smow Blog Interview: Cornelius Réer – Die guten Ideen so zu schärfen, dass sie tolle Produkte ergeben, das ist die Aufgabe dabei

 

Geboren 1961 in Coburg, Franken, begann Cornelius Réer seine Reise in die Welt des Glases mit einer Lehre in der Glashütte Süßmuth in Immenhausen, in der Nähe von Kassel. Diese Ausbildung wurde von Arbeitsaufenthalten in Österreich und Schweden begleitet, gefolgt von einem neunmonatigen Kurs im Brierley Hill Glass Center in Dudley, England. Nach diesen Erfahrungen kehrte er nach Franken zurück und gründete 1992 sein eigenes Studio in Fürth.

Obwohl seine Rückkehr nach Franken von langen Abwesenheiten unterbrochen wurde, führte Cornelius in den folgenden 11 Jahren im Wesentlichen ein nomadisches Leben. Er bereiste Europa und realisierte seine Kollektionen in zahlreichen Glasstudios, präsentierte und verkaufte sie auf Messen wie der Ambiente Frankfurt. Bei seinen Kollektionen steht die serielle Produktion im Vordergrund. Es handelt sich um keine Unikate, wie man sie oft mit Glas assoziiert, sondern um seriell reproduzierbare Formen. Aufgrund der handwerklichen Herstellung, bei der Cornelius jedes einzelne Stück selbst kreiert, wird allerdings jedes Objekt letztendlich doch wieder zu einem Unikat.

Im Jahr 2003 endete Cornelius‘ Nomadentum, zumindest beruflich, mit seiner Rückkehr nach Fürth. 2008 verlegte er sein Atelier nach Nürnberg, wo er heute Glasserien wie Crunch kreiert, die als sein Durchbruch gelten kann. Hinzu kommen Werke wie InsideOut, eine Familie von Objekten, die aus einer Vielzahl von Formen besteht, die einzeln oder als Kollektiv existieren können, oder die Laterne LUMEN2, Cornelius‘ Neuinterpretation und Überarbeitung eines Laternenentwurfs von Egon Eiermann aus den späten 1950er Jahren. Seine Werke zeichnen sich durch Farbgebung, Lichtspiel, materielle Effizienz und eine oft spielerisch-utilitaristische Funktionalität aus.

Seit 2023 beeinflussen steigende Gaspreise seine Werke maßgeblich. Ein Glasatelier benötigt viele Öfen, die nicht abgeschaltet werden können. Daher stellte Cornelius aufgrund der Gaspreiserhöhungen von 2023 von Holzformen auf Stahlformen um, was nicht nur den Energiebedarf reduziert, sondern auch den Charakter seiner Werke, wie zum Beispiel der Pool-Becher und -Karaffen, oder der O.V.A.- und MODUL-Vasen, stark prägt. Diese Werke sind nicht nur das Ergebnis von Designdenken, sondern auch von Handwerksdenken, als Reaktion auf die Herausforderungen der steigenden Gaspreise.

Auf der Grassimesse 2023 erhielt er gemeinsam mit dem Budapester Designstudio Line and Round, I O, den ersten smow-Designpreis.

Neben seinen eigenen Kollektionen ist Cornelius auch Co-Autor mit Laura Jungmann des Projekts/Marke Samesame. Das Projekt begann als Teil von Lauras Diplomarbeit an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe, hat sich jedoch inzwischen verselbstständigt. Hierbei werden industrielle Glasobjekte, insbesondere Wein-, Bier- und Wasserflaschen, von Cornelius in handwerkliche Objekte umgewandelt. Diese verleugnen ihren industriellen Hintergrund und setzen auf eine Wiederverwendung über einen unendlichen Lebenszyklus anstelle des herkömmlichen Recyclings. Dies ist nur eine von mehreren Kooperationen, die Cornelius im Laufe der Jahre mit Studentinnen und Studenten, wie auch mit  professionellen Produktdesignern und Produktdesignerinnen eingegangen ist.

