Welt aus Glas. Transparentes Design @ Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Die ersten Metaphern mögen tierischen Ursprungs gewesen sein, aber Materialien sind zweifellos genauso vielseitig einsetzbar. Und nur wenige sind so anpassungsfähig wie Glas. Die Glasdecke als undurchdringliche, aber unsichtbare Grenze. Das Herz aus Glas als Zustand extremer emotionaler Schwäche. Doch es ist trotzdem so, dass die meisten Menschen, wenn sie Glas als Metapher benutzen, bereits hier eine Metapher verwenden, nämlich die Metapher, dass Glas für Transparenz steht. Mit der Ausstellung „Welt aus Glas. Transparentes Design“ abstrahiert das Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen diese Metapher, um den Zusammenhang zwischen Transparenz in Design und Architektur und Transparenz in der Gesellschaft zu erforschen.

Welt aus Glas. Transparentes Design at the Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

„Welt aus Glas. Transparentes Design“ im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Während eine vom Wilhelm Wagenfeld Haus inszenierte Ausstellung über Glas ebenso faul anmutend logisch erscheinen mag wie eine vom Vatikan inszenierte Ausstellung über den Katholizismus oder eine von Kim Kardashian kuratierte Retrospektive über Kim Kardashian, sind Wagenfeld und Glas eigentlich eher nebensächlich für die Entstehung der Ausstellung „Welt aus Glas. Transparentes Design“. Vielmehr hat die Ausstellung ihren Ursprung in einem breiteren gesellschaftlichen und politischen Diskurs, oder wie die Direktorin der Wilhelm Wagenfeld Stiftung, Dr. Julia Bulk, erklärt: „Egal, welche Zeitung man liest oder welche Talkshow man sich ansieht, Transparenz ist ein wiederkehrendes Thema: Die eine Stimme argumentiert, dass wir mehr Transparenz brauchen, die andere, dass wir vollkommen transparent sind, und wir haben uns deshalb dazu entschlossen, zu untersuchen, ob es Beziehungen und Parallelen zwischen transparenten Objekten und Transparenz in Politik und Wirtschaft gibt.“

„Welt aus Glas“ erforscht zu diesem Zweck Transparenz im Kontext ausgewählter gestalterischer Themen wie Technik, Sitzmöbel, Architektur und Mode, bevor sie mit dem gläsernen Menschen, dem transparenten Bürger, endet, wie er etwa in Kunst- und Aktivismusprojekten von Timm Ulrichs oder der österreichischen kollektiven Social Impact Aktionsgemeinschaft zum Ausdruck kommt.

Die Ausstellung beginnt jedoch in vielerlei Hinsicht mit den Ursprüngen unserer Faszination für Transparenz, der Entwicklung von Röntgen- und Mikroaufnahmen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und somit mit der Fähigkeit, die Geheimnisse im Inneren des Undurchsichtigen zu erkennen. Mit einer Fähigkeit also, die sowohl physisch, wie in Röntgenbildern/Mikroaufnahmen, als auch metaphysisch, in Bezug auf Psychologie/Psychoanalyse, wie sie von Freud et al. entwickelt und praktiziert wurde, eine der Flammen ist, die den Jugendstil befeuerten. Und so findet man wohl im Jugendstil das erste Auftreten von Glas als relatives Massenprodukt, insbesondere, was Dekorationsobjekte angeht. Die Verwendung von Glas in funktionelleren Gütern kam erst in den 1920er- und -30er-Jahren mit der Veredelung von Pressglas und somit der Fähigkeit zur industriellen Herstellung von Glasobjekten auf – ein Prozess, bei dem Wilhelm Wagenfeld mit seinen Glasteekannen, Vorratsdosen usw. eine große, wegweisende Rolle spielte. Eine Rolle, die „Welt aus Glas“ selbstverständlich zelebriert.

