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„Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“ in der Kunsthalle Bielefeld


Veröffentlicht am 06.06.2025

Mit Rückblick auf den Sommer 1923 erinnerte sich Xanti Schawinsky: „Eines Tages, während einer Pause, fragte mich ein Tennislehrer namens Niels Petersen, ob ich eine Schule in Weimar namens ‚Bauhaus‘ kenne.“

 Xanti Schawinsky kannte sie nicht. 

 Niels Peterson erklärte ihm, worum es sich handelte.

„Meine Neugier war sofort geweckt und schon am nächsten Tag nahm ich mir Urlaub. Mit finanzieller Unterstützung meines Vaters reiste ich nach Weimar."1

Mit der Ausstellung „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“ erkundet die Kunsthalle Bielefeld was als nächstes geschah.

Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
„Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

Xanti Schawinsky wurde am 25. März 1904 in Basel als zweites Kind des polnischen Kaufmanns-Ehepaars Benjamin und Regina Schawinsky geboren. 1921 begann er ein Architekturstudium in Köln. Sein Besuch der Bauhaus-Woche im Jahr 1923 – der ersten großen Ausstellung des Bauhauses, die die Ideen der Institution vorstellte – bewog ihn jedoch  schließlich, sich am Bauhaus in Weimar einzuschreiben.

Der tatsächliche Umzug nach Weimar erfolgte jedoch erst zum Sommersemester 1924, was, so der Eindruck, nicht zuletzt an den kulturellen Reizen Berlins – allen voran den Theatern – lag, zu denen Schawinsky nach seinem Besuch in Weimar weitergereist war. In Berlin setzte er zunächst sein Architekturstudium fort, bis ihn im Frühjahr 1924 der Sog des Bauhauses endgültig nach Weimar zog.

Dieser Frühling war nicht nur für Schawinskys persönliche Biografie bedeutsam, sondern fiel auch in eine prägende Phase des Bauhauses: eine Zeit des Wandels und der Selbstfindung. Die esoterischen Einflüsse der Anfangsjahre, insbesondere die Lehren Mazdaznans, begannen zu verblassen. Aus dem anfänglichen Motto „Kunst und Handwerk – eine neue Einheit” wurde „Kunst und Technik – eine neue Einheit”. Kurz darauf, im Jahr 1925, folgte der erzwungene Umzug des Bauhauses nach Dessau, den auch Schawinsky mitmachte.

In vielerlei Hinsicht beginnt der Fokus der Ausstellung „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“ auch in Dessau, und zwar mit Bühnenbildern, Kostümentwürfen und Theaterprojekten. Diese Arbeiten unterstreichen nicht nur die Bedeutung der Bühnenwerkstatt des Bauhauses Dessau für Schawinskys Entwicklung, sondern zeugen auch von einem experimentellen Geist, von gestalterischem Forschen, Hinterfragen und dem spielerischen Ausloten möglicher Zukünfte.

Von Dessau aus verfolgt die Ausstellung Schawinskys berufliche und persönliche Stationen weiter, zunächst an das im Jahr 1933 gegründete Black Mountain College in North Carolina. Diese Kunst- und Handwerksschule wurde zwar nicht ausdrücklich als Fortsetzung des Bauhaus-Gedankens gegründet, stand ihm jedoch in vielen Punkten nahe. Nicht zuletzt wegen der dort lehrenden Persönlichkeiten: Neben Schawinsky, der dort Zeichnung, Malerei, Grundlagen des Designs und – vielleicht am prägendsten – Bühnenstudien unterrichtete, wirkten dort auch Josef und Anni Albers, Lyonel Feininger und Walter Gropius.

Später führte Schawinskys Weg nach New York, wo er von 1938 bis zu seinem Tod im Jahr 1979 lebte. Neben seiner künstlerischen Arbeit lehrte er unter anderem am Brooklyn College und an der New York University.

Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
„Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

Die Ausstellung folgt einer persönlichen und beruflichen Reise, die auf ihrem Weg das breite Spektrum des Schaffens von Xanti Schawinsky aufzeigt – darunter insbesondere seine Theater- und Bühnenarbeiten, allen voran das Spectodrama, oder genauer gesagt: die Spectodramen. Dieser von Schawinsky geprägte Begriff setzt sich aus dem lateinischen specto („beobachten“, „betrachten“) und Drama zusammen und beschreibt seine experimentellen Bühnenarbeiten. Mit der Vorstellung von der „Bühne als Labor"2 entwickelte er diese Konzepte ab den frühen Jahren in Weimar – oder vielleicht sogar schon zuvor in Berlin – und führte sie an den verschiedenen Stationen seines Lebens fort, insbesondere am Black Mountain College.