Cornelius Réer at work in his Nürnberg studio (Photo courtesy and © Cornelius Réer)

Cornelius Réer bei der Arbeit in seinem Nürnberger Atelier (Foto mit freundlicher Genehmigung und © Cornelius Réer)

Cornelius: Ich wollte etwas machen, was in meiner Familie noch nie jemand getan hatte. Es erschien mir sehr exotisch, und ich strebte eine handwerkliche Ausbildung an, nicht eine schulische oder akademische. Die Lehre, die ich dann begonnen habe, war mehr eine Qual als eine Lehrzeit. Die Ausbildung war wirklich miserabel und ausbeuterisch. Danach folgte der Zivildienst, und es stellte sich die Frage: „Was machst du nun mit diesem begonnenen Projekt?“ Ich entschied mich schließlich dazu, Glas richtig zu erlernen, um mir Perspektiven zu eröffnen, da es sich um ein unglaublich tolles Material handelt.

smow Blog: Die miserable Ausbildung, die bei Süßmuth in Immenhausen stattfand, war das nicht eine Art Arbeiterkollektiv zu jener Zeit?

Cornelius: Zu dem Zeitpunkt als ich dort war bereits nicht mehr, dass war so um 1972 herum. Ich kam ’81 und da war es längst wieder eine privatisierte Hütte.

smow Blog: Aber vermutlich dachtest du, dass du eine gute Ausbildung bei Süßmuth erhalten würdest. Warum ist das nicht passiert? Was ist schiefgegangen?

Cornelius: Sie hatten damals sehr viele Lehrlinge aufgenommen, um eine überbetriebliche Lehrwerkstatt aufzubauen. Die Planung war jedoch so chaotisch, dass die damals erhofften Gelder vom Staat nicht bewilligt wurden. Dadurch hatte der Betrieb 15 Lehrlinge zu viel, die nicht einfach entlassen werden konnten. Stattdessen wurden 15 der Hilfsarbeiter entlassen, die normalerweise die fertigen Gläser in die Temperöfen stellten. Viele von ihnen waren die Ehefrauen der Glasmacher. Dadurch fehlte nun Familieneinkommen, was die Stimmung weiter verschlechterte. Insgesamt schrumpfte die Belegschaft während meiner dreijährigen Tätigkeit von etwa 160 auf 90 Mitarbeiter. Der Betrieb hatte große Probleme auf allen Gebieten, und das war keine gute Grundlage für eine Ausbildung…

smow Blog: …….nein, das sind wahrlich keine guten Voraussetzungen. Wir verstehen gut, dass die Atmosphäre weniger konstruktiv war……

Cornelius: …….gleichzeitig muss man sagen, dass der Betrieb nach außen hin immer großartig dastand. Sie haben internationale Ausstellungen gemacht, Künstler eingeladen, Sommerworkshops veranstaltet. Für mich gab es unzählige Begegnungen mit Leuten, die teilweise noch heute meine Freunde sind. Sie haben mir gezeigt, dass die Glaswelt auch ganz anders angegangen werden kann. Damals war die Studio-Glasbewegung sehr international und in Deutschland stark vertreten, was mir eine gute Perspektive eröffnete.

smow Blog: Und daher kam die Entscheidung, wie du sagst, letztendlich bei Glas zu bleiben?

Cornelius: Genau, aber weg von diesen Manufakturen. Während dieser Zeit gingen die meisten deutschen Hütten sowieso pleite.

smow Blog: Du bist nicht nur weg von den Hütten, sondern auch weg aus Deutschland nach England gegangen……

Cornelius: Zuerst wollte ich lernen, in dem ich in anderen Studios assistiere. Also nicht eine Schule oder Hochschule besuchen. Ich habe in einem Studio in Schweden gearbeitet, kam aber aufgrund meiner schlechten Grundausbildung nicht wirklich weiter. Ich war gezwungen, nochmals über die Ausbildung nachzudenken und bin dann nach England gegangen. Dort gab es ein großartiges College in Brierly-Hill, wo – wenn man genauer hinschaut – ungefähr die Hälfte Europas das Studioglasofen-Handwerk wasserdicht erlernt hat. Sie boten eine fundierte Ausbildung an – am Ofen, in der Schleiferei, bei der Kaltbearbeitung, aber auch im Bereich Business und Ofenbau. All diese Aspekte wurden unterrichtet. Es war ein neunmonatiger Kurs, von dessen Pragmatik ich noch heute profitiere.

