5 neue Architektur- und Designausstellungen im Dezember 2019

 

„… Wovon

Doch sprechen wir, sind wir in Eurem Alter?

Wenn draußen Wind und Regen schlägt des dunkeln Dezembers?

Wie, geklemmt in unsre Höhle,

Verschwatzen wir alsdann die frostigen Stunden?“

Das fragt Arvirargus seinen Bruder Guiderius in Shakespeares Stück Cymbeline, bevor er beklagt:

„Wir sahen nichts“

Für neue, anregende Eindrücke und viel Diskussionsstoff sollte im Dezember 2019 und in den Monaten danach der Besuch einer der folgenden Ausstellungen sorgen, die in diesem Monat in Wien, Holon, Bloomfield Hills, Weil am Rhein und San Francisco eröffnet werden.

5 New Architecture & Design Exhibitions for December 2019

„Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign“ im MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, Österreich

Wie auf diesen Seiten bereits oft erwähnt, hat die Geschichte Thonets, auch wenn sie in Boppard beginnt, ihren Höhepunkt in Wien. In vielerlei Hinsicht trug Thonet mit Werken wie dem Stuhl Nr.14, dem sogenannten Kaffeehausstuhl, ebenso zur Geschichte Wiens bei wie Wien zur Geschichte Thonets. Es erscheint daher sehr passend, dass das Stadtmuseum für angewandte Kunst den 200. Jahrestag der Gründung der ersten Werkstatt in Boppard durch Michael Thonet mit einer Ausstellung würdigt, die sich dem Beitrag Thonets zur Entwicklung des Möbeldesigns widmet. Dieser hatte in der Familienwerkstatt in Wien-Gumpendorf seinen Höhepunkt und klingt bis heute nach.

Die Ausstellung verspricht eine Gegenüberstellung von Werken aus dem Portfolio Thonets aus der Zeit der Anfänge in Boppard über Wien und Koryčany bis hin zur Gegenwart in Frankenberg. Dazu gehören Möbel aus dem Wien des späten 19. Jahrhunderts und zeitgenössische Werke, die von Thonet inspiriert sind. Ein besonders interessanter Aspekt von „Bugholz, vielschichtig“ ist die Präsentation der ca. 240 Exponate in ca. 100 Gruppen von zwei oder drei Objekten. Ein  Präsentationsformat, das mit dem Ziel konzipiert wurde, typologische, konstruktive, formale und weitere Aspekte besser analysieren und vergleichen zu können. Damit sollte nicht nur ein umfassender Überblick über 200 Jahre Thonet-Design im historischen Kontext möglich sein, sondern auch deutlich werden, warum diese 200 Jahre Thonet-Design für die letzten 200 Jahre Möbeldesign so relevant waren.

„Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign“ wird am Mittwoch, den 18. Dezember im MAK – Museum für angewandte Kunst, Stubenring 5, 1010 Wien eröffnet und läuft bis Montag, den 13. April 2020.

Chair No 14 by Michael Thonet, part of Bentwood and beyond. Thonet and Modern Furniture Design at MAK - Museum für angewandte Kunst Vienna (Photo © MAK/Georg Mayer, courtesy MAK - Museum für angewandte Kunst Vienna)

Stuhl No. 14 von Michael Thonet, Teil der Ausstellung „Bugholz, vielschichtig. Thonet und das moderne Möbeldesign“ im MAK – Museum für angewandte Kunst Wien (Foto © MAK/Georg Mayer, mit freundlicher Genehmigung des MAK – Museum für angewandte Kunst Wien)

„State of Extremes“ im Design Museum Holon, Holon, Israel

In den frühen 1990er Jahren war das beängstigendste „Extreme“ ohne Frage die gleichnamige US-Funkrockband. Drei Jahrzehnte später ist der „State of Extremes“ real geworden. Alles ist extrem: das Wetter, die Politik, die Ungleichheit, der Meeresspiegel, die Luftverschmutzung, der Nationalismus, Gier, Religion, Apathie, Intoleranz, etc.: absolut furchteinflößend.

Mit der Ausstellung „State of Extremes“ will das Design Museum Holon untersuchen, ob und wie Design Lösungen für einige unserer „Extremzustände“ liefern kann und wie Designer helfen können die Extreme in unserer Zivilisation abzumildern. Dazu gehört auch die Frage wie Design und Designer selbst zur Entwicklung von Extremen beitragen und die Erkenntnis, dass Design und Designer ebenso Teil des Problems wie auch der Antwort sind. Dies sollte nicht nur einer Reflexion über heutige Zustände und der Frage, ob das so sein muss, Raum geben, sondern auch ein Nachdenken über die Funktion und Verantwortlichkeit der Designer in unserer heutigen und zukünftigen Gesellschaft ermöglichen.

