smow Blog Designkalender: 24. Oktober 1969 – Ausstellungseröffnung Qu’est-ce que le design? im Musée des Arts Décoratifs Paris

Qu’est-ce que le design?

Was ist Design?

Die Frage ist so alt wie der Begriff selbst und gibt es darauf überhaupt eine Antwort? Auf der Suche danach fragte das Musée des Arts Décoratifs Paris Charles Eames, Verner Panton, Roger Tallon, Joe Colombo und Fritz Eichler.

Verner Panton @ Qu'est-ce que le design? Musée des Arts Décoratifs Paris (Foto Pierre Jahan © und mit freundlicher Genehmigung Musée des Arts Décoratifs Paris)

Verner Panton @ Qu’est-ce que le design? Musée des Arts Décoratifs Paris (Foto Pierre Jahan © und mit freundlicher Genehmigung Musée des Arts Décoratifs Paris)

Die Ausstellung „Qu’est-ce que le design?“ wurde anlässlich der Gründung des Centre de création industrielle, CCI, organisiert und öffnete ihre Tore am 24. Oktober 1969 für die Öffentlichkeit. Präsentiert wurden nicht nur fünf der führenden internationalen Designer der damaligen Zeit, sondern auch fünf Designer mit einem sehr unterschiedlichen Designverständnis. Charles Eames befürwortete die Interpretation des Funktionalismus der Nachkriegszeit in Amerika, der junge radikalere Italiener Joe Colombo trat für seine utopischen Visionen unserer Haushalte und des Designverständnis‘ und für Sprachwissenschaft und 3D-Prozesse ein. Roger Tallon war der große Meister des französischen Designs und vor allem des technischen Designs für die Industrie, während Fritz Eichler, der erste Creative Director bei Braun, stark mit technischem Design für Verbraucher und dem Begriff „Gute Form“ in Verbindung gebracht wird. Verner Panton steht für poppige Entwürfe, ganzheitliche Kompositionen und für die Rolle der Farben im Design.

Das CCI war als neue Institution innerhalb des seit langer Zeit bestehenden Vereins Union centrale des Arts décoratifs konzipiert worden und sollte Design fördern und den Unterschied zwischen dekorativer/angewandter Kunst und Design verdeutlichen. Die Eröffnungsausstellung war der erste Schritt in diese Richtung. Zu diesem Zweck zeigten alle fünf Designer Arbeiten aus ihrem Portfolio, durch die sie sich und ihr Designverständnis repräsentiert sahen. Teilweise wurden die Werke von einem kurzen Essay untermalt, so erklärte Fritz Eichler z.B. den Zusammenhang zwischen Braun und Design, während Joe Colombo seine Gedanken zum Thema „Eine andere Architektur für eine andere Lebensweise“ erläuterte und dabei bemerkte, „die Erforschung einer neuen Methodik der architektonischen Gestaltung kann nur einen Ausgangspunkt haben: eine ökologische Studie über den Menschen von heute und insbesondere über den Mikrokosmos, in dem er lebt“ – was er später in die Tat umsetzte.

Zusätzlich beantworteten alle fünf 26 von Kurator Henri Van Lier zusammengestellte Fragen. Genauer gesagt taten dies nur vier von fünf, denn Verner Panton wurde nur von seinem Essay repräsentiert. Wieso Panton die Fragen nicht beantwortete, ging im Nebel der Zeit verloren und stellt einen starken Verlust dar, denn ein Vergleich der Antworten der anderen vier hilft nicht nur dabei die Positionen und Ansätze der Einzelnen zu verstehen, sondern auch – mithilfe des Wissens über 50 dazwischenliegende Jahre Designgeschichte und -entwicklung – wie sich das Designverständnis und die Antwort auf die Frage „Qu’est-ce que le design?“ („Was ist Design?“) entwickelt haben, oder auch nicht.

Verner Pantons Stimme wäre in dieser Diskussion sowohl interessant als auch wichtig gewesen. Immerhin kennen wir die Meinungen von Joe Colombo, Roger Tallon, Fritz Eichler und Charles Eames.

Roger Tallon @ Qu'est-ce que le design? Musée des Arts Décoratifs Paris (Foto Pierre Jahan © und mit freundlicher Genehmigung Musée des Arts Décoratifs Paris)

Roger Tallon @ Qu’est-ce que le design? Musée des Arts Décoratifs Paris (Foto Pierre Jahan © und mit freundlicher Genehmigung Musée des Arts Décoratifs Paris)

Die Antworten jedes Einzelnen auf die 26 Fragen sind für sich schon interessant, doch besonders spannend ist ein Vergleich der Antworten auf die Fragen, die auch heute noch Relevanz haben. Dass eine Frage, die einem Designer 1969 gestellt wurde, im Jahr 2018 noch immer relevant ist, zeigt ganz offensichtlich, wie wenig wir uns seit der ersten Mondlandung weiterentwickelt haben.

