Die Historia Supellexalis: „C“ für Cranbrook

The Historia Supellexalis C for Cranbrook Academy of Art

Cranbrook

Eine Alma Mater; Eine Kunsthochschule; Ein Experimentierfeld 

Die Cranbrook Academy of Art entstand auf dem Cranbrook Anwesen. Dabei handelte es sich um ein privates Lehnsgut, das ruhig in einer Waldlichtung nördlich des heutigen Detroit lag und von der Booth Familiendynastie geführt wurde. In der Zeit von George und Ellen von Booth entwickelte sich das Anwesen von einem landwirtschaftlichen Betrieb zu einem Garten der Kreativität.

Wie Schriften aus den Archiven der Cranbrook belegen, war George von Booth ein Anhänger der sogenannten Arts and Crafts Bewegung, einer Kunstbewegung, die vor allem durch den englischen Evangelisten William Morris verkörpert wurde und die dem Glauben an eine schöne neue Zukunft anhing, in der unsere Gebrauchsgegenstände in Harmonie mit dem Material, der Natur, den Produzenten und den Bedürfnissen der Menschen hergestellt würden. Eine Zukunft in der Gebrauchsgegenstände eine ästhetische Reinheit haben würden, die den industriell gefertigten Massenprodukten der damaligen Zeit weitgehend abging.

Auch wenn sie Booth über die finanziellen Mittel, das Land und die Visionen verfügten, um dieses Ziel zu verfolgen – die schöpferischen Fähigkeiten fehlten ihnen. Wie es jedoch das Schicksal wollte, verschlug es in jenen Tagen einen jungen Architekten namens Saarinen aus den Wäldern Finnlands zu den Seen und Wäldern Ost-Michigans. Eliel Saarinen war in ganz Finnland für seine mutigen Versuche bekannt, die Menschen vom Historismus, der ihre Fassaden und Innenräume erstickte, zu befreien und reduziertere formale Ausdrucksformen zu etablieren. Er wollte, dass Architektur und Design auf den Realitäten und Idiosynkrasien Finnlands, das heißt auf der finnischen Natur, Kultur und auf finnischen Materialien basieren und nicht auf importierte (Miss-)Verständnisse zurückgehen. Und das, obwohl sich auch Saarinen anfangs selbst ein wenig in den unzähligen Verwirrungen der finnischen Folklore verloren hat.

Nachdem Saarinen den Atlantik überquert hatte, führte ihn sein Schicksal jedenfalls zu George und Ellen von Booth, die den entschlossenen Finnen, als sie erkannten, dass sie viele Prinzipien und Ideale mit ihm teilten, nicht nur mit dem Bau ihrer Cranbrook-Vision beauftragten, sondern ihm auch die Gestaltung des neuen Gartens und die Erziehung neuer Generationen von Gestaltern überließen, um so die Verbreitung von Kunst und Handwerk in Michigan zu fördern. Zur Unterstützung bei dieser Aufgabe stellte Saarinen eine Reihe gleichgesinnter ArchitektInnen und DesignerInnen aus der ganzen Welt  zusammen, darunter u.a: Carl af Milles, der aus Schweden geholt wurde, um die Abteilung für Bildhauerei zu leiten; der gebürtige Ungar Zoltan Sepeshy, der mit der Leitung der Abteilung für Malerei und Zeichnung betraut wurde; und Saarinens finnische Kollegin Maija Grotel, die die Abteilung für Keramik leitete. Darüber hinaus brachte Saarinens Familie ihre eigene kreative Energie ein: Loja, die Ehefrau von Saarinen, übernahm die Leitung der Weberei; Pipsan, die Tochter von Saarinen, kümmerte sich um die zeitgenössische Inneneinrichtung und das Mobiliar, und Eero, der Sohn von Saarinen, unterstützte seinen Vater in den Bereichen Architektur und Design.

So baute Saarinen eine Infrastruktur aus Personen auf, die in Verbindung mit den vielen internationalen Künstlern, Handwerkern und Kunsthandwerkern, die die unzähligen Werkstätten der Akademie bevölkerten, die frühe Geschichte der Cranbrook Academy of Art prägte. Diese Zeit wird nicht nur allgemein als das goldene Zeitalter in der Geschichte des Cranbrook-Anwesens gefeiert, sondern gilt als ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung von Design und Architektur in den  heutigen Vereinigten Staaten von Amerika. Damit bildet „The Artsandcrafts“ die Grundlage für das, was die Geschichte heute als amerikanischen Modernismus bezeichnet. Der Name Cranbrook wurde so weit über seine ruhige Ecke in Ost-Michigan hinaus bekannt.