„State of Extremes“ wird am Donnerstag, den 12. Dezember im Design Museum Holon, Pinhas Eilon St. 8, Holon, 5845400 eröffnet und läuft bis Samstag, den 9. Mai 2020.

Amphibio by Jun Kamei, part of State of Extremes Design Museum Holon (Photo © and courtesy Jun Kamei)

Amphibio von Jun Kamei, ein Teil von „State of Extremes“ im Design Museum Holon (Foto © und mit freundlicher Genehmigung Jun Kamei)

„Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living“ im Cranbrook Art Museum, Bloomfield Hills, Michigan, USA

Es gibt wohl nur wenige Designer, anhand derer sich die Zusammenhänge zwischen europäischer und amerikanischer Moderne der Nachkriegszeit, bzw. die Zusammenhänge des Bauhaus‘ und der Cranbrook Academy of Art, besser herausstellen ließen als Ruth Adler Schnee. Auch wenn die meisten mit ihrer Arbeit eventuell nicht vertraut sind.

Ruth Adler Schnee wurde 1923 in Frankfurt geboren und wuchs in Düsseldorf auf, bis die Familie 1938 nach Amerika fliehen musste. Ihre Mutter Marie Salomon war Schülerin der Kalligraphie und Buchbinderei am Bauhaus Weimar. Während ihrer Studienzeit wurde beispielsweise auch Paul Klee zum festen Familienfreund und damit zu einem Einfluss auf die junge Ruth. Das war allerdings nur einer von vielen avantgardistischen Einflüssen der Zwischenkriegszeit auf die junge Frau. Marie Salomon studierte nämlich auch Kunst bei Hans Hofmann, der nach seiner eigenen Emigration in die USA nicht nur ein wichtiger Protagonist des aufkommenden abstrakten Impressionismus, sondern auch ein wichtiger Lehrer von Ray Kaiser, der zukünftigen Ray Eames, werden sollte.

In Amerika ließen sich die Adlers in Detroit nieder, wo Ruth Adler zunächst an der Cass Technical High School, einer Institution, zu deren Absolventen auch Harry Bertoia gehörte, studierte. Sie wechselte an die Rhode Island School of Design, wo sie einen Bachelor in Innenarchitektur erhielt, und ging dann an die Cranbrook Academy of Art. Dort studierte sie bei Eliel Saarinen und lernte Persönlichkeiten wie Loja Saarinen, Maija Grotell oder Charles Eames kennen. Als erste Frau schloss sie dort im Jahr 1946 mit einem Master of Fine Art in Architectural Design ab.

Nach ihrer Zeit an der Cranbrook gründete Ruth Adler Schnee ihr eigenes Studio und Geschäft in Detroit, arbeitete in diesem Zusammenhang mit Künstlern wie Buckminster Fuller, Eero Saarinen oder Frank Lloyd Wright zusammen und freundete sich mit Alexander Girard an. Dank ihrer Verbindungen zum Bauhaus gelten Ruth Adler SchneesTextilarbeiten, die heute von Knoll und Anzea vertrieben werden, als ihre bekanntesten Werke. Ruth Adler Schnee war aber auch als Innenarchitektin tätig, die im Laufe ihrer Karriere ein breites Spektrum geschäftlicher, öffentlicher und privater Innenräume gestaltete und so dazu beitrug, zeitgenössische Auffassungen von Architektur und Design nach dem Krieg in Amerika zu verbreiten.

Genau diese Karriere und den Beitrag der Designerin zum Design der Nachkriegszeit in Amerika möchte die Ausstellung darstellen. Auf diese Weise soll die Verbindung der Zwischenkriegszeit in Europa und der Nachkriegszeit in Amerika beleuchtet und sichergestellt werden, dass Ruth Adler Schnees Beitrag zur Designgeschichte uns allen ein wenig geläufiger wird.

„Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living“ wird am Samstag, den 14. Dezember im Cranbrook Art Museum, 39221 Woodward Ave, Bloomfield Hills, MI 48304 eröffnet und läuft bis Sonntag, den 15. März 2020.