Frage 19 thematisierte z.B. die gegenwärtige Überlegung „Ist Design vergänglich? Sollte es vergänglich oder permanent sein? Eine Frage, die zur damaligen Zeit passte. Zunächst existierte diese Frage nicht, Produkte sollten langlebig sein. Doch besonders in der Zwischen- und Nachkriegszeit kam mehr Bewegung in die Gesellschaft und es wurde nicht mehr erwartet, dass Objekte ewig hielten oder vererbt werden könnten. Stattdessen veralteten sie und wurden ersetzt, ein Wandel, der sich aufgrund neuer synthetischer Materialien vollzog, bevor diese temporären Beziehungen in den 1960er-Jahren langsam kritischer betrachtet wurden, wie es in der Ausstellung „Victor Papanek: The Politics of Design“ im Vitra Design Museum verdeutlicht wurde. Dies veranschaulichte „Qu’est-ce que le design?“.

Während Fritz Eichler ausdrücklich sagte, dass Design mit einer kurzen Lebensdauer nur schlecht sein könne, betrachtete Joe Colombo Überalterung als festen Bestandteil des Designs und war der Meinung, ein Designobjekt sei in praktischer Hinsicht von seiner Veralterung abhängig, die seinen Verschleiß, seinen Konsum und somit sein Design bestimmt. Ein Argument, das sich im Kreis dreht und nicht pro Veralterung ist, sondern eher produktspezifisch. Ähnlich differenzierte Roger Tallon zwischen Produkten, die zum Wegwerfen konzipiert werden und solchen, die langlebig sein sollen und akzeptiert Veralterung genau wie Colombo stillschweigend als dazu gehörendes und zulässiges Designkonzept. Was für Vieles auch heute noch gilt, wenngleich in neuem Erscheinungsbild. Charles Eames äußerte sich dazu in seiner ruhig-poetischen Art: „Manche Bedürfnisse sind vergänglich. Die meisten Produkte sind es. Die Bedürfnisse und Produkte, die von universeller Qualität sind, werden bestehen bleiben.“

Frage 14 lautete „Ist Design Teil einer Handelspolitik? Gutes Produkt = Markenauftritt. Gute Verpackung = besserer Absatz.“ Heute nutzen viele Unternehmen „Design“ als Marketing-Tool, um einen Marktvorteil zu erzielen oder sie stellen einen renommierten Designer für ein Projekt ein und gehen davon aus, dass der Name für Popularität und Sales sorgt. Die heutige Möbelindustrie ist dafür ein gutes/abscheuliches Beispiel, aber das ist und war auch 1969 nicht neu, auch nicht für die vier/fünf Befragten, die alle selbst kompetent in Sachen Marketing und Werbung waren. Alle waren sich einig, dass „Design“ eine wichtige Rolle im Marketing spielt, betonten aber den starken Unterschied zwischen dem kommerziellen Wert realen Designs und dem, was Marketing-Mitarbeiter als Design bezeichneten. „Es gibt keine gute oder schlechte Form, nicht einmal spekulative Formen, die mangelhafte technische und funktionale Qualität ersetzen und zu kommerziellem Erfolg führen können“, so Fritz Eichler, der somit unterstrich, dass man nicht immer bekommt, was man sieht. Ähnlich, wenn auch leidenschaftlicher, ging Joe Colombo auf Frage 12 „Ist Design Teil einer Industriepolitik?“ ein, indem er über die bewusste Verschmelzung eines Marketing-Images mit einem Designobjekt schimpfte, was in seinem Satz „Das schöne farbenfrohe Produkt, pseudo-kulturell und mit „Revival“-Eigenheiten geschmückt, dessen Form mehr oder weniger an die klaren Linien des Funktionalismus der Bauhaus-Ära und der rationalen Architektur erinnert, erfreut den Verbraucher, der durch die Medien und die Versachlichung des Designs bereits einer Gehirnwäsche unterzogen wurde.“

Charles Eames äußerte sich verhalten zu Frage 12: „Sicherlich: So wie jeder andere Aspekt, offensichtlich oder subtil, der die Qualität eines Produkts betrifft. Es scheint, als könnte alles Teil einer Politik werden.“

Frage 26 beantwortete Eames unmissverständlich.