Preserve Jars by Wilhelm Wagenfeld, as seen at Welt aus Glas. Transparentes Design, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Einmachgläser von Wilhelm Wagenfeld, gesehen bei „Welt aus Glas. Transparentes Design“, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Wilhelm Wagenfeld, gelernter technischer Zeichner und Silberschmied, machte sich zunächst in der Metallwerkstatt am Bauhaus Weimar einen Namen, was die Frage aufwirft, wieso er später gerade mit Glas so eng in Verbindung gebracht wurde? „Er hat Herrn Schott von ‚Schott & Genossen‘ kennengelernt, der von Wagenfeld so beeindruckt war, dass er ihn eingestellt hat, und das, obwohl er so gut wie keine Erfahrung mit Glas hatte“, erklärt Dr. Bulk. „So lernte er durch den Besuch von Schotts Fabriken alles über Glas – durch Gespräche mit den Technikern und Mitarbeitern, durch Experimente und wohl oder übel auch durch klassisches Lernen. So entwickelte er schließlich eine echte Leidenschaft für Glas: Er hielt einmal eine Rede, in der er von seiner Liebe zum Glas sprach, und sagte, er sei dem Material ‚verfallen'“. Aber dennoch fragen wir uns, ob er sein Glasdesign so behandelt hat, als ob er Metalldesign machen würde, oder ob es sich um neue Formen für ein neues Material handelte.

„Ich denke, wenn man sich sein sehr frühes Werk ansieht, sieht man eine Metallform, die auf Glas übertragen worden ist“, antwortet Dr. Bulk, „aber sehr schnell stellte er fest, dass das Material seine eigenen Eigenschaften hatte. Das führte gar zu einer Auseinandersetzung zwischen Wagenfeld und Laszlo Moholy-Nagy, seinem ehemaligen Lehrer am Bauhaus. Moholy-Nagy sah es als Verrat an, dass Wagenfeld von geometrischen Formen abwich, worauf Wagenfeld antwortete, ja, weil sich das Material anders verhält als Metall und daher nicht wie Metall behandelt werden sollte. Und man sieht, dass er während seiner Zeit bei den Vereinigten Lausitzer Glaswerken Glas als Glas verwendete und keine Gegenstände aus Glas herstellte, die ebenso leicht aus Metall hätten hergestellt werden können; von einer Ausnahme abgesehen: Einem Prototypen für einen Kleiderhaken aus Glas, also eigentlich eindeutig einen Metallhaken aus Glas. Doch das lag an der kriegsbedingten Metallknappheit, aufgrund derer man sich mit Alternativen auseinandersetzen musste“. Dieser Haken wird in „Welt aus Glas“ neben einer erfreulich eingegrenzten Auswahl an Wagenfeld-Objekten präsentiert, erfreulicherweise, weil es in der Ausstellung nicht um Wagenfeld geht, sondern „nur“ um ihn als einen der Pioniere des Glasdesigns, als einen der ersten, der Produktdesign und Konsumgüter transparent machte. So ist er nur eine der ersten Stationen im Verlauf der Ausstellung – wenn auch eine zentrale!

Im Anschluss an Wagenfeld gibt es eine sehr schöne Präsentation der Entwicklung der Glaskaffeemaschinen, etwas für all die „Slow-Coffee-Hipster“ da draußen, bevor die Ausstellung zur breiteren Erforschung von Transparenz im Design und Transparenz in der Gesellschaft übergeht.

Welt aus Glas. Transparentes Design at the Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

„Welt aus Glas. Transparentes Design“ im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Man kann wohl mit Recht sagen, dass wir ein eher kompliziertes Verhältnis zur Transparenz haben. Auf der einen Seite fordern wir alle Transparenz, gerade von Organisationen, Behörden und denjenigen, die die Börse kontrollieren, auf der anderen Seite sind wir vorsichtig, ja sogar ängstlich davor, selbst allzu transparent zu sein. In vielerlei Hinsicht könnte man argumentieren, dass wir von öffentlichen Stellen Transparenz erwarten und gleichzeitig eine intransparente Privatsphäre fordern. Was in Ordnung wäre, wäre da nicht die Art und Weise, in der private und öffentliche Bereiche zunehmend verschmelzen. Und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Auffassungen von „öffentlich“ und „privat“: Die eine kämpft gegen den Einsatz von Gesichtserkennungs-Videokameras durch die Polizei, die andere freut sich über das Gesichtserkennungssystem ihres neuen Smartphones. Und die überwiegende Mehrheit hat bedauerlicherweise gar nicht erst darüber nachgedacht.

