Vom 20. Februar bis 20. Mai 2013 präsentiert das Centre Pompidou Paris eine große Retrospektive über die irische Künstlerin, Architektin und Designerin Eileen Gray.
Jemand behauptete mal „Die Zukunft projiziert Licht, die Vergangenheit nur Wolken.“ Daher sind wir nicht hundertprozentig sicher, ob sie der Sache selbst zustimmen würde, für uns ist es aber eine willkommene und längst überfällige Eileen Gray Retrospektive und passenderweise eine, die in der Stadt stattfindet, die ihr Leben, ihre Persönlichkeit und ihre Karriere wie keine andere beeinflusst hat.
Geboren wurde Gray 1878 in Enniscorthy, Wexford County, als jüngste von fünf Kindern des schottischen Landschaftskünstler James Maclaren Smith und seiner Frau Eveleen Pounden. Kathleen Eileen Moray Smith wuchs in guten Verhältnissen auf und verbrachte ihre Zeit, wenn nicht im Familienkreis in Enniscorthy, in London. Die allen Berichten zufolge unabhängige junge Frau, wurde 1900 durch eine Reise nach Paris ermutigt Kunst zu studieren. Bei ihrer Rückkehr nach London schrieb sich die 21-jährige Gray direkt an der Slade School of Fine Art ein.
1902 kehrte sie nach Paris zurück, um zuerst an der Académie Colarossi und daran anschließend an der Académie Julian zu studieren. Obwohl der Umzug nach Paris ursprünglich durch akademisches Streben motiviert war und zeitlich begrenzt sein sollte, wurde die französische Hauptstadt mit ihrer allgegenwärtigen Atmosphäre um die Jahrhundertwende verbunden mit den Möglichkeiten, die sich dort für sie ergaben, genauso wie der Rest Frankreichs zu einem zweiten Zuhause für Gray.
Während Eileen Gray heutzutage vor allem bekannt für ihre Möbelstücke wie den Adjustable Table E 1027 oder den Bibendum Sessel ist, war sie ein außergewöhnliches Talent und ihre aktive Karriere umfasst ungefähr sieben Jahrzehnte, wobei ihre kreative Leistung neben den heute als ClassiCon Möbeldesigns vertriebenen Arbeiten von orientalischen Lackarbeiten und Webereien über Fotografie und Wasserfarben bis hin zur Architektur reichte.
Glücklicherweise wurde Eileen Gray kurz vor ihrem Tod von einer neuen Generation „wiederentdeckt“, wodurch sie ihren verdienten Platz in der Geschichte des Designs und der Kunst in Europa zurückerlangte.
Dass Eileen Gray wiederentdeckt werden musste, ist nicht so überraschend. Trotz des Ruhms und der Ehre, womit moderne Künstler, Architekten und Designer heutzutage überschüttet werden, waren sie damals eine Spezies, die ziemlich für sich war. In der Zwischenkriegszeit, als Eileen Gray am produktivsten war, ähnelten sie mehr einer arroganten, autarken Clique als einer überlegenen, revolutionären Bewegung. Ja, der ein oder andere hat es geschafft, sich gegen die Mauer der öffentlichen Auffassung durchzusetzen; doch die meisten verkauften ihre Arbeiten an Leute, die sie kannten und lokale Museen ohne jemals auf einem kulturellen Radar irgendeiner Form wahrgenommen zu werden.
Was ein Grund dafür ist, dass in die Tiefe gehende, fantasievoll kuratierte Retrospektiven nötig sind.
Eine der wenigen erwähnenswerten Eileen Gray Retrospektiven fand 2005 im Design Museum London statt und veranlasste Andrew Lambirth in The Spectator Folgendes zu schreiben:
… die Ausstellung ist ziemlich spannend, obwohl sie den Besucher eher mit angeregtem als gestilltem Appetit zurücklässt. Oh, wie wäre eine tiefgreifendere Ausstellung, die mehr tut als nur den Reichtum des bemerkenswerten künstlerischen Talents anzudeuten.1
Wir haben die Centre Pompidou Ausstellung noch nicht gesehen und können daher logischerweise nicht beurteilen, wie gut sie ihre Ziele erreicht oder inwiefern sie Lust auf das Thema macht. Wenn man sich jedoch die Liste der Exponate und Raumpläne anschaut, sind auf jeden Fall alle Zutaten für eine faszinierende und informative Ausstellung vorhanden. Und daher sind wir ziemlich optimistisch, dass Eileen Gray im Centre Pompidou den Hunger unseres Kollegen stillen wird.
