#campustour 2019: Deutschland – Bayern

Wenn die jüngste Geschichte Deutschlands eine Geschichte von Ost und West ist, dann ist die ältere Geschichte Deutschlands eine von Nord und Süd. Eine Geschichte, in der aus dem Konflikt zwischen der Hanse und den Händlern der südlichen Staaten ein Konflikt zwischen Preußen und Baden, Württemberg, Hessen und Bayern wurde, wobei letztere die Verträge von 1870 zum Beitritt ins neue Deutsche Reich am widerwilligsten ratifizierten. Diese Zurückhaltung kam nicht nur durch langwierige Überlegungen und die anfängliche Ablehnung der Verträge durch den damaligen Bayerischen Landtag zum Ausdruck, sondern offenbarte sich auch durch das Fehlen des damaligen bayerischen Königs Ludwig II. bei der offiziellen Proklamation des Kaiserreichs im Januar 1871.

Doch trotz des zähen Widerstandes und der Feindseligkeit gegenüber der Union sind es heute Weißbier, Lederhosen, der FC Bayern sowie Märchenschlösser, die für so manchen Nichtdeutschen deutsche Identität ausmachen.

Andererseits hat Bayern auch sehr viel zur Entwicklung des zeitgenössischen Designs in Deutschland beigetragen. Da sind die Bemühungen der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts; Die Neue Sammlung als eines der ältesten und größten Design-Museen; der in München geborene und ansässige Designer Konstantin Grcic oder aber der im Chiemgau ansässige Designhersteller Nils Holger Moormann. Das populäre Verständnis von „Designed in Germany“ außerhalb des Freistaates hängt wiederum häufig mit dem Begriff der guten Form zusammen (weitgehend in Ulm entwickelt und wohl am häufigsten durch Braun realisiert) und ist verknüpft mit Porsche in Stuttgart oder Volkswagen in Wolfsburg. Oder, und gerade in diesem Jahr, mit dem Bauhaus. Einer Institution, die, wie wir im Rahmen unserer Berichterstattung über den smow Song Contest 2019 festgestellt haben, sehr preußisch war. Studierende aus Bayern gab es jedenfalls weniger als Studierende vom Mars.

Doch was können bayerische Designschulen beitragen, um diesen Zustand zu verändern, um bayerisches Design bekannter zu machen? Eine konkrete Prognose können wir nicht abgeben, denn wir haben nur zwei bayerische Designschulen besucht. Im Grunde waren es drei, aber nur zwei waren geöffnet.#campustour 2019: Germany - Bavaria

Schulen für Holz und Gestaltung, Garmisch-Partenkirchen

1869 als regionale Zeichen- und Schnitzschule in Partenkirchen mit Ablegern in Garmisch, Oberammergau und Mittenwald gegründet, sind die heutigen Schulen für Holz und Gestaltung, SHG, Garmisch-Partenkirchen, wie der Name schon sagt, eine Schulfamilie. Es handelt sich um insgesamt fünf Schulen: Eine Fachakademie für Raum- und Objektdesign, eine Meisterschule für Schreiner, Berufsfachschulen für Schreiner und Holzbildhauer und eine Krippenbauschule. Vor allem letztere zeigt, dass auch wenn sich im Schulbereich und in Garmisch-Partenkirchen und Bayern seit der Gründung der Schulen viel verändert hat, trotz allem eine greifbare Verbindung zur Vergangenheit besteht.

Um diesen Zusammenhang zu feiern, aber auch deutlich zu machen, was sich geändert hat, war die Sommerausstellung 2019 der Schulen sowohl eine Präsentation zeitgenössischer Projekte als auch ein Rückblick auf die letzten 150 Jahre. Ein Rückblick, der neben der Vorstellung der Schulen auch die Bedeutung der Holzschnitzerei in den Anfangsjahren unterstrich: Damals spielte die Anwendung von Ornamenten eine sehr viel größere Rolle im Tischlerhandwerk, als Form oder Funktion eines Objekts. Ein Verständnis des Tischlerhandwerks also, dem viele der Entwicklungen in Architektur und Design seit der Gründung der Schulen explizit entgegengewirkt haben. Dem hat sich die Schule nach den präsentierten zeitgenössischen Objekten zu urteilen allerdings widersetzt. Und das nicht auf eine hartnäckige, unflexible Art und Weise, sondern vielmehr auf eine Art und Weise, die die Unterschiede zwischen Holzbearbeitung und der Arbeit mit Holz unterstreicht: Erstere konzentriert sich auf das Material und das Endobjekt, bei letzterer liegt der Fokus auf der Funktionalität.

