Rudolf Horn im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig

Wir haben es schon im Post zur diesjährigen Sommerausstellung der Burg Giebichenstein bemerkt: die Burg gehört derzeit zu den interessantesten Designschulen in Deutschland. Und das hängt vor allem mit der gewissenhaften Arbeit und dem guten Ruf der Schule vor dem Mauerfall zusammen, und damit wie diese Arbeit über die Wendezeit hinaus weitergeführt wurde.

Einer der interessantesten und wohl auch einflussreichsten Mitarbeiter der Burg Giebichenstein zu DDR-Zeiten war Rudolf Horn. Er trat im Jahr 1966 dem Fachbereich für Design der Burg Giebichenstein bei und blieb bis 1996. Fast im Alleingang war Horn für die Möblierung Ostdeutschlands verantwortlich und leistete so einen großen Beitrag zur deutschen Designgeschichte. Diesem Beitrag widmet sich derzeit eine sehr kleine, aber auch sehr informative Ausstellung im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig.

Rudolf Horn MDW Grassi Leipzig

Das modulare MDW-System für VEB Deutsche Werkstätten Hellerau von Rudolf Horn, gesehen im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig

Der 1929 im sächsischen Waldheim geborene Rudolf Horn ließ sich erst zum Tischler und anschließend zum Innendesigner ausbilden, bevor er eine Stellung beim Möbelhersteller VEB Möbelwerke in Heidenau annahm. Im Jahr 1952 wechselte er zum deutschen Ministerium für Lichtindustrie und blieb dort bis er 1962 dem „Büro für Entwicklung, Messen und Werbung“ in der Möbelindustrie beitrat. Zwei Jahre später wurde Rudolf Horns erste modulare Möbelserie, die sogenannte „Leipzig IV“-Kollektion, veröffentlicht, der 1965 eine passende Kollektion von Stühlen, Tischen und Zubehörteilen folgte. Der wirkliche Durchbruch kam allerdings erst 1967 mit der Veröffentlichung des modularen Möbelsystems MDW durch die VEB Deutsche Werkstätten Hellerau. Das System sollte nämlich während der folgenden 24 Jahre produziert werden und zierte soweit wir wissen so ziemlich jedes Wohnzimmer in der ehemaligen DDR. Jedenfalls kennen wir nur wenige Ostdeutsche, die nicht mit dem MDW System vertraut wären. In späteren Jahren entwickelte Rudolf Horn weitere Möbeldesigns, die ebenso zum Standard in zahlreichen Wohnungen und Büros der gesamten DDR werden sollten. Darunter das modulare Büromöbelsystem Temaset, ein variables Sofasystem in Verbindung mit zahlreichen Wandmodulen aus Polyurethan.

Neben seiner Arbeit als Möbeldesigner war Rudolf Horn auch an zahlreichen Wohnbauprojekten beteiligt, insbesondere half er bei der Entwicklung und Umsetzung einer Reihe von Konzepten für Hochhauswohnungen in Berlin, Rostock und Dresden. Durch die Umsetzung modularer Prinzipien bei der Konstruktion des Pilotprojektes hatten die Bewohner die Möglichkeit den inneren Grundriss ihrer Wohnung entsprechend ihrer ständig wechselnden Bedürfnisse zu verändern.

Horns Faszination für modulare Systeme lag eine simple Überzeugung zugrunde, dass nämlich die Konsumenten die Möglichkeit haben müssten selbst zu entscheiden und ihnen niemand sagen dürfe, was sie brauchen und was sie kaufen sollten.

Wie um die Gültigkeit dieser Position zu untermauern, pflegte Rudolf Horn die Angewohnheit seine Kunden zu besuchen, um selbst zu sehen, wie sie das MDW-System nutzen. Dabei machte er in regelmäßigen Abständen besondere Entdeckungen: Kunden hatten die Bretter zersägt oder die vorgefertigten Elemente anderweitig manipuliert und bearbeitet, was Rudolf Horn allerdings gar nichts ausmachte – „genau auf diese Weise sollte solch ein System genutzt werden“ sagt er mit breitem Grinsen, „jeder sollte genau das bekommen, was er möchte!“  Diese Auffassung von Möbeldesign macht ihn nicht gleich zum „Vater von Ikea“, wie ihn die ostdeutschen Medien gerne nannten, aber für uns macht sie ihn ganz klar zum „Vater des offenen Designs“. Neben seinem Anliegen den Kunden das passendste Mobiliar zu ermöglichen motivierte Rudolf Horn aber auch sein Job als solcher. Das Nachkriegs-Ostdeutschland hatte, wie auch der Rest Europas nach dem Krieg, chronische Probleme in Sachen Unterbringung und Möblierung und ebenso große Probleme bei der Lösung des Problems – es mussten also Entscheidungen her.

„Die zentralen Fragen waren, wohin gehen wir und wie sollte die neue Nachkriegsgesellschaft organisiert werden?“, so Horn, „die Gesellschaft, die wir vor dem Krieg kannten, die unserer Eltern, war bei allem Respekt nicht die, die wir wollten. Es war alles zerbrochen und es einfach ebenso wieder aufzubauen wäre nicht die richtige Antwort gewesen.“ Folglich war die Aufgabe von Rudolf Horn und seinen Zeitgenossen nach einem Moment in der Geschichte zu suchen, an dem ähnliche Bedingungen vorherrschten, zu sehen, wie Designer und Architekten auf diesen Moment reagierten und dann herauszufinden, was neue Generationen daraus lernen könnten. Ihre Suche führte sie zum Bauhaus, der europäischen Moderne und dem europäischen Formalismus ganz allgemein – zu einer Bewegung also, die aus einer Situation heraus entstand, die in vielerlei Hinsicht große Ähnlichkeit mit der Situation in Ostdeutschland in den 1950er Jahren hatte. Für Rudolf Horn und seine Zeitgenossen blieb diese Bewegung jedoch durch die Aktionen der Nazis vor dem Krieg und durch die anschließenden Kriegsjahre weitestgehend unzugänglich. Hinzu kam, dass sie den Formalismus (als genau den passenden Moment in der Geschichte) entdeckten, als die ostdeutsche Regierung damit begann, den Formalismus eilig zu verbannen.

