Ingo Maurer intim. Design or what? im Museum Die Neue Sammlung, München

In der Ausstellung Lightopia im Vitra Design Museum 2013 ging es um den Unterschied zwischen Licht und Beleuchtung und darum, dass das Handwerk des Leuchtendesigns darin besteht, einem nicht greifbaren Material eine greifbare Form zu geben.

Mit der Ausstellung „Ingo Maurer intim. Design or what?“ erinnert Die Neue Sammlung an einen der führenden Leuchtendesigner Deutschlands.

Ingo Maurer intim. Design or what?, Die Neue Sammlung – The Design Museum Munich

„Ingo Maurer intim. Design or what?“, Die Neue Sammlung – Design Museum München

Der am 12. Mai 1932 auf der Bodenseeinsel Reichenau geborene Ingo Maurer absolvierte zunächst eine Typographie-Ausbildung in Deutschland und der Schweiz, studierte anschließend Grafikdesign und machte seine ersten beruflichen Schritte in München, bevor er 1960 in die USA zog, wo er in New York und San Francisco arbeitete. Nach seiner Rückkehr nach München im Jahr 1963 ließ sich Ingo Maurer 1966 mit seiner Firma Design M nieder und tauschte Grafikdesign gegen Leuchtendesign.

Gleich mit seinem ersten Projekt erzielte er einen internationalen Erfolg: Bulb, eine Leuchte in Form einer überdimensionalen Glühbirne. Genauer gesagt handelt es sich um eine 30 cm hohe und 20 cm breite Glühbirne, die genau dort, wo eigentlich der Glühfaden sein sollte, mit einer tatsächlichen Glühbirne ausgestattet ist. Bulb wurde 1968 in die ständige Sammlung des MoMA New York aufgenommen. Mit ihrem poppigen Readymade-Design konnte die Leuchte Ende der 80er Jahre auch als wissendes Augenzwinkern in Richtung von Designern wie Gyula Pap oder Wilhelm Wagenfeld verstanden werden.

Im Jahr 1973 wurde aus Design M schlicht und einfach Ingo Maurer. In den folgenden  Jahrzehnten haben Ingo Maurer und seine gleichnamige Firma unzählige Leuchten und Beleuchtungssysteme entwickelt: Darunter Werke wie die geflügelte Lucellino-Familie, das Niederspannungs-Halogen-System YaYaHo oder die Zettel’z-Kollektion mit einer Fülle von Zetteln anstelle eines Schirms. Hinzu kommen öffentliche Lichtdesign-Projekte und Lichtinstallationen, darunter Earthbound – Unbound am Toronto International Airport, The Tree für die Bodegas Vega Sicilia in der Nähe von Valladolid in Spanien, die Silver Cloud für das Residenztheater München oder die Licht- und Farbkonzepte für die Münchner U-Bahnstationen Marienplatz, Münchner Freiheit & Westfriedhof.

Der Paternostersaal der Neuen Sammlung beherbergt eine Ausstellungsreihe, bei der internationale GestalterInnen mit der Realisierung einer Ausstellung beauftragt werden, die elf Monate lang im Paternostersaal der Pinakothek der Moderne zu sehen ist. Zu sehen waren hier unter anderem Projekte von Friedrich von Borries, Konstantin Grcic oder Hella Jongerius & Louise Schouwenberg. Ingo Maurer wurde gefragt, ob er daran interessiert sei, eine Ausstellung über sein Werk und Designverständnis beizusteuern – das Ergebnis ist „Ingo Maurer intim. Design or what?“.

Ingo Maurer ist leider im Alter von 87 Jahren am 21. Oktober 2019, das heißt weniger als einen Monat vor der Eröffnung seiner Ausstellung, in München verstorben. Und so wie „Mondo Mendini“ im Groninger Museum eine sehr persönliche Feier und Retrospektive über den verstorbenen Alessandro Mendini geworden ist, ist auch „Ingo Maurer intim. Design or what?“ durch Maurers Tod zu einer solchen geworden.