An InsideOut object by Cornelius Réer, 4 objects in and as 1

Ein InsideOut-Objekt von Cornelius Réer, 4 Objekte in und als 1

smow Blog: Wir werden über die nomadischen Jahre, die auf England folgten, hinwegsehen, obwohl wir viele Fragen dazu haben, und uns auf deine Arbeit konzentrieren. Wenn wir uns deine Arbeit ansehen, erkennen wir vier Hauptmerkmale: die Haptik, die Farbe, die Funktion, etwas leicht Spielerisches – würdest du zustimmen…

Cornelius:…….die Form ist auch wichtig, ich bin ein Formmensch dabei……

smow Blog: …Okay, fünf Schlüsselaspekte. Die nächste Frage ist dieselbe: Es gibt offensichtlich immer ein Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Elementen eines Werkes, aber hat eines davon in Ihrem Ansatz eine größere Priorität?

Cornelius: Es gibt immer eine erste Motivation für ein Stück. Zum Beispiel denkt man über eine bestimmte Oberfläche nach und sucht eine geeignete Form dafür, oder man denkt über eine bestimmte Funktion nach, wie zum Beispiel bei einem Whiskyglas, das man auf die Seite legen und über den Tisch rollen kann, während sich durch diese Bewegung das Aromabild aufbaut. Letztendlich läuft beim Gestaltungsprozess alles gleichzeitig ab, nur mit verschiedenen Schwerpunkten.

smow Blog: Wie verstehst du in diesem Sinne, was du tust? Ist das Glashandwerk, Glasdesign, Glaskunst?

Cornelius: Ich mache das alles, nur zur gegeben Zeit. Ich weiß, dass ich mit dem, was ich mache, ein Stück Handwerkspflege betreibe, da es ein seltenes Handwerk geworden ist. Aber das allein ist nicht meine Motivation. Die Motivation besteht immer darin, Dinge zu entwickeln – das ist das Schönste. Dinge zu produzieren ist das zweitschönste. Anfangs habe ich mich immer in diesem Umfeld der Glaskünstler gesehen, dieser gesamten Studio-Glasbewegung. Jetzt
weiß ich jedoch, dass mir viele Leute aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Silberschmiede oder der Keramik, viel näher sind als manche Glas-Kollegen in Bezug auf die Denkweise. Letztendlich beschäftige ich mich auf dem Gebiet der Angewandten Kunst. Ich verwende den Begriff „Kunsthandwerk“ nur ungern, obwohl er genau richtig ist. Er hat aber einen angestaubten Beigeschmack, den ich natürlich zu vermeiden versuche.

smow Blog: Wir würden sagen, dass dir das gut gelingt. Wenn wir uns deine Arbeiten ansehen, fallen uns insbesondere ein paar Projekte auf, eines davon ist das SameSame-Projekt mit Laura Jungmann. Wie kam es dazu?

Cornelius: Neben meiner eigenen Kollektion arbeite ich auch immer wieder für Produktdesigner und führe oft auch studentische Arbeiten durch. Laura Jungmann hat mich gefragt, ob ich für ihre Diplomarbeit, die das große Thema Upcycling in verschiedenen Materialien hatte, den Glasanteil übernehmen könnte. Das wurde eine wunderbare Zusammenarbeit, obwohl Pressglas eigentlich gegen jegliche handwerkliche Bearbeitung immun ist. Nach einem Jahr habe ich es dennoch geschafft, eine Art Produktreife zu entwickeln. Während dieser Zusammenarbeit haben wir beide gesagt, dass die Idee so stark ist, dass wir ein Unternehmen daraus machen sollten.

smow Blog: Angesichts der Tatsache, dass du vermutlich wusstest, wie schwierig es sein würde, warum hast du trotzdem zugestimmt?

Cornelius: Die Anfrage kam zu Jahresbeginn, es war noch nicht viel los im Jahr [lacht]. Nein, ich habe einen kurzen Test gemacht, es hat wunderbar funktioniert, ich habe zugesagt und Laura gesagt, mach dir keine Sorgen, ich werde das schon für dich umsetzen. Dann habe ich später einen riesigen Berg Glasscherben produziert. Bis ein Teil ihrer Diplomarbeit fertig war, hatte ich eine große Spur der Verwüstung hinterlassen, aber das war auch notwendig, um die handwerklichen Schwierigkeiten von Pressglas im Vergleich zu Manufakturglas zu überwinden. Dann war es geklärt.

smow Blog: Und abgesehen vom Überwinden von Pressglas, war es ein Projekt, aus dem du gelernt hast?