Dieser Zusammenhang wird in der SHG durch den Vergleich der Gesellenstücke der Schreiner Berufsfachschule/Meisterschule mit den Abschlussarbeiten der Fachakademie für Raum- und Objektdesign deutlich. Wir vereinfachen die Sache, um es kurz zu halten: Während bei ersteren sehr stark darauf geachtet wurde, etwas aus Holz zu schaffen, das, egal wie gut es verarbeitet und durchdacht war, weitgehend durch seinen Ausdruck bestand hat, ging es bei letzteren darum, etwas Funktionales zu schaffen. Hier wurde eine Lösung oder eine neue Perspektive gesucht. Letzteres kommt in Matthias Koschels Sitzkissen-Kleiderständer-Kombination namens „Singlemodul“ besonders erfreulich zum Ausdruck. Formal fest in einer Tradition verankert, die sich über den Jugendstil bis in die Renaissance und wohl auch darüber hinaus erstreckt, vereint „Singlemodul“ mühelos eine ganze Reihe von Funktionen in einer einfachen, unauffälligen und zugänglichen Holzlattenkonstruktion und eine formale Tradition, die mehr auf Repräsentation als auf Funktionalität ausgerichtet ist. Ganz abgesehen von den intuitiven, vielfältigen, praktischen Aufbewahrungsmöglichkeiten und der Tatsache, dass die Haken auf der Vorder- oder Rückseite frei platziert werden können, reagiert „Singlemodul“ auf die Bedürfnisse des Benutzers und eben auch auf Schwankungen desselben. Abbildungen von „Singlemodul“ finden sich im Jahrbuch der Akademie und auf der Homepage von Matthias Koschel.

Dass unsere Vereinfachung zu Unwahrheiten führt, wird durch Kevin Gerstmeiers Schreiner-Meister-Projekt „Steharbeitsplatz“ veranschaulicht. Mit seiner sehr natürlichen, angenehmen Kombination aus Stahlrohr und Holz in einem sauber proportionierten und intelligent ausbalancierten Objekt, ist der „Steharbeitsplatz“ weniger für Laptoparbeit konzipiert, als vielmehr für das Zeichnen und Skizzieren, was durch die großen Schubfächer zur Aufbewahrung von Papier und Utensilien unterstrichen wird. Trotz des Fokus auf eine bestimmte Nutzung, kann der „Steharbeitsplatz“ vielseitig verwendet und frei im Raum positioniert werden.

Andernorts erregte eine Hängeleuchte unsere Aufmerksamkeit, die im Rahmen des Rapid Prototyping Kurses der Fachakademie für Raum- und Objektdesign entstanden ist, und bei der wir leider nicht wissen, wer sie entworfen hat. Jedenfalls handelt es sich um eine Leuchte, die durch einen sehr einfachen Trick frei höhenverstellbar ist. Des Weiteren ist uns im Rahmen der Präsentation der Meisterschule eine Vorrichtung von Andreas Pfuhl aus dem Jahr 2011 aufgefallen, die es ermöglicht, Trommelkörper mit einer konventionellen Drehmaschine zu formen. Die Tischleuchte „luminaryDot“ von Lena Kopp wiederum liefert eine sehr schöne Anwendung zeitgenössischer Technologie in einem sehr zugänglichen Lichtobjekt.

Weitere Informationen zu den Schulen für Holz und Gestaltung sind unter www.shg-gap.de zu finden.

Show + Tell, Hochschule München

Im Februar 2019 bezog die Designabteilung der Hochschule München offiziell ihr neues Hauptquartier im Zeughaus der ehemaligen bayerischen Armee in der Lothstraße in München. Zeughaus ist mehr oder weniger ein Synonym für Waffenkammer, ein Ort wo Waffen gelagert, gewartet und einsatzbereit gemacht werden. Assoziationen überlassen wir dem Leser und gehen stattdessen gleich zur Präsentation von Semester- und Abschlussarbeiten über.

Letztere umfassen beispielsweise folgende Werke: „Equivis“, eine Neuinterpretation des Sattels von Monika Otto, die laut Designerin nicht nur die Erfahrung des Reiters verbessert, sondern dem Pferd auch „ein neues Maß an Bewegungsfreiheit“ ermöglicht. Der Home Office Tisch „Die Arbeitsfläche“ von Alexander Siegmann ermöglicht es durch ein leider sehr offensichtliches System in verschiedenen Höhen zu arbeiten, der Tisch hat allerdings noch eine recht umfangreiche formale Entwicklung nötig. Mit ähnlicher Sensibilität für zeitgenössische Arbeitspraktiken hat Teresa Naujokat mit „Zwischenräume“ einen Vorschlag für ein System entwickelt, das den einfachen schnellen Wechsel von Bestuhlung zum Tisch und vom Tisch zur Bestuhlung ermöglicht und so für Flexibilität in öffentlichen/ halb-öffentlichen Räumen sorgen könnte. Lukas Heintschel interpretiert mit seinem Projekt „Modern Times“ nicht nur das Uhrendesign neu, sondern reflektiert auch zeitgenössische Beziehungen zur Zeit und Fragen nach ihrer zukünftigen Organisation und Visualisierung.