Henri Van Lier: „Wie sieht die Zukunft des Designs aus?“

Charles Eames:

Joe Colombo und sein Universale Stuhl für Kartell

Joe Colombo und sein Universale Stuhl für Kartell

Neben ähnlichen Überlegungen zu Themen wie der Beziehung zwischen Form und Funktion, Beziehungen zu Ingenieuren oder ob Design ein kollektiver oder ein individueller Prozess ist, gibt es auch Fragen, die auf die Intention der Ausstellung abzielen, zwischen Design und anderen Kreativbereichen zu differenzieren. Frage 18 bezieht sich z.B. auf das Verhältnis zwischen Design und Mode und zum Glück sind sich alle einig, dass es sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Bereiche handelt, wenngleich der eine den anderen beeinflussen kann.

Passend dazu lautet Frage 20 „Wie definieren Sie sich im Vergleich zu einem Dekorateur? Einem Interior Designer? Einem Stylisten?“ Niemand tat dies. Alle waren felsenfest davon überzeugt nicht dazuzugehören. Am meisten vielleicht Roger Tallon, der sagte „Designer gehören keiner festen, homogenen Berufsgruppe an (obgleich einige unerbittlich eine schützende „Ordnung“ gegenüber anderen „Ordnungen“ förderten). Sie waren das Ergebnis beruflicher Veränderungen, die unweigerlich allen kreativen Aktivitäten zugute kamen und die durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft bedingt wurden. Der Dekorateur, der Architekt und der Zeichner sind die letzten Überlebenden der Renaissance, die dann durch das „offizielle Monopol“ des Systems der Bildenden Künste (Ausbildung und Abschlüsse – Produktion und Bestellungen) aufrechterhalten wurden und damit beauftragt waren, die Werte der dominanten Kultur zu bewahren.

Wir könnten und würden gern weitermachen, denn trotz oder vielleicht eher wegen ihres Alters lassen die Antworten in der Ausstellung „Qu’est-ce que le design?“ interessante Überlegungen zu zeitgenössischem Design zu und verdeutlichen, dass es nicht nur eine Antwort gibt.

Das Schöne, Erfreuliche und Relevante am Design ist, dass jeder sein eigenes Verständnis hat, weswegen wir überzeugt von Design als kultureller Disziplin sprechen können. Keine mit definierten Grenzen und Regeln, sondern eine Antwort auf gewisse Parameter in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort. Ein „guter“ Designer unterscheidet sich von einem „weniger guten“ Designer durch seine Designdefinition. Bessere Designer haben eine besser begründete, klare, wohlüberlegte und vertretbare Designdefinition und genau dadurch können sie Objekte kreieren, die man schätzen kann ohne sie zu mögen. Wer nur eine schwammige Designdefinition hat, kann auch nur schwammige Produkte entwerfen. Am gefährlichsten sind diejenigen, deren Ansichten nur aus Schlagworten, inhaltslosen Phrasen und Klischees bestehen. Daraus kann nur Uninteressantes hervorgehen.

Letztlich geht es um Ehrlichkeit, darum an die eigenen Überzeugungen zu glauben, um daraus etwas Konkretes zu kreieren. Das klingt wie der Beginn eines Gleichnis‘, lassen wir das lieber.

Die Fragen 2 bis 26 beziehen sich nur tiefergehend auf die Antwort, die Frage 1 impliziert: „Was ist Ihre Definition von Design?“

Charles Eames

Es ist eine Methode Komponenten so anzuordnen, dass die beste Lösung für ein Problem gefunden werden kann.

Joe Colombo

Design spielt eine wichtige Rolle, da es die Komponenten und den Rahmen für das menschliche Leben schafft. Architektur, Stadtplanung, Produktion, Kommunikationsmittel… Ich würde gern über „Industriedesign“ oder weltweite Produktion und Strukturen sprechen, die den Menschen unmittelbar umgeben, d.h. alles, was den Mikrokosmos ausmacht, in dem er lebt und sich bewegt. Es ist ein Problem für den Menschen – er lebt – im Raum – er bewegt sich – er benutzt Produkte, wandelt sie um und konsumiert sie. Der Mensch ist in diesem Fall die abgeleitete Identität der Gemeinschaft, die die Menschheit ausmacht. Die Analyse des Problems beginnt also damit, dass sich das Zentrum im Gegensatz zu dem, was normalerweise getan wird, nach außen bewegt und darin besteht, die Gemeinschaft zu verlassen, dem Urbanismus zu begegnen und den Menschen erst am Ende zu erreichen. Ich denke, wenn man zuerst kleine unmittelbare Probleme löst, wird es einfacher sein, sich immer größeren Problemen zu stellen. Design ist daher Realität, Leben, unverzichtbar. Industriedesign ist kein Stil, es ist funktional und rational. Es handelt sich um die vollständige Lösung eines Problems eines Produkts, das auf die objektivste Weise konzipiert wurde, unter Berücksichtigung der Verwendung, für die es bestimmt ist. Ein Designprodukt muss eine Bedeutung haben, die in zwei wesentliche Werte aufgeteilt ist: den Bezeichneten und den Bezeichner, von dem der erste abgeleitet und eine direkte Funktion des zweiten ist: Die Form wird ausschließlich aus dem Inhalt geboren.

