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Re-Editionen: Zwischen Zeitgeist und Zeitlosigkeit


Veröffentlicht am 10.07.2025

Wir leben zwar nicht mehr wie vor 50 Jahren, richten uns aber anscheinend gerne so ein. Wer in diesem Jahr durch Mailand zur Design Week schlenderte oder sich bei den 3daysofdesign in Kopenhagen inspirieren ließ, kam an einem Thema kaum vorbei: Re-Editionen. Überall wurden klassische Entwürfe neu aufgelegt, neu gedacht, neu kontextualisiert. Doch was einst als randständiges Phänomen galt – vor allem für Sammler*innen, Kenner*innen oder Designhistoriker*innen – ist inzwischen zu einem echten Designmotor geworden. Und nicht nur das: Re-Editionen sind zum kulturellen Kommentar geworden – mit Haltung, mit Botschaft, mit Feingefühl für Gegenwart und Geschichte.

Zwischen Comeback und Kommentar

Was treibt den aktuellen Hype um Re-Editionen an? Ist es bloß Stil-Nostalgie? Oder steckt dahinter eine tiefere Bewegung?

Sicher, das Wiedersehen mit bekannten Ikonen weckt Emotionen. Doch viele aktuelle Re-Editionen gehen über bloße Wiederbelebung hinaus – sie hinterfragen, adaptieren, remastern. Bestes Beispiel: Cassina, die zum 60. Jubiläum ihrer Kollektion i Maestri den Fauteuil Grand Confort von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand in roten Samt hüllten. Eine bewusste Irritation – oder besser gesagt: ein gestalterischer Kommentar auf unsere Gegenwart.

Neue Farbe, neues Material, gänzlich veränderter Ausdruck: Fauteuil Grand Confort von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand

Denn genau das ist mit „kulturellem Kommentar“ gemeint: Wenn ein Designklassiker heute neu aufgelegt wird – in anderer Farbe, mit verändertem Material oder in neuem Kontext – entsteht mehr als eine Kopie. Die Re-Edition stellt Fragen an das Original: Warum galt es damals als modern? Wie relevant ist es heute? Und was sagt es jetzt, unter veränderten Bedingungen, über unsere heutigen Vorstellungen von Wohnkultur, Nachhaltigkeit oder Ästhetik?

Solche Neuauflagen sind keine bloßen Reproduktionen – sie sind Reflexionen in Möbel-Form.

Möbel mit Vergangenheit und Zukunft

Das Sofa Amanta von Mario Bellini als Reedition von Hay

Auch andere Marken zeigen, wie viel Spielraum zwischen Archiv und Aktualität liegt. Hay präsentierte in diesem Jahr gleich mehrere Re-Editionen: das Amanta Sofa, den X-Line Chair (ursprünglich 1977) und den Rey Chair (1971), zwei Entwürfe, die formal wie funktional prägnant geblieben sind – und dennoch in Materialität und Farbstellung frisch wirken.

Reedition von Hay, zeitlos und modern: X-Line Chair

Noch spannender wird es, wenn Re-Editionen nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch weitergedacht werden. Jonathan Olivares, Designdirektor bei Knoll International, nahm sich 2024 den legendären Barcelona Chair vor. Statt Chrom nun lackierter Stahl, statt Leder nun Stoffbezug – eine Entscheidung, die auf Nachhaltigkeitsfragen ebenso reagiert wie auf neue Wohnbedürfnisse. Das Ziel: den Stuhl zurück ins Zuhause holen, weg von den anonymen Firmenlobbys.

Aus der Mode? Ganz im Gegenteil

Dass Re-Editionen mittlerweile weit über das Designfeld hinausstrahlen, zeigt der Schulterschluss mit der Modebranche. So etwa bei Jil Sander, die sich mit Thonet zusammen tat und dem berühmten Freischwinger von Marcel Breuer eine elegante Neuauflage schenkten – gefeiert vor allem in Mailand. Der Schulterschluss zwischen Fashion und Interior ist kein Zufall. Beide Disziplinen beschäftigen sich mit Körper, Raum und Zeit. Und beide stellen sich gerade neu auf: nachhaltiger, bewusster, langlebiger.

Jil Sander mit ihrer Interpretation des S 64 aus der Reihe Nordic

Vom Hype zur Haltung?

Re-Editionen zeigen: Designgeschichte ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein lebendiger Resonanzraum. Die Ikonen des 20. Jahrhunderts werden nicht nur zurückgeholt – sie werden weitergeschrieben. Oft präzise, manchmal verspielt, immer mit einer neuen Perspektive.

Ob es sich dabei um einen Trend handelt oder um eine tiefgreifende gestalterische Entwicklung, lässt sich schwer sagen. Vielleicht ist es beides. So wie eine alte Beatles-Platte, die neu gemastert plötzlich ungeahnte Details offenbart – vertraut und doch verändert.

Re-Editionen laden uns ein, genauer hinzuhören. Und hinzusehen.

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