Während die Abschlussprojekte im Foyer der Hochschule, einem in die Corporate Identity der Schule integrierten Roten Würfel, präsentiert wurden, wurden die Semesterprojekte in den Räumen des neuen Hauptquartiers auf der anderen Straßenseite gezeigt. Neben Werken der unvermeidlichen Automobil-Design-Klassen an der Hochschule München präsentierte „Show + Tell“ die Ergebnisse von Projekten wie dem Einführungskurs „Kitchen Utensil“, der die Studenten herausforderte, zunächst ein Küchengerät zu analysieren und dann ein maßstabsgetreues Kartonmodell davon zu erstellen. „Cracking Habits“ beschäftigte sich mit Konventionen rund ums Essen und präsentierte Arbeiten wie „Tischläufer“ von Severin Popp und Marianne Sellmaier – ein Vorschlag, sich den Tisch mit Ameisen zu teilen.

Aus ähnlich biophiler Richtung präsentierte Sophia Schullan ihre Frustrationsmaschinen: Eine Reihe von mechanischen Vorrichtungen, die nicht ganz funktionieren und/oder sich durch ihre Funktionalität selbst zerstören und somit komplette Zeitverschwendung darstellen. Eine sehr schöne Reflexion also über einen Großteil des zeitgenössischen Designs, über unsere aktuelle Welt und Politik, und auch eine Erinnerung daran, dass die Hochschule München sehr wohl eine Institution für Langeweile und Zeitverschwendung ist. Im positiven Sinne natürlich.

Angesichts der Neuartigkeit des Design-Hauptquartiers gab es mehrere Projekte, die sich direkt mit dem neuen Zuhause der Schule auseinandersetzen, so zum Beispiel „Kaffeeflecken“. Hier ging es um die Unvermeidlichkeit von Kaffeeflecken im brandneuen Gebäude. Oder das Projekt „LOTH17/Neue Möbel“ von und mit Prof. Florian Petri in Zusammenarbeit mit Vitra und Staab Architects, den für die Renovierung des Gebäudes verantwortlichen Architekten. Hier wurden neue Möbel für den Neubau, also vor allem kontextspezifische Lösungen gesucht. In jedem Fall ein Projekt, das zu einigen sehr interessanten Vorschlägen führte, darunter „Mäander“, ein Sitzkissen, das das Sitzen auf der Treppe zu einem komfortableren Erlebnis macht und so die Integration der Treppe als Besprechungs- und Arbeitsraum aktiv ermöglicht, oder „Rahmenwerk“, das als Präsentationsrahmen vorgestellt wurde, das wir aber einen Schreibtisch nennen und das uns als äußerlich monolithisches, stummes Objekt ansprach, dessen wahre Tiefe nur durch Nutzung und Interaktion erfahren werden kann; und zu guter Letzt „atriumX“, eine niedrig angesetzte Stuhl-Tisch-Kombination. Als im Wesentlichen zeitgemäße Weiterentwicklung der viktorianischen Stuhl-Schreibtisch-Kombination ermöglicht „atriumX“ mit seinem leicht nach vorne geneigten Sitz und der einladenden Schreibtischoberfläche nicht nur eine komfortable Sitz-, Arbeits- und/oder Schlummerstellung. Die geschwungene Tischfront  bietet etwas mehr Komfort beim Schlummern und lässt sich darüber hinaus auch als Seiten-/Rückenlehne verwenden, sodass „atriumX“ entweder für individuelle Skizzen-/Laptop-/Bucharbeiten oder als Sitzgelegenheit für Gruppenarbeiten, Diskussionen, etc. genutzt werden kann. Darüber hinaus trägt die Übereinstimmung zwischen der Kurve des Schreibtisches und der Vorderseite des Sitzes zu Kontinuität und Harmonie bei. Und obwohl wir das Selbstvertrauen dieses Werkes sehr zu schätzen wissen, sind wir nicht sicher, was die hartnäckig quadratische Metallbasis angeht. Ja, einerseits verleiht sie dem Ganzen Monumentalität und Stabilität, verleiht den Proportionen und Größenverhältnisse der Holzelemente Sinn, aber jedes Mal, wenn wir uns „atriumX“ in München angesehen haben und es jetzt auf Fotos anschauen, denken wir „Stahlrohr! Stahlrohr! Stahlrohr! Stahlrohr! Stahlrohr!“, und doch sind wir nicht überzeugt, dass die Komposition so funktionieren würde. Holz wäre jedenfalls das falsche Material, einteiliger Kunststoff? Glas? Ein Sägemehl-Verbundstoff? Oder das Faux-Industrial, aus dem es gemacht ist?

Aber wir schweifen ab. Offensichtlich wird die Kollektion von „LOTH17/Neue Möbel“, die für den Einsatz in der Lothstraße 17 geschaffen wurde, sich erst vor Ort und in Gebrauch richtig beurteilen lassen –  wir freuen uns also sehr auf den nächsten Besuch in München.

Weitere Informationen zur Designabteilung der Hochschule München sind unter  www.design.hm.edu zu finden.

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