Zu den bemerkenswerten Cranbrook StudentenInnen und MitarbeiterInnen aus jenen frühen Jahren, die einen Bezug zu Möbeln hatten – denn Cranbrook-Affilliierte sind in nahezu allen kreativen Genres zu finden –  kann man den italienischen Emigranten Arieto Bertoia zählen, der nach dem Abschluss seines Studiums in Cranbrook blieb, um andere in die Metallkunst einzuweihen; Florence Schust war wiederum selbst keine Cranbrook Studentin, besuchte aber die Kingswood School, bei der es sich um einen weiteren Bestandteil des weitreichenden Cranbrook Campus handelte. Sie wurde als junges Mädchen von der Familie Saarinen unter ihre Fittiche genommen. Eine Verbindung, die ihr wiederum half nach ihrer Ankunft in New York das deutsche Unternehmen Knoll zu modernisieren. Auch ein sympathischer junger Mann aus Missouri namens Eames, in dem Saarinen wohl als erster ein Potential sah, dass nur die richtige Gelegenheit brauchte, wurde as Stipendiat nach Cranbrook gebracht und später in den Lehrkörper aufgenommen. Ray Kaiser war wiederum wie Florence Schust keine Cranbrook Studentin. Es verschlug sie allerdings auf einer Reise von New York nach Kalifornien auf das Cranbrook Anwesen, wo es ihr so gut gefiel, dass sie bis zum nächsten Frühjahr blieb. Ihr kreatives Potential sollte sich bald mit dem von Charles Eames verbinden, was die Gründung des legendären Eames Office nach sich zog. Erwähnt werden, sollten auch Leute wie Don Albinson, der Eames und Eero, dem Sohn von Saarinen, bei ihren erfolgreichen Versuchen half, das sagenumwobene Biegen von Holz, das Alvar Aalto bereits in den Wäldern Finnlands praktizierte, weiterzuentwickeln. Albinson trat zunächst dem Eames Office bei und übernahm später die Verantwortung für die Verwaltung und Entwicklung des immer größer werdenden Knoll-Anwesens.

Um die frühe Geschichte Cranbrooks ranken sich viele Fabeln und Mythen. Sicher ist, dass es sich bei der frühen Cranbrook Academy of Art um einen Raum handelte, in dem die ausgewählten GestalterInnen, KünstlerInnen und ArchitektInnen ihren eigenen Weg finden und Probleme auf ihre eigene Weise angehen sollten. Eigenes Experimentieren, eigene Fantasie und ein eigenes Verständnis der Zeit und der Zusammenhänge zwischen materieller und der immaterieller Welt waren gefragt und wurden immer im Gespräch und im Diskurs mit anderen in der Gemeinschaft diskutiert. Antworten auf die großen Fragen wurden hier eher gesucht als unbedingt gefunden. Cranbrook war zudem ein Ort, der trotz aller vermeintlichen Ähnlichkeiten niemals mit einem amerikanischen Bauhaus verwechselt werden sollte, dass vielmehr in Illinois und in North Carolina zu finden ist.

Wie bei jeder Institution, bei der die verbreitete Kenntnis der frühen Jahre in erster Linie auf Fabel, Mythen und Legenden beruht, wird die spätere Entwicklung und Geschichte allzuoft ignoriert.

Dennoch – gerade die frühen Cranbrook AbsolventInnen haben nicht nur die Entwicklung unserer Möbel und Inneneinrichtungen beeinflusst, sondern unser gesamtes Designverständnis mit geformt. Unvergessen in der frühen Cranbrook Geschichte sind so auch Leute wie David Rowland, der sich über die Gesetze der klassischen Physik hinwegsetzte, um einen Stuhl zu entwickeln, von dem 40 Stück in einen Raum von nur vier Metern Höhe gelagert werden konnten, was den Platzbedarf  erheblich reduzierte; oder Don Knorr, der mit nichts weiter als dem Verständnis grundlegender angewandter Geometrie ein Stück Blech in einen runden Stuhl verwandelte; oder Niels Diffrient, der verkündete, dass der Bürostuhl sich dem menschlichen Körper anpassen sollte, anstatt dass der menschliche Körper sich dem Bürostuhl anpassen muss; oder Ruth der Adler von der Schnee, deren Textildesigns selbst die konservativsten Seelen betörten und deren Eintreten für zeitgemäße Innenarchitektur, zeitgemäße Beleuchtung und zeitgemäße Einrichtung dazu beitrug, dass ein neuer Wind durch die Innenräume von Unternehmen und Privathäusern wehte.

Im Verlauf der unzähligen Jahre seit dem Zeitalter von George und Ellen von Booth sind die Lehren der Arts and Crafts Bewegung von William of Morris zwangsläufig immer abstrakter interpretiert worden, da sich die Welt kontinuierlich weiterentwickelt und immer weiter von dem entfernt hat, wofür William Morris eintrat. Dieses abstraktere Verständnis nahm in Michigan auf dem Cranbrook Anwesen seinen Anfang, als die ersten Cranbrook StudentInnen und MitarbeiterInnen die Lehren von „Artsandcrafts“ im Kontext der kommenden Gesellschaft kritisch reflektierten. Und obwohl sich die Cranbrook Academy of Art im Laufe der Zeit in immer neue Bereiche vorgewagt hat, zuletzt in den Bereich des 4D-Designs, ist die Institution den Idealen treu geblieben, auf denen George und Ellen von Booth und Saarinen ihre Vision aufbauten, und vor allem ist die Institution nie von dem Glauben abgerückt, dass Nicht-Lehren die bessere Form des Lehrens ist und dass ein Funke, der lernt, sich selbst zu entzünden, heller und länger brennt. …….

…….à suivre

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