5 Neue Architektur- und Designausstellungen im März 2023

„March is the Month of Expectation.                                                                                               The things we do not know“

Das meinte einst die amerikanische Dichterin Emily Dickinson.1 Was so viel bedeutet wie: der März ist der Monat der Erwartung. Der Erwartung all jener Dinge, die wir nicht wissen können. 

Wir empfehlen eine Annäherung an das, was man nicht weiß, durch eigenes Hinterfragen und Überlegen während des Besuchs einer Architektur- oder Designausstellung. 

Unsere fünf Ausstellungsempfehlungen, um im März 2023 Erwartungen in Wissen zu verwandeln, befinden sich in Berlin, Espoo, New York, Nyköping und Weil am Rhein…….

 

5 New Architecture & Design Exhibitions for March 2023

„Retrotopia. Design für sozialistische Räume“ im Kunstgewerbemuseum, Berlin, Deutschland

Zunächst müssen wir sagen, dass wir den Titel wirklich nicht mögen: Retrotopia klingt für uns nach bedauernswertem „Vintage“-Möbelladen, der völligen Plunder zu unverschämten Preisen an von Instagram geblendete, leicht zu lenkende Persönlichkeiten verkauft. Außerdem wird suggeriert, dass die präsentierten Werke und Positionen keine zeitgenössische Relevanz haben, dass sie in einer Vergangenheit gefangen sind – gefangen in sozialistischen Räumen vor 1989. So ist der Titel geneigt zu implizieren, dass Design aus der Zeit vor 1989 in Osteuropa nicht die gleiche Gültigkeit hat wie Design aus der Zeit vor 1989 in Westeuropa. 

Wir sind uns absolut sicher, dass dies nicht die Absicht der Ausstellung ist. Schon gar nicht entspricht dies unserer Lesart der Ausstellung.

Entwickelt vom Kunstgewerbemuseum, Berlin, in Zusammenarbeit mit einer breiten Palette von Institutionen aus der Slowakei, Ungarn, Litauen, der Ukraine, Slowenien, Tschechien, Estland, Polen, Kroatien und Ostdeutschland, letzteres in Form des Museums für Utopie und Alltag, Eisenhüttenstadt, verspricht die Ausstellung, das Design in Osteuropa zwischen den 1950er und 1980er Jahren aus zwei Perspektiven zu erkunden. Das geschieht zum einen anhand von realisierten und nicht realisierten Architektur-, Innenarchitektur- und Städtebauprojekten mit Fokus auf den titelgebenden Räumen. Zum anderen geht es um eine Auseinandersetzung mit den Netzwerken von Designinstitutionen und Designsammlungen, die die Regionen miteinander verbanden und die verschiedene Diskurse führten und vorangetrieben haben – sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch über die sozialistische Region in die damals kapitalistische Welt jenseits des Eisernen Vorhangs hinaus.

So gibt die Ausstellung eine umfassende Einführung zur Geschichte des Designs in Osteuropa zu einer Zeit, an er Design und Designtheorie nur sehr selten ernsthaft, kritisch und objektiv angegangen wurden.  Außerdem wird die Ausstellung zeigen, dass Design in Osteuropa vor 1989 trotz aller Ähnlichkeiten weder eine homogene Masse war, noch etwas, das sich wesentlich von dem unterschied, was in Westeuropa vor 1989 produziert und vorgeschlagen wurde. Damit soll unterstrichen werden, dass der entscheidende Unterschied zwischen dem Design in Osteuropa vor 1989 und dem Design in Westeuropa vor 1989 in der Wahrnehmung und Rezeption des jeweiligen Designs liegt.

Warum man diesen Raum “Retrotopia” nennen muss, wissen wir nicht. Aber vielleicht wird der Grund nach dem Betrachten der Ausstellung ebenso klar wie die Einsichten, die sie zu vermitteln verspricht.

“Retrotopia. Design für sozialistische Räume”  wird am Samstag, den 25. März im Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin eröffnet und läuft bis Sonntag, den 16. Juli. Weitere Informationen finden Sie unter www.smb.museum/retrotopia.