Early works by Ingo Maurer, including Bulb , as seen at Ingo Maurer intim. Design or what?, Die Neue Sammlung – The Design Museum Munich

Frühe Arbeiten von Ingo Maurer, darunter Bulb, gesehen bei „Ingo Maurer intim. Design or what?“, Die Neue Sammlung – Design Museum München

Mit einem Blick auf Ingo Maurers über 50-jährige Karriere – von seinem Durchbruch mit Bulb im Jahr 1966 bis La Festa delle Farfalle oder Ooop’s aus dem Jahr 2019 – zeigt die Ausstellung, wie fließend sich Ingo Maurer zwischen den scheinbar streng definierten Bereichen Architektur, Design oder Kunst bewegte und diese miteinander verschmolz. Zudem werden die unzähligen, diversen Auffassungen von Licht untersucht und es wird veranschaulicht, wie diese in Ingo Maurers Kanon verkörpert werden.

Oder anders gesagt:

Licht als Spiel. Über Generationen hinweg haben MalerInnen, RomanschriftstellerInnen, ArchitektInnen, KomponistInnen und DichterInnen das Spiel des Lichtes sowohl grafisch als auch bildlich eingefangen und genutzt. Ingo Maurer hat sich während seiner gesamten Karriere dem „Lichtspiel“ verschrieben. Dazu gehören die Wortspiele und Bonmots in den Namen seiner Objekte, wie das bereits erwähnte Zettel’z, und Oh Man, It’s a Ray!, ein Werk ähnlich einem Readymade, das an einen Surrealisten und Pionier des Genres erinnert; oder Silly-Kon, dessen leuchtend roter Lampenschirm aus Silikon gefertigt ist. Hinzu kommen die absurden und skurrilen Formen und Zusammenhänge, in die Ingo Maurer das Licht transferiert hat, Werke wie z. B. Remember Yves, eine Hommage an den französischen Künstler Yves Klein; oder Flatterby, ein Lichtobjekt, das mit einem eigenen Schwarm von Motten und Schmetterlingen ausgestattet ist, die um die Glühbirne herumschweben. Oder Porca miseria!, ein Stillleben aus explodierendem Porzellangeschirr. Ursprünglich sollte diese Arbeit, so erfuhren wir in der Ausstellung, Zabriskie Point heißen, also nach einem gleichnamigen Film von 1970, aus dem die Idee der eingefrorenen Explosion entlehnt ist. Nach der Premiere bei der Euroluce Mailand 1994 wurde das Lichtobjekt allerdings umbenannt. Der Legende nach äußerte ein italienischer Besucher seine Freude über das Werk mit den Worten „Porca miseria! Che fantastico, Ingo“ – „Verdammt, Ingo! Es ist fantastisch“. Und da „Porca miseria!“ auch der Schrei eines jeden wäre, der so viel Porzellan fallen lässt und zerbricht – nur eben in einem weniger positiven Sinne – wurde aus dem Ausruf der Name des Objektes.

Licht als Schatten. So wie grundlegende Aspekte zeitgenössischer Schwarzweißfotografie das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß und die damit zusammenhängende Komposition sind, so ist ein grundlegender Aspekt der Lichtgestaltung das Zusammenspiel von Licht und Schatten, die Verwendung des Schattens als funktionale Ergänzung. Dieses Zusammenspiel lernt man direkt in Werken wie Eclipse Ellipse oder dem bereits erwähnten La Festa delle Farfalle schätzen und verstehen, aber auch auf indirekterem Weg durch ein sorgfältiges Studium von Maurers Entwürfen, auch jenseits ihrer physischen Komposition.

Licht als Technologie. Unter den zahlreichen Komponenten des Lichtdesigns stehen neue Technologien und Materialien im Fokus, ihre Nutzung und Überführung in eine Form und einen kulturellen Ausdruck. Diese Geschichte begann wahrscheinlich mit der Entwicklung der ersten einfachen Taschenlampen und der elektrischen Glühbirne Ende des 19. Jahrhunderts. Mit dem raschen Anstieg der elektrischen Beleuchtung im Haushalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewannen Lichtdesign und die dazugehörige Technologie zunehmend an Bedeutung und wurden immer relevanter: Neue Lösungen waren gefragt, was durch die elementare Forschung von Poul Henningsen in den 1920er Jahren, die zu seinen PH Leuchten führen sollte, elegant unterstrichen wird. Seit den 1920er Jahren haben sich diese Entwicklungen analog zur Innovation der Technologie immer weiter fortgesetzt. Ingo Maurer hat zu diesen Entwicklungen in hohem Maße beigetragen, u. a. mit YaYaHo als erstem Halogenlampensystem, das mit Niederspannung auf Drahtseilen funktioniert. Hinzu kommt Maurers Erforschung und Entwicklung der LED- und OLED-Technologie, u. a. durch die Entwicklung der ersten kommerziellen LED-Tischleuchte, oder aber auch sein Beitrag zur Entwicklung berührungsempfindlicher Lichtsteuerungen. Diese kann, wie wir bei „Inspiriert vom Bauhaus – Gotha erlebt Moderne“ am KunstForum Gotha gelernt haben, als konzeptionelle Weiterentwicklung der Tastlicht-Leuchten des Ruppelwerk Gotha angesehen werden. Dabei handelt es sich um Leuchten, bei denen der ganze Sockel ein einziger großer Schalter ist, und um Werke, an deren Entwicklung Marianne Brandt aller Wahrscheinlichkeit nach beteiligt war. Und auch hier handelte es sich vermutlich um ein Zusammenspiel von IngenieurIn und DesignerIn.

