„Der neue Eames Plastic Chair ist ein wahrgewordener Traum.“1
Während man das Walker Art Centre Minneapolis beschuldigen kann oder sollte, dass sie in ihrem Leitfaden über „Useful Objects“ von 1950 etwas übertrieben haben, gibt es keinen Zweifel daran, dass Charles und Ray Eames mit ihrer Familie von Kunststoffschalenstühlen das Möbeldesign auf unbetretenes Terrain geführt haben.
Oder wie Peter Smithson schreibt, „Vor den Eames gab es keine Stühle (im modernen Kanon), die in vielen Farben oder mit wirklich leichtem Gewicht erhältlich oder nicht grundsätzlich rechtwinklig konstruiert sind (z.B. die Stühle von Rietveld, Stam, Breuer, Le Corbusier, Mies van der Rohe, Aalto).“2
Doch und um auf das Walker Art Centre zurückzukommen, wie es mit allen erfüllten Träumen so ist, wäre es auch zu der Geschichte der Eames Plastic Chairs fast nie gekommen…
Motiviert vom Erfolg, den er 1940 zusammen mit Eero Saarinen beim Wettbewerb „Organic Design in Home Furnishings“ vom MoMA hatte, machte Charles Eames während der frühen 1940er Jahre mit seinen Forschungen zum Biegen von Sperrholz weiter und erhielt 1942 eine finanzielle Stütze, als er eine Ausschreibung gewann und Beinschienen und Krankenbahren aus gebogenem Sperrholz für die US Navy herstellen konnte. Der „Möbel-Durchbruch“ kam 1944, als Charles und Ray Eames ihre Sperrholz-Kindermöbel-Kollektion bestehend aus Stühlen, Tischen, Schreibtischen und Hockern auf den Markt brachten, bevor Charles Eames 1946 die Ehre hatte, die erste Einzelausstellung in der Geschichte des MoMAs gewidmet zu bekommen.3 „New Furniture Designed by Charles Eames“ beinhaltete neben anderen Werken die DCM und DCW Plywood Chairs – Modelle, die Herman Miller sehr schnell in die Produktion aufnahm und die sich sogleich in kommerziellen Erfolg verwandelten.
In den späten 1940ern hatten sich die Eames Plywood Chairs zu einem stabilen und erfolgreichen Projekt entwickelt und Charles und Ray Eames konnten sich neuen Materialien widmen.
Die Gelegenheit ergab sich 1948, als die Eames eingeladen worden sind, beim „International Competition for Low-Cost Furniture Design“ des MoMAs teilzunehmen. Bei dem Wettbewerb ging es darum, neue Möbelformen zu finden, die „geeignet für verschiedene Verwendungszwecke in heutigen kleinen Wohnungen“4 sind. Dabei waren nicht nur Beiträge einzelner Designer gefragt, sondern es wurden auch sechs Designteams ausgewählt, deren Arbeit mit einem Stipendium in Höhe von 5000 $ gefördert wurde.
Was alles etwas unfair klingt, aber…
Charles und Ray Eames wurden mit einem Team von der University of California in Los Angeles (UCLA) zusammengebracht und entwickelten eine Serie von gestanzten Stahlstühlen. Das Stanzen von Metall war Charles Eames‘ Meinung nach „eine mit der Massenherstellung im Land synonyme Technik, doch fehlten eindeutig „akzeptable“ Möbel aus dem Material…“5. Was eine Situation ist, die jemanden wie Charles Eames regelrecht anspornt.
Den gestanzten Metallstühlen wurde der zweite Preis im Wettbewerb zugesprochen; doch wie es das Schicksal so wollte, stellten sich die Produktionskosten der Stühle als viel höher und der Produktionsprozess als komplizierter als erwartet heraus.
Um also den Anforderungen des Wettbewerbs und dem Wunsch Charles und Ray Eames‘ „the most of the best to the greatest number of people for the least“6 gerecht zu werden, musste eine Alternative her.
Eine naheliegende Wahl war synthetisches Material. Während Kunststoffe bis dahin nie wirkliche eine Option für Möbel waren, wurde durch die Entwicklungen der Fiberglas-Technologie, die vor allem während des Zweiten Weltkrieges vom US-Militär vorangetrieben worden sind, in Verbindung mit Fortschritten in der Produktionstechnologie die Verwendung synthetischer Materialien am Ende der 1940er Jahre zu einer echten Option in der Möbelherstellung. Das beste Beispiel für die Möglichkeiten, die synthetische Materialien bieten, findet sich in Eero Saarinens Womb Chair für Knoll International, einem Objekt, das 1948 auf den Markt kam.
Als sich dann Herman Miller als Hersteller meldete, begannen Charles und Ray Eames eine Zusammenarbeit mit Zenith Plastics in Kalifornien, in der es darum ging, eine Fiberglas-Version der Metalldesigns zu entwickeln. Dabei begann alles mit der heute als A-Schale bekannten Sitzschale, weil die laut Neuhart et al. die „größte Fertigungsherausforderung“7 darstellte.
