelius Réer, gesehen bei Grassimesse 2023, Museum für Angewandte Kunst, Leipzig