„Hans Gugelot: Die Architektur des Design“ im HfG-Archiv Ulm

Der deutsche Designer und Grafiker Otl Aicher sagte einmal: „Ein Theoretiker war Hans Gugelot nicht. Aber auch kein Praktiker. Ja, was ist man dann, wenn man weder Theoretiker noch Praktiker ist?“1

Ja, was…?

Die Ausstellung „Hans Gugelot: Die Architektur des Design“ im HfG-Archiv Ulm nähert sich einer Antwort auf diese Frage an.

Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

„Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

Johan (Hans) Gugelot wurde am 1. April 1920 als zweiter Sohn des niederländischen Ehepaars Pieter und Anna Margareta Gugelot in Makassar in Indonesien geboren. Dort verbrachte er  seine prägenden Jahre, bevor die Familie Mitte der 1920er Jahre in die Niederlande zurückkehrte. 1934 wurde Pieter Gugelot zum Oberartzt am Niederländischen Sanatorium in Davos (Schweiz) ernannt. Diese Ernennung und der Umzug erfolgten zu einem ausgesprochen günstigen Zeitpunkt, da die Gugelots so nicht nur den Schrecken des Krieges und der Besetzung Hollands durch die Nazis entkommen konnten, sondern auch, weil Hans Gugelot die Möglichkeit hatte seine Ausbildung abzuschließen: Nachdem er 1940 die Sekundarschule erfolgreich abgeschlossen hatte, studierte er zunächst an der École d’ingénieurs der Universität Lausanne, bevor er (wohl eher wegen unzureichender Französischkenntnisse als aufgrund mangelnden Interesses an Ingenieurwissenschaften) an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich wechselte, wo er Architektur studierte und 1945 seinen Abschluss machte.

Nach Kriegsende, mit dem Diplom in der Tasche, verbrachte Hans Gugelot einen Großteil der folgenden zwei Jahre auf Reisen, vorwiegend in Italien. Er arbeitete sowohl in Architekturbüros als auch als Gitarrist in verschiedenen Jazzbands. Musik, vor allem Jazz, waren eine große Leidenschaft Gugelots, die ihm auch mehr oder weniger zu einer Anstellung bei dem Architekten und Designer Max Bill verhalf. So erinnerte sich Max Bill später, dass er einen neuen Mitarbeiter suchte, und zwar einen Architekten „der ein bisschen unkonventionell denkt und sich für andere Dinge ebenfalls interessiert“2. Jemand schlug einen sympathischen jungen niederländischen Architekten vor, der, weil er keine Architekturaufträge finden konnte, die ihn interessierten, seinen Lebensunterhalt als Jazzgitarrist verdiente und plante, dies auch weiterhin zu tun. Max Bill lud Hans Gugelot zu einem Interview ein und Gugelot verbrachte die nächsten zwei Jahre als Freelancer in Bills Zürcher Büro, wo er neben Architekturprojekten auch „andere Dinge“, vor allem Möbelentwürfe, entwickelte, bevor er 1950 sein eigenes Studio gründete.

1950 war es Max Bill, der Hans Gugelot vom Jazz weg und zurück zur Architektur und zum Design brachte. Zumindest in beruflicher Hinsicht, auf privater Ebene blieb die Musik ein wichtiger Punkt. Max Bill war es auch, der Gugelot bei seinem nächsten Karriereschritt half. Im Jahr 1949 war Bill zusammen mit Inge Scholl und Otl Aicher eine treibende Kraft bei der Gründung der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG). Ein Institut, das viele Ideen der FunktionalistInnen der Zwischenkriegszeit aufgriff und zu dessen Lehrkörper bei der Eröffnung im August 1953 ehemalige BauhäuslerInnen wie Josef Albers, Johannes Itten und Helene Nonné-Schmidt gehörten. Damit handelte es sich um ein Institut, das zwar keineswegs eine Kopie des Bauhaus‘ war, aber doch als dessen offizieller inoffizieller Nachfolger gelten konnte. Und an diesem Institut wurde Hans Gugelot auf Vorschlag von Max Bill im Jahr 1954 als Dozent für Produktform und Bauen sowie als Leiter des Möbelbaus eingesetzt. Gugelot übernahm zudem auch die Verantwortung für das Mobiliar und die Innenausstattung der neuen Schul- und Unterkunftsgebäude. In diesem Kontext entwickelte er 1954 gemeinsam mit Max Bill und Paul Hildinger, dem damaligen Leiter der Tischlereiwerkstatt der HfG Ulm, den späteren Ulmer Hocker.

