Bauhaus_Sachsen @ Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Der sächsische Dialekt gilt als eigenartig und unschön, häufig begegnen die Deutschen dem Sächsischen nur mit Hohn und Spott. Es könnte also unklug sein, allzu genau zu erforschen, wie sächsische Gestalter und die sächsische Industrie zur Entwicklung des Bauhaus‘ beigetragen haben, weil man so dem sächsischen Dialekt des Bauhaus‘ auf die Schliche kommen könnte. Genau das hat sich das Grassi Museum für Angewandte Kunst zu Leipzig mit der Ausstellung „Bauhaus_Sachen“ vorgenommen.

 

Bauhaus_Sachsen, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

„Bauhaus_Sachsen“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Autor des smow Blog kommt nicht aus Sachsen, war aber viele Jahre sehr glücklich in Sachsen stationiert und kehrt immer noch regelmäßig und gerne zurück. Allerdings kommt man nicht daran vorbei, dass unter den unzähligen deutschen Dialekten das Sächsische nicht der beliebteste ist. Tatsächlich haben Meinungsforscher des Allensbach Instituts in einer Umfrage im Jahr 2008 festgestellt, dass 54 % der Deutschen den sächsischen Dialekt nicht mögen und ihn damit zum unbeliebtesten des Landes erklärt.1

Sächsisch wird also kaum die Sprache von Künstlern, Dichtern und Erfindern sein, würde man annehmen. Doch genau das war einmal der Fall. Luther zum Beispiel reformierte die Kirche auf Sächsisch2. Der Theologe und Philologe Christian Pudor wiederum rät in seinem Werk „Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit und Zierlichkeit“ den Lesern als Antwort auf die Frage, wie man am besten den Gebrauch feiner Sprache lernen kann, das heutige Sachsen zu besuchen, wo „Die Meißner aufgrund ihres feinen Dialekts vor allen anderen stehen, weshalb ihre Worte, weil sie rein und eindeutig sind, selbstbewusst eingesetzt werden können.“3 Meißen war damals nicht nur ein Machtsitz in der Region, August der Starke hielt hier Anfang des 18. Jahrhunderts auch den Alchemisten Johann Friedrich Böttger in der Albrechtsburg gefangen, bis er erfolgreich Gold hergestellt hatte, was seltsamerweise aber nie passiert ist. Was er jedoch zustande brachte, war die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Porzellan im Jahr 1708. Damit wurde der Grundstein für die europäische Porzellanindustrie gelegt und Meißen, Sachsen, konnte sich nicht nur als Synonym für Qualität und Innovation etablieren, sondern gab in ganz Europa den Ton an, wenn es um guten Geschmack und zeitgenössische Form ging. Und ist die reduzierte Geometrie der gekreuzten Meißner Schwerte nicht unwiderlegbar modern und zeitlos?

Dieses ursprüngliche Verständnis vom „Sächsischen“ als reformistisch, rein und unmissverständlich, das die Gesellschaft durch Innovationskraft technisch, künstlerisch und kulturell voranbringt, ist das „Sächsische“, das in „Bauhaus_Sachsen“ erforscht werden soll.

Zuerst elegant herausgewunden, und dann doch in die Falle gegangen…Bauhaus_Sachsen, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

„Bauhaus_Sachsen“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Wie jede Schule ist auch das Bauhaus nichts anderes als die Summe seiner MitarbeiterInnen und SchülerInnen und der von ihnen produzierten Werke. Da das Bauhaus aber nicht irgendeine Schule war, ging es vor allem in der Zeit in Dessau darum, Waren für die Industrie zu gestalten und damit um die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern. Eine zentrale Rolle spielten also die in diesem Kontext von den MitarbeiterInnen und SchülerInnen realisierten Werke.

Diese Arbeiten stehen im Mittelpunkt von „Bauhaus_Sachsen“. Die Geschichte der Schule selbst wird weitgehend ignoriert, ebenso jede Diskussion über formale, funktionale oder pädagogische Aspekte. Und obwohl man die Ausstellung daher auch „Art_Sachsen“ oder „Design_Sachsen“ hätte nennen können, geht es hier doch um eine Form von Kreativität, die direkt oder indirekt mit dem Bauhaus verknüpft ist, und vom Bauhaus erforscht und zelebriert wurde.

Es handelt sich um eine Bauhaus-Ausstellung, die sowohl durch die von Studierenden und MitarbeiterInnen aus Sachsen, bzw. in Sachsen realisierten Werke erzählt wird und die damit den Beitrag Sachsens zum Bauhaus und die untrennbaren Verbindungen zwischen dem Bauhaus und Sachsen hervorhebt.

