Mies im Westen @ Landeshaus des LVR Köln

Am bekanntesten ist Ludwig Mies van der Rohe wahrscheinlich für seine Werke in den USA, aber auch die in (West)-Deutschland realisierten Arbeiten sind nicht weniger relevant, wenn es um sein Werk und Erbe geht.

Im Sommer 2019 beherbergte das Bundesland Nordrhein-Westfalen bereits drei Mies van der Rohe Ausstellungen – in Aachen, Krefeld und Essen. Diese drei Ausstellungen wurden nun in Köln zu einer vereint. Sie liefern so nicht nur einen sehr prägnanten Überblick über das Werk von Ludwig Mies van der Rohe in Nordrhein-Westfalen, sondern lassen uns auch seine Entwicklung als Architekt und in vielerlei Hinsicht die theoretische Entwicklung von Architektur und Design im Laufe des 20. Jahrhunderts nachvollziehen.

Mies im Westen, Landeshaus des LVR Cologne

„Mies im Westen“, Landeshaus des LVR Köln

Maria Ludwig Michael Mies a.k.a Ludwig Mies van der Rohe wurde am 27. März 1886 als Sohn des Steinmetzmeisters Michael Mies und seiner Frau Amalie, geb. Rohé, in Aachen geboren. Eine Tatsache, die uns immer amüsiert, und wir sind uns nicht sicher, warum… . An der Stadt Aachen gibt es nichts auszusetzen. Aachen ist die Stadt Karls des Großen, die Stadt, in der 600 Jahre lang das Heilige Römische Reich seine Kaiser krönte. Aachen ist außerdem das Zentrum der deutschen Marzipan- und Schokoladenindustrie und eine Stadt, die seit langem als glanzvoll gilt. Und trotzdem amüsiert es uns, dass Ludwig Mies van der Rohe in Aachen geboren wurde.

In Aachen begann so auch die architektonische Karriere von Mies van der Rohe und die Ausstellung „Mies im Westen“. Das heißt, Mies van der Rohes Karriere begann mit einem Studium an den örtlichen Berufs- und Kunstgewerbeschulen und einer Lehre im Büro von Albert Schneider; die Ausstellung „Mies im Westen“ steigt wiederum mit seinen Beiträgen zum ehemaligen Tietz-Kaufhaus am historischen Markt der Stadt Aachen und der Gaststätte „Zur Neuen Welt“ in der Alexanderstraße ein. Das Tietz-Kaufhaus wurde 1904/05 von Albert Schneider verwirklicht. Mit seinen spitzen Giebeln, dem zentralen turmartigen Mittelteil und der verzierten Fassade spiegelt das Gebäude die Verwirrungen des Historismus sehr gut wider. Wir erfahren, dass Mies van der Rohe seine künstlerischen Talente und seine Ausbildung im ornamentalen Entwurf nutzte, um zahlreiche komplizierte Details zur Verzierung der Fassade beizutragen. Im Gegensatz zur Fassade basierte das Innere jedoch auf sehr viel praktischeren, rationaleren und zeitgemäßeren Entwürfen. Die Fassade hingegen kann als Sinnbild für ein Verständnis von Architektur und Design gesehen werden, zu dessen Dekonstruktion Mies van der Rohe eine Menge beitragen sollte. Des weiteren gibt die Ausstellung einen Hinweis darauf, welche Relevanz und Bedeutung die Warenhauskette Tietz für die Entwicklung der Architektur in Deutschland und davon ausgehend auch international hatte: In den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war das Warenhaus in Deutschland ein relativ neues Konzept, Leonhard Tietz war einer der Pioniere. Er beauftragte Architekten, die im Dialog mit dem Zeitgeist seine Geschäfte entwickelten. Wilhelm Kreis baute Kaufhäuser in Wuppertal und Köln, während sich Joseph Maria Olbrich gegen Peter Behrens bei der Entwicklung des „Dependance“ Kaufhaus‘ in Düsseldorf durchsetzen konnte. Und wie die Ausstellung „Mies im Westen“ herausstellt, verfügte Schneiders erster Vorschlag für das Kaufhaus in Aachen über eine, sagen wir mal, rationalere, zurückhaltendere Jugendstil-Ornamentik. Die Aachener Behörden bestanden jedoch auf üppigerem Pomp, auf einem Entwurf, der die dekorative Überlastung des Aachener Rathauses aufgreifen würde, und so passte Schneider seinen Entwurf dem Ort an.

