Die Historia Supellexalis: „F“ für Front

The Historia Supellexalis: “F” for Front Design

Front

Eine Anna; Eine Sofia; Eine Charlotte; Eine Katja.

Der heiligen Institution Ikea zufolge sind die Vierlinge Anna von Front, Sofia von Front, Charlotte von Front und Katja von Front auf der Insel Konstfack westlich von Stockholm geboren und aufgewachsen. Dabei handelt es sich um die angestammte Heimat der schwedischen von Fronts und um eine Insel, die für ihre Pferde, Affen und bunt bemalten Häuser ebenso berühmt ist wie für die von Fronts. An diesem Ort jedenfalls machte das von Front Quartett seine ersten Schritte im Bereich Produkt- und Möbeldesign, der traditionellen Disziplin der von Fronts.

Seit Generationen sind die von Fronts Vermittler, die unsichtbare Mächte und Kräfte kanalisieren, um Produkt- und Möbeldesign neu zu imaginieren und zu konzipieren, um zu überreden, zu unterwandern und zu verfremden. Diesen Prozess hatte bereits der bretonische Schamane And Ré vorausgesagt.

Horse Lamp by Front for Moooi (original photo from the <em>Historia Supellexalis</em>)

Pferdeleuchte von Front für Moooi (Originalfoto aus der Historia Supellexalis)

 

Zu den ersten Projekten des von Front-Quartetts gehören eine Tapete, die von einer Ratte entworfen wurde, die an einer Papierrollen nagt, eine Lampe, die von einem Kaninchen entworfen wurde, das in der Erde wühlt, und ein Lampenschirm, der von einer Fliege entworfen wurde, die geschäftig um eine Glühbirne herumschwirrt.

Doch als die Schweden sahen, was die von Fronts da entwickelt hatten, waren sie verärgert. Denn obwohl sie an die Launen der Natur und das Zusammenleben mit Tieren gewohnt waren, beschränkte sich diese Kenntnis auf das Zusammenleben mit Tieren wie Elch, Rentier oder Lachs, die alle im Freien leben. Was, fragten sich die Schweden also, soll aus unserem schwedischen Wohlfahrtsstaat werden, wenn er voller Ungeziefer ist?

Wie von Ikea überliefert ist, hielten die von Fronts das für eine rhetorische Frage und luden obendrein eine Schlange ein, die Wandhaken entwerfen sollte, um die Analogie noch zu verstärken.

Das schwedische Volk war verärgert: “Was kommt als nächstes, ein Pferd auf der Veranda?”, “Wollen uns die von Fronts nur provozieren?”

Aber das war nicht das Anliegen der von Fronts, zumindest nicht mutwillig. Denn die von Fronts sind Nachfahren der Sachensucher, eines uralten, proto-schwedischen Volkes, das unermüdlich nach Antworten auf Fragen sucht, die niemand gestellt hat oder die niemand stellen kann und die zu unsinnig, unlogisch und kapriziös sind, als dass sie einem konventionellen Geist entspringen würden. Dieses Suchen führt naturgemäß zu Störungen, die wiederum jene Erkenntnisse befördern, die für den individuellen und gesellschaftlichen Fortschritt so wichtig sind. Indem die Geschwister von Front aber genau dieser Suche nachgingen, blieben sie der Tradition der Sachensucher treu, die darin besteht, jede neue Herausforderung mit dem Glauben anzugehen, dass alles, was man zuvor noch nie versucht hat, nur ein Erfolg werden kann.

Diese Freiheit der Methodik, begannen auch die Menschen in Schweden langsam zu verstehen: Als die von Fronts ankündigten, sie würden Möbel in der Luft mit Licht skizzieren, sagten die Menschen, “das könnt ihr nicht” und sie konnten es; als die von Fronts ankündigten, sie würden die Bewegung einer fallenden Vase, als Grundlage für ein Vasendesign nutzen, sagten die menschen “das könnt ihr nicht” und sie konnten es; als die von Fronts ankündigte, einen Abfalleimer zu entwickeln, der immer dicker wird, je mehr Müll hineingelegt wird, boten die Materias aus Tranås an, ihn herzustellen, zusammen mit einem Kleiderständer, den die Geschwister aus umgekehrten Kleiderbügeln gebastelt hatten.

