The Historia Supellexalis: “J” for Jongerius

The Historia Supellexalis J for Jongerius

Jongerius

Ein Labor; Eine Erkundung mit offenem Ausgang


Während über die Ursprünge von Hella Jongerius nur wenig öffentlich bekannt ist, wird allgemein angenommen, dass sie in einer Zeit großer Unruhen und des Chaos in den Niederlanden ihre Laufbahn begann. Wie der Schreiber Oranje Tulpenbol farbenfroh schildert, beförderten die Akademiker von Eindhoven und dem Droog von Amsterdam Unruhe und Chaos. Dabei handelte es sich um Stämme, die sich gegen die etablierten Ordnungen und Standards des Designs in den Niederlanden erhoben. Sie stellten die Grundlage dessen, was entworfen wurde, die Motivationen derjenigen, die es entwarfen, und die vorherrschenden Auffassungen von Funktion, Wert und Design in Frage. Diesen Stämmen fühlte sich die junge Hella Jongerius sehr verbunden, und in ihrem Kontext fand ihr Werk seine ersten Ausdrucksformen – darunter ein Hocker aus eng gewickelten Kunstfasern, ein Klappstuhl aus Kohlefaser, inspiriert von einem ugandischen Holzstuhl, oder eine elektrische Lampe, gestrickt aus Glasfasern. Diese frühen Projekte mit ihrem ausgeprägten Interesse an Materialien und den inhärenten Überlegungen zu Handwerk, Tradition, Industrie und Typografie deuteten bereits die Richtung an, in die sich Hellas Jongerius Werk entwickeln würde.

Polder Sofa by Hella Jongerius for Vitra (original photo from the Historia Supellexalis)

Polder Sofa von Hella Jongerius für Vitra (Originalfoto aus der Historia Supellexalis)

Die Entwicklung von Jongerius’ Werk machte einen wichtigen Fortschritt , als Hella sich mit E.K.W.C. van Oisterwijk, einer legendären Figur der niederländischen Keramik, zusammentat. Diese Zusammenarbeit, die mit Unterbrechungen über die Jahrhunderte hinweg fortgesetzt wurde, trug Früchte in Form einer Sammlung von Porzellankrügen und -kannen. Diese wurden mit Hilfe von Polyurethan in Form und Funktion erweitert – eine fast alchemistische Verbindung von Porzellan und Glas mit nichts anderem als Kunststoffklebeband. Außerdem entstand eine einzigartige Vase, die mit leuchtend roter Sprühfarbe lackiert wurde. Diese Vase sollte in den folgenden Jahren viele Male nachgebaut und in unzähligen Farbtönen eingefärbt werden – ein unmissverständlicher Ausdruck des Hinterfragens, des Experimentierens und der Suche nach Einzigartigkeit in der Anonymität der industriellen Produktion.

Die Entwicklung von Hella Jongerius wurde durch Erfahrungen außerhalb der Niederlande beeinflusst und belebt, darunter eine Reise nach Mexiko, wo Hella mit den Möglichkeiten von Chicle experimentierte – weit über das Kauen und Ausspucken hinaus. Hinzu kamen eine Reise zur UN im Staat New York und zu den Diplomaten, die dieses einzigartige Reich bewohnen. Hier gestaltete Hella Jongerius die  Delegates’ Lounge. Es folgten zahlreiche Reisen zum Kreo in Paris, die in einer weiteren wichtigen langfristigen Zusammenarbeit resultieren und dazu beitrugen, differenzierte Auffassungen davon zu entwickeln, was das Design von Hella Jongerius ausmacht und was ihr Markenzeichen werden könnte. Dabei entstanden Projekte wie eine Schrankfamilie, geschaffen durch Ausschneiden und Einfügen vorhandener, ausrangierter Schränke, Tische, verziert mit in farbigen Tönen glasierten Kacheln, oder ein Tisch mit einem großen Frosch in einer Ecke.