Zu diesem Zweck ziehen sich bei „Bauhaus_Sachsen“ verschiedene Diskurse durch die Präsentation. Am direktesten wird die Bauhaus-Sachsen-Verbindung bei den von sächsischen  Bauhäuslern geschaffenen Werken. Viele von diesen Bauhäuslern haben in der Bühnenwerkstatt des Bauhaus‘ gearbeitet, darunter Lothar Schreyer, der erste Leiter der Werkstatt, Kurt Schmidt oder Erich Mende. Besucher der Ausstellung werden durch eine Nachbildung einer im Jahr 1930 von ihm entworfenen Bühnenfigur begrüßt.

Ansonsten präsentiert „Bauhaus_Sachsen“ so vielfältige sächsische Bauhäusler wie – unter vielen anderen – Franz Ehrlich, Albert Hennig, Hermann Trinkaus und Marianne Brandt, die unvermeidlich einen eigenen Abschnitt erhält. Das soll keine Beschwerde sein, ganz im Gegenteil, wir freuen uns über jede Gelegenheit unsere Kenntnisse über Marianne Brandt und ihre Arbeit zu vertiefen. Diese Arbeit wird in „Bauhaus_Sachsen“ sowohl in 2D als auch in 3D präsentiert, letzteres in Form von Arbeiten, die sie für das Ruppelwerk Gotha realisiert hat. Dort war Marianne Brandt zwischen 1930 und 1932 als Leiterin der Designabteilung tätig und brachte nicht nur die visuelle Ästhetik und Funktionalität des Unternehmens in Position, sondern realisierte auch unzählige Objekte. Darunter findet sich auch eines unserer absoluten Highlights der Ausstellung „Bauhaus_Sachsen“ und eine für uns neue Brandt-Arbeit: ein Kakteenständer. Er wird ziemlich niedrig in einer Glasvitrine präsentiert, sodass man ihn leicht übersehen könnte. Wir dachten erst, es handele sich um einen Teelichthalter, also etwas in Richtung Weihnachtsdeko. Aber nein, es ist ein Kakteenständer. Wer hätte gedacht, dass so etwas möglich ist. Eine absolute Freude!

Zu Marianne Brandts Arbeit mit dem Ruppelwerk kam es, nachdem sie das Bauhaus verlassen hatte. Aber auch während ihrer Zeit am Bauhaus war sie eine der wunderbarsten DesignerInnen der Schule. Das betrifft vor allem ihre Zusammenarbeit mit dem Leipziger Unternehmen KANDEM.

A Cactus Stand by Marianne Brandt for Ruppelwerk Gotha, as seen at Bauhaus_Sachsen, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Ein Kakteenständer von Marianne Brandt für Ruppelwerk Gotha, gesehen bei „Bauhaus_Sachsen“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Im Jahr 1898 von Max Körting und Wilhelm Mathiesen in der Leipziger Inselstraße gegründet, entwickelte sich Körting & Mathiesen a.k.a. KANDEM Anfang des 20. Jahrhunderts vom Pionier der Bogenlampen zu einem der international führenden Anbieter von Leuchten und Beleuchtung für Architektur, Industrie und öffentliche Räume. Dazu gehörte auch der Bau der Scheinwerfer, die der NSDAP halfen, ihre Nürnberger Versammlungen in ein für sie günstiges Licht zu rücken. Um 1927 begann KANDEM eine Kooperation mit der Metallwerkstatt am Bauhaus Dessau, in deren Rahmen Marianne Brandt, Hin Bredendieck, Alfred Schäfter oder Hermann Gautel unzählige Entwürfe für das Unternehmen entwickelten. Objekte, die, wie sich in „Bauhaus_Sachsen“ zeigt, durchdachte und technisch hervorragend realisierte Lösungen für zahlreiche Herausforderungen lieferten; und Objekte, die mit den von ihnen eingebrachten Lizenzgebühren das Bauhaus Dessau effektiv über Wasser hielten.