Neben der generellen Frage, wie viel Transparenz wir brauchen oder haben sollten, kommen grundsätzlichere Fragen hinzu, aus deren Perspektive man Transparenz betrachtet. Während niemand gerne auf Flughäfen gescannt wird, akzeptieren wir alle zähneknirschend die mehr oder weniger eindeutige Notwendigkeit. Im Gegensatz zu Fällen, in denen amerikanische Gefangene dazu gezwungen werden, das transparente Radio „Sony SRF-39FP“ zu benutzen, damit die Aufseher leichter kontrollieren können, dass es keine Drogen, Waffen usw. im Inneren gibt. Denn dann dient Transparenz nicht dem Gefangenen, sondern erinnert ihn lediglich an die absolute Kontrolle, unter der er sich befindet. Für jemanden in Freiheit hingegen wäre solch ein transparentes Radio ein interessantes Novum, etwas, das man im Bus rumzeigen kann, worüber man mit Freunden lachen kann, etwas Unschuldiges.

Dann ist da noch die Frage, wie viel Transparenz sinnvoll ist und wie viel einfach nur aus Angeberei gezeigt wird. Der in „Welt aus Glas“ gezeigte transparente Fernseher zum Beispiel hilft niemandem durch seine Transparenz, außer vielleicht Technikfreaks, da die Tatsache, dass man den Fernseher von innen sehen kann, keinerlei funktionalen Vorteil hat. Es ist nur Marketing. Und ist dabei nicht mal wirklich hübsch, oder, wie Dr. Bulk es formuliert, ein Dieter Rams hätte niemals das transparente Braun-Radio, das ganz in der Nähe zu sehen ist, entworfen. Und so wenig, wie unsere technischen Güter nicht transparent sein müssen, so wenig, wenn wir mal ehrlich sind, waren Politik und Wirtschaft je vollständig transparent. Es ist eher weitgehend eine politische PR-Show im Gegensatz zu kommerziellem Marketing. Aber ist das wichtig? Würde es uns helfen, volle Transparenz zu haben? Oder ist es der Eindruck von Transparenz, den wir durch die Transparenz gewinnen, den wir befriedigen können, und der uns die Freiheit lässt, unser Leben zu genießen? Oder führt eine solche teilweise Transparenz letztlich zu Fake News, einer alternativen teilweisen Transparenz?

„Welt aus Glas“ ist eine Gelegenheit, sich mit solchen und verwandten Fragen auseinanderzusetzen. Als Ausstellung ist es nicht immer sofort offensichtlich, oder besser gesagt, nicht sofort transparent. Man muss ein wenig daran arbeiten und die eigene Position zu den transparenten Hohlräumen hinzufügen.

Sony SRF 39FP, as seen at Welt aus Glas. Transparentes Design, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

„Sony SRF 39FP“, gesehen bei „Welt aus Glas. Transparentes Design“, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Obwohl es ein wenig übertrieben ist zu behaupten, dass die Ausstellung von der Freude über die Entdeckung der Transparenz zu Misstrauen übergeht, gibt es eine eindeutige Tendenz in diese Richtung. Es ist aber kein linearer Fluss. Im Verlauf der Ausstellung gibt es gelegentlich Spitzen, Gipfel, in denen die Metapher Glas/Transparenz eindeutig positiv ist, wie Walter Gropius‘ Bauhaus Dessau, ein Symbol nicht nur für unsere Fähigkeit, diese neue Technologie zu beherrschen und zu zähmen, sondern auch für Offenheit, Freiheit und Gesundheit, kontrastiert von der stickigen, geschlossenen Gesellschaft, mit der die Avantgarde brechen wollte. Oder auch die deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel von Sep Ruf und Egon Eiermann als Symbole, dass Deutschland nichts zu verbergen habe, und wohl auch als Symbole, dass es sehr offen für Geschäfte sei. Oder die transparenten Lautsprecher des schwedischen Designstudios People People, die dazu anregen sollen, die Reparatur zeitgenössischer elektronischer Geräte zu fördern, anstatt wie so oft auf taktisch geplante Überalterung zu setzen. Aber im Allgemeinen geht es um eine Beziehung, die immer mehr in Frage gestellt wird und in der Transparenz als etwas verstanden wird, das uns aufgezwungen wird, das wir akzeptieren und nach dem wir nicht streben müssen.