1954 fand auch das erste Treffen zwischen VertreterInnen der HfG Ulm und Erwin Braun statt, der 1951 zusammen mit seinem Bruder Artur den Familienbetrieb der Radio- und Plattenspielerproduktion geerbt hatte und sowohl die Strukturen als auch das Produktportfolio des Unternehmens modernisieren wollte. Dieses Treffen markierte so den Beginn der Zusammenarbeit der HfG Ulm mit der Firma Braun, eine Zusammenarbeit, die entscheidend zur heutigen Popularität der HfG Ulm und in vielerlei Hinsicht der Popularität von Hans Gugelot beigetragen hat.

Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

„Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

1957 verließ Max Bill die HfG Ulm und Tomás Maldonado wurde zur dominierenden Stimme in der Institution. Er trug maßgeblich dazu bei die Bauhausverbindungen des Instituts zu lösen und die Strukturen neu zu ordnen, u. a. sollte die Lehre nicht länger in Zusammenhang mit externen Kooperationen stattfinden. Im Kontext dieser Veränderungen übernahm Hans Gugelot die Leitung der sogenannten Entwicklungsgruppe 2, in deren Kontext er und sein Team, das sich zum großen Teil aus HfG-AbsolventInnen zusammensetzte, Produkte für Braun und für so unterschiedliche Firmen wie Pfaff Nähmaschinen, Sonor Percussion und die Hamburger Hochbahn entwickelten. Für die Hochbahn entwickelten Gugelot, Herbert Lindinger und Helmut Müller-Kühn in Zusammenarbeit mit Otl Aicher und Peter Croy, die die visuelle Kommunikation übernahmen, die sogenannte DT2-Baureihe. Das Modell wurde 1962 eingeführt und prägte in den folgenden drei Jahrzehnten das Bild des Hamburger S-Bahn-Netzes.

1961 war Hans Gugelot an der Gründung des Design-Instituts in Ahmedabad in Indien beteiligt. Ein Projekt, das weitgehend auf dem Indien-Bericht von Charles und Ray Eames aus dem Jahr 1958 basierte, und eine Schule, die sich mit ihrem pädagogischen Konzept an dem des Bauhauses und der HfG Ulm orientierte. Im Jahr 1962 wurde Gugelots Entwicklungsgruppe 2 zum sogenannten Institut für Produktionsentwicklung und Design e.V. umgestaltet und zog über die Donau von Ulm nach Neu-Ulm. Ein Umzug, der aufgrund der räumlichen Gegebenheiten an der HfG Ulm notwendig war, aber auch mit den sich verschlechternden Beziehungen zwischen Gugelot und der HfG Ulm zusammenhing. Nach dem Umzug entwickelte Gugelot mit seinem Institut so unterschiedliche Produkte wie u. a. eine Radialbohrmaschine für Girard, einen Liegestuhl für Alfred Kill und einen stapelbaren Kunststoffbierkasten für Alexander Schoeller & Co. Am 10. September 1965 starb Hans Gugelot an den Folgen eines Herzinfarktes im Alter von nur 45 Jahren.

In den 20 Jahren nach seinem Abschluss bis zu seinem frühen Tod trug Hans Gugelot, wie die Ausstellung deutlich macht, grundlegend zum Designverständnis bei.

M 125 by Hans Gugelot in various stages of development, as seen at Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

M 125 von Hans Gugelot in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, gesehen bei „Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

Nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet beginnt die Ausstellung „Die Architektur des Design“, indem sie sowohl die Biografie Hans Gugelots als auch das Design elektrischer Gebrauchsgüter der 1950er Jahre, jener Bereich der im Werk Gugelots eine entscheidende Rolle spielt, in Szene setzt. Im Anschluss geht die Ausstellung auf jenen Bereich des Produktdesigns über, in dem Hans Gugelot seine Karriere begann und der in vielerlei Hinsicht die spätere Entwicklung prägte: das Möbeldesign.