Cornelius: Ich habe viel gelernt, und es hat meine Denkweise in Bezug auf Funktionalität gestärkt, darüber nachzudenken, wie ich ein Serienprodukt gestalten kann, das individuelle Unterschiede aufweisen kann, ohne es zu entstellen. Die serielle Fertigung gibt mir auch die Sicherheit, dass ich es wiederholen kann, und nicht auf das blanke Gelingen, quasi mit einer Portion glücklicher Zufall, angewiesen bin. Die Entwicklung von SameSame hat Auswirkungen auf das, was ich heute mache.

LUMEN2 lantern by Cornelius Réer

LUMEN2 Laterne von Cornelius Réer

smow Blog: Das andere Produkt, das unsere Aufmerksamkeit erregt, ist das Lumen2 Windlicht, ein Objekt, das auf einem Windlicht aus den 1950er Jahren von Egon Eiermann basiert, und während unserer Recherche haben wir erfahren, dass Eiermann sein Windlicht für Süßmuth entworfen hat…

Cornelius: …genau, Eiermann hat es für die Weltausstellung 1958 für Richard Süßmuth, den er kannte, entwickelt. Es wurde jedoch nur etwa zwei Jahre lang produziert, und heute ist es ein gesuchtes Sammlerstück…

smow Blog: … und wie ist deine Neuinterpretation entstanden…

Cornelius: …die Eiermann-Gesellschaft, die die Designrechte besitzt, gibt sie nicht heraus, lässt das Stück nicht neu produzieren. Deshalb hatte ich im Laufe der Jahre Anfragen, ob ich es nicht nachmachen könnte, und ich habe immer nein gesagt. Es gibt Rechte darauf, ich darf es nicht. Aber mir selbst hat es sehr gut gefallen, es ist ein wirklich schönes Produkt. Also dachte ich, diesen Grundgedanken, diese Zweiteiligkeit, diese Erhöhung der Lichtposition, damit es nicht ganz am Boden sitzt, kann ich neu interpretieren, auch mit der Farbgebung, die ich jetzt habe. Es ist eines meiner Lieblingsprodukte.

smow Blog: Wusstest du damals bei Süßmuth davon?

Cornelius: Ja, ja, es war auch bei den Glasbläsern ein wenig verrufen, weil der untere Teil so kompliziert in der Herstellung war. Das heißt auch, ich würde es heute nur sehr ungern nachfertigen wollen, weil es wirklich unnötig kompliziert ist, der untere Teil, der obere nicht so. Deshalb habe ich es ein wenig vereinfacht.

smow Blog: Interessant, dass du sagst, dass du von der Eiermann-Version angezogen wurdest, weil wir einige dieser Grundgedanken in Eiermanns Arbeit, beispielsweise dieser Zweiteiligkeit oder einer Form, die gleichzeitig funktional und dekorativ ist, auch in vielen deiner Arbeiten wiederfinden. Kann man sagen, dass dein Verständnis von Design von derNachkriegsmoderne beeinflusst ist…?

Cornelius:Ich denke immer wieder darüber nach, weil viele Leute sagen, dass das, was ich mache, an die 60er Jahre anknüpft. Ich sehe das gar nicht so. Ich orientiere mich nicht an den 60er Jahren, aber gleichzeitig weiß ich, dass das, was um mich herum ist, das Mid-Century-Ding der 60er Jahre, mit dem ich aufgewachsen bin, einfach da ist. Aber ich bin auch mit den Versprechen der Moderne aufgewachsen, dass es sich lohnt, etwas Neues zu entwickeln, etwas das es noch nicht gibt. Das ist ein schöner Weg, ein moderner Weg. Deshalb beziehe ich mich nicht auf die 60er Jahre, weil ich für heute arbeite. Aber vielleicht müssen andere Leute beurteilen, was ich eigentlich mache.

smow Blog: Dabei ist es auch interessant, dass du deine Karriere effektiv am Ende des Postmodernismus begonnen hast, als die Kritik am Modernismus nachließ und viele Kreative einen Weg zurück zu modernistischen Positionen fanden…