Diese Verlagerung von etwas Positivem zu etwas, dem wir misstrauen, ja das wir sogar bedauern, ist ein immer wiederkehrendes Thema in der Gesellschaft, oder zumindest in unserer ach so fortgeschrittenen und zivilisierten westlichen Gesellschaft. Erinnern Sie sich, wie großartig es war, dass Öl für so viele Dinge verwendet werden konnte, für alle Kunststoffe und Autos? Erinnern Sie sich, wie dankbar wir alle für Pestizide und die mühelose Art und Weise waren, wie sie die globale Landwirtschaft vorangebracht haben? Und erinnern Sie sich, wie wir alle unsere Häuser mit intelligenten Lautsprechern füllten, die unsere Gespräche anhörten, unsere Bewegungen verfolgten und die Daten an kalifornische Technologiekonzerne schickten? Nur mit Distanz und Reflexion kann man die Dinge wirklich in einen Kontext setzen und verstehen, oder zumindest sie in ihrer Komplexität verstehen, wenn auch nicht immer in ihrer ganzen Komplexität. Als Ausstellung macht „Welt aus Glas“ deutlich, dass wir unser Verhältnis zur Transparenz noch immer nicht verstanden haben. Aber lassen Sie sich immer wieder dazu hinreißen, wie die sprichwörtliche Motte zu einer Flamme. Mit all den Risiken, die damit verbunden sind.

Photos from the series Checked Baggage by Timm Ulrichs, as seen at Welt aus Glas. Transparentes Design, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Fotografien aus der Serie „Aufgegebenes Gepäck“ von Timm Ulrichs, gesehen bei „Welt aus Glas. Transparentes Design“, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

 

„Welt aus Glas“ ist eine gut getaktete, intelligent arrangierte und zugängliche Ausstellung mit vielen Glasobjekten hinter Glas. „Welt aus Glas“ lässt sich ob der manchmal absurden und stumpfsinnigen Art und Weise, wie die Menschen Glas eingesetzt haben, genießen – oder aber auch als eine einfache Reise durch circa ein Jahrhundert mit Glas als Teil des Alltagslebens. Oder anders ausgedrückt: „Welt aus Glas“ schreit nicht nach den Parallelen, die sich aus transparentem Produktdesign und transparentem Zivildesign, weitaus weniger transparenter Architektur und transparenten Gemeinschaften ziehen lassen. Die Links/Metaphern sind jedoch vorhanden, sichtbar, es liegt an Ihnen, denjenigen zu folgen, die Sie interessieren, und Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Und was hofft Dr. Julia Bulk, werden die Besucher mitnehmen? „Erstens, dass sie die transparenten Objekte, die sie selbst besitzen, im Zusammenhang mit den Ausstellungsthemen betrachten, und zweitens, dass sie die Frage des transparenten Bürgers neu betrachten, die Frage, wie viel Transparenz notwendig ist und wo sie darauf achten müssen, dass die Dinge nicht zu transparent werden. Diese Wechselbeziehung ist ein faszinierendes und wichtiges Konzept, das uns auch in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen und herausfordern wird.“ Niemand sagt, dass diese Wechselbeziehung mit einer Teekanne aus Glas begann. Aber in gewisser Weise tat sie das.

„Welt aus Glas. Transparentes Design“ ist bis Sonntag, 22. April 2018 im Wilhelm Wagenfeld Haus, Am Wall 209, 28195 Bremen, zu sehen.

Details sowie Informationen zum Begleitprogramm gibt es auf www.wilhelm-wagenfeld-stiftung.de.

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