Da das Tietz Kaufhaus in Aachen 1965 abgerissen wurde, bleiben uns nur Fotos, Modelle und  Skizzen, die uns etwas über die Struktur des Kaufhauses und über Mies van der Rohes architektonische Ausbildung erzählen können. Das sozialistische Volkshaus mit Gaststätte und Mietwohnungen „Zur Neuen Welt“ steht hingegen noch. Das Gebäude wird als erstes Gebäude bezeichnet, an dem Mies van der Rohe aktiv mitgewirkt hat. Es wurde parallel zum Tietz-Kaufhaus entwickelt und entspricht sehr viel mehr dem ursprünglichen Entwurf Schneiders für das Tietz Kaufhaus. Hier hat man es mit einer sehr viel reduzierteren Angelegenheit zu tun, mit einem Werk, das die Grundelemente der klassischen griechisch-römischen Architektur aufgreift, sie aber als Unterstützung bei der Definition der Fassade einsetzt, anstatt sie für Dekoration und Repräsentation zu nutzten. Die einzige Dekoration ist im Grunde die Beschriftung über dem Eingang, und zwar handelt es sich um eine Schrift, die von Mies van der Rohe entworfen und entwickelt wurde, und die dem Jugendstil des frühen 20. Jahrhunderts zuzuordnen ist.

1905 verließ Maria Ludwig Michael Mies die Stadt Aachen in Richtung Berlin, wo der populärere Teil seiner Biographie beginnt: Zunächst in der Kunstgewerbeschule bei Bruno Paul, später bei Peter Beherns in Babelsberg. Es folgten sein eigenes Atelier in Berlin, die Annahme des Namens Ludwig Mies van der Rohe, die Weißenhofsiedlung Stuttgart, die Bauhäuser in Dessau und Berlin und die Emigration nach Chicago und den viel diskutierten Mies van der Rohe des (mittleren) Westens.

„Mies im Westen“ erinnert uns daran, dass van der Rohes vielfältige Aktivitäten in seiner Heimat, dem Rheinland, für diese Biographie genauso wichtig sind.

Mies im Westen, Landeshaus des LVR Cologne

„Mies im Westen“, Landeshaus des LVR Köln

Gehen wir davon aus, dass das Gebäude „Zur Neuen Welt“ einen Hinweis auf eine Richtung gibt, in die sich der junge Mies hätte bewegen können, als er Aachen verließ, einen Hinweis auf eine „neue Welt“, die er visualisierte, dann zeugen die Werke, die er in den 1920er und 1930er Jahren in Krefeld plante und realisierte, von dieser Reise und davon, wie sich sein Verständnis von Architektur in Berlin weiterentwickelte. Das heutige Krefeld ist ein eher unpassender Ort für Menschen wie damals Mies van der Rohe, um Projekte zu entwickeln. Genauso absurd erscheint es einem heute, dass ein Henry van de Velde Projekte für Chemnitz entwickelte. Letztendlich muss man sich aber nur daran erinnern, dass sich die Zeiten ändern und dass Krefeld einst eines der wichtigsten Zentren der Textilproduktion in Deutschland war. Die Stadt weist eine Tradition auf, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht zu einem Monopol, das Friedrich II. ihr gewährte. Eine Tradition also, die so tief geht, dass Krefeld noch immer als Stadt aus Samt und Seide bezeichnet wird.