Die sogenannte Formalismusdebatte der frühen 1950er Jahre verurteilte alles, was mit der klassischen Moderne oder der Avantgarde während des Krieges in Zusammenhang stand als „zweckentfremdet und feindselig“, wenn nicht gar als „Waffe des Imperialismus“. Wie wir es bereits in unserem Post zur Ausstellung „Modelle für industrielle Gestaltung“ von der Hochschule für Bildende Künste Dresden erwähnt haben, beschlossen die ostdeutschen Machthaber im Jahr 1951, dass formale Tendenzen vor allem in der Architektur sehr ausgeprägt seien und die wirklichen Bedürfnisse der Arbeiter ignorierten.

Was die ostdeutschen Oberen wollten, waren kräftige, solide, schön ornamental verzierte Möbel – Biedermeier, Gelsenkirchener Barock aus früheren Zeiten.

Aber wie reagierte ein junger Designer wie Rudolf Horn auf solche Debatten, auf die Anschuldigung, seine Arbeit ignoriere die tatsächlichen Bedürfnisse der Arbeiter. Konnte man die Autoritäten ernst nehmen? „Natürlich nahmen wir die ernst“, antwortet Horn, „es ging um die Arbeiter, die neue Klasse, die jetzt an der Macht war. Für die Arbeiter sollte etwas Neues entwickelt werden, ihnen sollte so deutlich gemacht werden, wie wichtig sie waren. Und da dachte man vor allem an reich dekorierte Möbel und ganz bestimmt nicht an einfache Kisten. Und das war eine Meinung, die wir nicht einfach ignorieren konnten.“

Rudolf Horn PUR Grassi Leipzig

Synthetische modulare Wandeinheiten mit einem sich spiegelnden Rudolf Horn im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig

Bekanntermaßen haben die Wünsche der Regierung ja aber häufig wenig mit der Realität zu tun. Während also die politische Führung für solide Holzmöbel eintrat, war die ostdeutsche Industrie verzweifelt mit der Frage beschäftigt, wie diese Möbel denn produziert werden können.

Ganz abgesehen von einem Mangel an Material, Maschinen und Fabriken war auch das schiere Volumen an Möbeln, das produziert werden musste, ein echtes Problem. Vor allem da die Produktion so schnell und effizient wie möglich vonstattengehen sollte.

Designer wie Rudolf Horn und seine Zeitgenossen standen ohne Frage unter dem Einfluss zahlreicher Designer und Architekten des Bauhauses. Von denen nach wie vor einige, wie beispielsweise Friedrich Engemann, Selman Selmanagic oder Walter Funkat, in der DDR lehrten. Und zum großen Glück für die ostdeutsche Industrie begannen Rudolf Horn und seine Kollegen so auch schnell damit die Wünsche der Obrigkeit zu ignorieren.

„Als wir also verstanden hatten, was wir genau wollten und uns von den Einwänden zugunsten der historischen Vorgaben befreit hatten, fingen wir einfach an zu arbeiten“, erklärt Horn, „und dann kam die Industrie. Und die wollte unsere Arbeiten.“ Durch gute Kontakte zur Regierung bekamen sie die auch – und die Schrecken des Formalismus wurden ganz langsam vergessen.

Da stellt sich natürlich die Frage, warum Rudolf Horn und anderen erlaubt wurde an ihren Projekten zu arbeiten. Warum intervenierte niemand und stoppte sie?

Die Antwort ist so simpel wie naheliegend: „Wir waren jung, keiner kannte uns.“

Und auch heute kennen sie viele nicht. Horn und seine Kollegen entwickelten, vermarkteten und verkauften in der DDR, ohne dass sie als Designer einen Namen gehabt hätten. Die Ausstellung im Grassi Museum will das ändern. Für einen Designer von Rudolf Horns Rang ist die Präsentation im Grassi Museum jedoch viel zu klein. Sie liefert nicht mehr als eine Einführung zum Designer und seinem Werk, was wir sehr schade finden.

Wenn es nur ein anderes Museum gäbe, in dessen Lagern das Archiv der Hellerau Werkstätten schlummerte und das eine etwas detailliertere Untersuchung anstoßen würde…

Dass die Präsentation allerdings im Grassi Museum stattfindet, ist dann doch sehr passend. Hier begann nämlich die Geschichte von einem der interessantesten Projekte Horns, dem Loungesessel mit dem etwas unglücklichen Namen „Conferstar“. Ein Loungesessel mit einer erstaunlichen Ähnlichkeit zu Mies van der Rohes Barcelona Chair

Die Rudolf Horn Ausstellung ist bis 31. Dezember 2014 im Grassi Museum für Angewandte Kunst als Teil der Dauerausstellung „Jugendstil bis Gegenwart“ zu sehen.

Rudolf Horn Conferstar Grassi Leipzig

Der Loungesessel Conferstar für Röhl von Rudolf Horn, gesehen im Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

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