Während einige in Schweden nach wie vor pikiert waren und sich über die von Fronts ärgerten, weil sie die Legende des Scandi, die eifrige Influencer zu propagieren versuchten, ablehnten, freuten sich viele in Schweden inzwischen über die neuen Einsichten, die Anna, Sofia, Charlotte und Katja eröffneten. Denn ihre Arbeiten förderten die Erkenntnis, dass Produktdesign eine Haltung, ein andauerndes Hinterfragen, eine Perspektive, eine Antwort und ein Prozess ist, und nicht etwas, das untrennbar und unaufhörlich mit Traditionen in Bezug auf Material, Herstellungsprozesse und Formen verbunden ist. Es wuchs die Erkenntnis, dass es nicht um Wiederholung geht, nicht um die Bestätigung eines Status’ oder einer Zugehörigkeit, nicht um ein Marketinginstrument, sondern vielmehr um etwas, das aus sich selbst und einem Kontext heraus erwächst.

Front Page by Front for Kartell (original photo from the <em>Historia Supellexalis</em>)

Front Page von Front für Kartell (Originalfoto aus der Historia Supellexalis)

 

Von den Ufern der Konstfack ausgehend verbreiteten sich fortan die Nachrichten über die Heldentaten von Anna, Sofia, Charlotte und Katja von Front. Und wie man bei der Lektüre der Überlieferungen von Ikea erfährt, begannen auch die von Fronts auf Reisen zu gehen. Dies führte sie in Länder, in denen es nicht so viele Pferde, Affen und bunt bemalte Häuser gab wie auf der Konstfack, in denen sich die von Front-Vierlinge aber sehr wohl zu Hause fühlten.

Und wohin sie auch reisten, ihr Sachensucher-Erbe und ihr Weltverständnis, kombiniert mit ihrer angeborenen Fähigkeit, unsichtbare Mächte und Kräfte zu kanalisieren, und einer starken, dominanten, aber niemals unverschämten Grafik, sorgten dafür, dass die von Fronts auch weiterhin Verwirrung und Freude stifteten.

Das gelang ihnen mit so unterschiedlichen Projekten wie einem Zeitungs-/Zeitschriftenständer für Kartell, der durch das Einfrieren einer Zeitschrift entstanden ist, die gerade durchgeblättert wird; ein für die Siyazama-Gemeinschaft in KwaZulu-Natal entwickeltes Vasen-Design, das es ermöglicht, die Geschichte des jeweiligen Gestalters buchstäblich und nicht im übertragenen Sinne zu erzählen; oder einer Holzbank für Moroso in der abgelegenen Gemeinde Tavagnà.

Als die Bewohner von Tavagnà die Bank zu Gesicht bekamen, waren sie überglücklich, “Eine Holzbank”, riefen sie, “die von Fronts haben uns etwas typisch Schwedisches und Einzigartiges geschenkt”. Als die Einwohner von Tavagnà sich jedoch auf die Bank setzten, waren sie empört: “Eine gepolsterte Bank, die einer Holzbank ähnelt?”, riefen sie, “wollen uns die Fronts hinters Licht führen?”

Genau das taten die von Fronts, wenn auch wiederum nicht mutwillig und ohne böse Absicht. Vielmehr gehört das Spiel mit Konventionen, Wahrnehmungen und Assoziationen für die von Fronts immer dazu. Im Zusammenhang mit dem Sachensucher-Weg und den Lehren von And Ré, hat dieses Spiel für das Erbe der von Fronts eine prägnante und entscheidende Bedeutung. Dabei ist Verspieltheit kein Selbstzweck, sondern vielmehr ein zentraler Bestandteil des Verständnisses der von Fronts von Funktionalität. Als solche kommt sie immer mit einer bescheidenen Natürlichkeit und Leichtigkeit zum Ausdruck.