Samt und Seide sind Materialien, mit denen Mies van der Rohe nur selten in direkten Zusammenhang gebracht wird, die aber für den Verlauf seiner Karriere nicht unwichtig waren. Wie wir in der Ausstellung „Anton Lorenz : Von der Avantgarde zur Industrie“ im Vitra Design Museum Schaudepot gelernt haben, wurde Lorenz erstmals auf einem von Mies van der Rohe und Lilly Reich für die Krefelder Seidenweber entworfenen Messestand auf die Freischwinger von van der Rohe aufmerksam und erkannte als erster das mit ihnen verbundene Potential. In den späten 1920er und 1930er Jahren baute Mies van der Rohe nicht nur Häuser in Krefeld für Hermann Lange und Josef Esters, zwei Mitbegründer der Vereinigten Seidenwebereien, sondern entwarf auch eine Fabrik bzw. ein Fabrikgelände für die Vereinigten Seidenwebereien. Nicht realisiert blieb die Hauptverwaltung der Vereinigten Seidenwebereien, ein Projekt, das 1937/38 in Zusammenarbeit mit Erich Holthoff und Herbert Hirche entwickelt wurde, das aber aufgrund des immensen Materialbedarfs der NSDAP für die Vorbereitungen des Krieges und der damit verbundenen Materialknappheit nicht realisiert werden konnte – zumindest nicht als Entwurf von Mies van der Rohe. Stattdessen wurde es erst nach dem Krieg nach einem Entwurf Egon Eiermanns verwirklicht. Letztendlich handelte es sich um einen viel kleineren, wenn auch ebenso quadratischen, offenen Glas- und Stahlbau auf demselben Gelände. Während Eiermann in Krefeld mit dem Bau beschäftigt war, entwickelte Mies van der Rohe den Campus des Illinois Institute of Technology, IIT, in Chicago und wurde damit zum Mies van der Rohe des (Mittleren) Westens.

Ebenso unrealisiert bleibt ein Clubhaus, das Mies van der Rohe 1930 für den Krefelder Golfclub entwickelte. Dabei handelt es sich um einen weitläufigen niedrigen Entwurf, der gewissermaßen als ausgedehnte Neuinterpretation seines Barcelona-Pavillons durchgehen könnte. Er scheint allerdings so gestaltet zu sein, dass er nicht nur unauffällig in seiner Umgebung platziert ist, sondern direkt mit der Umgebung kommuniziert, was an einen Nachfolger seines Farnsworth House in Illinois denken lässt. Und es handelt sich um ein Projekt, das uns daran erinnert, dass Henry van de Velde in Chemnitz einen Tennisclub entwarf – ganz andere Zeiten waren das… .

Krefeld Golf Club by Ludwig Mies van der Rohe, as seen at Mies im Westen, Landeshaus des LVR Cologne

Krefelder Golf Club von Ludwig Mies van der Rohe, gesehen bei „Mies im Westen“, Landeshaus des LVR Köln

In Krefeld baute bzw. plante Mies van der Rohe für die Hersteller von Samt und Seide, in Essen für den härteren Part der rheinischen Industrie: Stahl. So wie die nie realisierte Hauptverwaltung für die Vereinigten Seidenwebereien, kam auch ein 1960 von der Friedrich Krupp AG in Auftrag gegebener Entwurf für eine neue Verwaltung in Essen nie über die Pläne hinaus. Die Gründe dafür scheinen mit der Zeit oder vielleicht in den Tiefen des Krupp-Archivs verloren gegangen zu sein. Die Ausstellung „Mies im Westen“ kann nur bestätigen, dass die Firma das Projekt 1963 zurückgestellt und dann verschoben hat.

Ebenso bleibt ein geplanter Bau für die VEGLA, Vereinigte Glaswerke Aachen, unrealisiert, was vor allem mit dem Tod von Mies van der Rohe am 17. August 1969 zusammenhing. Die Planung hatte 1968 begonnen und war bis zum Tod des Architekten weit fortgeschritten. Die VEGLA beschloss jedoch, einen Alternativvorschlag der Düsseldorfer HPP Architekten zu realisieren und vergab so die Chance Ludwig Mies van der Rohes letztes Werk in seiner Geburtsstadt und dem Standort seines ersten Werkes zu realisieren. Selten hätte das Lebenswerk eines Architekten einen so perfekten Abschluss gefunden.