Ebenfalls zu sehen sind Beispiele seiner Werbegrafiken, die während seines kurzen Aufenthalts in Italien nach der Emigration aus Deutschland 1933 und vor seiner Ankunft in den USA 1936 entstanden – unter anderem für Illy Caffè, Fernet Branca oder Olivetti. Für letztere entwarf er auch mindestens eine Schreibmaschine mit – eine seltene, aber bemerkenswerte Auseinandersetzung mit Produktdesign in seinem Œuvre, das im Ausstellungsteil Play, Life, Illusion allerdings keine Rolle spielt.

Darüber hinaus bietet die Ausstellung Einblicke in die Vielzahl künstlerischer Genres, in denen Schawinsky über die Jahrzehnte hinweg tätig war – darunter Fotografie, Collage und Malerei in ihrem weitesten Sinne, umgesetzt mit unterschiedlichsten Materialien.

Gerade dieser Aspekt seines Schaffens – seine vielfältigen malerischen Experimente – erhält in den abschließenden Kapiteln von Play, Life, Illusion besondere Aufmerksamkeit. Die Kurator:innen bezeichnen diese Werke als „prozessbasierte Malerei“ – experimentelle Arbeiten, die zwischen den 1940er- und 1970er-Jahren entstanden sind und bei denen, wie der Begriff nahelegt, der Entstehungsprozess selbst im Mittelpunkt steht. Teilweise geschieht dies in einer surrealistisch anmutenden, kaum kontrollierbaren Weise – etwa bei seinen mit Rauch und Öl auf Pavatex ausgeführten Bildern. Pavatex, ein in den 1930er-Jahren in der Schweiz entwickeltes Faserplattenmaterial, wurde übrigens auch von Schawinskys Landsmann Willy Guhl für kostengünstige Möbelentwürfe genutzt. Teilweise hingegen greift Schawinsky gezielt in den Prozess ein – das Zusammenspiel von Künstler, Prozess und Material bestimmt das Ergebnis. Typisch dafür ist sein variantenreicher Einsatz von Sprühfarbe.

Diese experimentellen späten Kapitel und Jahrzehnte verdeutlichen, dass der Geist der künstlerischen Forschung, das spielerische Erproben und Infragestellen, das schon seine frühesten Werke prägte, Schawinsky Zeit seines Lebens begleitete. Er wird damit zu einem besonders aufschlussreichen Beispiel für das experimentelle Moment, das einen zentralen Bestandteil vieler Bauhaus-Ideen bildete – ein Aspekt, der im heutigen Bild des Bauhauses mit seinem Fokus auf geometrische Strenge, Licht- und Schattenkompositionen und achromatische Nüchternheit häufig verloren geht.

Two Track-Paintings by Xanti Schawinsky, created by driving over the canvas, 1960, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Zwei Track-Paintings von Xanti Schawinsky, entstanden durch Überfahren der Leinwand, 1960, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

Ein zentrales Element der Bauhaus-Experimente war zweifellos auch die Bauhauskapelle – jene inoffizielle, offizielle Partyband des Bauhauses, die, wie im Rahmen der Radio smow Bauhaus-Playlist erwähnt, einen experimentellen Klangmix aus Jazz, Folklore und Dadaismus erschaffen haben soll. Leider existieren keine bekannten Tonaufnahmen dieser Musik, die wir uns als ebenso wild wie faszinierend vorstellen. Die Bauhauskapelle wurde bereits in Weimar gegründet, also noch bevor Xanti Schawinsky zum Bauhaus stieß. Sie war ein fester Bestandteil der legendären Bauhauswoche von 1923 – und Schawinsky wurde nach dem Umzug nach Dessau ein bedeutendes Mitglied.