The exhibition Space and Form I by Bruno Tomberg, Maia Laul, Kärt Voogre, Eha Reitel, Saima Veidenberg and Taevo Gan, in Tallin, 1969, part of Retrotopia. Design for Socialist Spaces,Kunstgewerbemuseum, Berlin (photo, © Estonian Museum of Applied Art and Design, courtesy Kunstgewerbemuseum Berlin)

Die Ausstellung “Raum und Form I” von Bruno Tomberg, Maia Laul, Kärt Voogre, Eha Reitel, Saima Veidenberg und Taevo Gan, in Tallin, 1969, Teil von “Retrotopia. Design für sozialistische Räume”, Kunstgewerbemuseum, Berlin (Foto © Estonian Museum für angewandte Kunst und Design, mit freundlicher Genehmigung des Kunstgewerbemuseums Berlin)

„Yrjö Kukkapuro – Magic Room“ im EMMA – Espoo Museum of Modern Art, Finnland

Zum Design aus Finnland gehören ohne Frage Aino und Alvar Aalto, Tapio Wirkkala, oder auch Ilmari Tapiovaara. Aber auch Yrjö Kukkapuro ist ein wichtiger Teil des finnischen Designs, auch wenn er bei der populären Betrachtung von Design aus Finnland regelmäßig übersehen wird. Berühmt ist er allerdings für seinen Karuselli-Sessel aus den 1960er Jahren. Ein Werk, das wohl einen ebenso großen wie glorreichen Schatten auf sein Oeuvre und Ihre Wohnzimmerwand wirft.

Mit der Ausstellung “Magic Room” des Espoo Museums of Modern Art, kurz EMMA, sollte sich das ändern. Yrjö Kukkapuro soll mit seinen Positionen und Ansätzen in dem Licht erscheinen, das ihm als Designer zusteht. Zu diesem Zweck verspricht die Ausstellung nicht nur das breite, divergierende Werk Kukkapuros vorzustellen, sondern dieses Werk im Kontext von zwei entscheidenden Einflüssen zu präsentieren. Bei diesen Einflüssen handelt es sich um die Kunst und um seine Frau Irmeli Kukkapuro. Irmeli und Yrjö Kukkapuro lernten sich in den 1950er Jahren als Studenten am Institut für Industriekunst in Helsinki kennen und arbeiteten in den folgenden sechs Jahrzehnten eng zusammen. Beide verfolgten jedoch auch ihre eigenen Wege, Irmeli als Grafikdesignerin und Künstlerin, Yrjö (vor allem) als Möbeldesigner.

Den Einfluss der Kunst, sowohl der modernen als auch der postmodernen Kunst, will das EMMA sowohl anhand von Kukkapuros Design erörtern als auch anhand von Kunstwerken von Zeitgenossen Kukkapuros und Künstlern verschiedener Couleur aus Finnland und Umgebung. Zu diesen Künstlerinnen und Künstlern gehören unter anderem: Jacob Dahlgren, Tarja Pitkänen-Walter, Vladimir Kopteff, Kristiina Nyrhinen und Osmo Valtonen. Damit verspricht die Ausstellung eine Präsentation von Kunstwerken, die nicht nur differenzierte Perspektiven auf die Motive und Motivationen von Kukkapuros Design ermöglichen, sondern auch dazu beitragen sollen, Yrjö Kukkapuro in der weiteren künstlerischen Praxis und den Positionen ab den 1950er Jahren zu verorten.

“Yrjö Kukkapuro – Magic Room” wird am Mittwoch, dem 1. März, im EMMA – Espoo Museum of Modern Art, Exhibition Centre WeeGee, Ahertajantie 5, Tapiola, Espoo, eröffnet und läuft bis Sonntag, den 28. Januar. Weitere Einzelheiten sind unter https://emmamuseum.fi zu finden.

Yrjö Kukkapuro - Magic Room. EMMA - Espoo Museum of Modern Art (photo © Paula Virta / EMMA – Espoo Museum of Modern Art, courtesy Espoo Museum of Modern Art)

„Yrjö Kukkapuro – Magic Room“ im EMMA – Espoo Museum of Modern Art (Foto © Paula Virta / EMMA – Espoo Museum of Modern Art, mit freundlicher Genehmigung des Espoo Museum of Modern Art)

„Gego:Measuring Infinity“ im Guggenheim Museum, New York City, New York, USA

Die 1912 in Hamburg geborene Gertrud Goldschmidt alias Gego studierte Architektur in Stuttgart, bevor sie unmittelbar nach ihrem Abschluss 1938 vor den Nazis fliehen musste und 1939 in Venezuela Zuflucht fand. Dort blieb sie für den Rest ihres Lebens und von dort aus entwickelte sie sich zu einer der interessantesten kreativen Forscherinnen im Zusammenhang mit Themen wie Raumvolumen, Raumsysteme und Raumbeziehungen. Diese kreative Forschung wird wohl am populärsten durch Gegos zahlreiche Stahldrahtkonstruktionen repräsentiert. Gegos Forschung verbindet Kunst, Architektur und Design in einem Diskurs und geht so neuen Denkansätzen nach.