Zu Hans Gugelots ersten Möbelentwürfen aus den späten 1940er Jahren gehörten ein Stuhl für Horgenglarus, der (weitgehend) verschwunden zu sein scheint, und der sogenannte 1363 Sessel. Eine Arbeit mit mechanikfreier Liegefunktion, bei der sich der Sitz entlang der und über die gewölbte Armlehne bewegt und so diverse Sitz-/Liegepositionen ermöglicht. Formal könnte man den 1363 Sessel als postmoderne Aalto/Prouvé-Fusion bezeichnen, was eine Beobachtung und keine Kritik ist. 1948 wurde der Sessel von Wohnbedarf übernommen. Dabei handelte es sich um ein 1931 in Zürich und in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Werkbund gegründetes Unternehmen, das als Plattform für den Vertrieb und die Verbreitung zeitgenössischer Möbel und Gestaltungsauffassungen fundieren sollte. Das anfängliche Portfolio umfasste Werke von u. a. Alvar Aalto, Werner Max Moser und Marcel Breuer, wobei letzterer mitverantwortlich für die Innenausstattung der Wohnbedarf-Läden in Zürich und Basel war.

Wohnbedarf produzierte jedoch nicht nur den Sessel 1363, sondern ermutigte und unterstützte  Hans Gugelot bei der Entwicklung eines seiner Schlüsselwerke: dem M 125.

Nachdem Hans Gugelot in den späten 1940er Jahren mit standardisierten, variablen Bausystemen experimentiert hatte, ging er zu standardisierten, variablen Möbelsystemen über. Er schloss damit an Überlegungen an, die sowohl architektonisch als auch „möbeltechnisch“ auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurückgingen. Überlegungen, die Hans Gugelot zu einem Möbelsystem, oder genauer gesagt zu einem Konstruktionssystem, führten, mit dessen Hilfe sich unzählige Aufbewahrungs- und Regalobjekte frei realisieren ließen. Bei diesem  Konstruktionssystem war das Verbindungsprinzip ebenso entscheidend wie die daraus resultierenden Formvariationen. Es kann wohl als erstes frei variables/definierbares modulares Möbelsystem verstanden werden.

Zwar hatten andere auch vor Gugelot vorgefertigte Module entwickelt, die sich frei anordnen ließen, Hans Gugelot lieferte mit dem M 125 jedoch die Grundbausteine – Platten, Winkel, Stäbe – und lud die NutzerInnen ein, tatsächlich das zu entwerfen und zu konstruieren, was sie brauchten, und sein Möbel neu zu gestalten, zu rekonstruieren, wenn sich ihre Bedürfnisse und Anforderungen änderten. All das entwickelte Gugelot ein Jahrzehnt vor Rudolf Horns MDW-System für die Deutschen Werkstätten Hellerau und vor Fritz Hallers Möbelbausystem USM Haller und eine Ewigkeit, bevor Billy im schwedischen Älmhult auf den Plan trat.

Das ursprünglich 1953 von Wohnbedarf ins Leben gerufene System entwickelte Hans Gugelot nach seiner Ankunft in Ulm zusammen mit seinen SchülerInnen weiter. Allen voran in Zusammenarbeit mit Helmut Müller-Kühn, der die Metallstäbe, die den Kern des Systems bilden, in die Seitenwände integrierte, und der auch den „Schlüssel“ entwickelte, der den Auf- und Abbau erleichterte. Im Jahr 1956 wurde die Produktion des weiterentwickelten Systems vom Stuttgarter Hersteller Bofinger übernommen und ein Jahr später wurde M 125 in seiner aktualisierten Form in den von Walter Gropius und Pierre Vago für die Internationale Bauausstellung Interbau entworfenen Wohnungen in West-Berlin wieder eingeführt. Das System wurde bis Ende der 1980er Jahre weitgehend unverändert, wenn auch von ständig wechselnden Herstellern weiter produziert. Trotz seines Anspruchs auf Unsterblichkeit war M 125 kein durchschlagender kommerzieller Erfolg. Obwohl es sich um Möbel handelte, die man selbst konfigurieren und zusammenbauen konnte. Für viele war das in den 1950er Jahren wohl einfach ein zu neues Konzept. Bis die VerbraucherInnen begannen, solche Konzepte zu verstehen und zu akzeptieren, konnte man bereits zwischen verschiedenen Systemen wählen. Und viele davon waren praktischer als das etwas aufwändige, zeitraubende, wenn auch logische und intuitive Konstruktions-/Umbausystem des M 125.