Tatsächlich war es die Bauhauskapelle, über die wir erstmals auf Xanti Schawinsky aufmerksam wurden – jener erste Impuls, der unser Interesse an seinem Werk und seiner (verlorenen) Musik „vollständig entfachte“. Die Kapelle taucht auch kurz – und man muss wirklich genau hinschauen – in der Ausstellung Play, Life, Illusion auf, unter anderem in Form eines undatierten Spendenaufrufs, möglicherweise von Schawinsky selbst verfasst, der den Kauf eines Saxofons ermöglichen sollte. Ein damals noch recht neues Instrument, das in den 1930er-Jahren von der NSDAP aus offen rassistischen Gründen verurteilt und beinahe verboten wurde. Doch die Bauhauskapelle brauchte es – denn, wie es in dem Aufruf heißt: „das Kind will geschaukelt werden"3 – vielleicht ein Zeichen für eine neue musikalische Richtung, angestoßen von Schawinsky.

Die Spendenaktion wurde unter anderem von Marcel Breuer, Wassily Kandinsky, Walter Gropius, sowohl Feininger Vater als auch Sohn, und Schawinsky selbst unterstützt – ein schönes Beispiel dafür, wie das Bauhaus auch als Gemeinschaft funktionierte, nicht nur als Schule.

Dass Schawinsky tatsächlich zu seinem Saxofon kam, belegt ein Foto von T. Lux Feininger aus dem Jahr 1928, auf dem er mit dem Instrument zu sehen ist – Feininger junior und ein weiteres Mitglied der Kapelle sind ebenfalls abgebildet. Diese und weitere Fotografien empfangen die Besucher:innen der Ausstellung Play, Life, Illusion – darunter ein Bild von Schawinsky mit Isa Gropius und Herbert Bayer in Ascona 1930, ein weiteres aus Dessau 1928/29 mit den sogenannten „alten Bühnengefährten“, darunter Max Bill und Joost Schmidt, oder eine Aufnahme von Schawinsky, wie er waghalsig auf einem Balkon in Dessau balanciert. Und dann gibt es da noch ein Bild von László Moholy-Nagy, das Schawinsky auf der Maggia-Brücke in Locarno 1933 als athletisch gemeißelten Idealtypus im Sinne antiker Männlichkeitsideale zeigt. Ein Bild, das auch an den Faschismus erinnert, der solche Körperbilder bewusst einsetzte. Ein lehrreicher Vergleich.

Allerdings fehlt in der Ausstellung ein anderes, köstliches Foto: jenes aus der Publikation zu Play, Life, Illusion, das Schawinsky beim Charleston auf dem Dach des Bauhauses Dessau zeigt, während Clemens Röseler Banjo spielt – ein Bild, das so lebendig ist, wie es klingt. Solche Aufnahmen verorten Schawinsky nicht nur physisch und persönlich im Zentrum des Bauhauses, sondern spiegeln auch seinen konzeptuellen und gestalterischen Einfluss wider.

Allerdings ist diese experimentelle Ader nicht durchgängig in Play, Life, Illusion präsent. Seine Werbegrafiken wirken mitunter erschreckend konventionell, unexperimentell – beinahe zu gefällig. Die klare Abgrenzung zu anderen ausgestellten Arbeiten lässt einen fast daran zweifeln, dass sie wirklich von Schawinsky stammen. Doch genau das tun sie. Und gerade dadurch zeigen sie, dass Schawinsky sehr wohl in der Lage war, populäre Massenprodukte zu gestalten, dass er die Prozesse, Ästhetiken und Regeln des Marktes kannte – sich jedoch bewusst dagegen entschied. Es sei denn, sie dienten dazu, die Rechnungen zu bezahlen. Was in Italien, wo er nach seiner Emigration ankam, sicherlich notwendig war – ein Land, das zu jener Zeit stark unter dem Einfluss des Mussolini-Kults stand, mit wenig Platz für experimentelle Kunst. Trotz aller Affinitäten des Faschismus zum Futurismus.

Diese „sicheren“ Werbearbeiten unterstreichen also auch, wie beglückend es für ihn – und für uns – war, dass Schawinsky nach seiner Ankunft in Amerika seine experimentelle Arbeit fortsetzen konnte.

Wenn auch dort – so vermuten wir – erneut das Lehren den Lebensunterhalt sicherte. Wir wissen es nicht genau, wir waren nicht dabei. Aber wir wissen: Das Experimentelle, das wirklich Innovative treibt die kulturelle Entwicklung voran – bezahlt wird es in der Regel jedoch nicht. Schon gar nicht zu Lebzeiten der Kreativen.