Die Ausstellung verspricht eine Präsentation von rund 200 Objekten, darunter Skulpturen, Zeichnungen, Textilien und Fotos von Gegos Installationen aus den 1950er bis 1990er Jahren, die eine umfassende Einführung in das Leben, das Werk und das Vermächtnis von Gego ermöglichen soll. Einen besonderen Schwerpunkt legt die Ausstellung auf die Diskussion von Gegos Werk im Kontext lateinamerikanischer künstlerischer Bewegungen und Positionen der zweiten Hälfte des 20, Jahrhunderts. Dieser Zusammenhang wird allzu oft vernachlässigt und ermöglicht so eine alternative Lesart von Gegos Werk und eine alternative Einführung in die lateinamerikanische Kunst des 20.Jahrhunderts.

“Gego: Measuring Infinity” wird am Freitag, den 31. März, im Guggenheim Museum, 1071 Fifth Avenue, New York, NY 10128, eröffnet und läuft bis Sonntag, den 10. September. Weitere Einzelheiten sind unter www.guggenheim.org zu finden.

Gego installing Reticulárea, Museo de Bellas Artes de Caracas, 1969.( Photo: Juan Santana © Fundación Gego, courtesy Guggenheim Museum)

Gego bei der Installation von Reticulárea, Museo de Bellas Artes de Caracas, 1969 (Foto: Juan Santana © Fundación Gego, mit freundlicher Genehmigung des Guggenheim Museums)

„NK:s möbler“ im Sörmlands Museum, Nyköping, Schweden

Das Kaufhaus Nordiska Kompaniet, NK, wurde 1902 in Stockholm gegründet und zog 1915 in das Gebäude an der Hamngatan, direkt gegenüber dem Park Kungsträdgården. Von dort aus wurde es zu einer jener Einzelhandelsinstitutionen, die die Entwicklung Schwedens nicht nur begleitet, sondern auch geprägt haben. Dazu gehört die Entwicklung der schwedischen Inneneinrichtung und des schwedischen Mobiliars. Diesen Aspekt der gemeinsamen Geschichte des Kaufhauses NK und Schwedens möchte das Sörmlands Museum in Nyköping mit einer Ausstellung erforschen.

Nyköping ist dabei die Stadt in der sich ein Großteil der praktischen Umsetzung vollzog: 1904 eröffnete NK in Nyköping eine Möbelwerkstatt, die in den folgenden Jahrzehnten Möbel produzierte, die unter anderem von Carl Malmsten, Carl Bergsten oder Axel Einar Hjorth entworfen wurden. Diese Möbel spielten eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Möbeldesign und Inneneinrichtung in Schweden. In jenen Jahrzehnten des frühen 20.Jahrhunderts waren Kaufhäuser in Schweden und weltweit die Orte, an denen Menschen, vor allem Wohlhabendere, ihre Möbel und Heimtextilien kauften.

Und obwohl nach dem Krieg die Möbel- und Einrichtungsdiskurse in Schweden immer mehr von IKEA dominiert wurden, blieb NK relevant, nicht zuletzt durch die unzähligen Werke von Designern wie Bengt Ruda oder Kerstin Hörlin Holmquist. Mit der Plattform NK-BO, die ab 1947 von Lena Larsson geleitet wurde, trug NK nicht nur dazu bei, einer kommenden Generation schwedischer Nachkriegsdesigner Sichtbarkeit und Geltung zu verschaffen. Mit der Trivia-Kollektion von Larsson und Elias Svedberg trug NK-BO auch zur Einführung und Popularisierung von Flat-Pack-Möbeln in Schweden bei.

