Manchmal liegen Schätze dort, wo man sie am wenigsten vermuten würde. Rabenau ist eine beschauliche Kleinstadt in Sachsen – wer jedoch die Geschichte kennt, wundert sich kaum, dass sich hier ein echtes Kleinod verbirgt. Die Stadt war über Jahrhunderte ein Zentrum der Stuhlproduktion – vom traditionellen Handwerk bis zur industriellen Fertigung. Kein Wunder also, dass hier heute das Deutsche Stuhlbaumuseum ansässig ist – ein Ort, an dem Möbelgeschichte lebendig wird.

Aktuell steht das Haus ganz im Zeichen der neuen Sonderausstellung „Gelenka – Mythos und Wirklichkeit“, die die faszinierende Geschichte der Gelenka-Stühle beleuchtet. Warum die Ausstellung „Gelenka – Mythos und Wirklichkeit“? Das Stuhlbaumuseum Rabenau besitzt seit 2002 ein Paar Gelenka-Stühle, deren Herkunft zunächst ungeklärt war. Erst ab 2019 begann eine umfassende Recherche, die Produktionsstandorte, Patente und Varianten ans Licht brachte. Die aktuelle Ausstellung zeigt nun erstmals eine zusammenhängende Dokumentation der Geschichte der Stühle – von den Anfängen von Designer Ernst Breitenborn in Leipzig, über Weiterentwicklungen in Wolfhagen/Kassel bis hin zu späteren Nachahmungen. Die Schau verbindet Designgeschichte, Technik und das persönliche Erbe ihres Erfinders mit den Produktionsgeschichten der beteiligten Hersteller.
Man denkt zunächst, ein Stuhl sei ein alltäglicher Gegenstand – doch die Gelenka-Stühle haben eine Geschichte, die es wert ist, entdeckt zu werden. Wer hier sitzt, setzt sich buchstäblich mitten hinein in ein Stück deutsche Designgeschichte.
Auf den ersten Blick wirken die Stühle schlicht und unaufgeregt – doch ihr technisches Konzept ist außergewöhnlich. Die Sitz- und Lehnenflächen bestehen aus kleinen, beweglich verbundenen Holzelementen, die mithilfe eines federnden Mechanismus flexibel nachgeben. Dieses System sorgt für einen überraschend hohen Sitzkomfort und erinnert an ein Gelenk, dessen Beweglichkeit sich direkt im Namen wiederfindet: „Gelenka“.
Lange wurden die Stühle fälschlich dem Bauhaus oder bekannten Gestaltern wie Erich Dieckmann zugeschrieben. Tatsächlich jedoch stammen die ursprünglichen Entwürfe aus den 1950er- und 1960er-Jahren von Ernst Breitenborn und der Leipziger Firma Emil Plarre, die über 100.000 Exemplare produzierte. Ihre klare Formensprache lässt Einflüsse moderner Gestaltung erkennen, bildet aber zugleich eine ganz eigene konstruktive Handschrift.


Die Sonderausstellung „Gelenka – Mythos und Wirklichkeit“ bietet einen tiefen Einblick in:
Produktion der Stühle bei Emil Plarre, Leipzig Die traditionsreiche Firma produzierte bis 1972 über 100.000 Gelenka-Stühle. Designer Rudolf Großmann entwickelte dazu weitere Modelle und Varianten.
Fortführung der Arbeit Breitenborns in Wolfhagen/Kassel Nach seiner Flucht aus der DDR setzte Breitenborn seine Arbeit im Westen fort und experimentierte mit neuen Polstermaterialien wie Schaumgummi. Ein seltenes Originalpolster konnte aus einem privaten Dachbodenfund gesichert werden.
Designgeschichte und Einflüsse Die Ausstellung zeigt, wie sich moderne Entwurfshaltungen – etwa von Erich Dieckmann – in der Gelenka-Formensprache spiegeln, ohne dass eine direkte Bauhaus-Zuordnung zutrifft. Frühere Patente, Weiterentwicklungen und Interpretationen ergänzen den historischen Kontext.

Das Museum lädt alle Besitzer von Gelenka-Stühlen oder von Unterlagen zu den beteiligten Firmen ein, sich zu beteiligen. Ob alte Fotos, Rechnungen, Kataloge oder originale Dokumente – jede Information hilft, die Geschichte der Stühle weiterzuschreiben. Interessierte können Kontakt zum Museum aufnehmen und ihre Stücke oder ihr Wissen einbringen. So werden Besucher selbst Teil der spannenden Forschungsarbeit und tragen dazu bei, dass die Story der Gelenka-Stühle lebendig bleibt.
Vom 19. Oktober 2025 bis 15. März 2026 zeigt das Museum diese faszinierende Reise durch Design, Handwerk und Innovation. Gefördert wurde das Projekt von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, dem Kulturraum Meißen – Sächsische Schweiz – Osterzgebirge und der Stadt Rabenau.
Fazit: Ob Designliebhaber, Möbel-Fan oder einfach neugieriger Besucher – die Ausstellung ist ein Must-See. Und wer weiß, vielleicht entdeckt man beim Probesitzen den ultimativen Lieblingsstuhl.

19.10.2025 – 15.03.2026 Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau Di bis Do von 10 -16 Uhr, Fr von 10-14 Uhr, Sonntag und an Feiertagen 13-17 Uhr
Fotos Copyright mit freundlicher Genehmigung: Stuhlmuseum Rabenau