Three collages by Xanti Schawinsky from ca. 1930 including photos of the Bauhauskapelle and the appeal for funds for a saxophone, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Drei Collagen von Xanti Schawinsky aus der Zeit um 1930 mit Fotos der Bauhauskapelle und dem Spendenaufruf für ein Saxophon, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld“.

Es handelt sich um eine weitgehend wortlose Ausstellung, die lieber durch die Werke selbst spricht und Xanti Schawinsky direkt mit den Besucher*innen in Dialog treten lässt – ohne den Filter einer kuratorischen Vermittlung. Play, Life, Illusion ist nicht nur eine umfassende Einführung in das Leben und Werk von Xanti Schawinsky und seinen Platz in der Kunst und Designgeschichte. Die Ausstellung wird durch die Intervention Kontext:Bauhaus wirkungsvoll erweitert, die Werke aus der Sammlung der Kunsthalle Bielefeld zeigt – unter anderem von Josef Albers, Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy.

Zugleich bietet sich hier eine seltene Gelegenheit, seinem neuen Lieblingswerk von Xanti Schawinsky ganz nah zu kommen – denn Ausstellungen zu seinem Werk sind rar.

Wir selbst haben ungewöhnlich viel Zeit mit seinen Arbeiten aus den 1970er-Jahren verbracht: Sprühlack auf Gaze und Leinwand, doppellagig, zweidimensional – was keineswegs ein Widerspruch ist. Diese Bilder scheinen sich tatsächlich mit dem Blick zu bewegen, verändern sich je nach Perspektive und sind so wunderbare Beispiele manueller kinetischer Kunst, analoger kinetischer Kunst – eine eigenständige Antwort auf die Op-Art.

Ebenso faszinierend: seine Spray- und Acrylbilder von 1968. Auch sie wirken dreidimensional, obwohl sie es nicht sind – suggerieren Bewegung, ohne sich tatsächlich zu bewegen. In Bielefeld hängen sie wie Darstellungen von Gewitterwolken, die sich öffnen, um das Licht des Himmels freizugeben – als wären sie direkt von einer Renaissance-Kuppel in Italien entwendet worden.

Oder die Skizze Tap Dancer versus Tap Machine von 1924 – entstanden in seinen frühen Bauhaus-Jahren in Weimar. Sie zeigt einen Stepptänzer, der einer mechanischen Stepptanzmaschine gegenübersteht – Mensch gegen Maschine, Tradition gegen technologische Neuerung. Eine Zeichnung, die eindrücklich vor Augen führt, dass die Spannung zwischen dem Etablierten und dem Neuen, zwischen Kreativität und Technik, keine Erfindung unserer Zeit ist. Fragen wie: Kunst und Technik – eine neue Einheit? Oder doch: Technik als Überwindung der Kunst? Diese Herausforderungen begleiten uns, seit Menschen Technologie entwickeln – und sie werden bleiben. Vielleicht ist es an der Zeit, aus der Vergangenheit zu lernen, statt uns vom Neuen immer wieder überwältigen zu lassen.

Ja, wir haben Stepptanzmaschinen – was heißt das? Ja, wir haben Künstliche Intelligenz – was heißt das?

Tap dancer versus Tap Machine, Xanti Schawinsky, 1924, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Stepptänzer gegen Steppmaschine, Xanti Schawinsky, 1924, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

Eindringlich und zeitgenössisch wirkt auch Xanti Schawinskys Serie Gesichter des Krieges von 1942: Kriegsmaschinen werden so dargestellt, dass die Anordnung ihrer Bewaffnung ihnen menschliche Züge verleiht. Eine mahnende Erinnerung daran, dass nicht Maschinen Kriege führen, sondern Menschen – ein Gedanke, der damals von großer Bedeutung war, vgl. auch Chaplins berühmte Schlussrede in The Great Dictator. Und ein Gedanke, der heute aktueller denn je erscheint: Schawinskys Soldat könnte ebenso gut ein zeitgenössischer autonomer Kampfroboter sein.

Es ist eine Vision der Zukunft, die Wirklichkeit geworden ist – eine experimentelle Zukunft, die Realität geworden ist. Doch wir glauben nicht im Geringsten, dass dies Schawinskys Intention war. Vielmehr ist es das, was die menschliche Gesellschaft mit all ihrer Weisheit, Intelligenz und Erfahrung daraus gemacht hat.