Darüber hinaus war das Bauhaus eng mit der sächsischen Textilindustrie verbunden, Unternehmen wie Polytextil in Seifhennersdorf, Baumgärtel & Sohn in Lengenfeld oder die Deutschen Werkstätten Hellerau kooperierten in den 1920er und 30er Jahren mit der Weberei und auch die Sächsische Verlagsindustrie bot dem Bauhaus eine Plattform und nutzte dessen Möglichkeiten und die Ideen einer neuen Generation. Dies wird in „Bauhaus_Sachsen“ durch die Beiträge von Bauhäuslern für die Leipziger Zeitschrift „Die Neue Linie“ bildreich demonstriert. Ein fast programmatischer Titel für ein Lifestyle-Magazin der damaligen Zeit, aber auch hinsichtlich der Typographie, wie beispielsweise der des in Leipzig geborenen Jan Tschichold.

Die Präsentation „Grafisches Kabinett“ unterstreicht wiederum ein Gewerbe ganz anderer Art. Sie gibt nicht nur einen Überblick über die Vielfalt künstlerischer Ansätze der Bauhäusler, sondern informiert auch über die vielen Galerien, vor allem in Dresden, die Bauhauskünstler ausgestellt und vertreten haben und so zur Verbreitung ihrer Werke beigetragen haben.

Über den Bauhäusler und seine Werke hinaus, oder besser gesagt im Kontext der Bauhäusler und ihrer Arbeiten, bietet der Ausstellungskatalog eine sehr erfreuliche Ergänzung. Das Buch ist sehr intelligent strukturiert und diskutiert das Bauhaus in Sachsen im Kontext von 22 Städten des Landes. So wird der Leser über die großen drei Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz hinaus – letzteres mit mehreren Essays über Marianne Brandt – zu kleineren Orten wie Glauchau, Zwickau, Waldheim, Plauen oder auch Hoyerswerda geführt, die nur in der Nachkriegsgeschichte und der Geschichte von „Bauhaus_DDR“ auftauchen. Hier eröffnet sich eine Verbindung zur Ausstellung „Alltag formen! Bauhaus-Moderne in der DDR” im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Eisenhüttenstadt – interessant vor allem, weil  „Bauhaus_Sachsen“ als Ausstellung weitgehend mit dem Krieg endet.

 

A selection of Bauhaus associated chairs presented at the Grassimesse, as seen at Bauhaus_Sachsen, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Eine Reihe von mit dem Bauhaus in Verbindung stehenden Stühlen, die auf der Grassimesse präsentiert wurden, gesehen bei „Bauhaus_Sachsen“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Parallel zu den Geschichten der Bauhäusler und ihrer Arbeiten führt die Ausstellung einen Diskurs, den man mit „Bauhaus_Grassi“ betiteln könnte. Das Grassi Museum hat eine lange Beziehung mit dem Bauhaus, die, wie die Ausstellung erklärt, 1919 beginnt, als Walter Gropius dem Auswahlausschuss für die Design- und Modellmesse des Instituts angehörte, und die sich mit der Teilnahme des Bauhaus‘ an der Grassimesse auch formal gefestigt hat. Die Schule präsentierte sich nicht nur regelmäßig auf der Grassimesse, am interessantesten vielleicht 1929 mit dem so genannten „Bauhauszimmer“. Es nahmen auch regelmäßig einzelne Bauhäusler an der Messe teil. In diesem Zusammenhang präsentiert „Bauhaus_Sachsen“ unter anderem Objekte wie Wilhelm Wagenfelds Glasteeservice für Schott & Gen, zahlreiche Porzellanobjekte von Marguerite Friedlaender, Textilien von Margaretha Reichardt, eine zutiefst beunruhigende Tischleuchte von Christian Dell für Gebr. Kaiser, schöne Kunststoffbecher von Christian Dell für die Römmler AG und verschiedene Möbelstücke wie den Seminarstuhl von Selman Selmanagic, Herbert Hirche und Liv Falkenberg für den VEB Deutsche Werkstatt Hellerau. Ein Objekt, das uns daran erinnert, dass das Bauhaus und die DDR anfänglich keine besonders gute Beziehung hatten.

Hinzu kommen mit Josef & Anni Albers zwei Nicht-Sachsen, die aber durch ihre zahlreichen Beiträge zum Grassi Museum eine starke Verbindung zur Institution haben, nicht zuletzt durch die Fenster, die Josef Albers 1926, möglicherweise in enger Zusammenarbeit mit Anni, geschaffen hat und die die Haupttreppe des Grassi Museums schmücken. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurden die Fenster 2011 mühsam wiederhergestellt und sind heute eine der subtilsten Freuden beim Besuch des Grassi Komplexes.