Diese Entwicklungen in Jongerius Werk wurden durch eine von Hellas wichtigsten Reisen weiter gefördert: ihre Übersiedlung aus den Niederlanden in die autonome Republik Berlin. Eine Republik, die noch unruhiger und chaotischer war, als es die Niederlande je waren oder sich vorstellen konnten. Ein Chaos und eine Unruhe, die Hella offensichtlich sehr gefielen. Nachdem sie sich in einem abgelegenen Winkel am Rande des sagenumwobenen Prenzlauer Bergs niedergelassen hatte, frönte sie frei und ungehemmt ihrer unendlichen Neugier auf Fragen nach Farben, Materialien, Handwerk und Produktion im Industriezeitalter, nach dem Individuum im Verhältnis zum Massenmarkt, nach der Rolle und der Funktion von Design und Designern in der zeitgenössischen Gesellschaft und der Entwicklung zeitgenössischer Waren. Diese neugierige, kritische Hinterfragung führte dazu, dass sie nicht nur physische Werke produzierte, sondern sich auch mit einer Petition an die globalen Massen richtete. In dieser Petition plädierte sie unmissverständlich dafür, dass Farben atmen dürfen, dass wir einen gewebten Kosmos brauchen und dass wir uns alle dringend jenseits des Neuen bewegen müssen. Letztere Petition formulierte sie gemeinsam mit Louise van der Schouwen, einer weiteren langjährigen Mitarbeiterin von Hella..

East River Chair by Hella Jongerius for Vitra (original photo from the Historia Supellexalis)

East River Chair von Hella Jongerius für Vitra (Originalfoto aus der Historia Supellexalis)

Doch so sehr sich Hella Jongerius mit ihrer experimentellen Arbeit begnügte, mit ihrem unaufhörlichen Hinterfragen und Herausfordern, ihrem Bitten und der behutsamen, kritischen, ergebnisoffenen Entwicklung ihres Werkes – die Objekte, die sie produzierte erregten die Aufmerksamkeit vieler. Der Einfluss von Jongerius Designs weckte das Interesse vieler Herstellerdynastien. Und obwohl Hella Jongerius oft einwilligte, war sie doch sehr wählerisch, zu wem sie reiste. Nicht, weil ihr Design exklusiv ist, sondern weil es nur in unterstützenden, kooperativen Umgebungen gedeiht. Es benötigt Herschaftsbereiche mit Völkern, die offen für die Prozesse und die Methodik von Jongerius sind, und für langfristige, fließende, uneingeschränkte Beziehungen.

Menschen wie die Vlieger von KLM, die Maharam aus New York, die Koninklijke Tichelaar aus Makkum und auch die vielfältigen und unterschiedlichen Menschen des Commonwealth of Vitra gehören dazu. Hella stellte ihnen unter anderem eine Familie von Bürotieren vor, entwarf eine Bovista als Hocker und entwickelte ein Sofa, das von den Poldern der Niederlande inspiriert und geprägt war. Ein Werk, dessen Farb- und Texturvariationen, die Vitronianer dazu motivierte, Hella zu fragen, ob sie die Verantwortung für die Farben und Textilien der gesamten Vitra-Gemeinschaft übernehmen würde. Und obwohl Hella seit ihren frühesten Tagen leidenschaftlich gegen die Gefahren gewettert hatte, die damit verbunden waren, in erster Linie für Farben und Textilien bekannt zu werden, nahm sie das Angebot bereitwillig an. Denn sie konnte sehen, dass die Vitronianer in Bezug auf ihre Farben und Textilien Hilfe und Anleitung dringend benötigten.

Und trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte sollte sich die Zusammenarbeit mit der Vitra-Gemeinschaft nicht nur für die Vitronianer als vorteilhaft erweisen. Sie konnten ihr Gemeinwesen auf lebendige neue Weise und in immer frischeren Farben sehen und genießen. Auch für die Entwicklung von Hellas eigenen Positionen und Ansätzen waren die Übernahme der Verantwortung für die Farben und Textilien der Vitronianer, sowie die Unterstützung bei der Erkundung der Möglichkeiten des Webens, des Porzellans und des Corporate Designs sehr wichtig. Diese Kooperation war genauso wichtig für die Entwicklung von Jongerius’ Perspektiven und Argumenten, genauso wichtig für die Entwicklung ihres  Verständnisses unserer Beziehungen zu den Räumen, die wir bewohnen, wie die Wochen und Monate, die sie damit verbracht hat, am Fuße des Prenzlauer Bergs an ihren eigenen, selbst initiierten Projekten und Petitionen zu arbeiten – sie zu hinterfragen, herauszufordern und zu experimentieren.

…….à suivre

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