Die Serie Gesichter des Krieges muss im Zusammenhang mit der zeitgleich entstandenen Serie Camouflaged betrachtet werden, mit der sie in der Ausstellung Play, Life, Illusion kombiniert gezeigt wird. Camouflaged zeigt unter anderem eine Stadt oder eine Flugabwehrstellung, die durch farbige, abstrakte Formen getarnt ist – Formen, die an Elemente eines Mobiles von Alexander Calder, eine Skulptur von Isamu Noguchi oder abstrahierte Varianten des Expressionismus von Wassily Kandinsky oder Paul Klee erinnern.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Camouflaged im Kontext von Schawinskys Tätigkeit für die sogenannte „Visual Problems Unit“ des Army Air Corps entstand, wo er reale Tarnmuster für den militärischen Einsatz entwickelte. Die künstlerische Experimentierfreude Schawinskys wurde damit direkt für den Krieg nutzbar gemacht – ein Umstand, der daran erinnert, dass Kreative in Zeiten gesellschaftlicher Gefährdung – sei es Krieg, Diktatur oder Umweltzerstörung – nicht neutral bleiben können. Ihr Beitrag unterstützt zwangsläufig eine Seite. Sie müssen eine bewusste Entscheidung treffen.

Zugleich zeigt Schawinskys Werk, dass das Führen von Kriegen und der Schutz von Nationen weit mehr erfordert als reine militärische Stärke. Es stellt letztlich auch die Frage, ob wir mit einem experimentellen, hinterfragenden und visionären Denken à la Schawinsky nicht Wege finden könnten, Kriege – und viele andere zerstörerische Praktiken der menschlichen Gesellschaft – von vornherein zu vermeiden.

Wohin könnte uns eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Werk eines Xanti Schawinsky führen?

Part of Xanti Schawinsky's 1942 series Gesichter des Krieges, Faces of War, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Teil der Serie „Gesichter des Krieges“ von Xanti Schawinsky aus dem Jahr 1942, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

Ursprünglich im Mudam Luxemburg gezeigt und in Zusammenarbeit mit diesem entwickelt, ist es äußerst passend, dass Play, Life, Illusion nun in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen ist – einem Ausstellungshaus, das in einem kompakten Monolithen von Philip Johnson untergebracht ist. Johnson war in den frühen 1930er-Jahren durch seine Rolle am MoMA in New York maßgeblich daran beteiligt, ein vereinfachtes Narrativ des Bauhauses in den USA zu verbreiten. Damit prägte er ein bis heute verzerrtes Bild vom „Bauhaus“ – ein Bild, das die historischen Bauhaus-Schulen auf eine einheitliche, monolithische Institution reduziert: geometrisch streng, konstruktivistisch, achromatisch, kontrolliert in Licht und Schatten, nüchtern im Ausdruck.

Ein Bauhaus, das nicht experimentell war. Nicht zukunftsgewandt. Kein Ort für Saxophone oder Charleston-Tänze auf dem Dach eines der „heiligsten“ Gebäude der Moderne. Kein Ort für Xanti Schawinsky. Ein Bauhausbild, in dem für jemanden wie Schawinsky kein Platz zu sein scheint.

Play, Life, Illusion macht deutlich: Xanti Schawinsky war ein integraler Teil des Bauhauses – des Bauhauses, wie es tatsächlich war, nicht wie es durch Persönlichkeiten wie Philip Johnson später erinnert und umgedeutet wurde. Insofern ist Johnsons Bau in Bielefeld ein besonders treffender Ort, um an die Diskrepanz zwischen dem gelebten Bauhaus und der heutigen Bauhaus-Ikone zu erinnern. Eine Erinnerung, die gerade im Jahr des 100-jährigen Jubiläums des Bauhauses Dessau – wo Schawinsky seine kreative Handschrift zu entwickeln begann – von großer Bedeutung ist. Es ist eine Gelegenheit, das heutige Bild des „Bauhauses“ kritisch zu hinterfragen und den Begriff nicht weiter gedankenlos zu verwenden.

Xanti Schawinsky eignet sich hervorragend als Medium für diesen kritischen Prozess – auch wenn ihn noch immer viel zu wenige kennen. Würde Niels Peterson uns heute fragen, ob wir einen Künstler namens „Schawinsky“ kennen, würden viele von uns verneinen.