Cornelius: Am Anfang war für mich das, was ich aus Schweden kannte, absolut entscheidend. Diese Klarheit und gleichzeitig auch das Verspielte, Kosta Boda zum Beispiel, hat unglaublich verspielte, aber dennoch klare Serien. Die haben einen total tollen Spagat gemacht. Kosta Boda hatte eine Designabteilung, die viel zu groß war, so viel konnte die Hütte gar nicht produzieren. Später wurden viele Designer entlassen, und es wurden eigentlich zehn Jahre lang aus den gefüllten Schubladen produziert. Das war schon super spannend zu sehen, welche Möglichkeiten ich im Spielerischen habe und welche
Möglichkeiten ich in der Reduktion habe. Irgendwo dazwischen hat sich meine Linie herauskristallisiert.

smow Blog: Eine Linie, die auch stark auf Serien basiert. Warum Serien? Warum der Fokus auf Serien?

Cornelius: Ich mag diese serielle Arbeit, weil durch das eigene Machen eine Vertiefung dessen erfolgt, womit du dich eh länger auseinandersein musst. Der Weg zu einem Stück ist entscheidend für die folgenden Stücke, die sich daraus entwickeln. Wenn ich heute einen wirklich guten Entwurf mache, den ich mag, wird daraus irgendwann ein Folgeprodukt entstehen. In jedem guten Ding steckt der Gedanke für das nächste. Ich glaube, das ist auch wirklich typisch für diese Art von Kunsthandwerk, die ich ausübe. Die Ausführung und die Entwicklung neuer Gedanken sind untrennbar miteinander verbunden.

smow Blog: Bei deinen neuesten Arbeiten oder vielleicht bei deinem neuesten Prozess, der Verwendung von Stahlformen anstelle von Holzformen, entstand dies weniger als Entwicklung eines bestehenden Projekts als als Reaktion auf die steigenden Gaspreise…

Cornelius: Die Energiekosten waren schon immer ein großer Faktor für die Werkstatt, und die Gaskosten haben sich für 2023 Jahr verfünffacht. Das ist wirklich beunruhigend, es ist eigentlich eine Bedrohung für die gesamte europäische Glasindustrie, von der Fabrik bis zu Leuten wie mir. Zum Beispiel waren auf der letzten Frankfurter Messe kaum tschechische Hütten vertreten. Auch das hat mich dazu gereizt, eine Antwort zu finden. Ich habe hoffentlich, es wird sich noch zeigen, einen Weg gefunden, Stücke energetisch günstig und schnell zu fertigen, sodass ich möglichst wenig Energie für einen großen Output an Stücken verbrauche. Es ist ein designerischer Gedanke und gleichzeitig auch ein künstlerischer Gedanke, weil ich mit der Stahlform die alte Regel der Achsensymmetrie breche, was ich mit Freude tue. Diese Stücke haben ihre eigene Optik, ihre eigene Haptik, etwas sehr künstlerisches ist aus einem Serienprodukt entstanden, und ich bin glücklich damit.

Modul vase by Cornelius Réer, formed in steel moulds which helps define the surface character and enables the asymmetric form, while reducing the energy costs.

Modul-Vase von Cornelius Réer, geformt in Stahlformen, die den Oberflächencharakter definieren und die asymmetrische Form ermöglichen und gleichzeitig die Energiekosten senken.

smow Blog: Und dieser Prozess mit den Stahlformen, ist das etwas, das du kanntest, entdeckt oder als Reaktion auf die steigenden Gaspreise entwickelt hast?

Cornelius: Während meine Leerzeit habe, habe ich damals schon Dinge gesehen, die makellos mit Stahlformen gearbeitet wurden. Was ich heute zeige, sind eigentlich Fehler, zum Beispiel diese Kälterunzel, die Sichtbarkeit der Formnähte, auch die Asymmetrie, das sollte alles vermieden werden. Ich habe auch Stücke, die ein wenig älter sind, die auch mit dieser Technik entstanden sind, mit diesen Eigenheiten. Aber ich habe es jetzt mit den neuen Arbeiten auf den Punkt gebracht. Es ist eigentlich immer Entwicklungsarbeit. Ich habe nie etwas in meinem Leben erfunden, ich habe immer Gedanken, die bereits da sind, für eine neue Form oder ein neues Produkt weiterentwickelt.

smow Blog: Und wie entstehen die Energieeinsparungen?