A single bed that converts to a double for Wohnberaf and a slatted bed base for Dunlopillo both by Hans Gugelot, as seen at Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

Ein Einzelbett, das sich in ein Doppelbett verwandeln kann für Wohnberaf und ein Lattenrost für Dunlopillo, beide von Hans Gugelot, gesehen bei „Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

Das M 125 Möbelsystem stand nicht nur am Anfang der Entwicklung modularer Möbelsysteme, sondern auch am Anfang von Hans Gugelots Überlegungen und Experimenten zu Konstruktionssystemen im Möbeldesign. Gugelot verstand Möbel als Konstruktionssystem und nicht als Objekt, ein Verständnis, das für uns im Zusammenhang mit Hans Gugelots Auffassung, dass der Schrank „gar kein Möbel“, sondern durch „seinen immobilien Charakter eher ein Baubestandteil“ ist, deutlich wird. Die Rolle und Funktion eines Schranks wird durch den einzelnen Nutzer oder die Nutzerin definiert und ist „von Verbraucher zu Verbraucher verschieden“, „daher ist es unlogisch, wenn zwei Verbraucher mit verschiedenen Ansprüchen den gleichen Schrank besitzen wollen“.3 Oder, wie Rudolf Horn es formulierte, sollte man „den Nutzer als Finalist platzieren“.4   

Die Position wird in „Die Architektur des Design“ nicht nur durch das M 125, sondern durch eine Vielzahl von Projekten erforscht und anschaulich gemacht. Dazu gehört auch ein im Jahr 1954 von dem niedersächsischen Hersteller Albin Grünzig aus Eystrup herausgebrachtes Kindermöbelsystem, das auf Kuben, Halbkuben und Horizontalen mit bauhaustypischen gelben, blauen und roten Details basiert und frei angeordnet sowie neu arrangiert werden kann. Oder, wie der Verkaufskatalog vermerkt: „Das kleine wie auch das große Kind [kann] seinen eigenen Tisch, seine Hocker, sein Puppenhaus, ein Regal, einen Kaufladen, ein Kasperltheater, alle Möbel seiner Umgebung in der entsprechenden Höhe und in dem für sein Alter geeigneten Ausmaß selbst kombinieren.“ Es handelte sich damit um ein System, das nicht nur mit dem Kind wachsen und sich weiterentwickeln konnte, sondern auch um ein System, dessen freie Variabilität wie beim M 125 Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit garantiert, da dieses ein gut durchdachtes Baukastensystem auszeichnet. Hans Gugelots Denken in Bezug auf modulare Systeme wird so sehr schön anschaulich und genau dieses Systemdenken spiegelt sich auch in jenen Radios, Plattenspielern und Tonbandgeräten für Braun wider, mit denen die HfG Ulm und Hans Gugelot am meisten assoziiert werden.

Kindermöbel system by Hans Gugelot for Albin Grünzig, as seen at Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

Kindermöbelsystem von Hans Gugelot für Albin Grünzig, „Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

Obwohl Hans Gugelots bekannteste Kreation für Braun ohne Frage das Radio bzw. der Plattenspieler SK4 ist, der, wie die Ausstellung deutlich macht, in Zusammenarbeit mit Dieter Rams realisiert wurde, sollte der SK4 nur als eine Etappe in der Entwicklung von Hans Gugelots Design audiovisueller Technologie betrachtet werden.

Diese Entwicklung begann mit Erwin Brauns erstem Besuch in Ulm im Dezember 1954 und manifestierte sich erstmals 1955 auf der Großen Deutschen Rundfunk-, Fernseh- und Phono-Messe in Düsseldorf mit der Einführung und ersten öffentlichen Präsentation einer neuen Braun-Produktreihe, darunter das Radio G-11 Super, der Plattenspieler G-12 und der Fernseher FS-G. Dabei handelte es sich um Objekte, die sich zwar auf die bestehende Braun-Technik5 stützten, die Gugelot und seine SchülerInnen aber in sehr neue, reduzierte Holzgehäuse integrierten, die insbesondere aus Ahorn gefertigt wurden und damit aus einem wesentlich leichteren Holz bestanden als in den 1950er Jahren üblich. Diese neuen Gehäuse kamen nicht nur ohne jede Verzierung oder Verschönerung aus, sie waren darüber hinaus nach standardisierten, formal einheitlichen Vorgaben gestaltet und konnte somit frei neben- und/oder übereinander eingesetzt werden. Damit handelte es sich in vielerlei Hinsicht um das erste modulare Stereo-/Home-Entertainment-System, ganz ähnlich wie beim Möbelsystem M 125, das erst so unvorstellbar und undenkbar schien und dann so logisch und offensichtlich war.