Porca Miseria! by Ingo Maurer, as seen at Ingo Maurer intim. Design or what?, Die Neue Sammlung – The Design Museum Munich

Porca Miseria! von Ingo Maurer, gesehen bei „Ingo Maurer intim. Design or what?“, Die Neue Sammlung – Design Museum München

Licht als Emotion. Wenig hat für uns so starke emotionale Verknüpfungen wie das Licht. Bereits Isamu Noguchi beschreibt sehr eloquent, wie er als Kind die Welt durch die Shōji Bildschirme Japans betrachtete. Welche Rolle das Licht in diesem Zusammenhang spielt zeigt sich beispielsweise auch anhand der Anziehungskraft, die Flammen auf uns haben oder durch die Tatsache, dass wir in niedergeschlagenen Momenten helles Licht vermeiden. Diesen Aspekt des Lichts versteht man vielleicht am besten in Ingo Maurers öffentlichen Lichtdesign-Projekten und Installationen, aber auch in den einzelnen Leuchten ist er keineswegs abwesend.

Licht als Verlauf. Licht kann als ein immer weiter voranschreitender Welle-Teilchen-Dualismus bezeichnet werden, oder um Albert Einstein zu zitieren, als „endliche Anzahl von Energiequanten, die in Punkten im Raum lokalisiert sind“. In ähnlicher Weise hat auch Ingo Maurer, wie der Kurator anmerkt, ein Projekt nie als abgeschlossen betrachtet, sondern jedes Projekt immer als eine Momentaufnahme verstanden. Das Licht hört nie auf, warum sollte dann das Leuchtendesign aufhören.

Licht als kollektive Ressource. Man kann allein im Rampenlicht stehen, wie ABBA uns lehrt, gibt es keinen einsameren Ort, viel besser ist es aber, sich mit anderen gemeinschaftlich im Licht zu versammeln. So ist es auch bei dem Unternehmen Ingo Maurer: Nicht nur die als Team entstandenen Werke werden (zu Recht) als „Ingo Maurer + Team“ gekennzeichnet, auch die vielen Kooperationen von Ingo Maurer, sei es mit IngenieurInnen und TechnikerInnen, dem Chemiekonzern Merck oder der Firma OSRAM und die Entwicklung der OLED-Technologie werden als solche ausgegeben. Das trifft auch auf die Kooperationen mit anderen DesignerInnen zu, unter anderem auf die MaMo Nouchies Kollektion, die Ingo Maurer gemeinsam mit Dagmar Mombach und Isamu Noguchi entwarf, oder auf My New Flame von Ingo Maurer und Moritz Waldemeyer. Des weiteren gibt es Kooperationen und Objekte, die ohne direkten Input von Ingo Maurer entstanden sind. So zum Beispiel Campari Light von Raffaele Celentano, Canned Light von Christoph Matthias & Hagen Sczech oder Stefan Geisbauers Looksoflat. Diese Projekte machen deutlich, dass das Unternehmen Ingo Maurer kein Synonym für den Designer Ingo Maurer ist und unterstreichen auch, dass es trotz des eindeutigen Titels „Ingo Maurer intim“ bei der Ausstellung nicht nur um Ingo Maurer geht, sondern um Ingo Maurers Verständnis von Licht, Beleuchtung und Design.

