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Ein Kaffee mit Erwan Bouroullec bei den 3daysofdesign 2025


Veröffentlicht am 08.07.2025

Was wären die 3daysofdesign ohne diese magischen Begegnungen, bei denen Designträume Wirklichkeit werden? Zwischen all den Neuheiten, Gesprächen und Eindrücken in Kopenhagen gab es für uns einen ganz besonderen Moment: ein Treffen mit Erwan Bouroullec. Ein Gestalter, dessen Arbeit unser Portfolio seit Jahren begleitet – inspirierend, visionär und prägend für das zeitgenössische Design. Bei einem Kaffee haben wir mit ihm über seine Arbeit gesprochen, über die poetische Kraft seines Schaffens, die Geschichte hinter der ikonischen Scheune La Grange – und natürlich über den neuen Vitra Mynt-Stuhl.

smow: Zum Einstieg ein paar schnelle Fragen, um dich besser kennenzulernen. Erwan, eher Punk oder Jazz?

Erwan Bouroullec: Eher Punk.

smow: Süß oder salzig?

Erwan Bouroullec: Salzig.

smow: Stuhl oder Tisch?

Erwan Bouroullec: Stuhl.

smow: Scandi oder Frenchie?

Erwan Bouroullec: Europäer.

smow: Farbe oder Schwarz-Weiß?

Erwan Bouroullec: Farbe.

smow: Natur oder Stadt?

Erwan Bouroullec: Eher Dschungel.

smow: Holz oder Metall?

Erwan Bouroullec: Das ist mir egal.

smow: Du bist nicht zum ersten Mal in Kopenhagen zu den 3daysofdesign. Unser Gefühl: das Event wird jedes Jahr größer. Mehr Menschen, mehr Energie – fast mehr als in Mailand oder Paris. Spürst du das auch?

Erwan Bouroullec: Ja, definitiv. Es ist ein Event, das wirklich wächst – und das ist schön zu sehen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es in zwei, drei Jahren noch deutlich größer sein wird. Ich möchte das intimere Format, das es früher hatte.

smow: Menschlicher, greifbarer?

Erwan Bouroullec: Genau. Aber so ist das Leben – es entwickelt sich.

Ich verbringe viel Zeit damit, über Dinge nachzudenken. [...] Es ist wichtig, die Welt einmal von einem Ort aus zu betrachten, der nicht urban ist. Auf dem Land hat man mehr Raum, ein Auto, Werkzeuge, eine Garage. Das verändert die Perspektive.

smow: Du arbeitest in Paris. Am Anfang deiner Karriere hattest du mit deinem Bruder ein Atelier in Belleville. Heute arbeitest du alleine. Erzähl uns etwas über deinen Arbeitsalltag.

Erwan Bouroullec: Ich kann im Grunde überall arbeiten. Meine Arbeit ist sehr gedanklich – ich verbringe viel Zeit damit, über Dinge nachzudenken. Mein Atelier ist in Paris, aber ich arbeite auch oft von zu Hause aus. Ich rede viel, telefoniere viel, tausche mich aus. Der Ort ist deshalb oft nebensächlich – ich kann überall arbeiten. Und dann gibt es noch diesen Ort auf dem Land…

smow: Die berühmte Scheune La Grange?

Erwan Bouroullec: Genau. Aber ich würde sie weder Atelier noch Labor nennen. Es ist eher ein Ensemble von Gebäuden, die für verschiedene Tätigkeiten eingerichtet sind. Dieser Ort bietet einfach einen anderen Blick auf das Leben. Die meisten Designer arbeiten in Metropolen – Paris, Lyon, Barcelona. Aber es ist genauso wichtig, die Welt einmal von einem Ort aus zu betrachten, der nicht urban ist. Auf dem Land hat man mehr Raum, ein Auto, Werkzeuge, eine Garage. Das verändert die Perspektive.

Erwan Bouroullec nennt die Scheune liebevoll Labor, Foto © Charles Petillon

smow: Künstliche Intelligenz ist heute in vielen kreativen Prozessen präsent. Ist das etwas, das du nutzt?

Erwan Bouroullec: Ja, vor allem beim Schreiben. Ich texte viel – meist auf Englisch. Keine Ahnung warum, aber Englisch ist für mich eine natürliche Sprache, wenn es um Design geht. Ich benutze ChatGPT, um Grammatik und Wortwahl zu optimieren. Mein Englisch ist okay, aber nicht perfekt, also hilft es mir, meine Gedanken klarer auszudrücken. Ich denke sehr assoziativ, springe zwischen Ideen – da bringt so ein Tool Struktur rein.

smow: Und im Bereich Bild oder Gestaltung?