Allen Berichten zufolge ging die Herstellung relativ schnell; doch waren für die Herstellung aus Fiberglas einige Änderungen des ursprünglichen Metallstuhldesigns notwendig, was Charles Eames jedoch mit größter Freude tat, denn so kam er schließlich an sein Ziel – erschwingliche, Alltagsmöbel für die Massen. Was uns an den Kommentar von Cesar Pelli, Eero Saarinens früheren Assistenten, zum Unterschied zwischen Saarinen und Eames erinnert: „Er [Saarinen] war über die Form besorgt, Eames war über die Produktionsweise besorgt. Wenn Eames die Form opfern musste, um die Technologie beizubehalten, tat er es; Eero hätte keine Skrupel die Technologie zu opfern, um Stil und Form beizubehalten.“8
Es ist daher ein Glück, dass Charles Eames und nicht Eero Saarinen für das Projekt verantwortlich war und der Eames Plastic Armchair 1950 von Herman Miller auf den Markt gebracht worden ist. Und noch im selben Jahr Teil der Sammlung des MoMAs wurde.
Obwohl ursprünglich nur in den drei Farben Elefantengrau, Beige und Pergament erhältlich, war die große Auswahl der Untergestelle von Anfang an wichtiger Teil des Konzepts. Neben den Untergestellen aus Metall (DAX), Holz (DAW) und Drahtverstrebung (DAR) sowie dem Drehstuhl (PACC) und Schaukelstuhl (RAR), die wir auch heute noch kennen, gab es damals eine Version mit einem Sockel als Untergestell – einer niedrigen Loungevariante, die unserer Meinung nach einen Platz in unserer Tablet- und Smartphonegesellschaft haben sollte – und eine charmante Barhocker/Atelierstuhl-Version mit hohen Holzbeinen. Die Schale für den Eames Plastic Side Chair kam ein Jahr später in den ergänzenden Versionen DSX, DSW, DSR, PSCC und RSR auf den Markt. Der erste gepolsterte Plastic Chair erschien 1953.
Laut einer Nebenbemerkung wurde der RAR ursprünglich nur bis 1968 produziert, doch laut Neuhart et al. erhielten bis 1984 alle Mitarbeiter bei Herman Miller einen RAR als Geschenk.9 Was eine wirklich schöne Geste ist.
Die grundsätzlich unkomplizierte Herstellung und der problemlose Vertrieb in Verbindung mit der Tatsache, dass die Stühle auf einen Markt gebracht wurden, auf dem „der Boom der Wohn- und Bürogebäude in den 50ern einen Bedarf an leichten bequemen Sitzmöbeln, hervorrief“10, wurden die Eames Plastic Chairs schnell erfolgreicher als die Plywood Serie und waren auf dem besten Weg eines der meistverkauften Produktlinien von Herman Miller zu werden.
In den 1990er Jahren wurde die Entscheidung getroffen, die Herstellung von Fiberglas auf Polypropylen umzustellen, vor allem weil dieses leichter recycelt werden kann. Doch im Prinzip blieb die Eames Plastic Familie die gleiche inspirierende Produktserie, die sie schon immer war.
Und die Benennung der Eames Plastic Chair Familie? Eine Erklärung findet sich in unserem Post von 2009 DSR, RAR, DAW, ETC… Die Plastic Chairs von Charles und Ray Eames.
1. Walker Art Center (1950), Everyday Art Quarterly, No. 17 (Winter, 1950-1951)
2. Smithson, Peter (1966) Just a few chairs and a house: an essay on the Eames-aesthetic. Architectural Design, September 1966
3. Holroyd, Geoffrey (1966) Chronological Table. Architectural Design, September 1966
4. $30,000 in grants and $20,000 in prizes in international competition for design of low-cost furniture. Announcement of terms and conditions. Museum of Modern Art New York Press Release, January 5th 1948. http://www.moma.org/pdfs/docs/press_archives/1237/releases/MOMA_1946-1948_0111_1948-01-05_48105-1.pdf?2010 Accessed 14.11.2013
5. John Neuhart, Marilyn Neuhart and Ray Eames (1989) Eames design: the work of the Office of Charles and Ray Eames. Ernst and Sohn, Berlin
6. Time (1950) Sympathetic Seat. Time, 7/10/1950, Vol. 56 Issue 2, p47
7. John Neuhart, Marilyn Neuhart and Ray Eames (1989)
8. McCoy, Esther (1975) Nelson, Eames, Girard, Propst: The Design Process at Herman Miller. Design Quarterly, No. 98/99
9. John Neuhart, Marilyn Neuhart and Ray Eames (1989)
10. McCoy, Esther (1975)
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