Cornelius: Diese Stücke haben zwei Arbeitsprozesse. Der erste ist das Blasen des Glases in die Stahlform, und der andere ist das Abtrennen des Oberteils. Es bedeutet lange Schleifarbeit mit ein wenig Konfektionierung. Zum Beispiel für die Pool-Becher stehe ich einen Tag am Ofen und zwei Tage in der Schleiferei. Das mache ich natürlich, wenn der Schmelzofen abgetempert ist, was bedeutet, dass die gesamte Fertigungszeit ein wenig länger ist. Aber die Produktion am Ofen selbst ist zügig.

smow Blog: In einem Interview haben wir gelesen, dass du den Prozess als „quick and dirty“ bezeichnet hast, das hat uns gefallen. ?

Cornelius: [lacht] Es ist nicht wirklich „schnell und schmutzig“, aber es ist so, das es schnell geht, zumindest relativ gesehen. Und weil es auch eine Technik ist, die Materialschwierigkeiten, Unregelmäßigkeiten gut aufnimmt. Ich lasse nicht alles durch, aber vieles geht dabei durch, diese Stücke sind fehlertolerant.

smow Blog: Du hast den Prozess als Reaktion auf die steigenden Gaspreise entwickelt. Angesichts des sehr, sehr hohen Energieverbrauchs in der Glasproduktion war es dann nicht in jedem Fall notwendig oder sogar obligatorisch, dass die Glasindustrie unter den aktuellen Realitäten ihren Energieverbrauch reduziert?

Cornelius: Natürlich muss man das tun. Das bedeutet, dass man darüber nachdenkt, ob man Werkstätten kollektiviert, gemeinsam nutzt, nach Formen sucht, die nicht so energieintensiv sind, oder zum Beispiel mit Material arbeitet, das keine hohen Temperaturen benötigt. Es gibt jedoch nicht den Königsweg. Es wird viele kleine Schritte geben. Im Prinzip sind elektrische Öfen sehr clever. Die Hersteller haben natürlich die Preise für diese Öfen verdoppelt, und die Lieferzeiten sind lang. Die Frage nach dem Durchwärmen des Stückes im Formprozess ist immer noch nicht beantwortet. Wir haben noch einen weiten Weg, mit sehr wenig Zeit.

smow Blog: Um kurz zu der Aussage zurückzukehren, dass der neue Prozess „Fehler verträglich“ ist, ist Glas ein leicht zu bearbeitendes Material, wir vermuten aber nicht, haben es aber nie ausprobiert?

Cornelius: Was am Glas schwierig ist, sind zwei Dinge. Zum einen der Einstieg in heißes Glas, das Erlernen dieser Technik kann wahnsinnig frustrierend sein und es dauert ziemlich lange, bis man sein erstes schönes Stück fertig hat. Das dauert länger als in anderen Gewerken. Mit Keramik, Metall oder Holz sind zumindest die ersten schönen Produkte leichter zu
erreichen. Die andere Schwierigkeit ist die, dass sich vor allem im Kunstbereich nicht viele Leute gut mit Glas auskennen. Glas ist ein Material, das voller eitler Verführungen steckt, weil es so glänzend ist, weil es zu Kitsch und jeder möglichen Übertreibung einlädt. Diese Stücke sind da und sind lautstark. „Blown Away“, die Netflix-Serie, hat ein bisschen gezeigt, in welche Richtung das alles gehen kann. Und für mich bedeuten immer Beschränkungen in einfacher Formgebung, einfachen Farben und einfachen Lichteffekten, dass Weniger oft zu schöneren Ergebnissen führt.

smow Blog: Das könnte auch als Weg der Moderne betrachtet werden. Kurz gesagt, du bist nun seit etwa drei Jahrzehnten im Glasgeschäft tätig. Wie hat sich der Markt im Laufe der Jahre entwickelt? Ist es schwieriger geworden, als unabhängiger, Glasmacher?