Erwan Bouroullec: Nicht wirklich. Manchmal spiele ich ein bisschen damit – meist in der Arbeit mit Studierenden. Aber nicht als ernsthaftes kreatives Werkzeug. Dafür nutze ich es nicht.

smow: Du hast gerade die Inspiration als eine Art gedankliches Umherschweifen beschrieben. Wie ist das Projekt zum Mynt Stuhl für Vitra entstanden?

Erwan Bouroullec: Das war keine Idee, die mir allein eingefallen ist. Es war ein Gruppenprojekt – vielleicht zehn Leute waren beteiligt. Von Anfang an hatten wir eine gemeinsame Vision: einen dynamischen Stuhl zu gestalten, der auf den Körper reagiert – auf den „inneren Affen“, wenn man so will. Gleichzeitig sollte er sehr effizient reproduzierbar sein. Und darüber hinaus glauben wir alle, dass Eleganz ein Schlüssel zum Komfort ist. Ein eleganter Stuhl signalisiert „Willkommen“. Ich bevorzuge auch das Wort Eleganz gegenüber Schönheit – es hat etwas Ziviles und Gastfreundliches. Diese Mischung aus Form, Präzision und Haltung war unser gemeinsamer Ansatz. Und es war definitiv kein einsamer Prozess.

Erfrischend wie Minze nur sein kann: Vitra Mynt Stuhl von Erwan Bouroullec

smow: Wie kam der Name Mynt zustande?

Erwan Bouroullec: Namen zu finden ist nie einfach – viele sind schon geschützt. Bei Mynt haben wir etwa 30 Namen geprüft. Der Klang hat uns gefallen – er ist frisch und leicht.

smow: Wie Minze.

Erwan Bouroullec: Genau. Etwas Erfrischendes, Zugängliches, Subtiles – das hat einfach gepasst.

smow: Ist der Arba Lounge Chair, den du für Raawii entworfen hast, ein stilistischer Bruch mit deiner bisherigen Arbeit? Er wirkt fast schwebend, sehr leicht, fast futuristisch.

Erwan Bouroullec: Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Ich beginne nie mit einer konkreten Stilidee. Die Form entsteht im Prozess, als Reaktion auf Anforderungen. Stil entwickelt sich daraus – wenn überhaupt. Deshalb kann ich nicht sagen, ob das ein Bruch ist oder nicht.

smow: Und wie kam die Zusammenarbeit mit Raawii zustande?

Erwan Bouroullec: Schwer zu sagen. Wir erinnern uns beide nicht mehr genau. Wir haben uns getroffen, verstanden, wollten etwas zusammen machen – und los ging's. Meistens ist es so: Man startet, und währenddessen kristallisieren sich die Ziele heraus. Der Anfang ist oft diffus.

Erwan Bouroullec und der Raawii Arba Lounge Chair
Im Design neigen wir oft zu Orthodoxie – ich scherze manchmal mit meinen Töchtern, dass Designer wie Mönche sind: mit Regeln, die sie sich selbst auferlegen. Es ist gut, da auch andere Sichtweisen reinzuholen.

smow: Gibt es eine Designerpersönlichkeit – lebend oder verstorben – mit der du gerne einen Kaffee trinken würdest?

Erwan Bouroullec: Es gibt viele, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde – aber nicht unbedingt Designer. Mich interessiert die Vielfalt der Menschen, denen man im Prozess begegnet: Ingenieure, Vertriebler, Leute aus dem Marketing. Ich liebe Ingenieure – sie bringen Struktur und Präzision. Marketingleute haben dieses Talent zur Empathie, sie müssen die Menschen wirklich verstehen. Im Design neigen wir oft zu Orthodoxie – ich scherze manchmal mit meinen Töchtern, dass Designer wie Mönche sind: mit Regeln, die sie sich selbst auferlegen. Es ist gut, da auch andere Sichtweisen reinzuholen.

smow: Gibt es trotzdem jemanden, der dich besonders geprägt hat?

Erwan Bouroullec: Ja, ganz klar: Jasper Morrison. Sein Werk war für mich prägend. Er hat Denkweisen und Regeln etabliert, die bis heute Einfluss haben – fast wie ein historisches Fundament, auf dem wir alle ein Stück weit bauen. Seine Haltung, seine Art, Dinge zu betrachten, gefällt mir sehr.

smow: Dann schließen wir dieses Interview mit Jasper Morrison und seiner Philosophie der funktionalen Eleganz – ein Designer, den man unbedingt entdecken oder wiederentdecken sollte. Vielen Dank für das Gespräch, Erwan, hier bei den 3daysofdesign.

Erwan Bouroullec: Es war mir ein Vergnügen. Vielen Dank.

Was wir sonst so bei den 3daysofdesign erlebt haben, gibt es hier im Journal zu erfahren, unter

Kopenhagen sehen und nie mehr wegwollen 

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