Übrigens ist Andrew Lambirths Besprechung der Ausstellung im Design Museum mit „Shades of Gray“ betitelt. Damals gab es den Roman noch nicht einmal, also können wir gespannt sein, was in Bezug auf die aktuelle Ausstellung an originellen Wortwitzen auf uns zukommt.
Kuratiert wird die Ausstellung von Cloé Pitiot und zeigt über 200 Objekte, darunter Fotografien, Zeichnungen, Möbel und Architekturpläne. Dabei ist die Ausstellung mehr oder weniger als zweiaktiger, chronologischer Spaziergang durch das Leben und die Karriere dieser bemerkenswerten Frau organisiert. Los geht es mit den Lackarbeiten, bevor sich die Ausstellung über den Einfluss und die Rolle des Kunstsammlers Jacques Doucet und der Galerie Jean Désert – eröffnet von Gray im Jahre 1922 und Schauplatz einiger der wichtigsten Entwicklungen in ihrer Karriere – bewegt und schließlich Eileen Grays vielleicht nachwirkendstes und bedeutungsvollstes Monument, die Villa E 1027 in Roquebrune-Cap-Martin, erreicht.
Der zweite Teil der Ausstellung ist weiteren Architekturprojekten gewidmet, Lou Pérou und Tempe a Pailla; den zwei Männern in ihrem Leben, Jean Badovici und Le Corbusier; zwei Bereichen mit persönlicheren Objekten: selten gesehene Beispiele ihrer Malereien und Fotografien sowie „Le portfolio d’Eileen Gray“, eine private Sammlung, die Eileen Gray aus schönen Erinnerungen zusammengestellt hat, sowie andere persönliche und private Einblicke in ihre Projekte.
In unserem Bericht über Gerrit Rietveld: Die Revolution des Raums im Vitra Design Museum vom Mai 2012 haben wir angemerkt, dass es wahrscheinlich gut war, dass sich Gerrit Rietveld nicht der lustigen Bauhaus Truppe angeschlossen hat. Ähnlich dankbar kann man wohl darüber sein, dass Eileen Gray die 1920er und 1930er Jahre in Frankreich und nicht in Ostdeutschland verbracht hat.
Emanzipiert vom Dogma des Bauhauses und frei auf einer zarten Brise der Innovation und Veränderung in Europa treibend, sollte sich Eileen Gray in eine der interessantesten und vielseitigsten kreativen Geister ihrer Generation entwickeln, die sich zweifelsohne freier und kompetenter zwischen den Fronten der Arts and Crafts Bewegung und der Moderne bewegt hat als jeder andere ihrer Zeitgenossen. Nichtsdestotrotz ist sie eine Künstlerin, die bis heute ein Geheimnis bleibt. Ein Symbol einer Zeit, das durch einige Kultobjekte repräsentiert wird, darüber hinaus aber wenig bekannt ist.
Wie bereits angedeutet, war Eileen Gray jemand, der sich nicht notwendigerweise sehr um die Vergangenheit kümmerte. In der Pressemitteilung zur Ausstellung zitiert ihr Biograf, Peter Adam, Eileen Gray mit „Ich mag es Dinge zu machen, ich hasse es sie zu besitzen. Erinnerungen haften an Dingen und Objekten, daher ist es das Beste neu anzufangen.“ Für unseren Teil sind wir froh, dass sich das Centre Pompidou entschieden hat, dieses Persönlichkeitsmerkmal zu ignorieren, um uns so – durch die Erinnerungen, die den Exponaten anhaften – zu helfen ihre Persönlichkeit und ihren Kanon besser zu verstehen.
Für jemanden, der diesen Frühling in Paris ist und einen Nachmittag Zeit hat, sollte es also nicht die schlechteste Entscheidung sein, das Centre Pompidou zu besuchen.
Die Ausstellung Eileen Gray ist noch bis 20. Mai 2013 im Centre Pompidou Paris zu sehen.
Weitere Informationen gibt es unter www.centrepompidou.fr/en.
1 Andrew Lambirth „Shades of Gray“, The Spectator 24 September 2005 http://www.spectator.co.uk/arts/18941/shades-of-gray/ Accessed 14.02.2013
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