“NK:s möbler” verspricht eine Präsentation von etwa 150 Objekten, die in den Werkstätten von NK in Nyköping zwischen 1904 und ihrer Schließung im Jahr 1973 realisiert wurden. Die Ausstellung soll nicht nur eine hervorragende Einführung in NK:s möbler und zur Bedeutung von NK und NK-Möbeln bei der Entwicklung des Möbel- und Innendesigns in Schweden bieten, sondern auch eine alternative Perspektive auf die Geschichte des Möbel- und Innendesigns in Schweden ermöglichen. Außerdem gibt die Ausstellung einigen der vielen ansonsten anonymen Männer und Frauen, die in den Werkstätten von NK Nyköping gearbeitet haben und deren Fähigkeiten und Talente ebenso zur Geschichte des Möbeldesigns in Schweden beigetragen haben wie die der Designer und Architekten, ein Gesicht.

“NK:s möbler” wird am Samstag, den 11. März im Sörmlands Museum, Tolagsgatan 8, 611 31 Nyköping eröffnet und läuft bis Sonntag, den 10. März 2024. Weitere Einzelheiten sind unter www.sormlandsmuseum.se zu finden.

Staff of the NK upholstery workshop, Nyköping, finish chairs by Eero Saarinen for American Embassy in Stockholm, 1954 (Photo courtesy Sörmlands Museum)

Mitarbeiter der NK-Polsterwerkstatt in Nyköping bearbeiten Stühle von Eero Saarinen für die amerikanische Botschaft in Stockholm, 1954 (Foto mit freundlicher Genehmigung des Sörmlands Museum)

Garden Futures: Designing with Nature” im Vitra Design Museum, Weil am Rhein, Deutschland.

Am Anfang waren Landschaft, Natur, Obst- und Gemüsegärten, bevor der Mensch auf seine ganz eigene Art und Weise begann, diese zu industrialisieren und zu optimieren, oder Landschaft, Natur, Obst- und Gemüsegärten in ummauerten, eingezäunten, privaten Herrschaftsbereichen zu romantisieren. Allmählich entstand so der Garten, wie wir ihn heute kennen. Er wurde nicht nur zum Ort, sondern auch zum Begriff, zum Symbol und zum Diskurs.

Mit “Garden Futures: Designing with Nature” verspricht das Vitra Design Museum eine Erkundung des Gartens als Dokument vergangener Gesellschaften, als Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft, als Frage nach der zukünftigen Gesellschaft, als Ort der Kreativität, als Motivator, Stimulus und Medium. Neben Gartengestaltungen und Herangehensweise von so unterschiedlichen Gestalterinnen und Gestalten wie z.B. Barbara Stauffacher-Solomon, Alvar Aalto, Derek Jarman oder Luis Barragán, befasst sich die Ausstellung auch mit Gärten im Kontext von Themen wie z.B. Kolonialismus, Sozialreform und Klimawandel.

Die Ausstellung verspricht dabei zu verdeutlichen, dass ein Garten mehr ist als nur Pflanzen, Bäume, Kompost und eine immer länger werdende To-Do-Liste. 

Und auch wenn ein Anlass für die Ausstellung “Garden Futures” der kürzlich von Piet Oudolf angelegte Garten vor dem VitraHaus gewesen sein mag, der nun für eine zusätzliche Attraktion auf dem Vitra Campus sorgt, bietet besagter Oudolf-Garten mit Sicherheit einen passende und spannende Gelegenheit um über das Erlebte nach dem Besuch der Ausstellung nachzudenken.

Garden Futures: Designing with Nature” wird am Samstag, den 25. März, im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Str. 2, 79576 Weil am Rhein eröffnet und läuft bis Dienstag, den 3. Oktober. Weitere Informationen finden Sie unter www.design-museum.de.

Das Paradiesgärtlein, by an unknown Oberrheinischer Meister, ca. 1410-1420 (© Sammlung Städel Museum Frankfurt, courtesy Vitra Design Museum)

Das Paradiesgärtlein, von einem unbekannten oberrheinischen Meister, ca. 1410-1420 (© Sammlung Städel Museum Frankfurt, mit freundlicher Genehmigung des Vitra Design Museums)

 

1. Emily Dickinson, March is the Month of Expectation in Martha Dickinson Bianchi, „The Single Hound; Poems of a Lifetime“, Little, Brown, and Company, Boston, 1915                                                                                                    Da Dickinsons Werke erst nach ihrem Tod im Jahr 1886 veröffentlicht wurden, ist die genaue Datierung ihrer Werke nicht immer einfach, aber es muss irgendwann in der Mitte des 18. Jahrhunderts geschrieben worden sein

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