Vielleicht zeigt die Wahl von HPP und damit von Architekten, die Mies van der Rohe sehr viel zu verdanken haben, aber auch nur, wie entscheidend die Bedeutung, der Einfluss und das Erbe von Mies van der Rohe waren und sind. Dieses Vermächtnis wird in „Mies im Westen“ anhand einer Reihe von Nachkriegsarbeiten anderer Architekten in Nordrhein-Westfalen weiterdiskutiert, darunter Paul Schneider-Eslebens Mannesmann Hochhaus in Düsseldorf, ein Projekt, in dessen Vorbereitung Schneider-Esleben nach Amerika reiste, um Mies van der Rohe zu treffen und seine Bausysteme zu studieren. Dann das Essener Rathaus von Theodor Seifert, das Haus Heusgen in Krefeld von Rudolf Wettstein & Willi Kaiser oder das Landeshaus des LVR in Köln von Eckhard Schulze-Fielitz, Ernst von Rudolf und Ulrich Schmidt von Altenstadt, in dem auch die Ausstellung stattfindet. Dabei handelt es sich um einen Ende der 1950er Jahre in Köln-Deutz gebauten Glas-, Stahl- und Betonbau, der auf Stelzen errichtet wurde, um einen besseren Blick über den Rhein zum Kölner Dom zu ermöglichen. Die Zahl der Obdachlosenunterkünfte im Innenhof des Gebäudes erinnert uns daran, dass wir trotz aller sozialen Interventionen und Vorschläge von Architekten der letzten Jahrzehnte immer noch weit von einer realen sozialen Gerechtigkeit entfernt sind. Das liegt natürlich nicht nur an den Architekten, auch die Politik und wir alle haben eine Verantwortung. Wenn das Selbstverständnis von Architekten allerdings so aussieht, dass Sie Ihre Ausbildung und Visionen nutzen können, um unsere Welt nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch besser und gerechter zu gestalten, dann sollten Architekten natürlich auch an ihren Ergebnissen gemessen werden. Und inwieweit hat die Zwischenkriegsmoderne tatsächlich ihre Ideale realisiert? Die „Neue Welt“ ist nach wie vor nicht nur eine Gebäude, sondern eben auch eine Vision. Aber wir schweifen ab… .

Documentation of Haus Heusgen Krefeld by Rudolf Wettstein & Willi Kaiser, as seen at Mies im Westen, Landeshaus des LVR Cologne

Dokumentation des Haus‘ Heusgen, Krefeld von Rudolf Wettstein & Willi Kaiser, gesehen bei „Mies im Westen“, Landeshaus des LVR Köln

„Mies in Westen“ wurde vom M:AI, Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW, in Zusammenarbeit mit Studierenden der TH Köln, TH Mittelhessen und der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft entwickelt und präsentiert Fotos, Skizzen und Dokumente von 16 Projekten, zehn von Mies van der Rohe und sechs von anderen Architekten. Jedes Projekt erhält seinen eigenen T-förmigen Sockel. Diese T-förmigen Träger sind Teil eines von Mies van der Rohe entwickelten und in seinen Wolkenkratzern umgesetzten Konstruktionsprinzips. Modelle der Projekte, die in der Mitte des Ausstellungsraums platziert sind, ermöglichen eine 3D-Visualisierung der Werke in ihrem jeweiligen Umfeld, während das Begleitheft als praktische Referenz für den Besuch der noch vorhandenen Werke dient und dazu einlädt, die Entdeckungsreise nach dem Besuch der Ausstellung „Mies im Westen“ fortzuführen.

Es handelt sich um eine erfreulich zugängliche Ausstellung, wenn auch leider nur auf Deutsch, und das, obwohl die Relevanz der Ausstellung ein viel größeres Publikum anspricht. „Mies im Westen“ zeigt anschaulich, dass es möglich ist, eine Architekturausstellung ohne Fachjargon zu realisieren. Es reicht, ein Gebäude anhand seines Charakters, Kontextes und seiner Konstruktion zu diskutieren und zu beschreiben. Man ermöglicht damit auch dem Laien ein besseres Verständnis von Mies van der Rohe, seiner Arbeit und seinem Vermächtnis, und die Einsicht, dass dazu nicht nur die Wolkenkratzer in der Innenstadt von Chicago oder New York, sondern auch die Einfamilienhäuser, Fabriken, Wintergärten, Kaufhäuser und Golfclubs von Essen, Krefeld und Aachen gehören.

„Mies im Westen“ läuft bis Montag, den 11. November im Landeshaus des LVR, Kennedy-Ufer 2, 50679 Köln. Der Eintritt ist frei.

Alle Details sind unter https://mai-nrw.de/mies-im-westen zu finden.

 

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