„Bauhaus_Sachsen“ umfasst auch Beiträge von acht zeitgenössischen Künstlern, die sich zum oder mit dem Bauhaus positionieren, darunter eine Imagination der nie veröffentlichten Monographie „New European Graphics“ des zweiten Bauhaus‘ von Felix Martin Furtwängler, Experimente mit Bauhaus-Keramiken von Lutz Könecke und Alexej Meschtschanows Installation Boppard Couch. Dabei handelt es sich im Rahmen des Programms „Bauhaus 100“ um das erste Werk, das eine Referenz auf Michael Thonet liefert, unabhängig davon, wie man seine Auseinandersetzung mit Stahlrohrmöbeln, die ja bekanntermaßen mit dem Bauhaus in Verbindung gebracht werden, interpretiert. Das überrascht uns ehrlich in Anbetracht der offensichtlichen Zusammenhänge zwischen den Arbeiten Michael Thonets im 19. Jahrhundert und denen der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts.

Boppard Couch by Alexej Meschtschanow, as seen at Bauhaus_Sachsen, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Boppard Couch von Alexej Meschtschanow, gesehen bei „Bauhaus_Sachsen“, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Ein Ausstellungsdesign, das durch einen Trick das Volumen der Grassi Hauptausstellungshalle größer erscheinen lässt, ermöglicht eine Unterteilung von „Bauhaus_Sachsen“ in kleinere Erkundungen der unzähligen Themen. Eine bewegte Ausstellung also, mit stetig wechselnden Genres und immer wieder neuen Namen. Es gibt viel zu sehen und die Zusammenhänge werden durch die prägnanten deutsch-englischen Texte klar und verständlich dargestellt und die Exponate damit gekonnt unterstützt.

Wenn wir eine Beschwerde hätten, dann, dass in der Ausstellung die Biografien der Designer ein wenig vernachlässigt werden – bedenkt man, dass viele der Vorgestellten nicht so bekannt sind wie ein Gropius, Breuer, Feininger oder eine Brandt. Eines der Ziele von 2019 sollte sicherlich darin bestehen, die „Bauhaus-Biographie“ zu erweitern und damit ein umfassenderes Verständnis der Schule zu ermöglichen. Da wäre ein wenig mehr Information in der Ausstellung nützlich gewesen, da man die Namen notieren muss, um später in dem wiederum sehr umfassenden zweisprachigen Katalog nachzuschauen.

Wenn wir eine zweite Beschwerden hätten (Verzeihung), dann, dass die im Katalog so erfreulich realisierte Übersicht in der Ausstellung fehlt. Eine Karte (eine interaktive Karte?) mit Angabe der Standorte und der Relevanz wäre hilfreich gewesen. Nicht zuletzt, weil wir uns nicht vorstellen können, dass die meisten Besucher wissen, wo sich Großbothen, Limbach oder Crimmitschau befinden. Das wiederum würde den Katalog zu einem hervorragenden Ausgangspunkt bei der Planung einer Architektur-/Design-Tour durch Sachsen machen.

Nicht dass unsere beiden Beschwerden die Qualität der Ausstellung in irgendeiner Weise schmälern würden. Weit gefehlt. „Bauhaus_Sachsen“ ist eine sehr kohärente und logisch strukturierte Ausstellung, die erfreulicherweise und im Gegensatz zu diesem Text den einfachen Klischees aus dem Weg geht. Ja, es gibt vertraute Objekte, die braucht es auch, aber wir würden behaupten, dass die große Mehrheit der Werke für eine Mehrheit der Besucher neu sein wird. „Bauhaus_Sachsen“ unterstreicht die wichtige Rolle der Industrie in Sachsen bei der Verbreitung der Bauhaus-Ideale, die Rolle des Grassi Museums sowie die Tiefe und Vielfalt der von sächsischen Bauhäuslern geschaffenen Werke und ermöglicht so ein Verständnis dafür, was das Bauhaus ist bzw. war.

„Bauhaus_Sachsen“ läuft bis Sonntag, den 29. September im Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig.

Alle Details und Infos zum Rahmenprogramm sind unter  www.grassimuseum.de zu finden.

1. allensbacher berichte Nr 4 2008, https://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0804.pdf Accessed 19.04.2018

2. Das mag eventuell nicht so ganz stimmen. Nach unserem Verständnis kommunizierte Luther auf Sächsisch, allerdings sind das historische Sachsen und das heutige Sachsen zwei sehr unterschiedliche Orte. Die Aussage dient unserer Argumentation, sollte aber vielleicht besser nicht zitiert werden…

3. Christian Pudor, Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit und Zierlichkeit, Cölln an der Spree, 1672

Tagged with: , , , ,