Rose, rose on the wall by Ingo Maurer, as seen at Ingo Maurer intim. Design or what?, Die Neue Sammlung – The Design Museum Munich

„Rose, rose on the wall“ von Ingo Maurer, gesehen bei „Ingo Maurer intim. Design or what?“, Die Neue Sammlung – Design Museum München

Die Ausstellung präsentiert sowohl Objekte des Designers Ingo Maurer als auch anderer DesignerInnen für die Firma Ingo Maurer in der Paternosterhalle, zudem werden sowohl Prototypen als auch Modelle aller LED- und OLED-Projekte gezeigt. Hinzu kommen Modelle und Mock-ups von realisierten und geplanten öffentlichen Beleuchtungsprojekten. Das Ausstellungskonzept ermöglicht so eine zugängliche abgerundete Einführung in die Arbeit und das Designverständnis von Ingo Maurer. Auch wenn diese, wie bei Alessandro Mendini oder eben auch Albert Einstein, nicht immer so leicht verständlich und zuweilen weniger zugänglich sind als das Ausstellungsdesign.

Das hängt, so würden wir argumentieren, mit dem „surrealistischen“ (ein besseres Wort fällt uns nicht ein) Charakter vieler Werke zusammen. Von „surrealistisch“ im eigentlichen Sinn des Wortes kann wegen einer Menge sehr reflektierter Gedanken und einer unverkennbaren Vorliebe für verwandte Ausdrucksformen, sei es Pop Art, Konzeptkunst oder eine Art Anti-Funktionalismus, nicht die Rede sein. Die Bezeichnung „surrealistisch“ erscheint uns aber vor allem in Bezug auf die phantasievollen Kompositionen angebracht, darunter Bibibibi von 1982, die verschiedenen Luzy Modelle oder Birds Birds Birds Birds. Hinsichtlich ihres Readymade/Bricolage-Charakters wären wiederum Werke wie My New Flame und EL.E.DEE zu erwähnen. Sie stellen mit ihrem surrealistischen Charakter unser konventionelles Verständnis von Beleuchtungsobjekten auf den Kopf.

Mit einer geräumigen, entspannten Ausstellungsgestaltung und der konzentrierten Präsentation von rund 80 Projekten auf relativ kleinem Raum ist „Ingo Maurer intim. Design or what?“ eine Einladung, das Werk des Designers und des Unternehmens Ingo Maurer besser kennenzulernen. Die Ausstellung zeigt nicht nur Ingo Maurers Arbeiten, sondern auch den Grafiker Ingo Maurer.

Wie wir in einem vorigen Post bereits festgehalten haben, antwortete Ray Eames auf die Frage, wie es sich angefühlt habe, ihre Kunst für das Design aufzugeben, sie habe die Kunst nicht aufgegeben, sondern nur ihre Palette verändert. Beim Besuch von „Ingo Maurer intim. Design or what?“ hat man einen ähnlichen Eindruck. Nämlich, dass Ingo Maurer 1966 lediglich die Palette gewechselt hat. Maurers Entwürfe sind grundsätzlich grafisch, sie haben nur weitere Dimensionen erhalten. Es handelt sich nicht nur um passive Objekte, die als funktionale Lichtquellen geschaffen wurden, sondern um proaktive Objekte, die fast unabhängig vom Licht existieren und die funktionalen Aspekte des Lichts über die Beleuchtung hinaus erweitern.  Um es mit den Worten von Ettore Sottsass zu sagen: „Als ich jung war, haben wir immer nur Funktionalismus, Funktionalismus, Funktionalismus gehört. Das ist nicht genug. Design sollte auch sinnlich und aufregend sein.“ Ingo Maurer fügte in diesem Zusammenhang hinzu, dass Design sich selbst nicht allzu ernst nehmen, immer offen gegenüber neuen Technologien und auch mal schockierend sein sollte.

Damit ermöglicht die Ausstellung „Ingo Maurer intim. Design or what?“ nicht nur ein besseres Verständnis von Ingo Maurers Werk, seiner Herangehensweise und seiner Designphilosophie, sondern auch einen gelungenen Einblick in das Handwerk des Lichtgestalters.

„Ingo Maurer intim. Design or what?“ läuft bis Sonntag, den 18. Oktober 2020 im Museum Die Neue Sammlung, Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München.

Alle Details und Informationen zum Begleitprogramm sind unter https://dnstdm.de/en/ingo-maurer/ zu finden.

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