Fritz Eichler

Design ist ein komplexes Ensemble, das sich nicht auf die Gestaltung einer ästhetischen Außenform beschränkt, sondern nur der sichtbare Ausdruck einer kollektiven Kreation ist. Design ist ein integraler Bestandteil unserer Entwicklung. Es ist an sich weder gut noch schlecht (obwohl es eigentlich mehr gutes als schlechtes Design gibt). Es ist unmöglich, ein einheitliches Urteil zu fällen, da man die vielfältigen Bedingungen und Ziele, die das Design bestimmen, berücksichtigen muss. So ist Design von Wandverkleidungen und Porzellan anders als das technischer und funktionaler Geräte wie Computer oder Werkzeugmaschinen. Es reicht nicht aus, Design nur nach formalen Aspekten zu beurteilen. Es ist notwendig, die Ziele und Bedingungen zu berücksichtigen, die die Form bestimmt haben. Je komplexer diese Bedingungen sind, desto positiver muss das Urteil ausfallen, denn der Designer, der mit Technikern zusammenarbeitet, muss eine formale, ästhetische, kohärente und natürliche (konforme) Gestaltung schaffen.

Roger Tallon

Die des ICSID* [*International Council of Societies of Industrial Design, die Definition aus dem Jahr 1969 ist hier nachzulesen: http://wdo.org/about/definition/industrial-design-definition-history/] mit folgender Anmerkung: Design ist nicht durch eine bestimmte kreative Tätigkeit gekennzeichnet, sondern durch das Verhalten des Designers bei der Ausübung dieser Tätigkeit – Design ist ein Verhalten, das die unbedachte, gefährliche oder inspirierte Lösung ablehnt – es ist „Recherche der Informationen und der Methode zur Behebung des Problems“.

Verner Panton [gekürzt aus seinem Essay]

Durch ein „künstlerisches“ Mysterium ist Design leider zu einem Schlagwort geworden, das von seiner wahren Bedeutung abgelenkt wurde. Zu viele Menschen sind der Meinung, dass ein Designer Alltagsgegenständen eine dekorative Note verleiht oder bekannte Formen verändert, bis sie neu und elegant werden. Die Arbeit des Designers ist mehr als das und viel wichtiger für die Gesellschaft. Drei wesentliche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit diese Arbeit geleistet werden kann und die Rolle des Designers in der modernen Gesellschaft belegt: Erstens muss der Designer alles koordinieren, was am Produktionsprozess beteiligt ist. Er muss mit den Produzenten ein gemeinsames Ziel festlegen und bereit sein, seinen Produktionsplan und seine Ergebnisse in ihr Arbeitssystem zu integrieren. (…) Der Designer muss diesen Prozess auch aus Sicht des Verbrauchers koordinieren. Er muss keine unsterblichen Kunstwerke schaffen, sondern Objekte, die von vielen Menschen unter bestimmten Umständen in vielfältiger Weise genutzt werden können. (…) Drittens muss der Designer diesen streng objektiven Grundlagen durch den Umgang mit Materialien und seine eigene Arbeit an Formen und Farben einen Impuls für die zeitgenössische Umwelt geben. Dieser Aspekt, der auch subjektiver ist, entspricht auch funktionalen Anforderungen. Es muss ein klarer und bewusster Zusammenhang zwischen den praktischen und ästhetischen Faktoren bestehen.

 

1. Und alle Zitate aus Joe C. Colombo, Charles Eames, Fritz Eichler, Verner Panton, Roger Tallon: Qu’est ce que le design?, Centre de Création Industrielle, Paris, 1969

2. International Council of Societies of Industrial Design, die Definition aus dem Jahr 1969 ist hier nachzulesen: http://wdo.org/about/definition/industriael-design-definition-history/

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