Nachdem ihnen das so Offensichtliche gelungen war, begannen Gugelot und seine SchülerInnen sowohl die Technik als auch das visuelle Erscheinungsbild genauer zu erforschen. Das führte vor allem dazu, dass man sich von dem verabschiedete, was Gugelot abschätzig „Tonmöbel“ nannte. Gemeint waren damit Stereo- und Home-Entertainment-Geräte, die in Möbelstücken aufgestellt bzw. als solche getarnt wurden. Stattdessen wollten Gugelot und sein Team Objekte schaffen, die selbstbewusst als das, was sie waren, im Raum stehen konnten. Den Anfang machte die Anlage SK4, ein Objekt, das durch die Kombination von Metall und Holz sowohl Unabhängigkeit als auch Aktualität ausstrahlte, was durch das reduzierte, lineare Zifferblatt des Radios deutlich unterstrichen wurde. Die sorgfältige Gestaltung der Vorder- und Rückseite sorgte zudem dafür, dass das SK4 frei im Raum platziert und aus allen Blickwinkeln betrachtet werden konnte.

Dieses Konzept entwickelten Gugelot und Herbert Lindinger mit dem einprägsam betitelten Radio-Phono-Tonband-Baukastensystem weiter. Ein, wie der Name schon sagt, modulares Radio-, Phonographen- und Tonbandsystem, das die Verdichtung der Objekte, ihre formale Reduktion und ihre Modularität auf die Spitze trieb, unter anderem durch die Option der Wandmontage. Dieses Projekt ist offiziell Lindingers Diplomarbeit, muss jedoch als gemeinsames Projekt verstanden werden. Lindinger bemerkte dazu: „Meinen persönlichen Anteil an dieser Arbeit abzugrenzen ist fast unmöglich.“6 Fertiggestellt wurde das Baukastensystem 1959, Braun veröffentlichte es jedoch erst 1962 als sogenanntes Studio 2. Dabei handelte es sich um eine Modifikation von Gugelots und Lindigers Projekt, die durch Brauns internes Designteam unter Dieter Rams entwickelt wurde. Offiziell fehlt die Anerkennung von Gugelot/Lindigers Projekt oft, wenn von Studio 2 die Rede ist. Aber das ist eine andere Geschichte…

Diese Verbindung mit der audiovisuellen Technologie bringt einem in der Ausstellung „Architektur des Design“ nicht nur das Systemdenken näher, das einen Großteil von Hans Gugelots Designverständnis ausmachte, sondern macht auch deutlich, welchen entscheidenden Anteil Hans Gugelot an der Normalisierung eben dieses Systemdenkens im Produkt- und Industriedesign hatte.

Radio-Phono-Audiotape Modular System by Herbert Lindinger and Hans Gugelot, as seen at Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

Radio-Phono-Audiotape, modulares System von Herbert Lindinger und Hans Gugelot, gesehen bei „Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

Über die Erforschung des Systemdenkens hinaus, das für Hans Gugelots Werk von so zentraler Bedeutung ist, ermöglicht „Die Architektur des Design“ auch Reflexionen und Überlegungen zu Hans Gugelots Karriere als Pädagoge, einer Karriere, die an der HfG Ulm begann und die er bis zu seinem Tod fortsetzte. 1965 hatte er noch als Gastdozent in Ahmedabad gearbeitet. Diese Laufbahn als Pädagoge ist ein ebenso wichtiger Bestandteil seiner Biografie wie seine Arbeit als Designer. Auch, wenn er seine Lehrtätigkeit wohl nie in gleichem Maße gemeistert hat wie seine Arbeit als Designer. Das zumindest vermerkt der Ausstellungskatalog mit mehreren Kommentaren ehemaliger Schülerinnen und Schüler zu Gugelots (mangelnder) pädagogischer Begabung, die Helmut Müller-Kühn mit „Das war kein Unterricht …“ für uns am anschaulichsten zusammengefasst hat. „Wenn mir Gugelot nicht so sympathisch gewesen wäre, dann wäre ich wieder gegangen“. Zum Glück war er „sympathisch“.7 Und zum Glück mochte er Gugelot so sehr. Denn Helmut Müller-Kühn war in den späten 1950er Jahren einer der wichtigsten Mitarbeitenden Hans Gugelots. Zum Glück blieben auch viele andere und trugen durch ihre Zusammenarbeit mit Hans Gugelot sowohl zur Gestaltung der Geschichte als auch zum Werk von Hans Gugelot bei.