Cornelius: Es war immer schwierig, einen Markt zu finden, vor allem deswegen, weil die eigene Perspektive als Schöpfer nicht die Perspektive des Käufers ist. Das ist die eigentliche Schwierigkeit an der ganzen Sache. Es muß dir gelingen, das die Menschen deiner Perspektive folgen. Von Anfang an habe ich nicht direkt an Endkunden verkauft, sondern an Geschäfte. Aber der Einzelhandel hat sich über die Jahre ebenfalls verändert. Es gab richtige Glasläden, die von Marmeladenglas bis hin zum traditionellen Kunstglas alles hatten – eine riesige Glas-Welt in einem Geschäft, was heute völlig undenkbar ist. Außerdem hat sich die Szene, die solche Dinge herstellt verkleinert. Ich sehe kaum noch Leute, die vergleichbare Arbeit wie ich machen. Das liegt einerseits am Design dessen, was ich mache, und andererseits, wie ich auch auf der letzten Grassimesse gesehen habe, an den allgemeinen Entwicklungen. Viele Kollegen gehen oft von seriellen Gefäßen weg zu objekthaften Einzelstücken. Die Entwicklung in Richtung Unikate ist sehr stark. Aber meine Wurzeln in der Glashütte sind immer präsent. Ich bin sehr in einer Serien-Denkweise verhaftet. Die guten Ideen so zu schärfen, dass sie tolle Produkte ergeben, das ist die Aufgabe dabei. Ein Serienprodukt zu beginnen und es weiterzuentwickeln, das finde ich super, aber es entspricht nicht unbedingt dem Trend. Ich gestatte mir auch gerne eine nerdige Arbeitsweise.

smow Blog: In einem positiven Sinne, versteht sich. Wer weiß, vielleicht werden auch andere zu mehr Arbeit an Serien übergehen. Bis dahin wirst du dich wahrscheinlich weiterentwickelt haben, was uns zur Frage nach der Zukunft bringt. Welche Pläne werden geschmiedet, wohin geht die Reise als Nächstes?

Cornelius: Ein langfristiger Plan ist es, einige wenige Produkte an Firmen zu delegieren, also die Produkte so weit zu Serienreife zu bringen, dass jemand anders sie herstellen kann. Das reizt mich einfach als Thema. Das andere ist das Thema Licht nochmals anzugehen. Ich habe zum Beispiel diese Serien wie TRIII oder InsideOut, die danach schreien, als Pendellampe dargestellt zu werden, sodass das Licht eine größere Rolle in der Farbigkeit spielt. Das zu entwickeln, wäre wirklich ein Wunsch, aber das bleibt hier in der Werkstatt unter meiner Produktion.

smow Blog: Und als letzte Frage – zu Beginn hast du gesagt, dass du dich trotz anfänglicher Rückschläge für eine Karriere im Glas entschieden hast, nicht zuletzt, weil es ein „tolles Material“ ist. Warum arbeitest du nach 30 Jahren immer noch mit Glas?

Cornelius: Einfach, weil ich es kann [lachtö laut]. Es war schwierig für mich, dieses Berufsbild so zu finden, wie ich es heute ausübe. In den ersten Jahren wurde mir wenig gegeben, und ich musste mir vieles erkämpfen. Das Konzept der Selbstermächtigung spielte nicht nur in den ersten zehn Jahren eine große Rolle. Ich habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt, und diese Sprache möchte ich nicht verlieren, weil sie mich in keiner Weise langweilt. Es könnte nochmal dreißig Jahre so weitergehen!

Weitere Informationen über Cornelius Réer und seine Arbeit finden Sie unter: https://cornelius-reer.de/

 

Triii by Cornelius Réer:  3 in 1, or possibly 1 in 3

Triii von Cornelius Réer:  3 in 1, oder auch 1 in 3

Pool beakers and caraffe by Cornelius Réer, the asymmetric beaker form aids the stacking

Pool-Becher und -Karaffe von Cornelius Réer, die asymmetrische Becherform erleichtert das Stapeln

Modul vase by Cornelius Réer, in close up one sees the irregular surface, shape and play with light.......

Modul-Vase von Cornelius Réer, in der Nahaufnahme sieht man die unregelmäßige Oberfläche, die Form und das Spiel mit dem Licht…….

O.V.A vase by Cornelius Réer, also blown in steel forms, the two colours mean that it functions with or without content

O.V.A Vase von Cornelius Réer, ebenfalls in Stahlformen geblasen, funktioniert dank der zwei Farben mit oder ohne Inhalt

Cornelius Réer's studio in Nürnberg

Das Atelier von Cornelius Réer in Nürnberg

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