Wireworks by Ruth Adler Schnee, part of Ruth Adler Schnee. Modern Designs for Living at Cranbrook Art Museum (Photo PD Rearick, courtesy Cranbrook Art Museum)

Wireworks von Ruth Adler Schnee, ein Teil von „Ruth Adler Schnee. Modern Designs for Living“ im Cranbrook Art Museum (Foto PD Rearick, mit freundlicher Genehmigung des Cranbrook Art Museum)

„Typologie. Eine Studie zu Alltagsdingen“ im Vitra Design Museum, Weil am Rhein

Wie wir im Kontext der Ausstellung „Mon univers“ im Pavillon Le Corbusier Zürich festgehalten haben, erinnern uns die relativ unveränderten Archetypen vieler Objekte daran, dass die Beziehung zwischen Form und Funktion sehr einfach ist und einmal etabliert, nicht immer wieder neu überdacht werden muss. Das war allerdings vor der Ausstellung „Objects of Desire. Surrealism and Design 1924 – Today“, die uns mit einer Sammlung von Ziegelsteinen und Readymades klar machte, dass besagte Archetypen sehr wohl überdacht werden können. Oder anders ausgedrückt: archetypische Objekte können uns täuschen und überaus lehrreich sein.

In vielerlei Hinsicht eine Folge- oder Begleitausstellung von „Objects of Desire“, ist „Typologie. eine Studie zu Alltagsdingen“ aber auch sehr wohl ein eigenständiges Format. Die Ausstellung präsentiert Designstudien des französischen Designkollektivs Collections Typologie in Form von Gemüsekisten aus Holz. Diesen Studien geht es nicht nur um die Entwicklung der Typologie im Laufe der Jahrhunderte, sondern vor allem um Fragen nach der Art und Weise dieser Entwicklungen im breiteren, historischen und gesellschaftlichen Kontext.

Damit verspricht die Ausstellung Fragen zu unseren Beziehungen zu Objekten jenseits ihrer rein funktionalen Zwecke zu stellen, bzw. unser Verständnis von Funktionalität zu hinterfragen.

„Typologie. Eine Studie zu Alltagsdingen“ wird am Samstag, den 7. Dezember im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Str. 2, 79576 Weil am Rhein eröffnet und läuft bis Sonntag, den 3. Mai 2020.

Study on fruit and vegetable crates by Collections Typologie, part of Typology. An Ongoing Study of Everyday Items at the Vitra Design Museum Gallery (Photo © Collections Typologie, courtesy Vitra Design Museum)Typologische Untersuchung anhand von Gemüsekisten von Collections Typologie, ein Teil von „Typologie. Eine Studie zu Alltagsdingen“ im Vitra Design Museum (Foto © Collections Typologie, mit freundlicher Genehmigung des Vitra Design Museums)

„Survival Architecture and the Art of Resilience“ im Museum of Craft and Design, San Francisco, Kalifornien, USA

Die von der gemeinnützigen Organisation Art Works for Change entwickelte Ausstellung „Survival Architecture and the Art of Resilience“ hatte 2016 im Appleton Museum of Art in Ocala, Florida, Premiere und wurde auch in Eugene, Oregon, gezeigt. Zum ersten Mal sind wir allerdings im Zusammenhang mit der bevorstehenden Eröffnung in San Francisco auf die Ausstellung aufmerksam geworden.

Im Gegensatz zu den Extremen im Design Museum Holon liegt der Schwerpunkt von „Survival Architecture and the Art of Resilience“, wie der Titel andeutet, auf Architektur. Die Ausstellung verspricht eine Präsentation langfristiger architektonischer und städtebaulicher Projekte, die darauf ausgerichtet sind, die negativen Konsequenzen des Wachstums unserer Zivilisation abzumildern, bzw. eine Anpassung an die von uns hervorgerufenen sozialen und ökologischen Gegebenheiten zu ermöglichen. Dazu gehören auch Notunterkünfte für Szenarien (in naher Zukunft?), aus denen es wohl keinen Weg zurück geben wird.

So sollte die Ausstellung nicht nur Gedanken über derzeitige Zustände und die Frage, wie es anders gehen könnte, Raum geben, sondern auch zum Nachdenken über die Funktionen und Verantwortlichkeiten von Designern und Architekten in unserer heutigen und zukünftigen Gesellschaft anregen.

„Survival Architecture and the Art of Resilience“ wird am Donnerstag, den 19. Dezember im Museum of Craft and Design, 2569 Third Street, San Francisco CA 94107 eröffnet und läuft bis Sonntag, den 3. Mai 2020.

Survival Architecture and the Art of Resilience at the Museum of Craft and Design, San Francisco

Survival Architecture and the Art of Resilience @ the Museum of Craft and Design, San Francisco

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