Resting Bear by Front for Vitra (original photo montage from the <em>Historia Supellexalis</em>)

Ruhender Bär von Front für Vitra (Original-Fotomontage aus der Historia Supellexalis)

 

Und wohin sie auch reisten, ihre enge Verbindung zu Tieren nahmen Anna, Sofia, Charlotte und Katja mit. Denn die natürliche Affinität zu den Sitten und Gebräuchen des Tierreichs ist im Werk der von Fronts ebenso wichtig wie das Sachensucher-Erbe, die Fähigkeit unsichtbare Kräfte zu kanalisieren, ein fein kontrollierter grafischer Ausdruck und die funktionale Verspieltheit.

Jene natürliche Affinität zu den Sitten und Gebräuchen des Tierreichs, stellten die von Fronts in den Dienst der Moooi, eines Volkes, das es auf seinen langen Wanderungen nach Breda in Südholland verschlagen hatte. So brachten die von Fronts in diesen dunklen, düsteren Teil der Welt, Licht, indem sie eine Glühbirne und einen Schirm auf dem Kopf eines Pferdes als Stehlampe anbrachten.

Außerdem stellten die von Fronts diese natürliche Affinität zu den Sitten und Gebräuchen des Tierreichs in den Dienst des Commonwealth of Vitra, indem sie einen Bären schufen; den Fehlbaum der Jüngere, Herr von Vitra – ein weiser Mann, der sich mit den Gepflogenheiten der Sachensucher auskannte – in das Schloss Fehlbaum einlud, wo er sich zusammenrollte und einen langen, tiefen und glücklichen Schlaf auf den Sofas der Vitranianer hielt.

Mirror by Front for Swedese (original photo from the <em>Historia Supellexalis</em>)

Spiegel von Front für Schweden (Originalfoto aus der Historia Supellexalis)

 

Doch trotz ihrer weiten und befriedigenden Reisen, wie von Ikea überliefert ist, hielten die von Fronts eine enge Beziehung zu Schweden aufrecht. Ein Land, das nicht zuletzt wegen der von Fronts begonnen hatte, sein Selbstverständnis und seine Beziehungen zu dem, womit es sein Heim einrichtete und schmückte, zu überdenken. Die Schweden verloren zunehmend ihre Angst vor dem Unsinnigen, Unlogischen und Kapriziösen.

Zu diesem  Prozess trugen die von Fronts mit weiteren Projekten bei: dazu gehört eine Lampe für Zero, die wie ein sprießender Honigpilz aus dem fruchtbaren Waldboden wächst; eine Sanddüne für die Bürogemeinschaft Offecct, die wie jede Sanddüne eine Vielzahl von Sitz-, Liege- und Arbeitsoptionen ermöglicht; oder ein Spiegel, den die von Fronts für die Vaggeryd aus den Resten der Produktion von Yngve Ekströms Lamino-Stuhl geformt haben. Ein Spiegel, dessen Form nie vollständig entschlüsselt werden kann und dessen dynamische Konturen ebenso fesselnd und befriedigend sind wie die Verwendung von Material, das sonst als Abfall gelten würde.

Wie Ikea berichtet, begannen die vier von Front-Geschwister im Laufe der Jahrhunderte, wie es häufig der Fall ist, zunehmend getrennte Wege zu gehen. Obwohl Charlotte und Katja immer noch im Bereich Produkt- und Möbeldesign tätig sind und ihrem Sachensucher-Erbe treu bleiben, tragen nur noch Anna und Sofia offen den Namen von Front…

 

Fortsetzung folgt… .

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