Ein Œuvre, das in „Die Architektur des Design“ durch eine Vielzahl von Projekten vertreten ist, darunter, neben vielen anderen, Gugelots Rasiermesser Sixtant 1 von 1961, eines der prägenden Produkte von Braun. Außerdem der Stuhl GS 1076 für Bofinger, der nicht nur ein sehr schön reduziertes, rationalisiertes Konstruktionssystem aufweist, sondern auch eine sehr gefällige, drehbare Rückenlehne. Hinzu kommt ein Bett, das zeigt, dass zu Hans Gugelots Beitrag zur Einrichtung der HfG Ulm mehr als ein Hocker gehörte.

Gugelots Werk und Biografie machen deutlich, welchen Beitrag er zur Entwicklung des Designs und des Industriedesigns und seiner anhaltenden Relevanz geleistet hat. Es drängt sich die  offensichtliche Frage auf, was wäre, wäre Hans Gugelot nicht so jung und zudem kurz vor 1968 gestorben? Wie hätte Hans Gugelot nachgedacht und sich entwickelt? Wo würde sich das Design in Deutschland heute befinden?

Aber das sind Fragen für einen anderen Tag.

Works by Hans Gugelot (and team) for Braun, and at far end the studio 2 by Dieter Rams for Braun, as seen at Hans Gugelot. The Architecture of Design, HfG-Archiv Ulm

Arbeiten von Hans Gugelot (und Team) für Braun und an der hinteren Wand Studio 2 von Dieter Rams für Braun, gesehen bei „Hans Gugelot. Die Architektur des Design“, HfG-Archiv Ulm

 

Die kleine aber vielfältige und detaillierte Ausstellung bietet eine leicht verständliche und logisch strukturierte Einführung zum Leben und Werk von Hans Gugelot. Diese Einführung wird größtenteils durch Gegenstände, aber auch durch unzählige Dokumente, Texte, Fotos etc. veranschaulicht. Die Ausstellung untersucht sehr prägnant, was, wie und warum Hans Gugelot erreichte, was er erreichte und wie er dabei das Design als Praxis und Beruf weiterentwickelte. Es wird deutlich, wie Gugelot zur Entwicklung des formalen Ausdrucks, der Form-Funktions-Beziehung, der Gebrauchstauglichkeit beitrug und ein Wertverständnis für Objekte prägte, das über ökonomische Aspekte hinausgeht.

„Hans Gugelot. Die Architektur des Design“ läuft noch bis Sonntag, den 29. November im HfG-Archiv Ulm, Am Hochsträß 8, 89081 Ulm. Alle Details finden Sie hier: https://hfg-archiv.museumulm.de/hans-gugelot.

Wenn Sie einen Besuch planen, machen Sie sich bitte vorher mit den aktuellen Regeln und Systemen für Ticketing, Eintritt, Sicherheit, Hygiene, Garderobe etc. vertraut. Und bleiben Sie während Ihres Besuchs bitte sicher, verantwortungsbewusst und vor allem neugierig.

 

 

1.Otl Aicher, Hans Gugelot in Hans Wichmann, System-Design, Bahnbrecher: Hans Gugelot 1920-1965, Birkhäuser Verlag, Basel, 1987, page 23

2. Max Bill, interview with Sigrid von Schweinitz, 17.08.1979, quoted in Christiane Wachsmann, Die Moderne ist kein Stil (aber sie kann ihn haben) Hans Gugelot: Leben und Arbeit, in HfG-Archiv/Museum Ulm & Christiane Wachsmann [Eds.] Hans Gugelot. Die Architektur des Design, aveedition, Stuttgart, 2020, page 21

3. Hans Gugelot, Beschreibung und Analyse des Baukastensystems M 125, in Werner Blaser, Element-System-Möbel. Wege von der Architektur zum Design, Deutshe Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1984

4.Rudolf Horn, Der Nutzer als Finalist, Form+Zweck 13. Jahrgang No.6 1981 Accessible via https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/131342/45/0/ (accessed 10.07.2020)

5. As far as we understand the TV technology was from Telefunken……

6. Herbert Lindinger, Ein Baukastensystem für Apparate der akustischen und visuellen Informationsspeicherung und -übermittlung im Wohnbereich, Diploma Project, HfG Ulm, quoted in Hans Wichmann, System-Design, Bahnbrecher: Hans Gugelot 1920-1965, Birkhäuser Verlag, Basel, 1987, page 94

7. Quoted in Eva von Seckendorff, „design ist gar nicht lehrbar….“ Hans Gugelots Entwicklung als Lehrer, in HfG-Archiv/Museum Ulm & Christiane Wachsmann [Eds.] Hans Gugelot. Die Architektur des Design, aveedition, Stuttgart, 2020, page 85

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