Doch so wie sich 1923 eine Reise nach Weimar lohnte, um Neues zu entdecken, lohnt sich 2025 eine Reise nach Bielefeld. Denn Play, Life, Illusion ermöglicht nicht nur eine erste Begegnung mit einem außergewöhnlichen Gestalter, sondern lädt ein, sich intensiver mit ihm auseinanderzusetzen. Schawinskys Werk ist nicht nur lehrreich für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er war als Lehrer ebenso prägend für eine neue Generation von Kreativen, wie es einst Josef Albers, Paul Klee oder Oskar Schlemmer für ihn waren. Diese Weitergabe von Ideen über Generationen hinweg – und deren ständige Weiterentwicklung – ist essenziell für jede Gesellschaft. Genau deshalb sollten wir technischen Fortschritt zwar nicht fürchten, ihn aber hinterfragen – zum Beispiel in Form der „Tap Machines“.

Schawinsky war ein vielseitiger Gestalter, aktiv in zahlreichen Disziplinen, deren Verbindungen und Unterschiede seine künstlerische Haltung deutlich machen. Seine Positionen sind auch heute noch relevant – für das kreative Schaffen, für gesellschaftliche Fragen und für das komplexe Verhältnis zwischen beidem.

Und vielleicht wäre er Architekt geblieben, hätte ihn nicht ein gewisser Niels Peterson in jenem folgenschweren Sommer 1923 gefragt, ob er „eine Schule in Weimar namens Bauhaus“ kenne …

Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky ist in der Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5, 33602 Bielefeld, bis Sonntag, den 15. Juni, zu sehen.

Eine begleitende Publikation, in der Xanti Schawinsky selbst durch Textauszüge zu Wort kommt, ist beim Hirmer Verlag, München, erhältlich.

Weitere Informationen unter: https://kunsthalle-bielefeld.de

Incontro II (l) and Incontro III (r), spray paint and acrylic on canvas, 1968, by Xanti Schawinsky, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Incontro II (links) und Incontro III (rechts), Sprühfarbe und Acryl auf Leinwand, 1968, von Xanti Schawinsky, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld
Spectodrama positions as developed at Bauhaus Deassau, 1925, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Spectodrama-Arbeiten, entwickelt am Bauhaus Dessau, 1925, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky", Kunsthalle Bielefeld
The intervention Kontext:Bauhaus, here with works by Josef Albers, Oskar Schlemmer & Kurt Kranz, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Die Intervention „Kontext:Bauhaus“ mit Werken von Josef Albers, Oskar Schlemmer und Kurt Kranz, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky", Kunsthalle Bielefeld
Costumes designs by Xanti Schawinsky from 1925 (l) and images from Xanti Schawinsky's theatre piece Olga-Olga, 1928 (r), as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Kostümentwürfe von Xanti Schawinsky aus dem Jahr 1925 (links) und Bilder aus Xanti Schawinskys Theaterstück Olga-Olga, 1928 (rechts), zu sehen in Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Colour photos (1948/1978) by Xanti Schawinsky (l) and works from his smoke and oil on Pavatex series, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Farbfotos (1948/1978) von Xanti Schawinsky (l) und Werke aus seiner Serie „Rauch und Öl auf Pavatex“, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld
Two spray paint on gauze and canvas works by Xanti Schawinsky from 1972, as seen at Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
Sprühfarben auf Gaze und Leinwand von Xanti Schawinsky aus dem Jahr 1972, zu sehen in „Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld
Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky, Kunsthalle Bielefeld
„Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky“, Kunsthalle Bielefeld

1Xanti Schawinsky, Memories, ca. 1970, nachgedruckt in Daniel Schawinsky und Torsten Blume [Hrsg.] Xanti Schawinsky. Play Life Illusion A Retrospective in Texts, Letters and Images, Hirmer Verlag, München, 2024, Seite 45. Auf Seite 91 findet sich ein Auszug aus einem Interview mit Schawinsky aus dem Jahr 1928, in dem er „Niels Peterson“ als „Harald Petersen“ bezeichnet, was angesichts der zeitlichen Nähe wohl der richtige Name ist. Unabhängig davon, ob es sich um „Niels Peterson“ oder „Harald Petersen“ handelt, war er Tennistrainer.

2Xanti Schawinsky, Vom Bauhaus-Happening zum Spektodrama, 1967, nachgedruckt in ebenda, Seite 144

3Undatierter Spendenaufruf, wie veröffentlicht in Play, Life, Illusion. Xanti Schawinsky

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